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Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Augenoperation

LG Frankenthal – Az.: 4 O 147/21 – Urteil vom 30.05.2022

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.07.2021 zu zahlen sowie der Klägerin 41,77 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen weiteren künftigen materiellen und zum Zeitung des Schlusses der mündlichen Verhandlung objektiv nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aufgrund der durchgeführten Operation am 31.03.2020 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 14 % und der Beklagte 86 % zu tragen.

5. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Augenoperation
(Symbolfoto: Dmitry Kalinovsky/Shutterstock.com)

Die Klägerin nimmt den Beklagten nach Klageerweiterung auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen, Zahlung von Schmerzensgeld, Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich weiterer Schäden und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wegen der Folgen einer Augenoperation in Anspruch.

Die Klägerin befand sich seit dem 26.06.2015 in der augenärztlichen Behandlung des Beklagten. Sie wies eine starke Kurzsichtigkeit (-12 Dioptrin) und wiederholt einen erhöhten Augeninnendruck auf. Ihr waren bereits im Jahr 2009 beidseits Linsen (IOL-Linsen) implantiert, ferner wurden diese Linsen im Jahr 2014 entfernt und stattdessen ICL-Linsen implantiert.

Nach Gesprächen mit der Praxiskollegin des Beklagten sowie dem Beklagten wurde, nachdem sich am rechten Auge zusätzlich noch Trübungen eingestellt hatten, eine Operation vereinbart, im Rahmen derer u. a. eine multifokale Intraokularlinse rechts eingebracht werden sollte. Der Eingriff wurde durch den Beklagten am 31.03.2020 vorgenommen. Am 04.04.2020 dokumentierte der Beklagte eine Sehschärfe am rechten Auge von 0,8 (dieser Wert ist zwischen den Parteien streitig); am 11.04.2020 von 0,25. Die Klägerin begab sich in der Folgezeit anderweitig in augenärztliche Behandlungen. Diesbezüglich wird auf die mit Schriftsatz vom 06.12.2021 vorgelegten Behandlungsunterlagen verwiesen.

Die Klägerin behauptet, sie sei vor der Operation weder auf mögliche Risiken und Komplikationen noch auf Alternativen hingewiesen worden. In Kenntnis der Risiken einer Multifokallinse hätte sie sich mindestens eine weitere Meinung eingeholt und sich vermutlich für eine monofokale Linse entschieden. Der vorgenommene Eingriff sei medizinisch nicht indiziert gewesen. Sie habe während des Eingriffs einen stechenden Schmerz im Auge verspürt, worauf der Beklagte fehlerhafterweise nicht reagiert habe. Zudem habe der Beklagte den Eingriff fehlerhaft durchgeführt und dadurch die massive Verschlechterung ihrer Sehfähigkeit verursacht. Diese habe nach der Operation nur noch bei 25 % gelegen.

Soweit die Klägerin zunächst auch beantragt hatte, den Beklagten zu verurteilen, die sie betreffenden Behandlungsunterlagen vollständig in Mehrfertigung gegen Kostenerstattung an sie herauszugeben, haben die Parteien auf die Überlassung von Behandlungsunterlagen hin die Klage insofern im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.04.2022 übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Klägerin beantragt deshalb nach Klageerweiterung und übereinstimmender Teil-Erledigungserklärung zuletzt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen weiteren künftigen materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aufgrund der fehlerhaften Augenbehandlungen und der durchgeführten Operation am 31.03.2020, deren Eintritt derweil nicht ausgeschlossen werden kann, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Der Beklagte wird verurteilt, den nach Anrechnung (0,75) verbleibenden Anteil (1,8) der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr in Höhe von 708,05 € an die Klägerin zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er behauptet, die Zeugin habe die Klägerin am 31.03.2020 aufgeklärt. Sie habe insbesondere auch die Risiken einer Sehkraftverschlechterung, der Benötigung einer Sehhilfe und der Bildung eines Nachstars genannt. Auch er selbst habe mehrfach mit der Klägerin gesprochen. Wegen der Einzelheiten wird auf den diesbezüglichen schriftsätzlichen Vortrag verwiesen. Im Übrigen sei der Eingriff zumindest von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin gedeckt, da diese auch bei vollständiger Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte.

