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Unterlassen einer Sachverständigenanhörung im Arzthaftungsprozess

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 12 U 266/16 – Urteil vom 01.11.2018

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.11.2016 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 11 O 309/11, aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens – an das Landgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie auf Feststellung einer Ersatzpflicht für alle weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die aus der aus ihrer Sicht fehlerhaften Behandlung durch die Beklagte in den Jahren 2006 bis 2010 resultieren in Anspruch, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Die Klägerin befand sich in dem genannten Zeitraum – wie auch schon zuvor – in zahnmedizinischer Behandlung bei der Beklagten, die die Erneuerungsbedürftigkeit der Implantatversorgung des Oberkiefers der Klägerin feststellte und eine teleskopierende Brücke über den fünf verbliebenen Frontzähnen der Klägerin einsetzte, nachdem sie den Zahn 21 gezogen hatte. In der Folge kam es zu starken Entzündungen am Zahnfleisch der Klägerin, die seitens der Beklagten mit entzündungshemmenden Fädchen behandelt wurden, sowie zum Abbruch und der Entfernung der Zähne 12, 11 und 22, nachdem zuvor bereits der Zahn 13 vereitert und extrahiert worden war. Die teleskopierende Brücke wurde danach nur noch von Zahn 23 getragen. Auch dieser Zahn musste am 17.05.2011 wegen seiner starken Lockerung und Entzündung gezogen werden. Die Parteien streiten zum einen über der Beklagten vorzuwerfende Behandlungsfehler. Zudem wirft die Klägerin der Beklagten einen Aufklärungsfehler vor, weil sie über die Möglichkeit einer alternativen Behandlung in Form des Einsatzes eines Implantates zur Durchführung eines Sinusliftes und damit der Herstellung eines weiteren Stützpfeilers nicht aufgeklärt worden sei. Ferner besteht Streit über die Richtigkeit und Vollständigkeit der Behandlungsdokumentation der Beklagten. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrages wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit am 11.11.2016 verkündetem Urteil hat das Landgericht unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 10.000,00 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 700,32 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.06. bzw. seit dem 19.11.2011 zu zahlen und eine Ersatzpflicht der Klägerin hinsichtlich sämtlicher weiterer zukünftiger materieller und immaterieller Schäden aus der Behandlung durch die Beklagte festgestellt, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch aus §§ 611, 280 Abs. 1, 253 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB zu. Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme stehe aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen Dr. N… sowie Dr. G… fest, dass die Beklagte die Behandlung fehlerhaft durchgeführt habe. So habe die Sachverständige Dr. N… ausgeführt, es hätte sowohl einer Paradontalbehandlung als auch eine endodontische Behandlung vor der prothetischen Versorgung durchgeführt werden müssen. Es hätten Einzelaufnahmen von den Zähnen angefertigt werden müssen. Auch hätte die Statik der Teleskope anders ausgelegt werden müssen. Der Verlust der 5 Zähne beruhe dabei teilweise auf der unzureichenden Ausgestaltung der Teleskoparbeit und teilweise auf der regelmäßigen Verabreichung der CHKM-Fäden. Auch eine Aufklärung über eine Alternativbehandlung sei nicht dokumentiert. Diese Ergebnisse würden von den Feststellungen des Sachverständigen Dr. G… bestätigt, der ebenfalls eine unzureichende Dokumentation der Behandlungsalternativen sowie eine ungenügende Röntgen- und Paradontaldiagnostik bemängelt habe. Bestätigt würden die Feststellungen der Sachverständigen zudem von dem von der Klägerin eingereichten Gutachten des Dr. M… . Aufgrund der Häufung von Behandlungsfehlern sei in der Zusammenschau ein grober Behandlungsfehler anzunehmen. Dies führe dazu, dass die Kausalität der fehlerhaften Behandlung für die von der Klägerin angegebenen Beeinträchtigungen vermutet werde. Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes sei die Länge des Behandlungszeitraums und die Schmerzhaftigkeit der zahnärztlichen Maßnahmen wie auch das Verhalten der Beklagten zu berücksichtigen, die auch nach Vorlage von insgesamt drei Sachverständigengutachten eine Einsicht nicht gezeigt habe. Dies habe letztlich auch zur langen Verfahrensdauer geführt. Wegen der weitergehenden Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 16.11.2016 zugestellte Urteil mit am 15.12.2016 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit am 16.01.2017 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Unterlassen einer Sachverständigenanhörung im Arzthaftungsprozess
(Symbolfoto: Von Yavdat/Shutterstock.com)

