OLG Oldenburg, Az.: 5 U 156/13, Urteil vom 28.10.2015
Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. Oktober 2013 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Feststellungsausspruch des Landgerichts (Nummer 2 des Tenors) neben den dort genannten materiellen Schäden nur künftige, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung objektiv nicht vorhersehbare immaterielle Schäden umfasst.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der am … geborene Kläger nimmt die Beklagte wegen angeblicher ärztlicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer stationären Behandlung in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Haus der Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch.
Am 12. Mai 2011 traten bei dem Kläger Schüttelfrost und Fieber mit Temperaturen bis zu 41 Grad Celsius auf. Die Mutter des Klägers verständigte deshalb gegen 16.00 Uhr den Rettungsdienst. Dieser lieferte den Kläger wenig später in das Haus der Beklagten ein. Etwa gegen 17.00 Uhr wurde der Kläger von der Assistenzärztin Frau … untersucht. Ob auch der Chefarzt … an der Aufnahme beteiligt war, ist zwischen den Parteien streitig. Frau … stellte im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung einen beeinträchtigten Allgemeinzustand und eine Körpertemperatur von 40 Grad Celsius fest. Meningeale Reizzeichen waren nicht sichtbar. Die Haut war frei von pathologischen Effloreszenzen (Exanthem, Petechien etc.). Als Auffälligkeiten hielt Frau … randständig gerötete Trommelfelle und einen dezent geröteten Rachenring fest. Nach der Untersuchung wurde der Kläger unter der vorläufigen Diagnose „Fieber unklarer Genese“ in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin aufgenommen. Seine Mutter blieb mit ihm in der Klinik. Es folgten weitere Untersuchungen mit dem Ziel einer genaueren Diagnostik. Um einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt sicherzustellen, begannen die behandelnden Ärzte eine Infusionstherapie.
Gegen 18.30 Uhr erbrach der Kläger sich erstmals. Um 18.40 Uhr wurde er von dem Chefarzt … untersucht. Herr … konstatierte unter anderem einen guten Allgemeinzustand, matte Trommelfelle und einen roten Rachen; pathologische Befunde auf der Haut und Anzeichen für einen Meningismus vermochte er nicht zu erkennen.
Gegen 22.45 Uhr untersuchte der diensthabende Arzt … den Kläger, nachdem bei diesem ein Hautausschlag aufgefallen war. Über die Intensität der Untersuchung herrscht zwischen den Parteien Streit. In den Krankenunterlagen hielt Herr … vereinzelte unspezifische Exantheme, einen stabilen Allgemeinzustand, einen geröteten Rachen und das Fehlen eines Meningismus fest.
Von 21.00 Uhr bis zum Morgen des nächsten Tages (13. Mai 2011) wurde der Kläger von dem diensthabenden Pfleger … betreut. Gegen 4.00 Uhr teilte die Mutter des Klägers Herrn … mit, dass der Kläger erneut wässrig erbrochen und sich dabei die für die Infusionstherapie verwendete Kanüle gezogen habe. Der Pfleger sah davon ab, dem Kläger nach dem Wäschewechsel eine neue Kanüle zu legen oder den diensthabenden Arzt zu informieren. Er wollte den Kläger noch ein wenig schlafen lassen.
Gegen 6.50 Uhr wies die Mutter des Klägers die Krankenschwester, die den Frühdienst übernommen hatte, darauf hin, dass sich am Körper ihres Sohnes Hautverfärbungen zeigten. Der sodann hinzugezogene diensthabende Arzt verständigte sofort den Chefarzt …, der etwa 7.10 Uhr erschien. Wegen des Verdachts auf eine Meningokokkensepsis wurde umgehend mit der Notfallversorgung begonnen. Unter anderem legte man eine neue Infusion, führte eine Lumbalpunktion durch und verabreichte intravenös das Antibiotikum Cefotaxim. Die erhobenen Laborbefunde bestätigten den Verdacht einer bakteriellen Meningitis.
Gegen 9.00 Uhr wurde das Klinikum … telefonisch um Übernahme des Klägers gebeten. Von dort entsandte man ein Intensiv-Team nach Emden. Den Behandlungsunterlagen des Klinikums … zufolge traf das Team um 10.40 Uhr in Emden ein. Als Übernahmebefund notierten die Oldenburger Ärzte unter anderem einen schlechten Allgemeinzustand, multiple blau-schwarze Hautnekrosen am ganzen Körper und im Gesicht, eine schwere Bewusstseinstrübung („soporös“), eine unklare Sprache und eine fehlende Orientierung. Um die Mittagszeit wurde der Kläger mit dem Rettungswagen in das Klinikum … überführt.
Nachdem sein Zustand im Klinikum … stabilisiert worden war, verlegte man ihn am 30. Mai 2011 wegen zahlreicher Hautnekrosen sowie Gangrän an beiden Unterschenkeln zur plastisch-chirurgischen Versorgung in das Katholische Kinderkrankenhaus … in Hamburg. Die Nekrosen wurden zunächst durch Abtragung und Epigard-Deckung versorgt. Am 3. Juni 2011 mussten beide Unterschenkel des Klägers wegen ausgeprägter Nekrosen von Haut und Muskeln unterhalb des Knies amputiert werden. Es folgten zeitversetzt mehrfache Muskellappen- und Spalthauttransplantationen im Gesicht, an den Armen sowie an den Oberschenkeln. Die Spalthaut entnahm man am Thorax und am Rücken. Aufgrund eines ausgedehnten Haut- und Weichteildefekts und eines ausgedehnten Befalls mit Pseudomonas-Keimen sah man sich weiter gezwungen, am 4. Juli 2011 die rechte Patella zu entfernen. Am 15. Juli 2011 erfolgte die Deckung des rechten Knies mit Spalthaut von der Innenseite des linken Oberarms. Am 26. Juli 2011 wurde der Kläger aus dem … entlassen und von der Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation in … übernommen.
