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Zurücklassen einer OP-Nadel im Bauchraum – Schmerzensgeldanspruch

OLG Stuttgart – Az.: 1 U 145/17 – Urteil vom 20.12.2018

I. Auf die Berufung der Beklagten Ziff. 1 wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 25.10.2017, Az. 6 O 302/15, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 EUR Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2015 zu zahlen.

2. Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin 169,25 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2015 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte Ziff. 1 verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die darauf zurückzuführen sind, dass bei der Operation vom 18.03.2014 eine Nadel im Bauchraum der Klägerin verblieben ist, materielle Schäden soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

4. Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin 1.957,55 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten Ziff. 1 sowie die Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

III. 1. Die erstinstanzlichen Kosten werden wie folgt verteilt:

a) Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin selbst 75%‚ die Beklagte Ziff. 1 25 %.

b) Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten Ziff. 1 tragen die Beklagte Ziff. 1 und die Klägerin je zur Hälfe.

c) Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten Ziff. 2 trägt die Klägerin.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 27.669,25 EUR

Gründe

A.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer urologischen Operation geltend.

I.

Bei der am 27.01.1988 geborenen Klägerin wurde am 18.03.2014 im von der Beklagten Ziff. 1 getragenen laparoskopisch eine Pyelonplastik wegen Nierenbeckenabgangsstenose rechts sowie eine Nierensteinentfernung durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass es sich nicht um feste Nierensteine handelte. Es entleerte sich unmittelbar nach Eröffnung des Nierenbeckens sog. Steinsludge (Steingrieß) aus dem Nierenbecken. Postoperativ hatte die Klägerin zunächst Fieberschübe und im weiteren Verlauf abdominale Schmerzen.

Spätestens am 15.04.2014 fiel anlässlich eines CTs auf, dass eine 1,9 cm lange, gerade Nadel mit der Stärke 4,0 im Körper zurückgeblieben war. Hierüber wurde die Klägerin am 14.05.2014 informiert.

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts und des streitigen Vorbringens wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

II.

Das Landgericht hat die Klage gegen den Beklagten Ziff. 2 abgewiesen. Die Beklagte Ziff. 1 hat es * unter Klagabweisung im Übrigen wegen Belassens der Nadel im Bauchraum zur Zahlung von 13.000,00 EUR Schmerzensgeld, 169,25 EUR Fahrt- und Telefonkosten sowie 2.094,40 EUR vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt. Ferner hat es – bezüglich der belassenen Nadel – die Feststellung der Ersatzpflicht für alle weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden ausgesprochen. Nicht der Verlust, wohl aber das Zurücklassen der Nadel sei dem voll beherrschbaren Risikobereich des Arztes zuzuweisen. Die Beklagte Ziff. 1 habe nicht bewiesen, dass insoweit die gebotene Sorgfalt eingehalten worden sei. Im Übrigen seien keine Behandlungsfehler festzustellen. Eine Aufklärungshaftung scheide jedenfalls deshalb aus, weil die Klägerin einen plausiblen Entscheidungskonflikt nicht habe darlegen können.

Gegen das Urteil haben sowohl die Klägerin (beschränkt auf die Klage gegen die Beklagte Ziff. 1) als auch die Beklagte Ziff. 1 Berufung eingelegt.

III.

Die Klägerin macht geltend, das Landgericht habe zu Unrecht lediglich einen einfachen Behandlungsfehler angenommen. Richtigerweise sei das Versäumnis als grober Behandlungsfehler zu werten, da bei nur ca. vier verwendeten Nadeln ein Blick des Operateurs oder eines anderen Mitglieds des Operationsteams ausreiche, um die Vollständigkeit zu überprüfen. Bereits die vom Landgericht selbst gewählte Formulierung, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Fehlen der Nadel nicht aufgefallen sei, weise in die Richtung eines groben Behandlungsfehlers. Außerdem setze sich das Landgericht nicht mit dem Umstand auseinander, dass man die Klägerin erst verspätet über den Verbleib der Nadel aufgeklärt habe. Zumindest in der Gesamtschau sei daher ein grober Behandlungsfehler anzunehmen. Mit Blick hierauf sei aber ein höheres Schmerzensgeld gerechtfertigt, weil eine Beweislastumkehr dafür eingreife, dass die postoperativen Schmerzen auf die Nadel zurückgingen. Ebenfalls schmerzensgelderhöhend sei zu berücksichtigen, dass möglicherweise noch eine Operation anstehe. Die Klägerin habe sich nicht auf den Feststellungsantrag verweisen lassen müssen. Auch das Verschweigen des Fehlers durch die Ärzte wirke sich schmerzensgelderhöhend aus.

Das Urteil setze sich nicht damit auseinander, ob präoperativ die Zusammensetzung der Steinmasse hätte geklärt werden müssen. Bei einer entsprechenden Abklärung hätten möglicherweise Vorkehrungen dagegen getroffen werden können, dass sich der Sludge ergieße.

