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Wurzelspitzenresektion – Fehlpositionierung des Lippenbändchens  – Schadenersatz

LG Köln – Az.: 3 O 425/15 – Urteil vom 28.11.2017

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 500,– EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2015 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin sämtliche materiellen Schäden, die aus der Fehlpositionierung des Lippenbändchens der Klägerin im Zuge der Wurzelspitzenresektion vom 12.06.2012 resultieren, zu ersetzen hat, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die 1962 geborene Klägerin – Künstlerin –  nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen, wegen angeblich fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.

Die Klägerin ließ sich ab Anfang des Jahres 2012 bei ihrem Hauszahnarzt im Oberkiefer prothetisch neu versorgen. Nachdem im Zuge dieser Behandlung im Frühjahr desselben Jahres Beschwerden im Frontzahnbereich aufgetreten waren, suchte die Klägerin den Beklagten zur Beratung auf. Der Beklagte empfahl im Beratungsgespräch vom 08.06.2012 eine Wurzelspitzenresektion des Zahns 11, deren Durchführung am 12.06.2012 durch die in seiner Praxis angestellte Oralchirurgin Dr. N erfolgte, wobei der entstandene Knochendefekt mit Knochenersatzmaterial aufgefüllt wurde.

Die Klägerin wirft dem Beklagten und der bei ihm angestellten Ärztin Behandlungsfehler vor, für letztere habe der Beklagte ebenfalls einzustehen. Von vornherein habe eine Indikation zur Wurzelspitzenresektion nicht bestanden, weshalb sie sich dem unangenehmen und schmerzbehafteten Eingriff vollständig unnötig ausgesetzt habe. Insbesondere habe der in der Praxis des Beklagten vermutete entzündliche Prozess an der Wurzelspitze des Zahns 11 gar nicht existiert. Hätte der Beklagte nicht die präoperativ gebotene Bildgebung versäumt, hätte er das Fehlen jeglicher Indikation zur Wurzelspitzenresektion zwanglos selbst feststellen können. Sei vor diesem Hintergrund mit der Durchführung der Wurzelspitzenresektion schon völlig unnötig ein Knochendefekt geschaffen worden, so komme noch hinzu dass dieser – ebenfalls unnötig – mit Knochenersatzmaterial versorgt worden sei. Zusätzlich sei diese überflüssige Augmentation dann auch noch multipel fehlerhaft ausgeführt worden. Zum einen sei zu viel Augmentationsmaterial verwendet worden, weshalb sich an ihrem Oberkiefer eine „Beule“ gebildet habe, dies verbunden mit der Notwendigkeit, dass das überschüssige Augmentat wieder abgetragen werden müsse. Weil auch die gebotene postoperative Bildgebung versäumt worden sei, habe man die überschießende Augmentation zunächst nicht bemerkt. Zusätzlich sei auch noch bovines Augmentationsmaterial verwendet worden, obschon sie ausdrücklich erklärt habe, nur mit einer Verwendung synthetischen Knochenersatzmaterials einverstanden zu sein. Über die mit der Verwendung tierischen Augmentationsmaterials verbundenen besonderen Risiken sei sie zu keiner Zeit aufgeklärt worden. Als ob dies alles noch nicht genüge, habe die bei dem Beklagten angestellte Operateurin das Lippenbändchen in die eigentliche Operationsnarbe mit hineinvernäht und ihr zusätzlich mit dem überhitzten G riff eines Ultraschallgeräts die Lippe verbrannt, was zu einer Narbenbildung geführt habe. Zudem leide sie seit dem misslungenen Eingriff an Nervschmerzen.

Die Klägerin beantragt,

1)  den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe 4.000 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2015 zu zahlen;

2)  den Beklagten weiter zu verurteilen, an sie die ihr außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 887,03 EUR zu bezahlen;

3)  festzustellen, dass der Beklagte ihr sämtliche materiellen Schäden, die aus der Behandlung seit 2012 entstanden seien, zu ersetzen habe, soweit diese nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger, übergegangen seien.

