Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Diagnosefehler oder Behandlungsfehler? Ein Fall aus dem Medizinrecht erklärt
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gilt eine fehlerhafte Diagnose rechtlich als Behandlungsfehler?
- Welche Beweise benötigt ein Patient, um einen Diagnosefehler nachzuweisen?
- Welche Fristen müssen Patienten bei der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Diagnosefehler beachten?
- Wie wird die Höhe des Schmerzensgeldes bei Diagnosefehler bestimmt?
- Welche Rolle spielt der Sachverständige bei der Beurteilung von Diagnosefehler?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Brandenburg
- Datum: 16.05.2024
- Aktenzeichen: 12 U 139/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Medizinrecht, Vertragsrecht, Deliktsrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Eine Patientin, die aufgrund eines behaupteten Behandlungsfehlers während eines Krankenhausaufenthalts zur Amputation ihres rechten Armes führt. Sie fordert Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden. Sie argumentiert, dass mehrere Behandlungsfehler vorlagen, die zu einer fehlerhaften Amputation führten.
- Beklagte: Das Klinikum, in dem die Klägerin behandelt wurde. Es behauptet, dass kein Behandlungsfehler vorliegt und dass der rechtliche Zusammenhang zwischen der Behandlung und der Amputation nicht bewiesen ist. Sie stützt sich auf ein Privatgutachten, das keinerlei Fehler feststellt.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin litt nach einem Verkehrsunfall an schweren Verletzungen und wurde in einem Krankenhaus behandelt, wo eine fehlerhafte Befundauswertung durchgeführt wurde. Es kam zu mehreren Operationen, letztlich zur Amputation des rechten Armes.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging darum, ob Behandlungsfehler vorlagen, die zur Amputation führten, und ob diese Fehler von der Beklagten zu verantworten sind.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht hat der Klägerin ein Schmerzensgeld von 12.000 € zugesprochen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden. Weitere Forderungen wurden abgewiesen.
- Begründung: Die Entscheidung basiert auf einem Behandlungsfehler bei der Auswertung einer Angiografie, welche die Engstellen nicht erkannte und deshalb die falsche Behandlung durchgeführt wurde. Dies führte wahrscheinlich zum Gefäßverschluss und zur Amputation. Der Beweis für alternative Ursachen der Amputation wurde nicht erbracht.
- Folgen: Die Klägerin erhält Schmerzensgeld und eine gerichtliche Feststellung für zukünftige Schadenersatzansprüche. Ein Revision wurde nicht zugelassen, und die Kosten des Rechtsstreits werden größtenteils der Klägerin auferlegt.
Diagnosefehler oder Behandlungsfehler? Ein Fall aus dem Medizinrecht erklärt
Das komplexe Arzt-Patienten-Verhältnis ist von gegenseitigen Rechten und Pflichten geprägt. Medizinrecht definiert dabei klare Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht, insbesondere bei der Diagnostik. Ein Diagnosefehler kann unter bestimmten Voraussetzungen als Behandlungsfehler gewertet werden, was erhebliche rechtliche Konsequenzen für Ärzte und Kliniken haben kann.
Die Beweislast im Arzthaftungsrecht ist für Patienten oft herausfordernd. Sie müssen nachweisen, dass ein Arzt gegen Facharztpflichten verstoßen und dadurch einen Schaden verursacht hat. Nicht jeder medizinische Fehler führt automatisch zu einem Schadensersatzanspruch, sondern erfordert eine sorgfältige rechtliche und medizinische Bewertung.
Der folgende Gerichtsfall beleuchtet präzise Kriterien, wann ein Diagnosefehler als Behandlungsfehler eingestuft wird und welche Nachweispflichten dabei gelten.
Der Fall vor Gericht
Fehlerhafte Angiografie führt zu 12.000 Euro Schmerzensgeld nach Armamputation

Ein behandlungsfehlerhaft ausgewerteter Angiografiebefund hat nach Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg zu einer Schmerzensgeldzahlung von 12.000 Euro geführt. Die Mediziner hatten bei der Auswertung einer Angiografie am 22. Februar 2017 vorhandene Engstellen im Bereich einer Gefäßplastik nicht erkannt und nicht in den Befundbericht aufgenommen.