Die Klägerin habe sich präoperativ für eine Multifokallinse entschieden. Die Verschlechterung der Sehschärfe beruhe nicht auf dem durchgeführten Eingriff, sondern möglicherweise auf einem Nachstar.

Die Kammer hat die Parteien angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 04.04.2022 und vom 09.05.2022 sowie auf das Gutachten vom 10.02.2022 verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes und wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Die nach übereinstimmender Teil-Erledigungserklärung noch rechtshängigen Anträge sind im ausgeurteilten Umfang begründet, im Übrigen dagegen unbegründet.

Der Klägerin stehen gegen den Beklagten dem Grunde nach Ansprüche wegen Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag sowie aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 280 Abs. 1, 630 a, 823, 249 ff. BGB zwar nicht wegen Befunderhebungs- oder Behandlungsfehlern, aber wegen unzureichender Aufklärung vor der streitgegenständlichen Augenoperation und der daraus folgenden Unwirksamkeit der Einwilligung mit der Folge der Rechtswidrigkeit des Eingriffs, zu. Der Höhe nach erweisen sich die Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im tenorierten Umfang als begründet. Ferner war die beantragte Feststellung antragsgemäß auszuurteilen. Die Nebenentscheidungen orientieren sich am Ergebnis zur Hauptsache.

Im Einzelnen:

1. Befunderhebungs- und/oder Behandlungsfehler

Ohne Erfolg bleibt die Klage, soweit die Klägerin Befunderhebungs- und Behandlungsfehler rügt.

a) Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 10.02.2022 dargelegt, bei der Klägerin wäre im Hinblick auf die beiden Voroperationen präoperativ eine Bestimmung der Endothelzelldichte indiziert gewesen, um das Risiko einer Endothelzelldekompensation abschätzen zu können. Die Durchführung einer solchen Messung sei in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert. Der Sachverständige hat indes im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.04.2022 ausgeführt, er könne nicht feststellen, ob die Durchführung einer solchen Messung mit über 50 % einen Befund erbracht hätte, aufgrund dessen eine andere Behandlung oder Vorgehensweise hätte empfohlen werden müssen. Insofern ist nicht festzustellen, dass der Klägerin aus der unterlassenen Befunderhebung ein Schaden entstanden wäre, da nicht erweislich ist, dass die Befunderhebung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu Erkenntnissen geführt hätte, die der tatsächlich durchgeführten Behandlung entgegengestanden oder andere Maßnahmen indiziert hätten.

b) Behandlungsfehler hat der Sachverständige ebenfalls nicht festgestellt.

Zu der Frage der Indikation des Eingriffs hat er dargelegt, die gewählte Vorgehensweise mit Explantation der IOL-Linse und zeitgleicher Kataraktoperation mit Implantation einer Multifokallinse sei nachvollziehbar und erscheine gerechtfertigt. Die Therapiewahl sei nicht behandlungsfehlerhaft gewesen.

Intraoperative Pflichtverletzungen hat der Sachverständige ebenfalls nicht zu erkennen vermocht. Er hat insofern lediglich darauf hingewiesen, dass der Operationsbericht nicht mit den Eintragungen in der Karteikarte korreliere. Im Operationsbericht seien eine Erweiterung des Schnittes, eine Implantation der Kunstlinse mittels einer Pinzette oder eine Notwendigkeit einer Hornhautnaht nicht vermerkt. In der Karteikarte fänden sich indes diesbezügliche Hinweise (Schnitt erw., Impl. m/pinz, Naht 10,0 Nylon). Hierzu hat der Beklagte im Termin zur Verhandlung am 04.04.2022 ausgeführt, zutreffend sei die Darstellung in der Karteikarte. Es sei wohl versehentlich verabsäumt worden, den vorformulierten Standard-Operationsbericht entsprechend zu modifizieren. Fehler hinsichtlich der dokumentierten Vorgehensweise hat der Sachverständige nicht moniert.