Im August 2011 musste der Kläger sich einer plastisch-chirurgischen Revision beider Amputationsstümpfe unterziehen. Bis heute muss er einen Ganzkörperkompressionsanzug sowie eine Kopf- und Gesichtsmaske tragen, um eine wulstige Narbenbildung zu verhindern. An den beiden Beinstümpfen sorgt jeweils eine Schiene 24 Stunden am Tag für eine Streckung des Knies.
Der Kläger hat behauptet, er sei im Haus der Beklagten in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft behandelt worden.
Einmal, so der Kläger, sei jede akute und schwere fieberhafte Erkrankung eines Kindes so lange als Meningitis zu werten und zu behandeln, bis das Gegenteil bewiesen sei. Das gelte in der vorliegenden Gestaltung umso mehr, als zusätzliche Umstände hinzugetreten seien, die für eine Meningitis gesprochen hätten.
Als der Chefarzt … gegen 18.40 Uhr seine Nackensteifigkeit getestet habe, habe er bereits über Kopf- und Nackenschmerzen geklagt. Ferner habe er abwesend und apathisch auf den laufenden Fernseher gestarrt und habe auf Ansprache nicht reagiert.
Die ersten Hautveränderungen am späten Abend des 12. Mai 2011 seien schon Petechien gewesen. Auf sie hätte man mit einer Antibiotikagabe reagieren müssen. Stattdessen sei man irrtümlich von Fieberflecken ausgegangen.
Bei Ankunft des Kinderarztes … gegen 22.45 Uhr sei er, der Kläger, gar nicht mehr ansprechbar gewesen, sondern habe vor sich hin sinniert und fantasiert. Gleichwohl habe Herr … nicht die Nackensteifigkeit überprüft. Ebenso wenig habe er seine Ohren oder seinen Mund-Rachenraum in Augenschein genommen. Ferner habe er versäumt, das Druckverhalten der Hautveränderungen zu eruieren.
Am 13. Mai 2011 um 3.20 Uhr seien die Petechien bereits so deutlich sichtbar gewesen, wie es aus dem mit der Klageschrift zur Akte gereichten Lichtbild hervorgehe. Im weiteren Verlauf hätten die Petechien sich noch mehr ausgebreitet. Das zweite vorgelegte Lichtbild zeige den Zustand um 4.47 Uhr. Gleichwohl habe das Pflegepersonal die Hautveränderungen weiterhin als Fieberflecken bewertet und geäußert, man müsse deshalb keinen Arzt rufen.
Angesichts des objektiv bestehenden Meningitis-Verdachts hätten in der Nacht vom 12. auf den 13. November 2011 regelmäßige ärztliche Untersuchungen stattfinden müssen. Außerdem sei es geboten gewesen, die Entwicklung des C-reaktiven Proteins (CRP) zu kontrollieren.
Geschlafen habe er, der Kläger, bei keinem der Pflegerbesuche. Vielmehr habe er mehrere Male im Beisein des Pflegers fantasiert. Er habe nicht gesprochen und auf Ansprache nicht reagiert. Wenn man seinen Kopf oder Nacken berührt habe, habe er gestöhnt und das Gesicht verzogen. Der Pfleger habe seiner Mutter erklärt, dies sei bei Fieber normal. Untersucht habe er den Nacken nicht.
Wäre er im Haus der Beklagten rechtzeitig fachgerecht behandelt worden, wäre ihm der schwerwiegende Krankheitsverlauf, der die Amputationen, die sonstigen Operationen und die Dauerschäden nach sich gezogen habe, erspart geblieben. Dafür hätte die Einleitung einer ordnungsgemäßen Therapie selbst um 3.20 Uhr noch genügt. Im Übrigen kämen ihm hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität Beweiserleichterungen zugute, weil die Versäumnisse auf Seiten der Beklagten als grobe Behandlungsfehler zu bewerten seien.
Zukünftig sei mit weiteren stationären Krankenhausaufenthalten und Operationen zu rechnen. An den Stümpfen der Unterschenkel könnten Komplikationen auftreten, weil das Wachstum der vorhandenen Restknochen weiter andauere. Im Gesicht werde er sich weiteren Schönheitsoperationen unterziehen müssen. Die Beweglichkeit beider Arme werde wegen der Hauttransplantationen dauerhaft eingeschränkt bleiben. Den Ganzkörperkompressionsanzug sowie die Kopf- und Gesichtsmaske werde er vom Zeitpunkt der Klageerhebung noch weitere fünf Jahre tragen müssen.
Seine Einschulung sei gefährdet; in der Schule werde es regelmäßig zu Fehlzeiten kommen. Er werde dauerhaft behindert bleiben. Beim Wohnen, bei der Fahrzeugwahl und bei der Körperpflege seien erhebliche Mehraufwendungen zu erwarten. Zudem fielen Kosten für orthopädische Hilfsmittel an.
Vor dem Landgericht hat der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld (Größenordnung: 350.000,00 €) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte ihm sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen hat, welcher ihm aus der fehlerhaften Behandlung vom 12./13. Mai 2011 ab Rechtshängigkeit entstanden ist und/oder noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlich entstandenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 8.225,28 € freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Ärzte ihres Hauses hätten den Kläger in jeder Hinsicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend behandelt.
Keinesfalls sei eine frühere Antibiotikatherapie geboten gewesen. Am Beginn der Behandlung habe man zu Recht die Arbeitsdiagnose eines hochfieberhaften Infekts viraler Genese zugrunde gelegt. Gegenüber Viren seien Antibiotika bekanntlich wirkungslos. Symptome wie hohes Fieber, Erbrechen, Kopfschmerz und ein unspezifischer Hautausschlag, wie er von dem Kinderarzt … gegen 22.45 Uhr beschrieben worden sei, indizierten weder eine Lumbalpunktion noch eine antibiotische Therapie. Herr … sei ohne weiteres in der Lage, zwischen einem unspezifischen Exanthem und Petechien zu differenzieren. Letztere hätten um 22.45 Uhr noch nicht vorgelegen.
