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Zahnarzt – Aufklärungspflicht bezüglich Behandlungsalternativen bei prothetischer Zahnbehandlung

LG Frankfurt (Oder) – Az.: 11 O 309/11 – Urteil vom 01.12.2019

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. Juni 2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche diese aus der fehlerhaften Behandlung entstanden sind und noch entstehen werden, soweit sie Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 700,32 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.11.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 20 % und die Beklagte 80 %.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung in Anspruch aus einer zahnärztlichen Behandlung. Die Klägerin war seit 2001 bei der Beklagten in zahnärztlicher Behandlung. Im Jahr 2006 ergab eine Röntgenaufnahme, dass die Kronen der Zähne 13 und 23 für ein Teleskop, welches die Klägerin trug, nicht mehr geeignet war. Geplant war die Anfertigung einer teleskopierenden Brücke über fünf verbleibende Frontzähne, welche ohne Gaumenplatte oder Bügel hergestellt werden sollten. Am 08.03.2007 wurde der Zahn 21 gezogen. Vom 03.04.2007 bis 08.05.2007 wurden die Zähne abgeschliffen. Es folgten Abdrücke, Abmessungen und Anprobungen. Am 08.05.2007 wurde die teleskopierende Brücke eingesetzt. Nach sehr kurzer Tragezeit entstanden starke Entzündungen am Zahnfleisch der Klägerin im Bereich der Zähne 11 bis 13. Auch im Bereich der Zähne 22 und 23 war das Zahnfleisch betroffen. Im Mai 2008 kam es zu einer Vereiterung des Zahnes 13, der gezogen werden musste. Einige Monate später brach der Zahn 12, danach im Juli 2009 der Zahn 11. Am 27. Dezember 2009 brach dann Zahn 22 ab. Es waren mehrere Unterfütterungen und Nacharbeiten erforderlich, das Teleskop ist nun auf Zahn 23 befestigt. Aber dieser Zahn musste schließlich auch am 27.05.2011 aufgrund starker Lockerungen und Entzündungen gezogen werden. Eine komplette Revision der Behandlung ist erforderlich.

Die Klägerin behauptet, die zahnärztliche Behandlung durch die Beklagte sei fehlerhaft gewesen. Die Klägerin hätte über Alternativbehandlungen aufgeklärt werden müssen. Diese wäre gewesen, bei Zahn 14 bzw. 24 unter Durchführung eines Sinusliftes ein Implantat zu setzen, um im Seitenzahngebiet noch einen weiteren Stützpfeiler zu haben. Wäre eine solche Behandlung vorgenommen worden, wäre nicht soviel Zahnsubstanz verloren gegangen und die Entzündung in einem solch erheblichen Ausmaß, Parodontose und weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen wären vermieden worden. Weil bei der Klägerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung eine Parodontitis marginalis chronica vorgelegen habe, sei konsekutiv vor der Versorgung mit teleskopierendem Zahnersatz eine Parodontalbehandlung durchzuführen gewesen. Da im Frontzahnbereich Regio 11 und dem wurzelkanalbehandelten Zahn 21 schon sehr tiefe Knochentaschen vorgelegen hätten, wäre zunächst eine offene Kürrettage indiziert gewesen. Sowohl der Zahn 13 als auch der Zahn 23 hätten eine apikale Veränderung, sodass zuvor eine endodontische Behandlung dieser beiden Zähne hätte erfolgen müssen. Das Gleiche gelte für Zahn 12. Es wäre notwendig gewesen, erst eine Parodontalbehandlung und parallel dazu eine endodontische Behandlung durchzuführen. Im Unterkiefer sei die parodontale Behandlung in Form einer geschlossenen Kürrettage indiziert gewesen, Zahn 38 hätte entfernt werden müssen. Erst hiernach hätte eine teleskopierende Versorgung angestrebt werden dürfen. Außerdem hätte die vorhandene Zyste behandelt werden müssen.

Es sei behandlungsfehlerhaft, dass zur Vorbereitung der prothetischen Arbeiten keine Einzelaufnahmen von Zähnen zur genauen Begutachtung gemacht worden seien. Deshalb sei die Zyste im Oberkiefer rechts nicht entdeckt und konsekutiv nicht behandelt worden. Der Zustand der Zähne und des Unterkiefers seien nicht durch Röntgenbefunde abgeklärt und daher falsch eingeschätzt worden.