2. Aufklärung/hypothetische Einwilligung

Allerdings erweist sich die Operation als rechtswidrig, da die Klägerin mangels ausreichender Aufklärung in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt hat und eine hypothetische Einwilligung nicht erwiesen ist.

a) Ausweislich des eigenen Vortrags des Beklagten soll das – von der Klägerin bestrittene – Aufklärungsgespräch am 31.03.2020, mithin am OP-Tag, geführt worden sein. Dies deckt sich auch mit der Eintragung in der Karteikarte für diesen Tag „aufgeklärt-0Frg“ (0Frg. steht nach Beklagtenvortrag für: keine Fragen). Nach unbestritten gebliebenem Klägervortrag war die Operation für 8.50 Uhr angesetzt worden, erschien die Klägerin um 8.30 Uhr in der Praxis, wurde nach ca. einer Stunde Wartezeit für einen Sehtest in das Untersuchungszimmer von Dr. gerufen und nach weiteren 30 Minuten dann in den OP-Bereich gebracht. Soweit die Klägerin ferner behauptet, dort sei eine Arzthelferin hinzugekommen, die sie eine „Aufklärung über die Risiken“ habe unterzeichnen lassen, ohne dass ein mündliches Aufklärungsgespräch mit der Zeugin geführt worden sei, kann zu Gunsten des Beklagten als wahr unterstellt werden, dass die Zeugin am 31.03.2020 mit der Klägerin ein Gespräch des von ihm vorgetragenen Inhalts führte. Denn eine Aufklärung am Tag der Operation mit bereits angesetztem Operationstermin ist verspätet und nicht ausreichend für eine freie und wirksame Einwilligung. Dies gilt erst recht, wenn die Aufklärung nicht nur am Operationstag, sondern sogar erst während der operationsvorbereitenden Maßnahmen (operationsvorbereitende Untersuchung) unmittelbar vor dem Eingriff erfolgt. Ein Aufklärungsgespräch zu diesem Zeitpunkt ist nicht ausreichend, um einem Patienten ausreichend Bedenkzeit zu gewähren und ihm eine freie Entscheidung, das heißt sich für oder gegen einen Eingriff zu entscheiden, ohne Zeitdruck zu ermöglichen. Soweit der Beklagte vorgetragen hat, über die einzubringende Linse sei mehrfach gesprochen worden, genügt auch dies für eine ausreichende Aufklärung nicht. Nach seinem eigenen Vortrag erfolgte die umfassende Risikoaufklärung nicht bei etwaigen Vorgesprächen über die einzubringende Linse, sondern erst am Morgen des Operationstages. Jedenfalls hat er zu keinem Zeitpunkt, auch nicht im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.05.2020, substantiiert vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt er selbst über welche Risiken aufgeklärt habe. Seine pauschale Behauptung, nicht nur die Zeugin, sondern auch er selbst habe die Klägerin vor dem Operationstag über alle Risiken aufgeklärt, genügt der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast nicht. Auch eine Aufklärung über das streitgegenständlich verwirklichte Risiko einer Sehverschlechterung hat der Beklagte nicht in ausreichend substantiierter Weise dargetan. Jedenfalls vermochte die Kammer hiervon auf der Basis der Karteikarte und seiner eigenen Einlassung im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht die erforderliche Überzeugung zu gewinnen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.05.2022 hat der Beklagte angegeben, das routinemäßige Aufklärungsgespräch sei am 31.03.2020 durch die Zeugin geführt worden. Davor habe es schon mehrere Gespräche gegeben. Als Inhalt dieser Gespräche hat der Beklagte geschildert, es sei um den Linsentyp gegangen. Außerdem habe er der Klägerin erklärt, dass beide Augen mit einer solchen Linse versorgt werden müssten, und dass ein Restrisiko dafür bestehe, dass es nach der Operation beider Augen „für den Patienten nicht funktioniert“ und dass dann eine oder beide Linsen ausgetauscht werden müssten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.05.2022 hat der Beklagte angegeben, das routinemäßige Aufklärungsgespräch sei am 31.03.2020 durch die Zeugin geführt worden. Davor habe es schon mehrere Gespräche gegeben. Als Inhalt dieser Gespräche hat der Beklagte geschildert, es sei um den Linsentyp gegangen. Außerdem habe er der Klägerin erklärt, dass beide Augen mit einer solchen Linse versorgt werden müssten, und dass ein Restrisiko dafür bestehe, dass es nach der Operation beider Augen „für den Patienten nicht funktioniert“ und dass dann eine oder beide Linsen ausgetauscht werden müssten. Dass und welche konkreten Erklärungen er zu dem grundsätzlichen Risiko einer Sehverschlechterung durch die Operation und zu der konkreten Situation der Klägerin aufgrund der Voroperationen und der Reduzierung der Endothelzellzahl abgegeben hätte, hat der Beklagte auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht geschildert. Er hat vielmehr die Auffassung geäußert, die Aufklärung durch die Zeugin am Operationstag sei ausreichend und die Klägerin im Übrigen ausreichend vorinformiert gewesen. Indes hat er hierzu nicht dargetan, dass und zu welchem Zeitpunkt die Klägerin von dem Vorbehandler worüber aufgeklärt worden sei und inwiefern aufgrund welchen Zeitablaufs diese Aufklärung der Klägerin noch präsent gewesen wäre. Im Übrigen ist nicht nachzuvollziehen, inwiefern die Risikoerhöhung aufgrund des Verlusts von Endothelzellen bereits bei den Voroperationen bestanden hätte und zu diesen Zeitpunkten aufklärungspflichtig gewesen wäre. Die Kammer hat die Ausführungen des Sachverständigen vielmehr dahingehend verstanden, dass erst durch diese Voroperationen ein Verlust von Endothelzellen aufgetreten war. Insofern ist unabhängig von der Frage, dass diesbezüglich kein substantiierter Vortrag des Beklagten vorliegt, nicht davon auszugehen, dass über diese Risikoerhöhung bereits bei den vorherigen Eingriffen aufgeklärt worden wäre.