Der Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Die der Klägerin zuteil gewordene Behandlung habe zu jeder Zeit dem Facharztstandard entsprochen. Insbesondere sei die Wurzelspitzenresektion angesichts der endodontischen Vorbehandlung des Zahns 11 indiziert gewesen. Ebenso geboten gewesen sei die – im Übrigen kunstgerecht durchgeführte – Augmentation, zumal in seiner Praxis – entgegen den Behauptungen der Klägerin – sehr wohl synthetisches Knochenersatzmaterial eingesetzt worden sei. Weder sei das Lippenbändchen eingenäht worden, noch habe die Operateurin die Oberlippe der Klägerin verbrannt; die dort befindliche kleine Narbe stamme am ehesten von einem Herpes. Zu von der Klägerin behaupteten Schmerzen erklärt er sich mit Nichtwissen, jedenfalls sei deren Verursachung durch die Wurzelspitzenresektion nicht erkennbar.

Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher und mündlicher Sachverständigengutachten. Zum Beweisergebnis wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X vom 02.11.2016 ebenso verwiesen wie auf die Sitzungsniederschrift vom 07.11.2017.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat nur in geringem Umfang Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 500,– EUR gemäß §§ 280 Abs. 1 BGB.

Die Schadensersatzverpflichtung besteht, nachdem der bei dem Beklagten angestellte Oralchirurgin Dr. N – geringfügige – Behandlungsfehler zur Last fallen, für die der Beklagte gemäß § 278 BGB eintrittspflichtig ist.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es bei der in der Praxis des Beklagten durchgeführten Wurzelspitzenresektion zu einer Fehlpositionierung des Lippenbändchens der Klägerin gekommen ist. Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X hat insofern ausgeführt, dass das Lippenbändchen nunmehr etwas rechts der Mitte stehe, was seine Ursache in einer nicht völlig ordnungsgemäßen Wundnaht habe. Die nicht mittige Positionierung des Lippenbändchens erweise sich für manche – besonders empfindliche – Patienten als lästig. Schmerzen verursache dieser Umstand allerdings nicht.

Die vorstehend wiedergegebenen gutachterlichen Feststellungen konnte die Kammer ihre Entscheidung uneingeschränkt zu Grunde legen.

Hierbei hat sie zunächst berücksichtigt, dass die fachliche Kompetenz des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X – langjähriger Chefarzt in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie eines Bundeswehrkrankenhauses – unter keinem Gesichtspunkt in Zweifel gezogen werden kann. Der Sachverständige ist ein umfassend erfahrener Gerichtsgutachter, den die Kammer regelmäßig beauftragt und der seine Feststellungen nachvollziehbar und überzeugend zu begründen vermochte. Die Grundlagen seiner Erkenntnisse, insbesondere die von ihm eingesehenen vollständigen ärztlichen Behandlungsunterlagen, die Ergebnisse bildgebender Verfahren und die von ihm selbst durchgeführte Untersuchung der Klägerin hat er durchgängig kenntlich gemacht. Hierbei hat er im Einzelnen verdeutlicht, aus welchem Grund die vorhandenen Anknüpfungstatsachen zu den gefundenen Ergebnissen geführt haben. Mängel der Begutachtung sind hiernach unter keinem Aspekt erkennbar, so dass sich das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen in vollem Umfang anschließt.

Bei der konkreten Bemessung des der Klägerin zuzusprechenden Schmerzensgeldes hat die Kammer einen Betrag in Höhe von 500,– EUR als zum Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen notwendig, aber auch angemessen und ausreichend erachtet.

Hierbei hat sie als schmerzensgelderhöhende Faktoren die optische Beeinträchtigung bewertet, die allerdings äußerst geringfügig ist, weil der Lippenbändchenversatz optisch nur wahrnehmbar ist, wenn die Klägerin – wie auf zahlreichen zur Akte gereichten Fotos geschehen – ihre Oberlippe mit den Fingern nach außen klappt. Zusätzlich war zu berücksichtigen der Umstand, dass der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X die Fehlpositionierung als „lästig“  – wenngleich einer einfachen Korrektur zugänglich – bezeichnet hat.