Soweit es ihr günstig ist, verteidigt die Klägerin das landgerichtliche Urteil.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ulm vom 25.10.2017, 6 O 302/15 wie folgt zu erkennen:

1. Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen konkrete Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte Ziff. 1 verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen Schäden und den weiteren nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus der Behandlung vom 13.02.2014 bis zum 04.06.2014 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

3. Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin weitere 496,83 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagte Ziff. 1 beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen sowie unter Abänderung des am 25.10.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Ulm, Az.: 6 O 302/15 die Klage gegen die Beklagte Ziff. 1 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten Ziff. 1 zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, wenn man das Geschehen dem voll beherrschbaren Bereich zuordne, habe das Landgericht einen zu strengen Maßstab an den Nachweis korrekten Vorgehens und fehlenden Verschuldens gestellt. Nach der Sachverständigen stelle eine unterbliebene Zählkontrolle keinen Behandlungsfehler dar, zumal gemäß einer Umfrage im Jahr 2012 lediglich 53 % eine solche durchgeführt hätten und auch eine Zählkontrolle keine absolute Sicherheit biete, wie sich daran zeige, dass gleichwohl immer wieder Fremdkörper zurückblieben. Eine regelhafte Röntgenkontrolle sei nicht zu fordern. Ausweislich den Eintragungen im Operationsbericht habe eine Instrumentenkontrolle tatsächlich stattgefunden. Die Einlassung des Beklagten Ziff. 2 im Termin, man hätte die Nadel finden „müssen“, sei nicht als Eingeständnis eines Fehlers zu werten.

Im Übrigen sei ein Schmerzensgeld von 13.00000 EUR überhöht. Eine auf das Belassen der Nadel zurückzuführende „dauerhafte und extreme psychische Belastung“ sei nicht bewiesen. Dasselbe gelte für die Frage, ob und inwiefern für den Fall der Schwangerschaft oder bei sportlichen Betätigungen Auswirkungen zu befürchten seien. Ein Zusammenhang mit den Rückenproblemen sei medizinisch schon nicht ersichtlich.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. … Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11.12.2018 (Bl. 374 ff. d.A.) verwiesen.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet (vgl. II.). Die Berufung der Beklagten Ziff. 1 hat nur insoweit Erfolg als das Schmerzensgeld von 13.000,00 EUR auf 10.000,00 EUR zu reduzieren war (vgl. I.).

I.

Die Beklagte Ziff. 1 haftet der Klägerin gem. §§ 280 Abs. 1, 249 ff., 253 BGB wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten aus dem Behandlungsvertrag (§ 630a BGB).

1.

Es ist davon auszugehen, dass das Zurücklassen der 1,9 cm langen Nadel im Bauchraum auf einem schuldhaften Behandlungsfehler beruht. Insoweit kommt der Klägerin eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos (§ 630h Abs. 1 BGB) zu Gute.

a)

Zurücklassen einer OP-Nadel im Bauchraum - Schmerzensgeldanspruch
(Symbolfoto: Nekrasov Eugene/Shutterstock.com)

Voll beherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Sie sind abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus können auch vom besten Arzt nicht immer so beherrscht werden, dass schon der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würden (BGH, Beschl. v. 16.08.2016 – VI ZR 634/15 -, Rn. 6, juris).

Das unbemerkte Zurücklassen eines Fremdkörpers im Operationsgebiet ist dem voll beherrschbaren Bereich der Klinik zuzuordnen (vgl. OLG München, Urt. v. 22.08.2013 – 1 U 3971/12 – GesR 2013, 620 Rn. 43; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Rn. V 339 f.).

b)

Verwirklicht sich ein Risiko, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können und müssen, so muss sie darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden (BGH, Beschl. v. 16.08.2016 – VI ZR 634/15 -‚ Rn. 6, juris); d.h. es kommt zu einer Beweiserleichterung des Patienten betreffend die Ebene der objektiven Fehlverrichtung (Fehlervermutung) und des Verschuldens, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rn. B239).

Die Beklagte Ziff. 1 hat vorliegend nicht dargelegt und bewiesen, dass sie alle gebotenen Maßnahmen zur Vermeidung des Risikos ergriffen hat.

aa)

Ärzte müssen alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen gegen das unbeabsichtigte Zurücklassen eines Fremdkörpers im Operationsgebiet treffen (BGH, Urt. v. 27.01.1981 – VI ZR 138/79 – VersR 1981, 462, Rn, 11, juris). Es gehört zu den chirurgischen Grundprinzipien, sämtliche Instrumente nach einer Operation auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen (OLG Hamm, Urt. v. 19.02.2010 – 26 U 82/09 Rn. 9, juris).