Lediglich weiterführend weist die Kammer darauf hin (wie vorstehend bereits zum Teil dargelegt), dass die beklagtenseits vorgetragene Aufklärung nach den Ausführungen des Sachverständigen auch inhaltlich unzureichend war. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 10.02.2022 ausgeführt, vor einer Kataraktoperation mit einer Multifokallinse müsse immer darüber aufgeklärt werden, dass es zu einem Schattensehen, zu Halos oder anderen Lichtphänomenen kommen könne, dass eine Gewöhnung in der Regel erst nach mehreren Wochen eintrete, aber auch ausbleiben könne, sodass dann die Linse wieder explantiert werden müsse. Über diese Besonderheiten einer Multifokallinse sei aufzuklären. Außerdem müsse aufgeklärt werden über das Risiko des Verlusts von Endothelzellen, der Ausbildung einer Endothelzelldekompensation und einer Abnahme der Sehschärfe und der Sehqualität. Denn durch das Operationstrauma könne ein Verlust an Endothelzellen auftreten bzw. könne es im Nachgang zur Operation zu einem beschleunigten Niedergang kommen. Da bei der Klägerin bereits in den Jahren 2009 und 2014 Linsen implantiert worden seien, sei in besonderem Maße auf die Gefahr einer Endothelzelldekompensation aufzuklären gewesen. Diesbezügliche Aufklärungsinhalte hat der Beklagte nicht vorgetragen. Vielmehr erweist sich sein anfänglicher Vortrag über die der Klägerin erteilte Aufklärung vom 21.09.2021 in Bezug auf die vorstehenden Risiken als eindeutig unzureichend. Soweit er auf zweimaligen Hinweis der Kammer, dass sie die Aufklärung als unzureichend beurteilt, seinen Vortrag ergänzt und – unter wörtlicher Übernahme der Aufklärungsrügen der Klägerin im Schriftsatz vom 21.03.2022 – weitere Risikoaufklärungen exakt des von der Klägerin beanstandeten Inhalts behauptet hat, kann dahinstehen, ob entsprechende Erklärungen tatsächlich erfolgten. Denn die nun behaupteten Inhalte (Gefahr einer Endothel-Schädigung, Verschlechterung der Sehkraft, zweizeitiges Vorgehen als Alternative, Verringerung des Kontrastsehens, Blendempfindlichkeit, Unverträglichkeit) genügen einer Aufklärung, wie sie von dem Sachverständigen als erforderlich dargestellt wurde, ebenfalls nicht. Auch nach dem modifizierten Vortrag wurde der Klägerin nicht dargestellt, dass es zu einem Schattensehen, zu Halos oder anderen Lichtphänomenen kommen könne, dass eine Gewöhnung in der Regel erst nach mehreren Wochen eintrete, aber auch ausbleiben könne, sodass dann die Linse wieder explantiert werden müsse. Auch der Umstand, dass es bei ihr aufgrund der Voroperationen bereits zu einem Verlust von Endotehlzellen gekommen war und deshalb in besonderem Maße die Gefahr einer Endothelzelldekompensation bestand, ist der Klägerin bereits nach eigenem Vortrag des Beklagten nicht erläutert worden. Die bloße Nennung der Gefahr einer Endothel-Schädigung wäre somit, sofern sie erfolgt sein sollte, im konkreten Fall der Klägerin nicht ausreichend gewesen. Dies gilt auch für allgemeine Hinweise auf eine mögliche Verschlechterung der Sehkraft. Vielmehr wäre konkret auf die individuellen Risikoerhöhungen im Fall der Klägerin einzugehen gewesen. Dies ergibt sich aus dem Beklagtenvortrag indes nicht. Auch insofern war eine Vernehmung der zum vorgetragenen Aufklärungsgespräch benannten Zeugin nicht veranlasst.