Bis 5.00 Uhr morgens (13. Mai 2011) habe sich der Hautausschlag nur leicht verändert; einzelne der am Abend des 12. Mai 2011 beobachteten 1 bis 2 mm großen blassroten Punkte hätten sich – bei gleichbleibender Färbung – auf circa 3 mm vergrößert. Dies habe der Pfleger … gut beobachten können, weil er mehrfach bei normaler Zimmerbeleuchtung Bettwäsche- und Kleidungswechsel habe durchführen müssen. Dass die von dem Kläger vorgelegten Lichtbilder die Hautveränderungen am 13. Mai 2011 um 3.20 Uhr und 4.47 Uhr zeigten, werde bestritten. Bis zum Morgen des 13. Mai 2011 hätten sich klinisch keine Zeichen einer bakteriellen Meningitis gezeigt.
Unter den konkreten Umständen sei es auch nicht veranlasst gewesen, in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2011 eine Dauerüberwachung durch ärztliches Personal einzurichten.
Das Landgericht hat ein kinderärztliches Gutachten eingeholt, die Zeugen … und … vernommen sowie die Mutter des Klägers informatorisch angehört. Auf dieser Grundlage hat die Kammer die Klage hinsichtlich der Anträge zu 1) und 3) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Außerdem hat sie festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher diesem aus der fehlerhaften Behandlung vom 12./13. Mai 2011 ab dem 22. März 2012 entstanden ist und/oder noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie davon überzeugt, dass dem Pfleger … ein Behandlungsfehler unterlaufen sei, nachdem der Kläger sich am 13. Mai 2011 gegen 4.00 Uhr die für die Infusionstherapie benötigte Kanüle gezogen habe. Die Entscheidung des Pflegers, weder einen Arzt hinzuzurufen noch die Infusion selbst wieder anzulegen, stelle sich als sorgfaltswidrig dar.
Da es sich insoweit um einen groben Behandlungsfehler handele, trage die Beklagte die Beweislast für die haftungsbegründende Kausalität. Der Beweis, dass die Pflichtwidrigkeit des Pflegers die vom Kläger geltend gemachten Schäden nicht verursacht habe, sei der Beklagten nicht gelungen. Vielmehr stehe nach dem Gutachten des Sachverständigen … fest, dass ein nach der Unterbrechung der Infusionstherapie herbeigerufener Arzt die Meningokokkeninfektion hätte erkennen können; wären dann umgehend adäquate Behandlungsmaßnahmen ergriffen worden, hätten die schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit des Klägers vermieden werden können.
Wegen der weiteren Begründung und der tatsächlichen Feststellungen wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dem Pfleger … könne, wenn überhaupt, nur eine einfache Sorgfaltswidrigkeit vorgeworfen werden. Keinesfalls könne auf der Grundlage des eingeholten kinderärztlichen Sachverständigengutachtens festgestellt werden, dass die diagnostische Verkennung der Situation am 13. Mai 2011 zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr einen groben Behandlungsfehler darstelle. Der Sachverständige … habe weder in seinen schriftlichen Darlegungen noch im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung erklärt, dass das Verhalten des Pflegers schlechterdings unverständlich oder in keiner Weise nachvollziehbar sei oder dass es gegen elementare pflegerische Standards verstoße. Eine derartige Wertung sei auch nicht haltbar. Es seien anzuerkennende, mindestens aber verständliche Gründe, die den Pfleger … bewogen hätten, den Kläger nach der Unterbrechung der Infusionstherapie ruhig weiterschlafen zu lassen. Immerhin sei der Kläger – unstreitig – gegen 23.00 Uhr noch ärztlich gesehen worden; außerdem sei das Fieber vor der Unterbrechung der Infektionstherapie auf 38,3 Grad Celsius abgesunken gewesen und das mehrfache Erbrechen hätte ein Ende gefunden. Der Pfleger habe zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr weder Hautveränderungen noch sonstige Verschlechterungen im Befinden des Klägers beobachtet, die ihn hätten veranlassen müssen, einen Arzt herbeizurufen. Es sei in keiner Weise unverständlich, dass er, der keine gefährliche Situation vor Augen gehabt habe, es für richtig gehalten habe, den Kläger endlich schlafen zu lassen, statt eine – aus seiner Ex-ante-Sicht für das angenommene Krankheitsbild einer viralen Infektion nicht wesentliche – Volumeninfusion erneut anzulegen oder eine – nach seinem Dafürhalten unnötige – ärztliche Untersuchung zu veranlassen.
Außerdem sei zu berücksichtigen, dass Diagnoseirrtümer die Beweislast nur dann verlagerten, wenn sie fundamentaler Natur seien. Wegen der bei Stellung einer Diagnose nicht seltenen Unsicherheiten müsse die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwere Sorgfaltswidrigkeit zu beurteilen sei, hoch angesetzt werden. Dieser in erster Linie für Ärzte geltende Maßstab müsse erst recht einem Krankenpfleger zugutegehalten werden. Ferner habe der Sachverständige … darauf hingewiesen, wie schwierig es sei, das bei dem Kläger aufgetretene tückische, foudroyant-explosiv ablaufende Krankheitsbild rechtzeitig zu erkennen.
Eine Umkehr der Beweislast im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität lasse sich auch nicht aus den Grundsätzen über Befunderhebungsfehler ableiten. Das gelte umso mehr, als eine objektiv gebotene, aber wegen eines Diagnoseirrtums folgerichtig unterlassene Befunderhebung keinen Anknüpfungspunkt für Beweiserleichterungen darstelle, sofern nicht der Diagnoseirrtum seinerseits als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren sei. Auch werde nach wie vor bestritten, dass ein nachts zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr hinzugerufener Arzt andere Feststellungen zu den Hautverhältnissen getroffen hätte als der Pfleger, dass er weitergehende Maßnahmen ergriffen hätte oder dass er sonst einen pathologischen Befund erhoben hätte, dessen Verkennung und Außerachtlassung grob fehlerhaft gewesen wäre.
