OLG Dresden – Az.: 4 U 1346/19 – Urteil vom 21.04.2020
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 20.05.2019 – 7 O 3008/16 – wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss: Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 35.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die 1963 geborene Klägerin stellte sich am 01.03.2012 bei ihrer Hausärztin vor, die u. a. Folgendes dokumentierte: „Knoten li mama, hat termin Gyn 12.03.“ und „fragl. TM li mamma ob. äuß quadr.“. Am 12.03.2012 stellte sie sich bei der Beklagten – Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe – vor, die die Brüste der Klägerin untersuchte und u. a. Folgendes dokumentierte: „subj. TB li. Brust … diffuse Mastodynie li. lateral beids. weich, – TB, – LKS … obs!“. Am 07.11.2012 stellte sie sich erneut bei der Beklagten vor und berichtete von Unterleibsbeschwerden vor zwei Wochen und einem stationären Aufenthalt. Die Beklagte stellte auf der linken Brust oben mittig einen Tastbefund fest, woraufhin sie eine Überweisung zur Mammografie veranlasste. Am 09.11.2012 fand eine Mammografie und am 19.11.2012 eine Stanzbiopsie statt. Es wurde die Diagnose eines Mammakarzinoms gestellt. Am 04.12.2012 wurde das Karzinom brusterhaltend operativ entfernt. Anschließend erfolgten eine Chemotherapie sowie eine Strahlentherapie.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe grob fehlerhaft am 12.03.2012 die vorhandene Verdickung in der Brust nicht ertastet und erkannt. Der Knoten wäre sowohl von ihr als auch von ihrem Ehemann ertastet worden. Die Beklagte hätte bei der Klägerin unverzüglich weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Wäre dies geschehen, wäre das Mammakarzinom bereits frühzeitig erkannt und gut zu behandeln gewesen. Sie hätte sich insbesondere die Chemotherapie erspart und hätte auch eine günstigere Prognose gehabt. Sie leide nunmehr dauerhaft an einer Lympherkrankung und sei zudem in psychologischer Behandlung. Sie habe am ganzen Körper Schmerzen. Ihr stehe daher Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 30.000,00 € zu. Darüber hinaus habe die Beklagte materielle Schäden i.H.v. 851,90 € zu erstatten. Da weitere Schäden nicht auszuschließen seien, bestehe auch ein Feststellungsinteresse.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe sich am 12.03.2012 mit diffusen Beschwerden an der Außenseite der linken Brust vorgestellt. Nach der sorgfältigen fachärztlichen Untersuchung der Brüste habe es jedoch keine dahingehenden Auffälligkeiten gegeben. Es habe kein abklärungsbedürftiger Befund vorgelegen. Sie habe die Klägerin mit der Maßgabe des observativen Vorgehens entlassen. Am 07.11.2012 habe sich die Klägerin wegen Unterbauchbeschwerden und nicht wegen Brustschmerzen vorgestellt. Bei der Untersuchung habe nunmehr an einer anderen Stelle oben mittig an der linken Brust ein Tastbefund festgestellt werden können, der zur sofortigen Überweisung zur Mammografie geführt habe. Der nachfolgende Verlauf entziehe sich der Kenntnis der Beklagten und werde mit Nichtwissen bestritten. Unabhängig davon fehle es an der Kausalität. Selbst wenn die Diagnose früher gestellt worden wäre, hätte sich der spätere Verlauf nicht geändert. Die Behandlungen seien Folge der schicksalhaften Grunderkrankung.
Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten von Frau Prof. Dr. H… eingeholt, die Parteien angehört und den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen und die Klage mit Urteil vom 20.05.2019 – auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird – abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie trägt zur Begründung vor, das Landgericht habe ihr rechtliches Gehör verletzt. Es habe nach der Einvernahme ihres Ehemanns – insoweit unstreitig – mitgeteilt, dass es davon ausgehe, dass die beschriebene tastbare Verdickung in der Brust oberhalb der Brustwarze im März 2012 vorhanden gewesen sei. Sie – die Klägerin – habe daher keine Veranlassung gehabt, hierzu ergänzend vorzutragen. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2019 habe das Landgericht – insoweit ebenfalls unstreitig – seine abweichende Auffassung dargelegt. Das Landgericht hätte auf den Vortrag der Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz die mündliche Verhandlung wiedereröffnen und die von ihr benannten Zeuginnen hören müssen. Es sei unwahrscheinlich, dass der Tastbefund von mehreren Personen zu unterschiedlichen Tagen festgestellt worden sei und wenige Tage später für die Beklagte nicht mehr tastbar gewesen sein soll. Zudem sei die von der Beklagten dokumentierte Diagnose der Mastodynie nachweislich schon deshalb falsch, weil die Klägerin keine Schmerzen, Spannungsgefühle und Berührungsempfindlichkeiten geschildert habe. Bei einer tastbaren Verdickung wäre in jedem Fall eine Mammografie und Ultraschalluntersuchung der Brust indiziert gewesen. Das Unterlassen stelle einen groben Behandlungsfehler dar.
Die Klägerin beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches der Höhe nach in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, egal ob bekannt oder unbekannt, egal ob entstanden oder noch nicht entstanden, egal ob in der Vergangenheit liegend oder in der Zukunft entstehend, aus der Behandlung/unterlassener Behandlung und in deren Zusammenhang ab dem 12.03.2012 zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 851,99 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.307,81 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
A
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung aus §§ 280 Abs. 1, 249, 253, 630a ff. BGB i.V.m. dem Behandlungsvertrag zu.
Der Klägerin ist der Beweis dafür, dass der Beklagten ein Behandlungsfehler im Sinne eines Diagnosefehlers bei ihrer Untersuchung am 12.03.2012 unterlaufen ist, nicht gelungen. Kern des Vorwurfes ist, dass die Beklagte trotz der durchgeführten Tastuntersuchung keinen Knoten festgestellt hat. Ein Diagnoseirrtum, der objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen ist, kann nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (vgl. BGH, Urteil von 08.07.2003 – VI ZR 304/02 – juris). Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt eine vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde oder die Unterlassung für die Diagnosestellung oder ihre Überprüfung notwendiger Befunderhebung voraus (so BGH, a.a.O.). Eine fehlerhafte Behandlung läge nur dann vor, wenn zu dem Untersuchungstermin ein tastbarer Befund vorgelegen hätte, welcher von der Beklagten sicher hätte erkannt werden müssen. Dies kann nicht festgestellt werden. Zu Gunsten der Klägerin kann als wahr unterstellt werden, dass Anfang/Mitte März 2012 ein ca. 1 cm großer tastbarer Befund oberhalb der Brustwarze der linken Brust vorhanden war. Der Zeuge P… – Ehemann der Klägerin – gab bei seiner Einvernahme vor dem Landgericht an, dass er einen solchen Knubbel oberhalb der Brustwarze gespürt habe. Dieser habe sich hart angefühlt und sei weggeschnappt bei dem Versuch, ihn zu greifen. Er sei in etwa 1 cm groß gewesen, vielleicht so wie die Kuppe eines kleinen Fingers. Die Einvernahme der von der Klägerin weiter benannten Zeuginnen Dr. L… und R… zu ihrer Behauptung, der Knubbel, sei auch