Die Beklagte bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag nebst Beweisangeboten. Das landgerichtliche Urteil sei bereits verfahrensfehlerhaft ergangen, weil entgegen ihrem Antrag der Sachverständige Dr. G… nicht zur Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung geladen worden sei. Auch seien ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. G… im Schriftsatz vom 20.02.2016 vollständig unberücksichtigt geblieben. Die Entscheidungsgründe seien weitgehend unkonkret, so sei weder im Einzelnen festgestellt, inwieweit eine Aufklärung über eine Alternativbehandlung gefehlt habe, noch wie eine solche Aufklärung habe aussehen sollen. Auch habe der Sachverständige Dr. G… entgegen den Feststellungen im landgerichtlichen Urteil nicht eine fehlerhafte Vorbehandlung mit ungenügender Röntgen- und Parodontaldiagnostik sowie eine daraus wahrscheinlich entstandene parodontale Therapienotwendigkeiten gerügt, sondern lediglich die fehlende Dokumentation solcher Maßnahmen beanstandet. Hinsichtlich des Vorwurfs, dass es ihr, der Beklagten, nicht gelungen sei, dauerhaft eine Schmerzfreiheit der Klägerin herzustellen, werde nicht ausgeführt, inwieweit hierin ein Behandlungsfehler liege. Auch die Sachverständige Dr. N… und der Privatgutachter Dr. M… belegten Behandlungsfehler nicht hinreichend, sondern stellten lediglich Vermutungen auf. Ihr erstinstanzlicher Sachvortrag hierzu sei übergangen worden. Soweit das Landgericht Befunderhebungsfehler annehmen wolle, fehle es an Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen für eine Haftung. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen erst fünfeinhalb Jahre nach Abschluss ihrer Behandlungen stattgefunden habe. Auch die Feststellungen des Gerichts zu einer Kausalität seien völlig unzureichend. So habe bereits der Sachverständige Dr. G… ausgeführt, der Bruch der Zähne könne unterschiedliche Gründe haben. Fehlerhaft habe das Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ferner berücksichtigt, dass sie, die Beklagte, keine Einsicht im Rechtsstreit gezeigt habe.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage vollständig abzuweisen, sowie hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erstmaligen sachgerechten Bearbeitung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie beantragt, auch die Sachverständige Dr. N… zur Erläuterung ihres Gutachtens anzuhören und verweist darauf, dass deren Anhörung im Hinblick auf den ihr nicht übermittelten Schriftsatz der Beklagtenseite vom Landgericht abgebrochen worden sei. Im Ergebnis sei die Sachverständige Dr. N… zutreffend von einer behandlungsfehlerhaften Vorgehensweise der Beklagten ausgegangen. Zu klären sei allerdings, ob die von der Sachverständigen aufgezeigte Behandlungsalternative – Einbringung zusätzlicher Implantate in Regio 14 und 24 nach Setzen eines Sinusliftes und gegebenenfalls Knochenaufbau zur anschließenden Brückenversorgung – nicht ohnehin der von der Beklagten gewählten Behandlungsmethode vorzuziehen gewesen wäre. Weiter zu erläutern sei die Feststellung der Sachverständigen, die Teleskopprothese sei „wahrscheinlich nicht optimal eingestellt“ gewesen, da Kieferprobleme aufgetreten seien. Ferner sei zu klären, inwieweit die Verwendung der CHKM-Fädchen einen groben Behandlungsfehler darstelle, gerade auch im Hinblick auf die nach Ansicht der Sachverständigen im Vorfeld durchzuführende Parodontitistherapie sowie bezüglich der Möglichkeit des Einsatzes von Chlorhexidin oder CHX-Chips. Schließlich ergebe sich aus den erstinstanzlich vorgelegten Abrechnungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung …, dass die in der Berufungsinstanz wieder aufgegriffenen Darstellungen der Beklagten im Schriftsatz vom 22.02.2016 zu den von ihr tatsächlich durchgeführten Tätigkeiten unzutreffend seien.

