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Verletzung ärztlicher Aufklärungspflicht – Entfernung eines Tumors

OLG Köln – Az.: 5 U 26/19 – Beschluss vom 23.08.2019

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 30. Januar 2019 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 11 O 164/17 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Gründe

I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).

Zu Recht hat das Landgericht die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 und zur Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 1.430,38 EUR verurteilt sowie die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt. Es hat zutreffend angenommen, dass die Beklagten der Klägerin wegen mangelhafter Eingriffs- und Risikoaufklärung haften.

1. Die Beklagten haben die Klägerin vor dem Eingriff vom 17.9.2015 nicht ordnungsgemäß aufgeklärt.

a) Sie haben sie über das bei der Entfernung des supraklitoral gelegenen Tumors bestehende Risiko einer Verletzung der Klitoris nicht unterrichtet.

Aus den Angaben der Klägerin vor dem Landgericht folgt entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung nicht, dass die Klägerin in einer eine Aufklärung entbehrlich machenden Weise um das Risiko einer Verletzung der Klitoris wusste. Sie hat bei ihrer Anhörung erklärt, dass sie große Bedenken gehabt habe. Es handele sich ja um eine empfindliche Stelle, so dass sie den Beklagten zu 2) darauf angesprochen habe. Dieser habe aber gemeint, dass das kein Problem sei, weil der Knoten weit genug weg von der Klitoris sei. Er habe gemeint, „wir machen das schon“. Danach hatte die Klägerin keine sichere Kenntnis des Risikos, sondern einen Verdacht, dem sie durch Nachfrage nachgegangen ist. Nach ihrer Aussage hat der Beklagte zu 2) den Verdacht nicht bestätigt und ein Risiko in diesem Punkt verneint.

Die Ärztin A, die am 16.9.2015 das Aufklärungsgespräch mit der Klägerin geführt hat, hat nach ihren Bekundungen das Risiko einer Verletzung der Klitoris nicht angesprochen. Die von ihr angegebene Aufklärung über die Gefahr der Verletzung umliegender Strukturen war nicht ausreichend. Hiervon ist auch der Sachverständige Prof. Dr. B ausgegangen. Welche Strukturen angesprochen waren, war für eine Patientin in der Lage der Klägerin unklar. Davon, dass auch die Klitoris gemeint war, musste sie nicht ausgehen. Ein Patient darf erwarten, dass die drohende Verletzung eines Organs, das für die Lebensführung – hier das Sexualleben – von besonderer Bedeutung ist, vom Arzt in einem Aufklärungsgespräch ausdrücklich erläutert wird.

Soweit die Beklagten in der Berufungsbegründung erstmals behaupten, dass einerseits die Vorkenntnis der Klägerin bei ihrer Vorstellung am 11.9.2015, bei der der Beklagte zu 2) die Operationsindikation gestellt hat, zum Ausdruck gekommen sei, andererseits der Beklagte zu 2) sie in diesem Gespräch auch über das Risiko einer Verletzung der Klitoris aufgeklärt habe, ist das Vorbringen nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht zuzulassen. Das Gleiche gilt für den Beweisantritt, der in der Berufung auf eine Anhörung des Beklagten zu 2) gerichtet ist. In erster Instanz haben die Beklagten eine Zeugenvernehmung, die vor der Erweiterung der Klage auf den Beklagten zu 2) in Betracht gekommen wäre, eine Parteivernehmung oder eine Anhörung des Beklagten zu 2) nicht beantragt oder angeregt. Die Voraussetzungen, unter denen neue Angriffs- und Verteidigungsmittel ausnahmsweise zu berücksichtigen sind, sind weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere haben die Beklagten die Verspätung nicht ausreichend entschuldigt. Für sie war bei sorgfältiger Prozessführung in erster Instanz erkennbar, dass es auf den vorstehenden Gesichtspunkt ankommen konnte. Auf eine unterbliebene Risikoaufklärung, insbesondere hinsichtlich eines möglichen Funktionsverlusts der Klitoris, hat die Klägerin ihre Klage von Anfang an gestützt.

b) Die Beklagten haben die Klägerin nicht über eine bestehende Behandlungsalternative aufklärt.

Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass eine Biopsie nach den Ausführungen von Prof. Dr. B vor allem deshalb keine Alternative zur Tumorentfernung dargestellt hat, weil sie die Gewinnung von repräsentativem Gewebe nicht gewährleistet hätte, das die gewünschte sichere histologische Abklärung der Dignität des Tumors ermöglichte.

Nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts auf S. 11 des angefochtenen Urteils, die von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B getragen werden (S. 10 und 12 f. des Gutachtens), bestand, statt den Tumor vollständig zu entfernen und das Risiko einer Verletzung der Klitoris einzugehen, die Möglichkeit, den Tumor zunächst unvollständig zu entfernen, die Klitoris sicher zu erhalten und im Fall eines bösartigen histologischen Befunds zweizeitig vorzugehen und den Tumor in einem weiteren Eingriff vollständig zu entnehmen. Es leuchtet ein, dass sich die letztgenannte Vorgehensweise bei eine der Klitoris nahen Lage eines Tumors aus präoperativer Sicht als Alternative anbietet. Eine geringere Aussagekraft des histologischen Befundes hat Prof. Dr. B für den Fall einer unvollständigen und teilweisen Entfernung des Tumors, anders als für eine bloße Biopsie, nicht angenommen. Rechtlich handelt es sich um Behandlungsalternativen, da beide Möglichkeiten mit unterschiedlichen Risiken, Chancen und Belastungen für die Patientin verbunden sind. Das möglicherweise zweizeitige Vorgehen vermeidet oder verringert das Risiko einer Verletzung der Klitoris, während es bei einem einzeitigen Vorgehen und von vorneherein vollständiger Tumorentfernung sicher nicht zu den allgemeinen Risiken einer sonst möglichen zweiten Operation und der mit einem solchen Eingriff einhergehenden Belastung kommt. Hierüber ist mit der Klägerin unstreitig nicht gesprochen worden.

2. Der von den Beklagten erhobene Einwand einer hypothetischen Einwilligung greift nicht durch.

Das Landgericht hat einen den Einwand entkräftenden plausiblen Entscheidungskonflikt nach Anhörung der Klägerin in nicht zu beanstandender Weise angenommen.

Wie das Landgericht folgt der Senat den Beklagten allerdings im tatsächlichen Ausgangspunkt dahin, dass sich aus den Behandlungsunterlagen der vorbehandelnden Ärzte, insbesondere der Gynäkologin Dr. C, dem Vortrag in der Klageschrift und den Angaben der Klägerin bei ihrer Anhörung das Bild einer Patientin ergibt, die nach der Ertastung der Verhärtung im Bereich der Klitoris im Juni 2015 sehr besorgt und unruhig war, große Angst vor einer erneuten Krebserkrankung hatte und eine Abklärung und Beseitigung der Veränderung wünschte. Die Klägerin war im Jahr 2011 wegen eines Mammakarzinoms operiert und anschließend mittels Bestrahlung und Chemotherapie behandelt worden. Im Jahr 2013 war ihr wegen Verdachts eines Ovarialtumors, der sich nicht bestätigte, ein Teil der Eierstöcke und Eileiter entfernt worden. Der Umstand, dass sich die Klägerin im Rahmen der der Klitorisrekonstruktion dienenden Revisionsoperation vom 10.11.2016 einen weiteren kleinen Tumor entfernen ließ, bestätigt zudem im Nachhinein ihre im Sommer 2015 bestehende Haltung.

Verletzung ärztlicher Aufklärungspflicht - Entfernung eines Tumors
(Symbolfoto: Von create jobs 51/Shutterstock.com)

Gleichwohl ist ein Entscheidungskonflikt für den Fall ordnungsgemäßer Aufklärung plausibel. Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung angegeben, dass sie sich bei Aufklärung über das Risiko der Beeinträchtigung der Klitoris wahrscheinlich für eine Biopsie – Gewebeentnahme entschieden hätte. Aus ihrer Sicht war danach eine Alternative vorzugswürdig oder zumindest ernsthaft erwägenswert, die das Risiko einer Klitorisverletzung vermied oder verringerte, aber zu einer Abklärung der Dignität des Tumors und damit zu einer Beseitigung ihrer Angst und Unruhe führte. Dies ist nachvollziehbar und würde für eine jede Patientin in der Lage der Klägerin nahe liegen. Genau dies ermöglichte die nach den Ausführungen von Prof. Dr. B bestehende Behandlungsalternative, die in einer zunächst unvollständigen Tumorentfernung lag, an die sich im Fall eines bösartigen Befunds ein zweizeitiges Vorgehen anschloss. Nach den präoperativen Befunden war eher von einem gutartigen Geschehen auszugehen. Der Gynäkologe Dr. D hatte die Verdachtsdiagnose eines Angiomyoms gestellt. Auch wenn dann bei unauffälliger Histologie ein Teil des Tumors im Körper verbleiben würde, spricht für einen jedenfalls schwierigen Abwägungsprozess  weiter die zutreffende Erwägung des Landgerichts, dass eine gesteigerte Sorge um die Gesundheit, wie sie bei der Klägerin im Sommer 2015 vorlag, sich in aller Regel nicht auf einen Gesichtspunkt wie ein Krebsrisiko beschränkt, sondern andere drohende Beeinträchtigungen einschließt. Dies gilt auch für ernsthafte Risiken eines im Raum stehenden Eingriffs.

3. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 20.000 EUR sieht der Senat angesichts der auf S. 14 f. und 17 f. der Entscheidungsgründe im Einzelnen dargelegten Eingriffsfolgen als angemessen an. Anders als es die Beklagten in der Berufungsbegründung geltend machen, stellt sich der von der Klägerin geschilderte Verlust der Fähigkeit zum Orgasmus nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung als dauerhafte Folge dar. Diese beruhen auf der klinischen Untersuchung, die der Sachverständige nach der Erstellung des schriftlichen Gutachtens vorgenommen hat.

II. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist.

Sofern die Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückgewiesen werden sollte, würdet die Anschlussberufung der Klägerin gemäß § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verlieren.

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