Schwere Armverletzung nach Verkehrsunfall
Die Patientin hatte bei einem Verkehrsunfall in Polen schwere Verletzungen am rechten Arm erlitten. Nach Erstversorgung wurde sie auf eigenen Wunsch in das beklagte Krankenhaus verlegt. Dort führten die Ärzte zwischen dem 23. Februar und 13. März 2017 sechs Operationen zur Wundversorgung durch. Am 14. März 2017 bemerkte die Patientin Verfärbungen an den Fingern der rechten Hand. Nach Feststellung eines Gefäßverschlusses wurde sie in eine andere Klinik verlegt. Trotz Operation konnte der venöse Abstrom nicht wiederhergestellt werden, sodass der rechte Arm am 17. März 2017 amputiert werden musste.
Übersehene Gefäßengstellen führen zu Verschluss
Der gerichtliche Sachverständige stellte fest, dass die Angiografie eindeutig Engstellen an den Anastomosen gezeigt hatte – mit einer Einengung der oberen Anastomose von 50% und der unteren von 70%. Diese wichtigen Befunde hätten dokumentiert werden müssen, da sie das Risiko eines erneuten Gefäßverschlusses erhöhten. Bei korrekter Befundung hätte eine Erweiterungsplastik durchgeführt werden müssen. Die nicht behobenen Engstellen führten nach Überzeugung des Gerichts zum arteriellen Gefäßverschluss.
Amputation als Folge des Behandlungsfehlers
Das Gericht sah die Amputation als Folge des fehlerhaft ausgewerteten Angiografiebefunds an. Der arterielle Verschluss hatte zu Thrombosen im venösen Abstrom geführt. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass der Arm auch unabhängig vom Behandlungsfehler hätte amputiert werden müssen. Zwar war der Arm bereits durch den Unfall schwerstgeschädigt, dennoch war eine ohnehin notwendige Amputation nach Ansicht des Sachverständigen nur wahrscheinlich, nicht aber sicher.
Schmerzensgeld für kosmetische Beeinträchtigung
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigte das Gericht, dass der Arm bereits durch den Unfall schwerstgeschädigt und funktionslos war. Relevant für das Schmerzensgeld sei daher allein die kosmetische Beeinträchtigung durch den Verlust des Armes statt eines funktionslosen Arms. Die beantragte Schmerzensgeldrente wurde abgelehnt, da der Verlust des bereits schwerstgeschädigten Arms keine Dauerschäden begründe, die fortlaufende Zahlungen rechtfertigten.
Die Schlüsselerkenntnisse
„Das Gericht bestätigt, dass ein fehlerhafter Angiografiebefund zu einer vermeidbaren Amputation führte, da bei korrekter Diagnose eine Erweiterungsplastik möglich gewesen wäre. Trotz der schweren Unfallverletzungen wurde der behandelnden Klinik eine Mitschuld zugesprochen, da der Arm bei richtiger Behandlung eventuell hätte erhalten werden können. Das Urteil zeigt, dass auch bei schweren Vorschädigungen Behandlungsfehler zu einer Haftung führen können, selbst wenn der erhaltene Körperteil nur eingeschränkt funktionsfähig gewesen wäre.“
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sind, können Sie auch dann Ansprüche geltend machen, wenn Sie bereits vorher verletzt waren. Selbst wenn Ihr Körperteil durch einen Unfall stark geschädigt war, muss das Krankenhaus für zusätzliche Schäden durch fehlerhafte Behandlung haften. Das Gericht berücksichtigt dabei, wie sich Ihre Situation ohne den Behandlungsfehler entwickelt hätte. Im konkreten Fall wurde ein Schmerzensgeld von 12.000 € zugesprochen, obwohl der Arm auch bei korrekter Behandlung stark eingeschränkt gewesen wäre. Zudem können Sie sich die Erstattung weiterer Schäden für die Zukunft zusichern lassen.
Benötigen Sie Hilfe?
Verzweifelt nach einem Behandlungsfehler?
Ein Behandlungsfehler kann schwerwiegende Folgen haben, besonders wenn er zu einer vermeidbaren Amputation führt. Auch wenn Sie bereits durch einen Unfall vorbelastet waren, haben Sie Anspruch auf Gerechtigkeit und Entschädigung.