b) Dass die Klägerin in den konkreten Eingriff mit einzeitiger Explantation der vorhandenen Linse und Einbringung einer Multifokallinse auch bei vollständig korrekter Aufklärung eingewilligt hätte, ist nicht zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts erwiesen.

Soweit der Beklagte meint, die Klägerin sei seinem Einwand der hypothetischen Einwilligung nicht entgegengetreten, geht dies fehl. Vielmehr hat die Klägerin auf den diesbezüglich erhobenen Einwand des Beklagten mit Schriftsatz vom 06.08.2021 vorgetragen, bei zutreffender Aufklärung hätte sie sich gegen die Operation entschieden, jedenfalls nur eine Monofokallinse implantieren lassen. Dies kann nicht anders als ein Bestreiten der hypothetischen Einwilligung verstanden werden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zudem plausibel und glaubhaft mitgeteilt, dass sie in Kenntnis des Risikos einer Sehverschlechterung jedenfalls noch eine zweite Meinung eingeholt hätte. Sie hätte jedenfalls erst noch einen weiteren Arzt gefragt, ob dieser Eingriff wirklich notwendig sei. Die Klägerin hat dies überzeugend und ohne jeglichen Belastungseifer geschildert. Auch ihre Darstellung, im Mittelpunkt habe immer (nur) die Frage über den zu verwendenden Linsentyp gestanden, wobei ihr als Nachteil der multifokalen Linse die erhöhte Blendempfindlichkeit genannt worden sei, die sie aber akzeptiert habe, war für die Kammer glaubhaft. Gerade der Umstand, dass die Klägerin frühere Operationen durch ein Universitätsklinikum vornehmen ließ, spricht dafür, dass sie dann, wenn ihr erhebliche Risiken rechtzeitig genannt worden wären, noch die Meinung des Vorbehandlers eingeholt oder sich wiederum an das Universitätsklinikum Mannheim oder eine ähnlich qualifizierte Klinik gewendet hätte.