Der von der Klägerin für angemessen erachtete Schmerzensgeldbetrag von mindestens 4.000 EUR erweist sich demgegenüber als überhöht. Denn das Gericht hatte die Bemessung des Schmerzensgeldes alleine an den Folgen der fehlerhaften Vernähung des Lippenbändchens zu orientieren. Nicht hingegen konnten – anders als die Klägerin meint – zusätzliche Aspekte in die Zumessung des Schmerzensgeldes einbezogen werden. Denn die Beweisaufnahme hat – über das nicht mittig positionierte Lippenbändchen hinaus – Fehler bei der ärztlichen Behandlung der Klägerin in der Praxis des Beklagten nicht ergeben.

Im Gegenteil hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X  ausgeführt, zunächst einmal sei ein Behandlungsfehler nicht feststellbar, soweit die Klägerin bemängele, aus Anlass der ärztlichen Behandlung in der Praxis des Beklagten von der Behandlerin Dr. N mit dem überhitzten Griff eines Ultraschallgerät verbrannt worden zu sein. Denn die auf der Lippe der Klägerin erkennbare kleine Narbe lasse keinesfalls den zwingenden Rückschluss auf eine Brandwunde zu. Im Gegenteil kämen für die Entstehung der Narbe zahlreiche Ursachen in Betracht. Vorstellbar sei ohne weiteres ein infektiöses Geschehen; am wahrscheinlichsten beruhe die kleine Narbe auf einer Bissverletzung, die aufgrund der Betäubung in der Behandlung nicht bemerkt worden sei.

Dies erscheint der Kammer überzeugend, auch in Ansehung des Umstands, dass die Klägerin zum Beweis der Tatsache, dass sie während der Behandlung in der Praxis des Beklagten an der Lippe verbrannt worden sei, die zeugenschaftliche Vernehmung ihrer seinerzeitigen Begleitperson beantragt hat. Denn dieses Beweisangebot ist nach dem Dafürhalten des Gerichts nicht geeignet, zu einer weitergehenden Klärung der Ursächlichkeit der Narbenbildung beizutragen. Dass die Begleitperson bekunden können soll,  die Klägerin habe vor der Behandlung keine Verletzung an der Lippe aufgewiesen habe, im Anschluss daran aber wohl, ist nämlich nicht geeignet, die von dem Sachverständigen als wahrscheinlichste Ursache der Narbe angenommene intraoperative Bissverletzung zu widerlegen.

Wurzelspitzenresektion - Fehlpositionierung des Lippenbändchens  - Schadenersatz
(Symbolfoto: Von Zhuravleva Katia/Shutterstock.com)

Auch – so der Sachverständige weiter – erweise sich der von der Klägerin erhobene Vorwurf einer indikationslos durchgeführten Wurzelspitzenresektion als vollkommen haltlos.

Im Gegenteil sei die Wurzelspitzenresektion mit Blick auf den Umstand, dass Zahn 11 endodontisch vorbehandelt gewesen sei, nicht nur sinnvoll, sondern im Sinne eines Frontzahnerhalts sogar absolut – nicht etwa nur relativ – indiziert gewesen. Hätte man nämlich den Zahn unbehandelt gelassen, so hätte der Klägerin eine Abszessbildung gedroht, die ihrerseits einen Zahnverlust wahrscheinlich gemacht hätte.

Ohnehin zeige der weitere Verlauf, dass der von der Klägerin bemängelte Eingriff in jeder Hinsicht erfolgreich verlaufen sei, denn der Zahn sei nach wie vor vorhanden. In Ansehung dieser Umstände verfange auch der von der Klägerin erhobene Vorwurf nicht, in der Praxis des Beklagten sei versäumt worden, die Indikation zur Wurzelspitzenresektion durch präoperative Bildgebung zu überprüfen,  schon weil – wie dargelegt – der Eingriff fraglos geboten gewesen sei. Ohnehin hätten, um dem Facharztstandard zu genügen, vor der Wurzelspitzenresektion weitere bildgebende Befunde schon deshalb nicht erhoben werden müssen, weil anderenorts zeitnah Röntgenbilder angefertigt worden seien, die vorgelegen hätten.