Im Übrigen sei es äußerst unwahrscheinlich, dass eine ärztliche Intervention am frühen Morgen gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr noch etwas an dem – rückblickend betrachtet – foudroyanten septischen Ablauf geändert hätte.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 3. März 2015 (Bd. II Bl. 30 ff. d. A.). Ferner hat er die Sachverständigen … und … angehört sowie den Zeugen … vernommen. Außerdem hat er die Mutter des Klägers befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen ……..vom 3. Juni 2015 und auf das Protokoll der Sitzung vom 7. Oktober 2015 (Bd. II Bl. 110 ff. d. A.) verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513Abs. 1, 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen im Ergebnis eine andere Entscheidung zugunsten der Beklagten. Vielmehr ist dem Landgericht darin beizupflichten, dass dem Kläger wegen einer fehlerhaften Behandlung im Haus der Beklagten Schadensersatzansprüche zustehen. Die Beklagte haftet gemäß §§ 280, 278,249,253 Abs. 2 BGB und §§ 823Abs. 1, 831 Abs. 1 Satz 1,249,253 Abs. 2 BGB. Das erstinstanzliche Urteil bedurfte lediglich einer Klarstellung dahin, dass der Feststellungsausspruch neben den materiellen Schäden nur künftige, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung objektiv nicht vorhersehbare immaterielle Schäden umfasst. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Pfleger …, der den Kläger in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2011 im Haus der Beklagten betreut hat, ein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Er hat es pflichtwidrig unterlassen, in den frühen Morgenstunden des 13. Mai 2011 den zuständigen Stationsarzt hinzuzuziehen. Wie die Mutter des Klägers und der Zeuge … vor dem Senat übereinstimmend erklärt haben, hat der Kläger sich gegen 4.00 Uhr die Braunüle gezogen, die ihm zur Durchführung der Infusionstherapie gelegt worden war. Jedenfalls in dieser Situation hätte der Pfleger … die Entscheidung über die weitere Behandlung einem Arzt überlassen müssen. Bis dahin hatte sich der Zustand des Klägers – für den Pfleger erkennbar – gravierend verschlechtert.
a) Die Mutter des Klägers hat die wesentlichen Ereignisse in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2011 vor dem Senat anschaulich geschildert. Ihr Sohn habe sich, so die Mutter, am 12. Mai 2011 gegen 23.00 Uhr übergeben. Deshalb habe sie seinen Schlafanzug gewechselt, während der Pfleger … das Bett neu bezogen habe. Bei dieser Gelegenheit hätten sie und der Zeuge … an ihrem Sohn stecknadelkopfgroße rote Flecken wahrgenommen. Der Zeuge … habe daraufhin einen Arzt verständigt, der sich die Flecken angeschaut habe. Nachdem der Arzt telefonisch weggerufen worden sei, habe der Zeuge … auf ihre Nachfrage erläutert, der Arzt habe in der Krankenakte „Fieberflecken“ vermerkt.
Im Laufe der Nacht habe ihr Sohn immer wieder erbrochen. Aus diesem Grund habe man ihm wiederholt einen neuen Schlafanzug anziehen müssen. Insgesamt hätten zwischen Mitternacht und 4.00 Uhr morgens vier Wäschewechsel stattgefunden. Dabei habe sie sich jeweils die Flecken im Gesicht und am Körper ihres Sohnes angesehen. Diese seien sukzessive größer geworden; außerdem habe sich ihre Farbe von rot über blau in Richtung schwarz verändert. Sie habe den Zeugen …, der mehrfach erschienen sei, um das Bett neu zu beziehen, wiederholt auf die Flecken angesprochen und die Frage aufgeworfen, ob man nicht einen Arzt hinzuziehen müsse. Der Zeuge … habe erwidert, es handele sich um Fieberflecken. Er habe erklärt, dass er seinen Beruf seit nunmehr 20 Jahren ausübe und dass die Nachtschicht mit erheblichen Strapazen verbunden sei. Dies habe sie, die Mutter des Klägers, eingeschüchtert.
Als ihr Sohn sich gegen 4.00 Uhr die Braunüle gezogen habe, habe der Zeuge … gemeint, man solle es dabei belassen und … noch ein wenig Schlaf gönnen. … habe aber nicht geschlafen, sondern in einem Dämmerzustand fantasiert. In dieser Zeit seien die Flecken in seinem Gesicht und an seinem Körper schwarz geworden. Die Lichtbilder, welche der Klageschrift beigefügt gewesen seien, zeigten den Zustand ihres Sohnes in den frühen Morgenstunden des 13. Mai 2011. Die auf den Ausdrucken festgehaltenen Uhrzeiten (3.20 Uhr und 4.47 Uhr) halte sie für stimmig. Eines der Fotos habe sie gefertigt, bevor ihr Sohn sich die Braunüle gezogen habe, das andere stamme aus der Zeit danach.
Morgens gegen 7.00 Uhr habe sie eine Krankenschwester auf den Zustand ihres Sohnes angesprochen; diese habe dann einen Arzt verständigt.
b) Die Bekundungen des Zeugen … weichen in erheblichen Punkten von denen der Mutter des Klägers ab. Seiner Darstellung zufolge musste der Kläger sich in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2011 zweimal übergeben, einmal vor Mitternacht und einmal gegen 4.00 Uhr. Gegen Mitternacht habe der zuständige Stationsarzt den Kläger angeschaut. Der Arzt habe eine allgemeine Rötung im Sinne von Fieberflecken konstatiert; weitere Auffälligkeiten habe er nicht entdeckt. Irgendwann habe er, der Zeuge …, stecknadelkopfgroße Einblutungen an dem Kläger festgestellt. Ob dies bereits um Mitternacht der Fall gewesen sei, wisse er nicht mehr.