Es sei behandlungsfehlerhaft, dass die Brücke von Zahn 44, 45 auf 48 zu großspannig erfolgt sei. Der Zahn 44 weise radiologisch nur eine buccale Füllung auf, sodass es sinnvoll gewesen wäre, bei 46 und 47 jeweils ein Implantat mit Einzelkronen zu setzen. Zahn 48 hätte man mit einer einzelnen Krone versorgen können. Die Statik der Teleskope sei nicht gründlich durchdacht gewesen, die Höhe sei nicht sorgfältig eingestellt, sodass die Okklusion nicht stimme. Der Bruch der Zähne sowie die großflächigen Entzündungen gingen kausal auf die oben genannten Behandlungsfehler zurück. Die Klägerin habe während des gesamten Zeitraums unter erheblichen Schmerzen und nach Eingliederung auch unter Beiß- und Kauproblemen gelitten. Als Dauerschaden sei der Verlust von fünf Zähnen zu beklagen, die fehlerhafte Behandlung habe die Klägerin sehr mitgenommen, sie leide unter Schlafstörungen und depressiven Episoden. Eine Schleimhautentzündung im Oberkiefer habe sich im Juli 2007 entwickelt und sei erst im Juli 2011 nach Extraktion des letzten Zahnes abgeheilt, sodass die Klägerin allein aufgrund dieser Entzündung vier Jahre unter persistierenden Schmerzen gelitten habe. Bei der Extraktion des stark vereiterten Zahnes 13 im Mai 2008 sowie des entzündeten Zahnes 11 im August 2009 habe die Klägerin sehr starke Schmerzen aushalten müssen, die auch mit mehrmaligem Nachspritzen von Analgetika nicht zu unterdrücken gewesen seien. Die Extraktionen hätten außerdem sehr lange gedauert. Die Extraktion der Wurzeln in Regio 12 und 22 in 09/2008 bzw. 01/2010 sowie die Entfernung des Zahnes 23 im Mai 2011 sei außerdem mit nicht unerheblichen Schmerzen verbunden gewesen.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 15.000,00 €, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. Juni 2011.

2.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 700,23 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe mehrfach erklärt, zurzeit keine Implantatversorgung zu wollen. Die Behandlung sei lege artis gewesen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 08.08.2012 (Bl. 71 ff. d. Akte) durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das zahnärztliche Gutachten der Dr. … vom 21.05.2013 (Bd. II, Bl. 205 ff. d. Akte) Bezug genommen. Das Gericht hat die Sachverständige außerdem mündlich angehört. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21. Januar 2014 (Bl. 266 d. Akte) Bezug genommen.

Die Sachverständige hat außerdem ihr Gutachten gemäß Beschluss vom 13.02.2014 (Bd. II, Bl. 280 d. Akte) ergänzt. Deshalb wird auf die schriftlichen Ausführungen der Sachverständigen vom 31.03.2014 (Bd. II, Bl. 296 ff. d. Akte) Bezug genommen.

Das Gericht hat dann weiter Beweis erhoben durch Beweisbeschluss vom 19.09.2014 (Bd. II, Bl. 326 d. Akte) zu den streitgegenständlichen Behandlungsfehlervorwürfen durch ein Obergutachten gemäß § 412 ZPO.

Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Dr. … vom 22. Dezember 2015 (Bd. III, Bl. 401 ff. d. Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im austenorierten Umfang begründet. Der Klägerin steht aus der fehlerhaften Behandlung der Beklagten ein Schmerzensgeld und ein Feststellungsanspruch aus §§ 611, 280 Abs. 1, 253 Abs. 2, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB zu. Im Ergebnis der durchgeführten umfangreichen Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Behandlung der Klägerin durch die Beklagte behandlungsfehlerhaft war. Die Sachverständige Dr. …kommt zu dem Ergebnis, dass es an vielen Stellen über die Aufklärung an einer Alternativbehandlung fehle. Eine solche sei nirgends dokumentiert gewesen. Vor der prothetischen Versorgung sei es unbedingt erforderlich gewesen sowohl eine Parodontalbehandlung als auch eine endodontische Behandlung durchzuführen. Zur Vorbereitung der prothetischen Arbeiten hätten Einzelaufnahmen von Zähnen angefertigt werden müssen. Zumal hätte die Statik der Teleskope anders ausgelegt werden sollen. Der Verlust der fünf Zähne habe teilweise seine Ursache in der unzureichenden Ausgestaltung der Teleskoparbeit, andererseits könne der Verlust der Zähne auch durch die regelmäßige Verabreichung von CHKM-Fäden gefördert worden sein. Hinsichtlich der Zirkonoxidbrücke sei alternativ eine Versorgung mit Implantaten denkbar gewesen, hier sei jedoch ein Behandlungsfehler wegen der laut Karteikarteneintrag erfolgten Aufklärung nicht erkennbar gewesen.

