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Unterbliebene Arztaufklärung bei nicht aktuellem Handlungsbedarf

OLG Koblenz – Az.: 5 U 593/11 – Urteil vom 22.08.2012

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 13. April 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last. Ihr ist nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht von der anderen Seite Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin wurde von den Beklagten hausärztlich betreut. Auf deren Überweisung hin ließ sie am 20. Januar 2006 in der radiologischen Praxis Dr. …[A] eine sonographische Untersuchung der Schilddrüse durchführen. Nach dem Vorbringen der Beklagten war schon am 18. Mai 2005 eine entsprechende Überweisung erfolgt, ohne dass sie allerdings seinerzeit von der Klägerin umgesetzt wurde.

Dr. …[A] teilte den Beklagten das Ergebnis seiner Befundung in einem Arztbrief vom 24. Januar 2006 mit. Danach gab es im linken Teil der Schilddrüse drei echoarme Knoten im Durchmesser von jeweils annähernd 1 cm. Im Hinblick darauf hieß es in dem Schreiben: „Zur weiteren Abklärung sollte noch eine Schilddrüsen-Szintigraphie folgen. Bitte um Faxmitteilung der Schilddrüsenwerte, insbesondere des TSH-Wertes.“ Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin hatte sich Dr. …[A] im Untersuchungstermin beschwichtigend geäußert.

Der Arztbrief veranlasste die Beklagten zu keiner Reaktion. Ihrer Darstellung nach war die Klägerin im Vorfeld der Sonographie von ihnen aufgefordert worden, sich nachfolgend zur Befundbesprechung in ihrer Praxis zu melden. Eine solche Aufforderung habe es auch schon anlässlich der Überweisung vom 18. Mai 2005 gegeben. Das hat die Klägerin in Abrede gestellt.

Unterbliebene Arztaufklärung bei nicht aktuellem Handlungsbedarf
Symbolfoto: Von BlurryMe/Shutterstock.com

Am 7. Dezember 2006 wurde die Klägerin von einem Mädchen entbunden. Danach war sie mehrfach in der hausärztlichen Behandlung der Beklagten, ohne dass allerdings der vorliegende Schilddrüsenbefund thematisiert wurde. Erst am 21. April 2009 kam es auf Veranlassung der Beklagten in der Praxis Dr. …[A] zu einer neuen Untersuchung. Eine Sonographie und ein Szintigramm offenbarten linksseitig vier in Progredienz befindliche Schilddrüsenknoten und daneben pathologisch vergrößerte Halslymphknoten. Kurz darauf wurde die Klägerin operiert. Dabei stellte man ein Schilddrüsenkarzinom mit Metastasen in den Lymphknoten fest. Die Schilddrüse musste komplett entfernt werden, und eine Radiojodtherapie schloss sich an.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin die Beklagten mit dem Vorwurf, sie hätten die Schadensentwicklung mangels einer nach dem Arztbrief vom 24. April 2006 gebotenen Abklärung der Verhältnisse im Jahr 2006 zu verantworten, auf immateriellen und materiellen, mit Aufwendungen für medizinische Maßnahmen und die Betreuung ihrer Tochter begründetem Schadensersatz in Anspruch genommen. Dieses Begehren hat das Landgericht, auf dessen Urteil ebenso wie auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten zur näheren Sachverhaltsdarstellung Bezug zu nehmen ist, abgewiesen. Gestützt auf das Ergebnis der Anhörung der Beklagten zu 1), ist es davon ausgegangen, dass der Klägerin nahegelegt worden sei, nach der Sonographie vom 20. Januar 2006 in der Praxis der Beklagten vorzusprechen; insofern hätten diese ihren Warn- und Hinweispflichten genügt. Dass im Anschluss an den Arztbrief vom 24. Januar 2006 eine entsprechende Aufforderung unterblieben sei, habe sich nicht schadensursächlich ausgewirkt, weil die Klägerin bereits von Dr. …[A] auf die Notwendigkeit einer Szintigraphie aufmerksam gemacht worden sei. Zu dieser Feststellung ist das Landgericht – unabhängig vom Vortrag der Parteien – aufgrund einer Anhörung Dr. …[A]s gelangt, die es in einem von der Klägerin gegen dessen Praxis angestrengten Parallelrechtsstreit vorgenommen hatte.

Die Klägerin greift das Urteil in Erneuerung ihres erstinstanzlichen Verlangens an. Sie hält daran fest, dass sie die Beklagten 2006 auf das Erfordernis einer Szintigraphie hätten hinweisen müssen. Einem derartigen Hinweis, der auch von Dr. …[A] nicht erteilt worden sei, wäre sie gefolgt. Das hätte dann im Weiteren zu therapeutischen Maßnahmen geführt, die die – mittlerweile mit metastasierenden Weiterungen verbundene – Schadensentwicklung des Jahres 2009 verhindert hätten.

II.

Damit vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Es verbleibt im Ergebnis bei der klageabweisenden Entscheidung des Landgerichts, die vertragliche oder deliktische Ersatzansprüche verneint hat.