Als der Kläger gegen 4.00 Uhr erbrochen habe, habe er sich die Braunüle gezogen. Anschließend habe er, der Zeuge …, nach Rücksprache mit der Mutter des Klägers entschieden, die Infusion nicht erneut anzulegen. Atem- und Pulsfrequenz des Klägers seien in diesem Zeitpunkt regelmäßig gewesen. Entgegen der Darstellung der Mutter habe … nicht fantasiert. Ebenso wenig hätten sich die Einblutungen erheblich verändert; ihre Größe habe im Verlauf der Nacht nur unwesentlich – von etwa 1 mm auf circa 2 mm – zugenommen; sie hätten seiner Erinnerung nach durchgehend eine blass rote Farbe besessen. Vor diesem Hintergrund habe er es nicht für notwendig gehalten, einen Arzt hinzuzuziehen. Die Mutter des Klägers habe ihn auch nicht darum gebeten.
Falls … so ausgesehen hätte wie auf den mit der Klageschrift übermittelten Lichtbildern, hätte er den diensthabenden Arzt alarmiert. Er könne sich nicht vorstellen, … in einem solchen Zustand gesehen zu haben. Selbst wenn er auf den – unter Umständen schlafenden – Arzt hätte Rücksicht nehmen wollen, wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, die Kinderkrankenschwester der Nachbarstation herbeizurufen, um sich Klarheit über die Bedeutung der Hautflecken zu verschaffen.
An Gelegenheiten, den Kläger in Augenschein zu nehmen, habe es seinerzeit nicht gemangelt. Sein Dienst habe am 12. Mai 2011 um 21.00 Uhr begonnen und sei am 13. Mai 2011 mit der Dienstübergabe zwischen 6.00 Uhr und 6.30 Uhr beendet gewesen. Da sich kein schwerkrankes Kind auf der Station befunden habe, habe ihm für die Betreuung des Klägers vergleichsweise viel Zeit zur Verfügung gestanden. Er habe regelmäßig die Infusion sowie die Atem- und Pulsfrequenz kontrolliert. Die Bettwäsche und der Pyjama des Klägers hätten nach seiner Erinnerung allein wegen des Fiebers alle zwei Stunden gewechselt werden müssen. Wenngleich man versuche, nachts so wenig Licht wie möglich anzuschalten, um den Patienten nicht zu stören, gehe er davon aus, dass wenigstens zu den Wäschewechseln gegen Mitternacht und gegen 4.00 Uhr die Deckenbeleuchtung vollständig angeschaltet gewesen sei.
Das letzte Mal vor dem Ende seines Dienstes habe er den Kläger gegen 5.50 Uhr gesehen. Er habe Zwieback hereingereicht, weil der Kläger Hunger gehabt habe. Er wisse nicht mehr, ob er den Jungen bei dieser Gelegenheit noch einmal genauer angeschaut habe. Jedenfalls habe er dies aber gegen 5.00 Uhr getan. Auch zu diesem Zeitpunkt habe sich ihm kein Bild geboten, wie es auf den mit der Klageschrift zur Akte gereichten Fotos zu sehen sei. Wie die Lichtbilder zustande gekommen seien, könne er sich nicht erklären. Jedenfalls entspräche das dort abgebildete Bettzeug dem damaligen Bettzeug im Haus der Beklagten.
c) Soweit die Aussagen des Zeugen … über die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2011 von den Schilderungen der Mutter des Klägers abweichen, vermag der Senat ihnen keinen Glauben zu schenken. Vielmehr ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die betreffenden Angaben der Mutter der Wahrheit entsprechen. Die Darstellung des Zeugen …, wonach der Zustand des Klägers bis zum Ende der Nachtschicht, jedenfalls aber bis 5.00 Uhr morgens keinen Anlass gegeben hat, einen Arzt zu verständigen, wirft schon für sich genommen die Frage auf, warum der Kläger unmittelbar nach dem Schichtwechsel – gegen 7.00 Uhr – als Notfall erkannt und von den Ärzten sofort entsprechend behandelt worden ist. Demgegenüber leuchtet der am Morgen des 13. Mai 2011 einsetzende dramatische Behandlungsverlauf ohne weiteres ein, wenn man die Schilderung der Mutter zugrunde legt, der zufolge in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2011 eine sukzessive Verschlechterung des Gesundheitszustandes ihres Sohnes zu beobachten gewesen ist.
Abgesehen davon hat die Mutter des Klägers den Verlauf der Nacht trotz ihrer starken emotionalen Beteiligung sehr plastisch, in sich schlüssig und ohne erkennbare Übertreibungen dargelegt. Nach dem Eindruck des Senats war sie durchgehend bemüht, zur Wahrheitsfindung beizutragen. Vor allem aber wird ihre – von den Bekundungen des Zeugen … abweichende – Beschreibung der zunehmenden Einblutungen im Gesicht und am Körper ihres Sohnes durch die Lichtbilder untermauert, die mit der Klageschrift zur Akte gereicht worden sind. Dass die Fotos tatsächlich, wie auf den Ausdrucken angegeben, den Zustand des Klägers am 13. Mai 2011 um 3.20 Uhr und um 4.47 Uhr zeigen, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest.
aa) Weshalb die Mutter des Klägers ihren Sohn überhaupt im Krankenhaus fotografiert hat, hat diese nachvollziehbar erklärt. Sie hat erläutert, dass sie und ihr Sohn sich seit jeher viel gekabbelt hätten. Deshalb, so die Mutter des Klägers, habe ihr Ehemann vor dem Krankenhausaufenthalt öfter im Spaß gesagt, sie und … schlügen sich noch einmal. Mit den Fotos habe sie ihrem Ehemann scherzhaft beweisen wollen, dass sie … nicht etwa geschlagen habe, sondern dass es sich bei seinen Hautveränderungen um Fieberflecken gehandelt habe. Die Bilder habe sie mit ihrem Nokia-Mobiltelefon gefertigt.