Wir setzen uns für Ihre Rechte ein und helfen Ihnen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei prüfen wir sorgfältig, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und welche Ansprüche Ihnen zustehen. Gemeinsam erarbeiten wir eine Strategie, um Ihre Interessen bestmöglich zu vertreten und Ihnen die Entschädigung zu sichern, die Ihnen zusteht.
Sprechen Sie uns an und schildern Sie uns Ihren Fall. Wir stehen Ihnen mit unserer Expertise zur Seite und unterstützen Sie auf Ihrem Weg zurück zu mehr Lebensqualität.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gilt eine fehlerhafte Diagnose rechtlich als Behandlungsfehler?
Eine fehlerhafte Diagnose gilt nicht automatisch als Behandlungsfehler. Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Bauchschmerzen zum Arzt. Selbst wenn sich die erste Diagnose später als falsch herausstellt, bedeutet dies nicht zwangsläufig einen Behandlungsfehler.
Voraussetzungen für einen Diagnosefehler
Ein rechtlich relevanter Diagnosefehler liegt nur dann vor, wenn die Diagnose aus fachlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint. Dies ist der Fall, wenn:
- Der Arzt eindeutige Krankheitssymptome übersieht
- Offensichtliche alternative Diagnosen nicht in Betracht gezogen werden
- Grundlegende Untersuchungen unterlassen werden
Unterscheidung zwischen Diagnoseirrtum und Behandlungsfehler
Ein vertretbarer Diagnoseirrtum liegt vor, wenn der Arzt trotz sorgfältiger Untersuchung und Bewertung aller Befunde zu einer falschen Diagnose kommt. Die Gerichte berücksichtigen dabei, dass Krankheitssymptome oft mehrdeutig sein können und sich bei verschiedenen Patienten unterschiedlich zeigen.
Ein haftungsrelevanter Diagnosefehler entsteht erst, wenn die falsche Diagnose auf einer unvertretbaren Fehleinschätzung beruht. Wenn beispielsweise ein Arzt einen offensichtlichen Knochenbruch auf einem Röntgenbild übersieht, kann dies als Behandlungsfehler gewertet werden.
Bedeutung der ärztlichen Sorgfaltspflicht
Die rechtliche Bewertung orientiert sich an der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Der Arzt muss:
- Alle verfügbaren und notwendigen Untersuchungsmethoden nutzen
- Die Befunde nach aktuellem medizinischem Standard auswerten
- Bei unklaren Symptomen weitere Untersuchungen veranlassen
Ein Diagnosefehler wird dann zum Behandlungsfehler, wenn der Arzt gegen diese Sorgfaltspflichten verstößt. Wenn etwa bei anhaltenden starken Kopfschmerzen keine weiterführende Diagnostik erfolgt, obwohl dies medizinisch geboten wäre, kann dies einen Behandlungsfehler darstellen.
Welche Beweise benötigt ein Patient, um einen Diagnosefehler nachzuweisen?
Grundsätzliche Beweislast
Als Patient müssen Sie drei zentrale Elemente nachweisen: den Diagnosefehler selbst, einen daraus entstandenen gesundheitlichen Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden.
Erforderliche Beweismittel
Der Nachweis eines Diagnosefehlers erfordert einen Strengbeweis vor Gericht. Dafür kommen folgende Beweismittel in Betracht:
- Die vollständige Behandlungsdokumentation des Arztes
- Ein medizinisches Sachverständigengutachten
- Zeugenaussagen von medizinischem Personal
- Bildmaterial wie Röntgenaufnahmen oder MRT-Bilder
Beweiserleichterungen
In bestimmten Situationen greifen wichtige Beweiserleichterungen zu Ihren Gunsten:
Bei einem groben Diagnosefehler kehrt sich die Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang um. Der Arzt muss dann beweisen, dass der Fehler nicht zu Ihrem Schaden geführt hat.