Im Ergebnis hat die Kammer keine Überzeugung davon gewonnen, dass die Klägerin sich auch dann, wenn ihr rechtzeitig und inhaltlich ausreichend das Risiko einer Sehverschlechterung und insbesondere die in ihrem Fall anzunehmende Risikoerhöhung wegen bereits eingetretenen Verlusts an Endothelzellen genannt worden wäre, für den konkret vorgenommenen Eingriff durch den Beklagten zu diesem Zeitpunkt entschieden hätte.

3. Schmerzensgeld

Der Sachverständige hat herausgearbeitet, dass die letzte präoperative Sehschärfe auf dem rechten Auge 1,2 betragen habe, die letzte nachfolgend bestimmte Sehschärfe nur noch 0,32. Insofern habe sich die Sehschärfe am rechten Auge von 1,2 auf 0,32 verschlechtert. Dass und welche Verschlechterung die Klägerin in gleicher Weise erlitten hätte, wenn sie sich für eine Monofokallinse entschieden hätte oder den Eingriff zu einem anderen Zeitpunkt durch einen anderen Behandler hätte vornehmen lassen, ist weder substantiiert dargelegt noch ersichtlich. Soweit der Beklagte vorgetragen hat, die Verschlechterung beruhe ausschließlich auf einem Nachstar; ein Nachstar trete indes nach jeder Kataraktoperation auf, hat der Sachverständige dies nicht bestätigt. Er vermochte bereits nicht festzustellen, ob und in welchem Fang die Verschlechterung auf einem Nachstar beruht; des Weiteren bestätigte er auch nicht, dass ein Nachstar immer nach jeder Kataraktoperation auftrete.

Soweit der Beklagte behauptet, die Verschlechterung der Sehkraft auf dem rechten Auge sei darauf zurückzuführen, dass die Klägerin sich nicht auch das linke Auge habe operieren lassen, hat er dies in keiner Weise näher begründet. Auch aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich nicht, dass die Beeinträchtigung der Sehkraft durch Operation des anderen Auges behebbar wäre. Der Beklagte hat diese Behauptung auch nicht begründet; sie erscheint vielmehr völlig unplausibel.

Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist insofern die Verschlechterung der Sehstärke von 1,2 auf 0,32 als kausaler Schaden zugrunde zu legen.

Der Klägerin ist auch kein anspruchsreduzierender Verstoß gegen eine Pflicht zur Schadensminderung insofern anzulasten, als sie sich keinem weiteren Eingriff unterzogen hat. Denn solche Operationen waren der Klägerin nicht zuzumuten, weshalb das Unterlassen kein Mitverschulden begründet. Zum einen handelt es sich bei der in Betracht kommenden Revisionsoperation des rechten Auges (Laserkapsulotomie) nach den Ausführungen des Sachverständigen um einen Eingriff, der durchaus mit erheblichen Risiken (bis zur Erblindung) verbunden ist, auch wenn solche Folgen nur selten auftreten. Zum anderen hat der Sachverständige dargelegt, dass nicht abzusehen sei, in welchem Umfang hierdurch eine Verbesserung erzielt werden könnte, da der Schaden zumindest teilweise auf einer Endothelschädigung beruhe, die irreversibel und durch eine solche Nachoperation nicht behandelbar sei. Die Abstandnahme von einer solchen Maßnahme ist einem Patienten nicht als Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB anzulasten. Gleiches gilt für die nach Behauptung des Beklagten gebotene Behandlung des linken Auges durch Explantation der Altlinse und Einbringung ebenfalls einer multifokalen Linse.