bb) Der Sachverständige … hat das Nokia-Mobiltelefon, welches die Mutter des Klägers dem Gericht überlassen hat (Typ 5800), eingehend untersucht und die darauf befindlichen Daten ausgewertet. Danach ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass die besagten zwei Fotos mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit dem vorgelegten Mobiltelefon aufgenommen worden sind und keine Manipulationen an den Aufnahmedaten stattgefunden haben. Allerdings, so der Sachverständige …, seien elektronisch gespeicherte Daten generell manipulierbar. Bei zusammenfassender Würdigung aller Untersuchungsergebnisse sei eine Manipulation in der konkreten Gestaltung jedoch in hohem Maße unwahrscheinlich. Für eine solche Wertung seien insbesondere die folgenden Aspekte maßgebend:
(1) Die fraglichen Fotos seien auf der in dem Mobiltelefon befindlichen 8 GB-Speicherkarte vorhanden. Zwar handele es sich nicht um die Originaldateien. Doch seien hinsichtlich der Ersterzeugung („Date Original“) und Digitalisierung („Date Digitized“) jeweils dieselben Daten ausgewiesen, die auf den vom Kläger zur Akte gereichten Ausdrucken vermerkt seien (13. Mai 2011, 03:20:10 Uhr und 04:47:31 Uhr). Diese Daten blieben unabhängig von sonstigen Veränderungen an den Dateien erhalten.
(2) Zu den auf der Speicherkarte vorhandenen Bildern habe er, der Sachverständige, jeweils ein gelöschtes Referenzbild rekonstruieren können. Sowohl die vorhandenen als auch die gelöschten Bilder seien mit den genannten Erstellungsdaten versehen. Da die Metadaten (unter anderem das Datum der Ersterzeugung und Digitalisierung) der vorhandenen und gelöschten Dateien übereinstimmten, könne eine Manipulation so gut wie ausgeschlossen werden. Leicht zu bedienende und im Internet verfügbare Programme zum Ändern der Metadaten bezögen sich immer auf vorhandene, jedoch nie auf gelöschte Dateien. Um den jetzigen Zustand herzustellen, hätte folglich sowohl die Ursprungsdatei verändert und gelöscht als auch die vorhandene Datei manipuliert werden müssen. In diesem Fall hätte der Löschvorgang jedoch keinerlei Sinn ergeben.
(3) Schließlich sei es gelungen, im Speicher des Mobiltelefons Fragmente von Miniaturansichten zu rekonstruieren, die den beiden genannten Fotos zumindest sehr stark ähnelten. Die Datenfragmente belegten, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wenigstens vergleichbare Bilder mit dem eingereichten Mobiltelefon erstellt worden seien. Denn eine gezielte Ablage von Bildfragmenten in einem unbenutzten Speicherbereich zum Zwecke einer Manipulation erfordere nicht nur ein großes Fachwissen über den Speicheraufbau von Mobiltelefonen und JPG-Bilddateien, sondern darüber hinaus den Zugriff auf sehr spezielle und entsprechend teure Software sowie Kenntnisse über die Bedienung der Programme. Deshalb sei ein derartiger Eingriff im Normalfall ausgeschlossen.
cc) Das Gutachten des Sachverständigen … erscheint plausibel und insgesamt überzeugend. Dass der Sachverständige über hinreichende Fachkenntnisse verfügt, steht außer Frage. Er ist Elektronikermeister der Fachrichtung Nachrichtentechnik und als Sachverständiger für öffentliche Mobilfunknetze nutzende Endgeräte und Straßennavigationsgeräte öffentlich bestellt und vereidigt. Die von der Beklagten geäußerter Kritik an seinem Gutachten geht teilweise an dem Inhalt des Gutachtens vorbei. Teilweise konnte sie im Zuge der Anhörung des Sachverständigen entkräftet werden:
(1) Soweit die Beklagte sich auf die Aussage des Sachverständigen beruft, wonach „auf dem streitbefangenen Mobiltelefon 52 Bilder gespeichert sind, darunter allerdings nicht die hier relevanten Bilder“, bleibt unberücksichtigt, dass sich die zitierte Feststellung allein auf den Speicher des Mobiltelefons bezieht, während der Sachverständige die fraglichen Fotos auf der in dem Gerät befindlichen 8 GB-Speicherkarte vorgefunden hat. Mit dieser Differenzierung beantwortet sich auch die von der Beklagten aufgeworfene Frage, wie der Sachverständige die Daten der Ersterzeugung der Bilder habe auslesen können, obwohl angeblich nur Datenfragmente vorhanden seien. Davon, dass die fraglichen Bilder tatsächlich auf der Speicherkarte vorhanden sind, hat sich der Senat in der Sitzung am 7. Oktober 2015 auf Anregung des Vertreters der Beklagten durch Inaugenscheinnahme überzeugt.
(2) Der von der Beklagten beanstandete vermeintliche Widerspruch, der darin bestehen soll, dass der Sachverständige einmal von 7 und einmal von 52 vorhandenen Fotos spricht, ist dahin aufzulösen, dass in dem Speicher des Mobiltelefons 52 Bilder abgelegt sind, während sich auf der 8 GB-Speicherkarte – neben 1.348.973 Bildfragmenten – noch 7 Fotos befinden.
(3) Die Beklagte rekurriert weiter auf Seite 13 des Gutachtens, wo es heißt: „Ob es sich hierbei um die relevanten Bilder der Akte handelt, konnte aufgrund der groben Auflösung, die für Miniaturansichten typisch ist, nicht eindeutig geklärt werden. Auch konnten weder das Datum der Ersterzeugung noch das Datum der Digitalisierung aufgrund der Beschädigung dieser Daten rekonstruiert werden“. Indessen bezieht sich das Zitat nur auf die Fragmente von zwei Miniaturansichten, die aus den hier interessierenden Bildern abgeleitet worden sein könnten und die sich in dem Speicher des Mobiltelefons befinden. Die einschlägigen Fotos auf der 8 GB-Speicherkarte, die das Datum der Ersterzeugung ausweisen, lässt die Beklagte an dieser Stelle wiederum unerwähnt.