Bei Dokumentationsmängeln wird zu Ihren Gunsten vermutet, dass nicht dokumentierte Maßnahmen auch nicht durchgeführt wurden. Dies gilt insbesondere für:
- Fehlende Befundberichte
- Unvollständige Behandlungsprotokolle
- Lückenhafte Aufklärungsdokumentation
Abgrenzung und Bewertung
Ein Diagnosefehler liegt vor, wenn der Arzt vorhandene Befunde falsch interpretiert hat. Nicht jeder Diagnoseirrtum ist jedoch automatisch ein Behandlungsfehler. Ein haftungsrelevanter Fehler liegt erst vor, wenn die Diagnose aus fachlicher Sicht nicht mehr nachvollziehbar war.
Bei einem fundamentalen Diagnoseirrtum, der als grober Behandlungsfehler einzustufen ist, müssen Sie als Patient nur noch den Fehler selbst und den eingetretenen Schaden beweisen. Die Beweislast für den fehlenden Ursachenzusammenhang trägt dann der Arzt.
Wenn Sie einen Diagnosefehler vermuten, sollten Sie zunächst ein Gedächtnisprotokoll über den Behandlungsverlauf erstellen und sich Ihre vollständige Patientenakte aushändigen lassen.
Welche Fristen müssen Patienten bei der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Diagnosefehler beachten?
Bei Diagnosefehler gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Diese Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und Sie von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt haben.
Beginn der Verjährungsfrist
Der Fristbeginn setzt voraus, dass Sie als Patient:
- Den Schaden erkannt haben
- Von der Person des Schädigers wissen
- Die Umstände kennen, die den Behandlungsfehler begründen
Eine bloße Vermutung oder die Kenntnis vom negativen Behandlungsverlauf reicht für den Fristbeginn nicht aus. Die Verjährung beginnt erst, wenn Sie mit hinreichender Sicherheit von einem Behandlungsfehler ausgehen können, etwa durch ein medizinisches Gutachten.
Besondere Verjährungsfristen
Unabhängig von Ihrer Kenntnis gilt bei Gesundheitsschäden eine absolute Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem schädigenden Ereignis. Diese Höchstfrist läuft auch dann, wenn Sie vom Schaden noch keine Kenntnis haben.
Hemmung der Verjährung
Die Verjährung kann durch bestimmte Ereignisse gehemmt werden. Eine Hemmung tritt ein bei:
- Verhandlungen zwischen Ihnen und dem Arzt
- Einleitung eines Schlichtungsverfahrens
- Einreichung einer Klage
Während der Hemmung läuft die Verjährungsfrist nicht weiter. Nach Ende der Hemmung läuft die restliche Frist weiter.
Praktische Beispiele
Wenn bei Ihnen im Dezember 2024 eine Fehldiagnose gestellt wird, deren Folgen Sie erst im April 2025 bemerken, beginnt die Verjährungsfrist am 31.12.2025 und endet am 31.12.2028.
Bei einem Diagnosefehler während einer Operation im Jahr 2023, dessen Folgen sich erst 2024 zeigen, beginnt die Frist mit Kenntnis der Folgen am 31.12.2024 und endet am 31.12.2027.
Wie wird die Höhe des Schmerzensgeldes bei Diagnosefehler bestimmt?
Die Höhe des Schmerzensgeldes bei einem Diagnosefehler wird individuell nach den Umständen des Einzelfalls bemessen. Ein schwerwiegender Diagnosefehler allein genügt nicht für einen Anspruch – der Patient muss nachweisen, dass der Krankheitsverlauf bei richtiger Diagnose weniger schwerwiegend ausgefallen wäre.
Hauptkriterien für die Bemessung
Die Lebensbeeinträchtigung steht bei der Bewertung im Vordergrund. Dabei werden folgende Faktoren berücksichtigt:
- Schwere und Ausmaß der Verletzung
- Intensität und Dauer der Schmerzen
- Dauer der Behandlung und stationärer Aufenthalte
- Notwendige Operationen
- Dauerhafte Beeinträchtigungen
Weitere Einflussfaktoren
Das Alter des Patienten und seine persönlichen Lebensumstände fließen in die Bewertung ein. Auch die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und mögliche soziale Beeinträchtigungen wie Auswirkungen auf Partnerschaft oder Familie werden berücksichtigt.