Ein Behandlungsfehler lasse sich – anders als die Klägerin meine –  ebenfalls nicht  feststellen mit Blick auf das Auffüllen der durch die Wurzelspitzenresektion entstandenen Knochenkavität mit Knochenersatzmaterial. Zwar entspräche es derzeit noch nicht der Leitlinie, das Knochenfach nach einer Wurzelspitzenresektion zwingend mit Knochenersatzmaterial aufzufüllen. Einen Fehler begründende das – sonach überobligatorische – Augmentieren indes nicht, zumal viele Behandler mit Knochenersatzmaterial arbeiteten, um eine zügige Durchbauung des Knochens zu erreichen.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang bemängele, die bei dem Beklagten angestellte Operateurin habe bovines – und kein synthetisches – Knochenersatzmaterial verwendet, stelle sich eine etwaige Einbringung tierischen Augmentats jedenfalls nicht als nachteilig für die Klägerin dar und begründe somit ebenfalls keinen Verstoß gegen den Facharztstandard.

Zusätzlich könne – so der Sachverständige – nicht festgestellt werden, dass es aus Anlass des Auffüllens des Knochenfachs zu einer „Überaugmentation“ gekommen sei. Soweit sich im Oberkiefer der Klägerin tatsächlich eine leichte Vorwölbung auf Höhe des Zahns 11 zeige, spreche keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich bei dieser Vorwölbung um fehlerhaft eingebrachtes Augmentat handele. Im Gegenteil sei ohne weiteres vorstellbar und ebenso gut möglich, dass es sich um einen Narbenbildung im Zuge des individuellen Heilungsprozesses handele, die keinerlei Rückschluss auf eine nicht dem Facharztstandard entsprechende Behandlung ermögliche. Über das Risiko einer Narbenbildung mit – etwa – persistierenden Beschwerden sei die Klägerin indes – was sie auch nicht in Abrede stellt – aufgeklärt worden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sei auch nicht davon auszugehen, dass in der Praxis des Beklagten versäumt worden sei, nach Beendigung der Wurzelspitzenresektion eine Kontrollaufnahme anzufertigen, um einer möglichen Überaugmentation auf den Grund zu gehen. Diese sei nämlich nur unterblieben, weil die Klägerin der Behandlerin Dr. N gegenüber – wie sie auch selbst einräumt – angegeben habe, möglicherweise schwanger zu sein, was eine Röntgenaufnahme als ohne weiteres verzichtbar erscheinen lasse.

Ohnehin hätte ein postoperatives Röntgenbild – wie der Sachverständige weiter dargelegt hat – allerdings den ausschließlichen Zweck gehabt, die Resektion der Wurzel – die im hier betroffenen Frontzahnbereich allerdings auch ohne Kontrollaufnahme gut wahrnehmbar sei und mit Blick auf deren ordnungsgemäße Resektion auch Zweifel nicht bestünden – zu überprüfen und nicht – wie die Klägerin meint – die Menge des eingebrachten Knochenersatzmaterials zu beurteilen, was eine Röntgenaufnahme, weil sie nur zweidimensional sei, auch gar nicht erkennen lasse.

Die Kammer folgt auch insoweit den sorgfältig erarbeiteten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X.

Der von der Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 11.01.2016 (gemeint offensichtlich 11.01.2017) beantragten Einholung eines neuen Gutachtens bedurfte es nicht.

Die Voraussetzungen des §§ 412 Abs. 1 ZPO, unter denen das Gericht eine neue Begutachtung anzuordnen hat, sind nicht erfüllt. Nach dieser Gesetzesbestimmung kommt eine weitere Begutachtung nur in Betracht, soweit das Gericht ein Sachverständigengutachten für ungenügend erachtet. Dies ist – wie ausgeführt – nicht der Fall. Überdies hat sich der Sachverständige mit allen von der Klägerin erhobenen Einwendungen ausführlich auseinandergesetzt. Umstände, aufgrund derer die gewissenhaft begründeten Schlussfolgerungen des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen sein sollten, trägt die Klägerin nicht vor.