II.

1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Beklagte stützt ihr Rechtsmittel unter anderem darauf, das Landgericht habe hinreichend konkrete Feststellungen zum Vorliegen von Behandlungsfehlern ihrerseits wie auch zu deren Kausalität für die von der Klägerin angegebenen Beeinträchtigungen nicht getroffen und insoweit verfahrensfehlerhaft auch den gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. G… nicht zur Erläuterung seines Gutachtens geladen. Die Beklagte macht damit Rechtsfehler gelten, auf denen das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.

2. Die Berufung der Beklagten hat in der Sache insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil auf den Hilfsantrag der Beklagten aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Wie der Senat bereits in der Terminsverfügung vom 13.08.2018 ausgeführt hat, ist das landgerichtliche Urteil verfahrensfehlerhaft ergangen, weil dieses den Sachverständigen Dr. G… nicht zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens geladen hat. Die angefochtene Entscheidung beruht damit auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG (zum Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers in einem solchen Fall vgl. BGH NJW 1993, S. 538; Heßler in Zöller, ZPO, Kommentar, 32. Aufl., § 411, Rn. 20). Auf Antrag einer Partei ist das Gericht zur Vorladung des Sachverständigen verpflichtet, da die Partei zur Gewährleistung ihres rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf hat, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (BGH NJW-RR 2001, S. 1431; Greger in Zöller, a. a. O., § 411, Rn. 4). Eine Ladung des Sachverständigen Dr. G… ist vorliegend nicht erfolgt, obwohl die Beklagte dies im Schriftsatz vom 22.02.2016 für den Fall, dass das Landgericht nicht ohnehin einen Austausch des Sachverständigen vornehme, ausdrücklich beantragt hat. Diesen Antrag hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.10.2016 konkludent mit ihrem Hinweis wiederholt, dass sie bereits zuvor schriftsätzlich beantragt habe, den Sachverständigen zum Zwecke seiner Anhörung zu laden. Dem Senat ist auch nicht nachvollziehbar, warum das Landgericht dem Antrag der Beklagten nicht nachgekommen ist. Ausführungen hierzu finden sich im Urteil nicht. Auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten (zu dieser Fallgruppe vgl. Greger, a. a. O., Rn. 5) ist nicht ersichtlich.