(4) Ebenfalls keine Überzeugungskraft besitzt ihr Hinweis, man könne das Handy auch im 12-Stunden-Format einstellen; deshalb bedeute 3.20 Uhr möglicherweise 15.20 Uhr. Am Nachmittag des 13. Mai 2011 hat sich der Kläger bereits als Notfall im Klinikum … befunden. Es ist kaum vorstellbar, dass die Mutter des Klägers in diesem Stadium noch die zur Akte gereichten Bilder gefertigt hat. Außerdem hat der Pfleger … bestätigt, dass das Bettzeug, welches auf den Fotos zu sehen ist, dem damaligen Bettzeug im Haus der Beklagten entspreche (siehe oben).
(5) Unbegründet erscheint ferner der Einwand der Beklagten, es sei unverständlich, weshalb die Eltern die aufgenommenen Bilder nicht unverändert auf dem Mobiltelefon belassen, sondern die betreffenden Dateien gelöscht und im Juni 2012 beziehungsweise Februar 2012 wieder auf die Speicherkarte verschoben haben sollten.
Dazu hat die Mutter des Klägers vor dem Senat erklärt, sie habe von dem Mobiltelefon Sicherungskopien auf ihr Laptop überspielt. Dies könne im Vorfelde der Klageerhebung, also Anfang 2012, geschehen sein. Allerdings habe sie die betreffenden Dateien auf dem Mobiltelefon weder gelöscht noch später vom Laptop auf das Mobiltelefon zurückübertragen.
Der Sachverständige … hat ausdrücklich erklärt, er halte diese Schilderung aus technischer Sicht für plausibel; sie befinde sich im Einklang mit seinen Untersuchungsergebnissen. Eine durch den Mobiltelefonnutzer veranlasste Löschung der auf der Speicherkarte befindlichen Fotos sei nicht festzustellen.
(6) Zu konzedieren ist der Beklagten, dass der so genannte Fingerprint, mit dem sich nachweisen lässt, dass ein Bild mit einer bestimmten Kamera aufgenommen worden ist, auf den hier einschlägigen Fotos nicht zu finden war. Allerdings hat der Sachverständige … erläutert, dass dieser Umstand nicht gegen die Authentizität der abgespeicherten Bilder spreche. Bereits ein einmaliges Drehen des Mobiltelefons beim Betrachten der Fotos führe, so der Sachverständige, zu einer digitalen Veränderung mit der Folge, dass nach kurzer Benutzungsdauer der ursprüngliche Fingerprint verändert sei. Es existierten jedoch andere Indizien dafür, dass die relevanten Fotos mit dem vorgelegten Mobiltelefon aufgenommen worden seien. In erster Linie sei auf die Metadaten zu verweisen, wie sie auf den Seiten 2 f. der Anlage 2 zu seinem schriftlichen Gutachten dokumentiert seien. Die Eintragungen „Equipment Make: Nokia“ und „Model: 5800 Xpres“ bezeichneten das Telefonmodell, mit dem die einschlägigen Bilder gefertigt worden seien. Es handele sich jeweils um das vorliegende Gerät. Dieser Teil der Metadaten bleibe bei einer Bearbeitung der Dateien (Kopieren, Verschieben etc.) unverändert. Im Übrigen wiesen auch die ausgelesenen Miniaturbilder darauf hin, dass man das vorgelegte Mobiltelefon benutzt habe, um den erkrankten Kläger zu fotografieren.
(7) Freilich besteht auch nach dem Gutachten des Sachverständigen … die Möglichkeit, dass die im Mobiltelefon befindliche Uhr verstellt worden ist und die den Bildern anhaftenden Daten deshalb unzutreffend sind.
Eine bewusste Manipulation dieser Art erscheint jedoch höchst unwahrscheinlich, weil die Mutter des Klägers dann im Zeitpunkt der Aufnahme hätte vorhersehen müssen, dass sich zwischen den Parteien ein Rechtsstreit der vorliegenden Art entwickeln würde.
Die theoretische Möglichkeit, dass die Uhr des Mobiltelefons unbeabsichtigt falsch eingestellt gewesen ist (Sommer-/Winterzeit, Akkuwechsel etc.), ist nach Auffassung des Senats unter den konkreten Umständen ebenfalls zu vernachlässigen. Einmal hat die Mutter des Klägers in ihrer Anhörung glaubhaft versichert, dass sie die für die einschlägigen Bilder festgehaltenen Aufnahmezeitpunkte für plausibel erachte; eines der Fotos habe sie aufgenommen, bevor ihr Sohn sich gegen 4.00 Uhr die Braunüle gezogen habe, das andere stamme aus der Zeit danach (siehe oben). Überdies stellt sich die Frage, wann die Mutter des Klägers die Bilder gefertigt haben sollte, wenn nicht während der Dienstzeit des Pflegers … . Dass die Fotos erst im Zuge der anschließenden notfallmäßigen Behandlung ihres Sohnes entstanden sind, ist kaum vorstellbar.
d) Nach alledem waren für die medizinische Bewertung des vorliegenden Sachverhalts insbesondere die mit der Klageschrift eingereichten Lichtbilder und die betreffenden Schilderungen der Mutter des Klägers zugrunde zu legen. Danach ist dem Pfleger … ein Behandlungsfehler vorzuwerfen.
aa) Wie der medizinische Sachverständige … erläutert hat, zeigen die am 13. Mai 2011 um 3.20 Uhr und 4.47 Uhr aufgenommenen Fotos jeweils ein todkrankes Kind. Es sei eine disseminierte intravasale Gerinnung zu erkennen. Diese betreffe nicht nur die Haut, sondern auch innere Organe wie zum Beispiel die Nebenniere oder die Milz. Vor diesem Hintergrund müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger ab 4.00 Uhr nicht etwa geschlafen habe, sondern somnolent gewesen sei. Bis dahin habe er bereits durch das Schwitzen und Erbrechen einen erheblichen Flüssigkeitsverlust erlitten. In einer solchen Situation müsse ein Flüssigkeitszugang gelegt sein, um den Zusammenbruch des Kreislaufs zu verhindern. Jedenfalls hätte der Zeuge … spätestens gegen 4.00 Uhr den diensthabenden Arzt hinzuziehen müssen, um ihm die Entscheidung über das weitere Vorgehen zu überlassen. Angesichts der auffälligen Hautveränderungen und der vorhergehenden Befunde sei eine umgehende ärztliche Konsultation geboten gewesen. In keinem Fall habe der Pfleger eigenmächtig das weitere Behandlungsregime übernehmen und von einer Fortführung der Infusionstherapie absehen dürfen.