Zweifel am Gutachtensergebnis bestehen insbesondere nicht mit Blick auf den Umstand, dass die Kammer dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung des nachbehandelnden Arztes und des von der Gutachterkommission bestellten Sachverständigen – letzteres beantragt mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 20.11.2017, der eine Widereröffnung der mündlichen Verhandlung indes nicht fordert – nicht nachgekommen ist. Denn eine unzureichende oder unvollständige Beurteilungsgrundlage für den Sachverständigen ergibt sich hierdurch nicht. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist vielmehr anerkannt, dass der Nachbehandler ebenso wie ein Privatsachverständiger kein geeigneter Zeuge für die Beurteilung der Behandlungsfehlerhaftigkeit einer ärztlichen Maßnahme ist, schon weil ihm im Regelfall die hierfür erforderliche Neutralität fehlt. Die Bewertung der Behandlungsfehlerhaftigkeit obliegt vielmehr allein dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen, dem die von den Nachbehandlern oder Privatgutachtern wahrgenommenen Tatsachen – wie auch im hiesigen Fall geschehen – durch deren Behandlungsdokumentation vermittelt werden.

Kann sonach nicht von einer fehlerhaften Heilbehandlung ausgegangen werden, so ist auch das von der Klägerin angeführte Aufklärungsverschulden – der Beklagte habe sie nicht über die mit der Verwendung bovinen Augmentationsmaterials verbundenen besonderen Gefahren im Vergleich zu denjenigen Risiken, die bei einer Augmentation mit synthetischem Material auftreten könnten, informiert – nicht geeignet, eine Haftung zu begründen. Denn auf mögliche Behandlungsalternativen muss der Arzt nur dann hinweisen, wenn zwischen ihnen Unterschiede von Gewicht bestehen. Hingegen muss der Behandler seinem Patienten nicht erläutern, welche Behandlungsmethoden – neben der angewandten – theoretisch noch in Betracht kommen könnten, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard entspricht.

Ausgehend von diesen Grundsätzen war eine weitergehende Aufklärung der Klägerin über die Vorzüge und Nachteile tierischen oder aber synthetischen Knochenersatzmaterials nicht veranlasst. Denn der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X hat ausgeführt, dass die Verwendung bovinen Knochenersatzmaterials gegenüber der Verwendung synthetischen Augmentats nicht in höherem Maße risikobehaftet sei. In beiden Fällen bestehe vielmehr ein – gleich hohes – Entzündungsrisiko, dass sich indes nicht verwirklicht habe.

Zinsen auf das sonach mit 500,– EUR zureichend bewertete Schmerzensgeld schuldet der Beklagte gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB aufgrund der unter dem 03.11.2015 ausgesprochenen Mahnung aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Insbesondere besteht das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weil ohne einen Feststellungsausspruch eine Verjährung künftiger Ersatzansprüche der Klägerin droht.

Begründet ist der Feststellungsantrag allerdings nur insoweit die Fehlpositionierung des Lippenbändchens betroffen ist. Ausschließlich insoweit liegt ein – wenn auch nicht schwerwiegender – Behandlungsfehler vor. Die Klägerin wird sich möglicherweise dafür entscheiden, das Lippenbändchen – wie vom Sachverständigen vorgeschlagen – mittels einer kleinen Schleimhautplastik richten zu lassen, was – den Ausführungen des Sachverständigen zufolge – mit einem Kostenaufwand von nicht mehr als 100,– EUR möglich wäre.

Vorprozessuale Rechtsanwaltsgebühren kann die Klägerin als Teil ihres Schadensersatzanspruchs nur aus dem Streitwert verlangen, mit dem sich die Klage letztendlich als begründet erwiesen hat. Ausgehend von einem Streitwert von 600,– EUR (500 EUR + 100 EUR) ergeben sich der Klägerin zuzusprechende Gebühren in Höhe von 147,56 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, weil das Unterliegen des Beklagten mit einem Streitwertanteil von 600,– EUR gemessen am Gesamtstreitwert verhältnismäßig geringfügig ist und keine besonderen Kosten veranlasst hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 1 ZPO.

Der Streitwert wird – entsprechend den Angaben in der Klageschrift – auf 10.000 EUR (4.000 EUR + 6.000 EUR) festgesetzt.

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