Das so befundene Ergebnis hat die Sachverständige gegen Angriffe der Beklagten im Termin am 21.01.2014 (Bd. II, Bl. 266 ff. d. Akte) verteidigt. Es wird auf Bl. 266 ff. d. Akte Bezug genommen. Wegen der weiteren Beantwortung der Fragen der Beklagten wird auf das Zusatzgutachten Bd. II, Bl. 296 ff. d. Akte Bezug genommen. Wegen der anhaltenden Beanstandungen der Beklagten die Sachverständige Dr. … betreffend hat das Gericht auf Antrag der Beklagten ein weiteres Sachverständigengutachten gemäß § 412 ZPO eingeholt und den Sachverständigen Dr. … bestellt. Dieser bestätigt eine fehlerhafte Vorbehandlung mit ungenügender Röntgendiagnostik und Parodontaldiagnostik sowie daraus wahrscheinlich entstandene parodontale Therapienotwendigkeiten. Die Dokumentation über Behandlungsalternativen sei nicht ausreichend gewesen und die Therapie der Schmerzen habe nicht zur dauerhafter Schmerzfreiheit geführt. Zwar stelle die Zahnersatzplanung eine vertretbare Therapiemöglichkeit dar, sei jedoch nicht durch die notwendige Diagnostik in Form von Einzelröntgenbildern und paradontaler Diagnostik untermauert worden.

Zahnarzt - Aufklärungspflicht bezüglich Behandlungsalternativen bei prothetischer Zahnbehandlung
(Symbolfoto: Von wutzkohphoto/Shutterstock.com)

Das Gericht schließt sich den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der beiden Sachverständigen an. Die Ausführungen der beiden gerichtlich bestellten Sachverständigen stehen außerdem auch im Wesentlichen im Einklang mit dem von der Klägerin eingereichten Gutachten des Dr. … (vgl. hier Bl. 14 ff. d. Akte).

Die Häufung der von den Gutachtern aufgezählten Behandlungsfehler führt im Ergebnis dazu, dass ein grober Behandlungsfehler anzunehmen ist. Folglich werden die von der Klägerin vorgetragenen Leiden als Folge der Behandlungsfehler vermutet. Es fehlt an einer Aufklärung über Alternativbehandlungen. Diese ließen sich in den vorgelegten Dokumentationen nicht feststellen. Es fehlt an einer endodontischen Behandlung und einer Paradontalbehandlung vor der prothetischen Versorgung.

Die Planung der Versorgung war mangelhaft. Einzelaufnahmen von Zähnen hätten zur Vorbereitung der prothetischen Arbeiten angefertigt werden müssen. Die Statik der Teleskope war falsch.

Infolge dieser Behandlungen hat die Klägerin mehrere Zähne verloren und schmerzhafte Anschlussbehandlungen über sich ergehen lassen müssen.

Bei der Höhe des Schmerzensgeldes hat das Gericht berücksichtigt, dass die Behandlung über einen langen Zeitraum andauert und die zahnärztliche Behandlung, so das Ziehen von Zähnen und anschließende Entzündungen äußerst schmerzhaft sind. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes hat das Gericht außerdem das Verhalten der Beklagten berücksichtigt, die auch nach Vorlage von insgesamt drei Sachverständigengutachten keine Einsicht gezeigt hat. Dies führte letztlich auch zu der langen Verfahrensdauer. Der Feststellungsantrag ist gleichfalls begründet, die zahnärztliche Behandlung der Klägerin ist noch nicht endgültig abgeschlossen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 709 ZPO.

Streitwert: 25.000,00 €

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