Im weiteren Verfahren ist auch eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme vorzunehmen. Beim Unterlassen einer Sachverständigenanhörung im Arzthaftungsprozess ist regelmäßig anzunehmen, dass das Erfordernis einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme gegeben ist, da sich die Anhörung im Zweifel auf den vollen Umfang der Beweisfragen erstreckt, wobei prognostisch auch die weitere Entwicklung einer sich anschließenden Beweiserhebung einzubeziehen ist (KG NJW-RR S. 371; Heßler, a. a. O., Rn. 31). So liegt der Fall auch hier. Das Landgericht hat nicht nur die Anhörung des Sachverständigen Dr. G… unterlassen, sondern auch die Anhörung der zuvor bestellten Sachverständigen Dr. N… nicht fortgesetzt, die zuvor im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21.01.2014 im Hinblick auf die der Sachverständigen nicht vorab mitgeteilten Fragen der Beklagten abgebrochen worden war. Die Anhörung auch der Sachverständigen Dr. N… wird nunmehr ausdrücklich von der Klägerin beantragt. Im Rahmen der Anhörung der Sachverständigen werden neben der weiteren Aufklärung der Vielzahl der von der Klägerin schon in der Klageschrift geltend gemachten Behandlungsfehler, die Eingang in den Beweisbeschluss des Landgerichts vom 08.08.2012 gefunden haben, auch die weiteren von der Klägerin erhobenen Vorwürfe zu klären sein. Die Klägerin macht zwischenzeitlich auch geltend, fehlerhaft sei es gewesen, trotz bei ihr vorhandener Goldkronen im Unterkiefer bei der Neuversorgung unedlere Metalllegierungen einzusetzen, wobei die Verwendung unterschiedlicher Metalle zur Belagbildung geführt habe. Weiter wirft die Klägerin die Frage auf, ob die von der Beklagten vorgesehene Behandlungsmethode nicht ohnehin im Hinblick auf die von den gerichtlich bestellten Sachverständigen angesprochene Alternative der Einbringung von zwei Implantaten im Oberkiefer in Regio 14 und 24 als weitere Stützpfeiler fehlerhaft gewesen ist. Auch macht die Klägerin im Anschluss an die Feststellungen der Sachverständigen geltend, die Verwendung der CHKM-Fäden sei behandlungsfehlerhaft erfolgt. Zudem sei der Zahn 13 übereilt gezogen worden, ohne den Versuch einer Wurzelkanalbehandlung vorzunehmen. Auch hinsichtlich der Entfernung des Zahnes 21 durch die Beklagte sei im Anschluss an die Feststellungen der Sachverständigen Dr. N… der Beklagten ein Behandlungsfehler wegen des unterlassenen Versuchs einer Erhaltung des Zahnes, jedenfalls aber ein Aufklärungsfehler im Hinblick auf die Möglichkeit eines Rettungsversuchs bezüglich des Zahnes gegeben.

Weiterhin bedarf auch die Frage der Kausalität der geltend gemachten Behandlungsfehler für die von der Klägerin beklagten Beeinträchtigungen, insbesondere für den Verlust der Zähne im Oberkiefer, einer weiteren Abklärung durch Anhörung der Sachverständigen. Ebenso wird in diesem Zusammenhang zu klären sein, ob aus medizinischer Sicht die Behandlungsfehler einzeln oder in ihrer Zusammenschau als grober Behandlungsfehler zu werten sind, mit der Folge einer Beweislastumkehr zum Nachteil der Beklagten hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Primärschaden (vgl. hierzu Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Teil B, Rn. 251 f). Fehlerhaft hat das Landgericht ohne weitere Sachaufklärung aus der Häufung der angenommenen Fehler das Vorliegen eines grob fehlerhaften Behandlungsgeschehens abgeleitet. Zwar stellt die Bewertung, ob sich ein Behandlungsfehler als grob darstellt, eine Rechtsfrage dar, die Entscheidung muss indes in den tatsächlichen Feststellungen, die sich in der Regel aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen ergeben, eine hinreichende Stütze finden. Es ist mithin zu klären, ob ein Sachverständiger einen Verstoß gegen elementare medizinische Erkenntnisse oder elementare Behandlungsstandards bejaht oder lediglich eine Fehlentscheidung in mehr oder weniger schwieriger Lage erkennt (BGH VersR 2012, S. 362; VersR 2009, S. 1406; Geiß/Greiner, a. a. O., Rn. 255). Das Landgericht hat hierzu die Sachverständigen ebenfalls nicht weiter befragt.