bb) Der Senat hält die Ausführungen des Sachverständigen … für überzeugend. Das gilt nicht nur hinsichtlich des soeben angesprochenen Punktes, sondern für alle medizinischen Erläuterungen. Es besteht keinerlei Anlass, die fachliche Eignung des Sachverständigen, der als Leitender Oberarzt an der …-Kinderklinik des Klinikums … tätig gewesen ist, in Zweifel zu ziehen. Seine Darlegungen waren verständlich und widerspruchsfrei. Ihnen konnte entnommen werden, dass er sich intensiv mit der in Rede stehenden Problematik befasst hat.
cc) Anhaltspunkte dafür, dass der Krankenpfleger … den damaligen Zustand des Klägers, insbesondere die Einblutungen, trotz der gebotenen Sorgfalt nicht erkennen konnte, liegen nicht vor. Vielmehr hat der Pfleger selbst eingeräumt, dass er den Kläger in der fraglichen Nacht regelmäßig gesehen habe und zumindest gegen Mitternacht und gegen 4.00 Uhr morgens die Deckenbeleuchtung vollständig angeschaltet gewesen sei.
2. Ob der dramatische Krankheitsverlauf mit Sicherheit vermieden oder erheblich abgemildert worden wäre, wenn der Krankenpfleger … unmittelbar nach dem ungewollten Abbruch der Infusionstherapie einen Arzt verständigt hätte, kann dahingestellt bleiben. Denn dem Kläger kommt im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität eine Beweislastumkehr zugute.
a) Das Vorgehen des Krankenpflegers … stellt sich als grober Behandlungsfehler dar, das heißt als eindeutiger Verstoß gegen bewährte Behandlungsregeln, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Pfleger schlechterdings nicht unterlaufen darf. Dies hat der Sachverständige … explizit festgestellt. Seinen überzeugenden Erläuterungen zufolge wäre es bereits ohne Berücksichtigung der Einblutungen, die auf den besagten Fotos zu erkennen sind, als grober Behandlungsfehler zu werten, dass der Pfleger die Entscheidung über die weitere Behandlung nicht einem Arzt überlassen hat. Unter Einbeziehung des um 3.20 Uhr aufgenommenen Lichtbildes muss die unterbliebene Unterrichtung eines Arztes damit erst recht als schlichtweg unverständliches Fehlverhalten angesehen werden. Im Übrigen drängt es sich selbst aus Sicht eines medizinischen Laien ohne weiteres auf, dass ein Kind, dessen Zustand sich so darstellt, wie es auf dem um 3.20 Uhr gefertigten Lichtbild zu erkennen ist, sofort einer ärztlichen Untersuchung und gegebenenfalls Behandlung bedarf.
b) Dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verzicht auf die Hinzuziehung eines Arztes und den vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Schäden ausgeschlossen oder äußerst unwahrscheinlich ist, hat die Beklagte nicht bewiesen. Vielmehr hat … ausgeführt, dass die Hautveränderungen in Zusammenschau mit den Vorbefunden eine Meningokokkensepsis nahegelegt hätten, auf die bei fachgerechtem ärztlichen Handeln umgehend mit einer Sepsistherapie hätte reagiert werden müssen. Wenn, so …, zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr aufgrund ärztlicher Intervention eine antibiotische Behandlung, kombiniert mit einer Volumentherapie und eventuell auch mit der Gabe von gerinnungshemmenden Mitteln veranlasst worden wäre, hätten Aussichten darauf bestanden, das Krankheitsbild erfolgreich zu therapieren. In jedem Fall hätte man ein besseres Ergebnis erzielen können.
3. Da der Krankenpfleger … für die Beklagte tätig geworden ist, hat diese die durch den Behandlungsfehler verursachten materiellen und immateriellen Schäden auszugleichen (§§ 280, 278,249,253 Abs. 2 BGB und §§ 823Abs. 1, 831 Abs. 1 Satz 1,249,253 Abs. 2 BGB).
Die vorprozessual entstandenen Rechtsanwaltsgebühren (Klageantrag zu 3) sind als erforderliche Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten. Insoweit ist der Geschäftswert zugrunde zu legen, der der seinerzeit berechtigten Forderung entspricht. Das von dem Kläger begehrte Schmerzensgeld (Klageantrag zu 1) ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Nach alledem ist die Entscheidung des Landgerichts, die Klageanträge zu 1) und 3) dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären, nicht zu beanstanden.
4. Auch die vom Landgericht ausgesprochene Feststellung begegnet im Kern keinen durchgreifenden Bedenken.
a) Wird die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens aus einer bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung beantragt, so reicht für das Feststellungsinteresse die Möglichkeit eines Schadenseintritts aus, die nur verneint werden darf, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH, NJW 2001, S. 1431, 1432 m. w. N.). Nach diesem Maßstab ist in der vorliegenden Konstellation ein Feststellungsinteresse grundsätzlich zu bejahen.
b) Allerdings war hinsichtlich des Ausspruchs betreffend die immateriellen Schäden klarzustellen, dass nur künftige, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung objektiv nicht vorhersehbare Schäden erfasst sind. Die übrigen immateriellen Schäden werden bereits durch den Klageantrag zu 1) abgedeckt. Verlangt ein Kläger – wie hier – für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (vgl. BGH, NJW-RR 2006, S. 712, 713 m. w. N.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708Nr. 10, 711,709 Satz 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache besitzt keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Ebenso wenig erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).