Besonderheiten bei Diagnosefehler
Bei einem Diagnosefehler ist besonders relevant, ob dieser zu einer nicht mehr vertretbaren Fehlleistung des Arztes führte. Die Rechtsprechung ist hier zurückhaltend – nicht jeder Diagnoseirrtum führt automatisch zu einem Schmerzensgeldanspruch. Erst wenn die Diagnose eindeutige Symptome verkennt oder gravierende Befunde übersieht, kann ein Anspruch entstehen.
Die konkrete Höhe wird durch das Gericht nach einer Gesamtbetrachtung aller Umstände festgelegt. Eine mathematische Formel zur Berechnung gibt es nicht. Stattdessen orientieren sich die Gerichte an vergleichbaren Fällen aus der Rechtsprechung.
Welche Rolle spielt der Sachverständige bei der Beurteilung von Diagnosefehler?
Der medizinische Sachverständige nimmt eine zentrale Position bei der Beurteilung von Diagnosefehler ein, da Richter in der Regel nicht über das erforderliche medizinische Fachwissen verfügen. Seine Hauptaufgabe besteht darin, anhand der Krankenunterlagen und gegebenenfalls einer Untersuchung des Patienten festzustellen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt.
Aufgaben und Pflichten des Sachverständigen
Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung prüfen, ob die Behandlung dem zum Zeitpunkt der Behandlung allgemein anerkannten fachlichen Standard entsprach. Dabei untersucht er:
- Die Einhaltung medizinischer Standards und Leitlinien
- Die Angemessenheit der durchgeführten Diagnostik
- Die Nachvollziehbarkeit der ärztlichen Entscheidungen
Anforderungen an das Gutachten
Ein medizinisches Sachverständigengutachten muss wissenschaftlich fundiert und nachvollziehbar sein. Der Sachverständige muss darlegen:
- Von welchen Anknüpfungstatsachen er ausgeht
- Welche Befragungen und Untersuchungen er vorgenommen hat
- Welche Befunde er erhoben hat
Bedeutung für die rechtliche Bewertung
Stellen Sie sich vor, ein Arzt interpretiert ein Röntgenbild falsch. Der Sachverständige muss dann beurteilen, ob diese Fehlinterpretation noch im Rahmen des Vertretbaren lag oder ob sie als Behandlungsfehler zu werten ist. Das Gericht ist dabei nicht an die Einschätzung des Sachverständigen gebunden, sondern muss dessen Ausführungen kritisch hinterfragen.
Bei einem besonders schwerwiegenden Diagnosefehler kann es zu einer Beweislastumkehr kommen. In diesem Fall muss nicht der Patient, sondern der Arzt beweisen, dass der Gesundheitsschaden nicht auf dem Diagnosefehler beruht.
Unabhängigkeit und Neutralität
Der gerichtlich bestellte Sachverständige nimmt eine neutrale Position ein und ist weder dem Arzt noch dem Patienten verpflichtet. Seine Aufgabe ist es, eine objektive und unparteiische Bewertung des medizinischen Sachverhalts vorzunehmen.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Behandlungsfehler
Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn ein Arzt oder medizinisches Personal bei der Behandlung eines Patienten von den anerkannten medizinischen Standards abweicht und dadurch eine Schädigung des Patienten verursacht. Dies ist in § 630a BGB geregelt. Behandlungsfehler können bei der Diagnose, Therapie oder Nachsorge auftreten. Beispiele sind das Übersehen wichtiger Befunde, falsche Medikamentierung oder mangelhafte Aufklärung. Ein klassischer Fall ist das Zurücklassen von OP-Besteck im Körper des Patienten.
Diagnosefehler
Ein Diagnosefehler ist eine Form des Behandlungsfehlers, bei dem Ärzte krankheitsrelevante Symptome oder Befunde falsch interpretieren oder übersehen. Gemäß § 630h BGB muss die Diagnosestellung den medizinischen Standards entsprechen. Der Arzt muss alle nach dem medizinischen Standard gebotenen Befunderhebungen durchführen und diese korrekt auswerten. Ein Beispiel ist das Übersehen einer Krebserkrankung trotz eindeutiger Warnsignale in Röntgenaufnahmen.