am 12.03.2012 vorhanden gewesen, kann unterbleiben, weil dies zu Gunsten der Klägerin als wahr unterstellt wird. Gleichwohl rechtfertigt der Umstand, dass die Beklagte nach ihren Angaben bei der Untersuchung der Brust in allen Quadranten keinen Tastbefund an der linken Brust feststellen konnte und dies auch so dokumentiert hat, nicht die Annahme eines Diagnosefehlers. Die Sachverständige Prof. Dr. H… ist in ihrem ergänzenden Gutachten vom 27.05.2018 und bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht davon ausgegangen, dass eine tastbare Verdickung vorhanden war. Auf der Grundlage ihrer Ausführungen erscheint es aus ärztlicher Sicht aber nicht unvertretbar, dass die Beklagte bei der Klägerin keinen Tastbefund erheben konnte. Die Sachverständige meinte einerseits, dass ein dauerhaft vorhandener Tastbefund von einem Zentimeter Größe eigentlich hätte nachvollzogen werden müssen. Allerdings liege die beschriebene Größe von etwa einem Zentimeter an der Grenze der Tastbarkeit überhaupt. Diese hänge auch stark von der konkreten Lokalisierung des Knotens und der Beschaffenheit der Brust ab. Der Umstand, dass der tastbare Knoten an der Stelle gelegen haben soll, wo auch später der Tumor festgestellt worden sei, weise darauf hin, dass er unverändert fortbestanden haben könnte. Dies sei aber nicht zwingend. Neben einem tatsächlichen Diagnosefehler der beklagten Ärztin seien auch physiologische Ursachen wie hormonelle oder entzündlich bedingte Schwankungen in der Größe des von der Klägerin beschriebenen Tastbefundes plausibel. Auch der vom Ehemann der Klägerin angegebene kleinfingerkuppengroße Knubbel, der bei dem Versuch, ihn zu greifen, weggeschnappt sei, sei nicht unbedingt mit dem diffus in das Gewebe einwachsenden später diagnostizierenden Karzinom zu vereinbaren. Der später diagnostizierte Tumor wachse eher flächig, was die Tastbarkeit erschwere. Hinzu komme eine empfindliche Komponente, die das Entstehen von Schmerzen begünstige. Nach den Ausführungen der Sachverständigen sei nicht ausgeschlossen, dass die Mastodynie und ein entstehender Tumor parallel zueinander, aber unabhängig voneinander entstanden seien. Im Hinblick auf den für ärztliche Diagnosen nach der Rechtsprechung grundsätzlich bestehenden Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum ist ein Diagnosefehler nicht anzunehmen.
Ein Fehler im Rahmen der therapeutischen Sicherungsaufklärung liegt ebenfalls nicht vor. Die Sachverständige Prof. Dr. H… hielt in ihrem Gutachten vom 03.02.2017 die Wiedereinbestellung der Klägerin aufgrund des von ihr geschilderten Tastbefundes zur klinischen Kontrolle nach drei bis sechs Monaten (bzw. sofort bei neuen Beschwerden) für wünschenswert. Gleichwohl gab sie an, dass es bei einem unauffälligen klinischen Befund keine verpflichtend vorgeschriebenen Zeitintervalle zur Kontrolle gibt. Ein verbindlicher Facharztstandard für die Wiedereinbestellung lässt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen. Unabhängig davon, obliegt der Klägerin die Beweislast für einen Fehler im Rahmen der therapeutischen Aufklärung. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung geschildert, dass sie der Klägerin einen entsprechenden Hinweis erteilt hat. Vor dem Landgericht gab sie an, dass sie der Klägerin gesagt habe, dass sie nichts ertasten könne, aber sie eindringlich darauf hingewiesen habe, dass bei Fortbestehen oder Verschlechterung der Beschwerden die Klägerin wiederkommen solle. Ein entsprechender Hinweis ergibt sich auch aus der Dokumentation, in der sie u. a. „…obs!“ für Observieren dokumentiert hat. Die Klägerin hat angegeben, sie könne sich nicht erinnern, dass ihr ein Hinweis auf eine Wiedervorstellung im Termin am 12.03.2012 erteilt worden wäre. Den ihr obliegenden Beweis, dass ein solcher Hinweis pflichtwidrig unterblieben ist, hat sie bei dieser Sachlage nicht geführt.
B
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt § 3 ZPO.