1. Allerdings hat sich der Senat außer Stande gesehen, das angefochtene Urteil ohne Weiteres zu bestätigen. Denn er hätte dazu, wie das auch das Landgericht getan hat, mangels anderweitiger sachverständiger Erkenntnisse unterstellen müssen, dass die von Dr. …[A] unter dem 24. Januar 2006 angeratene Szintigraphie den medizinischen Erfordernissen entsprach und es deshalb geboten war, dies der Klägerin zu vermitteln. Die in der erstinstanzlichen Entscheidung getroffene Würdigung, dafür sei ausreichend Sorge getragen worden, war aus der Sicht des Senats nicht zutreffend. Das Landgericht hatte insoweit einerseits auf Vorgaben abgehoben, die der Klägerin anlässlich der Konsultation der Beklagten vom 18. Mai 2005 gemacht worden waren; diese Vorgaben konnten indessen schon aufgrund des großen zeitlichen Abstands nicht genügen. Andererseits war das Landgericht von einer einschlägigen Unterrichtung durch Dr. …[A] ausgegangen; das trug – unabhängig davon, dass es dazu eher nur vage Erkenntnisse gab – nicht, weil sich diese Beurteilung auf die Beweisaufnahme in dem gegen Dr. …[A] geführten Rechtsstreit stützte, die mangels einer Verfahrensverbindung nicht in den hiesigen Prozess Eingang gefunden hatte.

2. Im Hinblick darauf hat sich der Senat zu einer gutachterlichen Klärung veranlasst gesehen. Diese ist mittlerweile durch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. …[B] erfolgt, der sich zunächst unter dem 20. Februar 2012 und dann auf die Kritik der Klägerin hin ergänzend unter dem 4. Juni 2012 geäußert hat. Namentlich die zweite Stellungnahme, der von Seiten der Parteien nichts mehr entgegengesetzt worden ist, hat deutlich werden lassen, dass es keine Grundlage für die von der Klägerin reklamierte Haftung der Beklagten gibt:

a) Die von Dr. …[A] in den Raum gestellte Szintigraphie war unter den damaligen Umständen nicht indiziert, weil es allein darum ging, Aufschluss über eine mögliche Schilddrüsenüberfunktion zu erhalten, die für die Hypertonie, das rezidivierende Herzrasen und die innere Unruhe der Klägerin verantwortlich gemacht werden konnte. Das war durch eine Hormonbestimmung und eine sonographische Untersuchung hinlänglich ergründet worden. Die dabei linksseitig festgestellten Echoinhomogenitäten legten keine zusätzlichen diagnostischen Maßnahmen nahe, weil sich eine relevante Gefahrenlage nicht abzeichnete.

Darüber hinaus wäre eine Szintigraphie auch kaum tauglich gewesen, ein malignes Geschehen aufzudecken. Dazu hätte es einer histologischen Untersuchung bedurft, die, um aussagekräftig zu sein, nicht über eine Feinnadelaspirationszytologie, sondern konventionell unter Einsatz von Gewebeschnitten hätte erfolgen müssen, und bei einer Nutzen-Risiko-Abwägung abzulehnen war.

Mithin waren die Beklagten nicht gehalten, im Anschluss an den Praxisbesuch der Klägerin bei Dr. …[A] am 20. Januar 2006 weitere Maßnahmen in die Wege zu leiten. Das Versäumnis, eine Szintigraphie vornehmen zu lassen und die Klägerin entsprechend zu ermahnen, begründet keinen Pflichtverstoß, weil eine entsprechende Befunderhebung nicht geboten war.

b) Dass die Beklagten in der weiteren Folgezeit, ehe es schließlich am 21. April 2009 zu einer erneuten Untersuchung bei Dr. …[A] kam, in vorwerfbarer Weise davon abgesehen hätten, schilddrüsendiagnostische Maßnahmen durchführen zu lassen, erschließt sich nicht, und daran knüpft auch die Klage nicht an. Selbst wenn es insoweit zu pflichtwidrigen Unterlassungen gekommen wäre, könnte daraus keine Haftung abgeleitet werden, weil es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür fehlt, dass man einen reaktionspflichtigen Befund erhalten hätte. Die Dinge spitzten sich erst zu, als 2009 vergrößerte Lymphknoten festgestellt werden konnten. Ob die maligne Symptomatik schon früher signifikant war, ist zweifelhaft.

Im Übrigen muss in diesem Zusammenhang gesehen werden: Die Früherkennung des 2009 manifesten Karzinoms hätte grundsätzlich kein anderes Schadensbild nach sich gezogen, als es heute tatsächlich vorhanden ist. Es wäre dann genauso geboten gewesen, die Schilddrüse komplett zu entfernen – allein mit dem Unterschied, dass dies bereits früher geschehen wäre. Freilich hätte man auf diese Weise womöglich die Bildung von Metastasen vermieden oder zumindest verringert. Aber das ist, wie Dr. …[B] bemerkt hat, völlig unsicher. Die Ungewissheit wirkt sich grundsätzlich zu Lasten der Klägerin als Anspruchsstellerin aus. Ein Beweisvorteil kann insoweit nicht eintreten, weil ein diesbezüglich relevanter (vgl. dazu BGH MedR 2012, 383, 384) Befunderhebungsfehler der Beklagten nicht vorliegt.

3. Nach alledem ist, gestützt auf die überzeugenden Darlegungen Dr. …[B]s, das klageabweisende Urteil des Landgerichts mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO aufrechtzuerhalten. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht vorhanden.

Rechtsmittelstreitwert: 30.000 €

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