Auch im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte unzureichende Aufklärung wird eine weitere Sachaufklärung erforderlich sein. Ist eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht gegeben und mithin auch eine wirksame Einwilligung der Klägerin in die Behandlung nicht erfolgt, so ist der konkrete Eingriff – also die Durchführung der Zahnbehandlung durch Einsatz der teleskopierenden Brücke über die verbliebenen fünf Frontzähne im Oberkiefer der Klägerin – zumindest teilweise als rechtswidrige Körperverletzungen zu werten (vgl. hierzu BGH VersR 1990, S. 1010; VersR 1989, S. 253; Geiß/Greiner, a. a. O., Teil C, Rn. 1 f). Vor Durchführung eines Eingriffs ist der Patient über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken aufzuklären, um unter Wahrung seiner Entscheidungsfreiheit wirksam in den Eingriff einwilligen zu können. Die Aufklärung hat dem Patienten einen zutreffenden allgemeinen Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastung zu vermitteln, die sich für seine körperliche Integrität und seine Lebensführung aus dem Eingriff ergeben können (Brandenburgisches OLG – 1. Zivilsenat – VersR 2000, S. 1283; Geiß/Greiner, a. a. O., Rn. 5). Im Rahmen der Aufklärung ist auch das Risiko zu erörtern, inwieweit trotz fehlerfreier medizinischer Behandlung Schadensrisiken bestehen, seien es mögliche Komplikationen während des Eingriffs oder sonstige schädliche Nebenfolgen (BGH VersR 2005, S. 1238; Geiß/Greiner, a. a. O., Rn. 41; vgl. auch BGH VersR 1982, S. 147; OLG Oldenburg VersR 1986, S. 69). Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken, es genügt eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung (BGH VersR 2006, S. 838; Brandenburgisches OLG – 1. Zivilsenat -, a. a. O.). Zur Behandlungsaufklärung gehört es dabei auch, dass der Arzt dem Patienten Kenntnis von Behandlungsalternativen verschafft, wenn gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen. Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Er muss dem Patienten daher im Allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Dem Patienten muss in diesem Fall nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGHZ 102, S. 17; NJW 2005, S. 1718; NJW 2006, S. 2477; Geiß/Greiner a. a. O., Rn. 22; so auch der Senat im Urteil vom 15.07.2010, Az. 12 U 232/09; veröffentlicht etwa in VersR 2011, S. 267). Darlegungs- und beweispflichtig für eine richtige und vollständige Aufklärung ist dabei der behandelnde Arzt (BGH VersR 1992, S. 960 und S. 747). Vorliegend haben die Sachverständigen aus medizinischer Sicht eine Aufklärung der Klägerin über die Behandlungsalternative der Einbringung von zwei Implantaten im Oberkiefer in Regio 14 und 24 als weitere Stützpfeiler für erforderlich gehalten. Auch wenn die Sachverständigen eine hinreichende und insbesondere inhaltlich bestimmbare Aufklärung über Behandlungsalternativen der Behandlungsdokumentation der Beklagten nicht entnehmen konnten, werden die Parteien zu diesem Punkt anzuhören sein, da die Beklagte die Durchführung einer entsprechenden Aufklärung hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Gegebenenfalls wird die Klägerin im Hinblick auf die von der Beklagten geltend gemachte hypothetische Einwilligung in den Eingriff auch zum Vorliegen eines Entscheidungskonfliktes anzuhören sein.

Der Senat weist schließlich vorsorglich darauf hin, dass aufgrund der durchzuführenden Beweisaufnahme und der dadurch erforderlich werdenden Beweiswürdigung die Übernahme der bisher durch den Einzelrichter bearbeiteten Sache durch die Kammer gemäß § 348 Abs. 3 ZPO geboten erscheint. Grundsätzlich hat wegen der in Arzthaftungssachen regelmäßig bestehenden Schwierigkeiten sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht die Beweiserhebung und Entscheidung nicht durch den Einzelrichter, sondern durch das vollbesetzte Kollegium zu erfolgen (vgl. BGH NJW 1994, S. 801; Brandenburgisches OLG – 1. Zivilsenat – OLG-NL 2001, S. 5; Geiß/Greiner, a. a. O., Teil E, Rn. 35, so auch der Senat in der Entscheidung vom 17.07.2008, Az. 12 U 221/07, veröffentlicht in juris).

3. Die Niederschlagung der Gerichtskosten für das Berufungsverfahren beruht auf § 21 Abs. 1 GKG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 20.000,00 € festgesetzt, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO (Schmerzensgeldforderung 10.000,00 €; Feststellungsantrag: 10.000,00 €).

Wert der Beschwer für die Parteien: 20.000,00 €.

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