Beweislast
Die Beweislast beschreibt, welche Partei in einem Rechtsstreit bestimmte Tatsachen nachweisen muss. Im Arzthaftungsrecht muss grundsätzlich der Patient den Behandlungsfehler und den dadurch entstandenen Schaden beweisen (§ 630h BGB). Bei grober Fahrlässigkeit oder Dokumentationsmängeln kann es zu einer Beweislastumkehr kommen. Der Patient muss dann beispielsweise nur den Schaden nachweisen, während der Arzt beweisen muss, dass er fehlerfrei gehandelt hat.
Sorgfaltspflicht
Die ärztliche Sorgfaltspflicht beschreibt den Maßstab für das erforderliche ärztliche Handeln nach § 630a BGB. Ärzte müssen die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards durchführen. Dies umfasst die Anamnese, Diagnose, Aufklärung, Therapie und Dokumentation. Ein Verstoß liegt vor, wenn beispielsweise notwendige Untersuchungen unterlassen oder Behandlungsstandards missachtet werden.
Facharztstandard
Der Facharztstandard bezeichnet das Niveau der medizinischen Versorgung, das von einem durchschnittlich qualifizierten Facharzt des jeweiligen Fachgebiets erwartet werden kann. Dieser Standard ist nach § 630a BGB bei jeder Behandlung einzuhalten, auch wenn sie von einem Nicht-Facharzt durchgeführt wird. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein Assistenzarzt die gleiche Qualität wie ein Facharzt gewährleisten muss, gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines Facharztes.
Schadensersatzanspruch
Ein Schadensersatzanspruch ist das Recht, einen erlittenen Schaden vom Verursacher ersetzt zu bekommen. Im Arzthaftungsrecht basiert dies auf §§ 280, 823 BGB. Er umfasst materielle Schäden (z.B. Behandlungskosten, Verdienstausfall) und immaterielle Schäden (Schmerzensgeld). Voraussetzungen sind ein Behandlungsfehler, ein Schaden und die Kausalität zwischen beiden. Bei einem falsch amputierten Bein wären dies beispielsweise Kosten für Prothesen, Verdienstausfall und Schmerzensgeld.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 823 Absatz 1 BGB: Dieser Paragraph regelt die Schadensersatzpflicht bei unerlaubten Handlungen. Er besagt, dass derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. Im vorliegenden Fall wird die Beklagte möglicherweise wegen einer fehlerhaften medizinischen Behandlung, die zur Amputation führte, schadensersatzpflichtig gemacht.
- § 630a BGB: Diese Vorschrift behandelt die ärztliche Behandlung und die Pflichten des Arztes gegenüber dem Patienten. Sie verpflichtet den Arzt zur sorgfältigen Diagnostik und Behandlung sowie zur Aufklärungspflicht. Im aktuellen Fall wird die Beklagte als behandelnde Ärztin angeklagt, möglicherweise ihre Sorgfaltspflichten bei der medizinischen Versorgung der Klägerin verletzt zu haben, was zur Amputation des Arms führte.
- § 253 Absatz 2 BGB: Dieser Paragraph ermöglicht die Geltendmachung von Schmerzensgeld für immaterielle Schäden wie körperliche Schmerzen und seelische Belastungen. Schmerzensgeld soll den erlittenen körperlichen und psychischen Schmerz ausgleichen. Die Klägerin fordert aufgrund der Amputation und der damit verbundenen Schmerzen eine angemessene Entschädigung in Form von Schmerzensgeld.
- § 249 BGB: Diese Vorschrift regelt den Umfang des Schadensersatzes und besagt, dass der Geschädigte so gestellt werden soll, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Dazu gehört die Wiederherstellung des vorherigen Zustands oder der Ersatz des entstandenen Schadens. Im Urteil wird die Beklagte zur Zahlung eines bestimmten Betrages verurteilt, um den materiellen Schaden der Klägerin zu decken.
- § 540 ZPO: Dieser Paragraph erlaubt die gerichtliche Feststellung von Rechten. Ein Feststellungsurteil kann ergehen, wenn die Rechtssache selbst keinen materiellen Anspruch oder eine andere Leistung begründet. Im vorliegenden Fall hat das Gericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, weitere materielle und immaterielle Schäden der Klägerin zu ersetzen, was eine klare rechtliche Stellungnahme zu den zukünftigen Verpflichtungen der Beklagten darstellt.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 12 U 139/23 – Urteil vom 16.05.2024
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