Im Hinblick auf das noch junge Alter der 1972 geborenen Klägerin erachtet die Kammer für die eingetretene Verschlechterung der Sehfähigkeit ein Schmerzensgeld von 10.000 € für angemessen, aber auch ausreichend. Die Kammer orientiert sich dabei unter anderem an der Entscheidung des OLG Oldenburg (Aktenzeichen 15 W 51/06), das für eine Reduzierung der Sehfähigkeit auf einem Auge auf 20 % infolge eines Faustschlages ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € ausgeurteilt hat. Im Hinblick darauf, dass Ursache des Schadens vorliegend keine vorsätzliche Körperverletzung, sondern (lediglich) eine mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrige Operation, also eine grundsätzlich auf Behandlung einer Erkrankung gerichtete Maßnahme, war, und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Sehkraft der Klägerin nicht nur 20 %, sondern noch 30 % beträgt, hält die Kammer einen Betrag von 10.000 € für angemessen.

Diesen Betrag hat der Beklagte antragsgemäß mit dem gesetzlichen Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung, mithin seit dem 03.07.2021 (Zustellung der Klageerweiterung am 02.07.2021) zu verzinsen.

Im Ergebnis war daher dem nunmehrigen Klageantrag zu 1. im tenorierten Umfang unter Abweisung im Übrigen stattzugeben.

4. Feststellungsantrag

Auf den nunmehrigen Klageantrag zu 2. hin war ferner festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen weiteren künftigen materiellen und zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung objektiv nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aufgrund der Operation am 31.03.2020 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Denn es besteht die Möglichkeit, dass in der Zukunft, insbesondere sofern eine Beeinträchtigung des Sehvermögens auf dem linken Auge hinzutreten sollte, aus dem Eingriff weitere materielle und immaterielle Schäden entstehen könnten.

5. vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten steht der Klägerin nur in Höhe einer 0,65 Geschäftsgebühr (die Klägerin nimmt insofern selbst eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr vor) aus einem Gegenstandswert von 500,00 € zu. Zum einen ist eine vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten nur in Bezug auf den für erledigt erklärten ursprünglichen Antrag auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen schlüssig dargetan. Eine vorgerichtliche Tätigkeit hinsichtlich der klageerweiternd eingeführten Ansprüche ist dagegen weder vorgetragen noch ersichtlich; eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Anlagen. Zum anderen ist für die vorgerichtliche Geltendmachung der Herausgabe von Behandlungsunterlagen allenfalls eine Mittelgebühr von 1,3 angemessen; Umstände, die eine Überschreitung der Mittelgebühr rechtfertigen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Den Gegenstandswert des Herausgabeverlangens bemisst die Kammer mit 500,00 €. Die 0,65 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus 500,00 € beträgt 41,77 € (29,25 € + 5,85 € +19 %). Hinsichtlich der Frage der Ersatzpflicht in Bezug auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten für das Herausgabeverlangen kann im Übrigen dahinstehen, ob der Beklagte auf die betreffende anwaltliche Anforderung hin die Behandlungsunterlagen bereits vollumfänglich zur Verfügung stellte. Denn der Erstattungsanspruch ergibt sich nicht aus Verzug, sondern stellt einen Schadensersatzanspruch dar. In Arzthaftungssachen ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Prüfung und Verfolgung von Ansprüchen aufgrund der Schwierigkeit der Materie grundsätzlich als erforderlich zu beurteilen; diesbezügliche Kosten sind gemäß §§ 249 ff. BGB zu ersetzen.

6. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat dabei hinsichtlich des für erledigt erklärten Antrags auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen berücksichtigt, dass der Ausgang des ursprünglichen Klageantrags zu 1. zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses (Übermittlung von Behandlungsunterlagen im Verfahren) insofern offen war, als der Beklagte vorgetragen hatte, die vollständigen Behandlungsunterlagen bereits vor Klageerhebung per Fax übermittelt zu haben, während die Klägerin dies bestritten hatte, und hat den Gegenstandswert dieses Antrags mit 500,00 € bewertet. Den Antrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes hat die Kammer in Anlehnung an die Angaben der Klägerin mit 12.000,00 €, den Feststellungsantrag mit 3.000,00 € bemessen.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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