In erster Instanz hat die Sachverständige ausweislich des Sitzungsprotokolls angegeben, wenn der Operateur sich davon überzeugt habe, dass nichts im Operationsgebiet zurückgeblieben sei und die Instrumentierschwester und der Springer auf die Vollständigkeit der Instrumente und Materialien geachtet hätten, sei dies ausreichend. Eine zusätzliche Zählkontrolle vor und nach der Operation sei sinnvoll und werde häufig durchgeführt, sei jedoch nicht zwingend vorgeschrieben (GA S. 8). In der Anhörung vom Senat hat sie dies dahingehend korrigiert, dass zwischen der Zählkontrolle und deren Dokumentation zu unterscheiden sei. Zählen musste man nach dem Facharztstandard schon immer. Das bedeutet, dass die OP-Schwester oder der Springer vor dem Eingriff die Materialien zählt, die zum Einsatz kommen und dann ebenso nach Abschluss des Eingriffs eine Zählkontrolle durch das OP-Personal durchgeführt werden muss, und zwar unabhängig davon, ob die Zählkontrollen dokumentiert werden oder nicht (Senatsprot. S. 5).

Die in erster Instanz protokollierte Aussage der Sachverständigen, wonach es einer Zählkontrolle nicht zwingend bedurfte, dürfte auf einem Missverständnis beruhen. Hierfür spricht, dass die Sachverständige auch schon bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht geäußert hat, die Schwester hätte es mit Sicherheit merken müssen, zumal nicht so viele Nadeln auf dem Tisch gewesen seien (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 4). In jedem Fall ist die Darstellung, dass der Facharztstandard zum Zeitpunkt der Operation im Jahr 2014 Zählkontrollen erforderte, überzeugend.

Für die Richtigkeit spricht auch der Artikel „Postoperative Zählkontrollen sind nicht standardisiert“, der im Deutschen Ärzteblatt 2012, Heft 8, S. A 372 ff. veröffentlicht worden und im Internet kostenfrei abrufbar ist. Mag diese Umfrage nach Art der Durchführung und Umfang der Beteiligung nicht im wissenschaftlichen Sinne valide sein, lassen sich aus ihr gleichwohl Tendenzen entnehmen, die mit der Ansicht der Sachverständigen übereinstimmen. Danach gaben 53 % der an der Umfrage aktiv Teilnehmenden an, „regelhaft prä-, intra- und auch postoperativ“ (also 3 Mal) Zählkontrollen durchzuführen. Vor dem Verschluss von Hohlorganen oder großen Wundhöhlen fanden in 93 % der Abteilungen Zählkontrollen statt, nach dem Peritonealverschluss in 88 % der Abteilungen.

Überdies hat das Aktionsbündnis Patientensicherheit bereits im Jahr 2010 unter dem (ebenfalls im Internet kostenfrei abrufbaren) Titel „Jeder Tupfer zählt!« Handlungsempfehlungen zur Vermeidung unbeabsichtigt belassener Fremdkörper im Operationsgebiet herausgegeben, die sehr detailliert gehalten sind, prä-, intraoperative und postoperative Zählkontrollen (auch für Nadeln) vorsehen und bei deren Entstehung zahlreiche Fachgesellschaften und Berufsverbände unterstützend und fachlich beratend mitgewirkt haben, u.a. auch die Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V. Angesichts des Umstandes, dass diese Handlungsempfehlungen aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert wurden, ist es – wenngleich rechtlich wohl zulässig – befremdlich, dass sich ausgerechnet die … im vorliegenden Prozess auf den Standpunkt stellt, selbst vier Jahre nach Veröffentlichung der Empfehlungen, also im Jahr 2014, noch nicht verpflichtet gewesen zu sein, überhaupt Zählkontrollen (in welcher Häufigkeit und Ausführungsart auch immer) durchzuführen.

bb)

Dass bei der Operation die nach dem Vorstehenden gebotenen Maßnahmen ergriffen wurden, lässt sich nicht feststellen. Die Beklagte Ziff. 1 kann den Nachweis eines standardgerechten Vorgehens nicht führen. Zwar enthält die OP-Pflegedokumentation für den streitgegenständlichen Eingriff den Vermerk „Instrumentenkontrolle: Instrumentenkontrolle vollständig“. Jedoch hat sich dies ersichtlich nicht auf Nadeln bezogen. So hat der Beklagte Ziff. 2 bei seiner Anhörung angegeben, seit dem Vorfall mit der Klägerin würden die Nadeln gezählt, zuvor sei dies nicht der Fall gewesen (LG-Prot. v. 06.04.2016 S. 5). Dementsprechend haben die Beklagten auch keinen konkreten Vortrag dazu gehalten, wer, wie kontrolliert haben will und erst recht wurde kein Beweis dafür angetreten.

Hält man sich vor Augen, dass bei großen operativen Eingriffen nach den Handlungsempfehlungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (dort S. 16) mehr als 60 Nadeln zum Einsatz kommen und vorliegend auch nach der Sachverständigen angesichts der laparoskopischen Vorgehensweise nur wenige Nadeln erforderlich waren (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 2), ist es auch schwer verständlich, wie die Nadel ohne Sorgfaltspflichtverstoß im Körper verbleiben konnte. Nicht zuletzt hat der Beklagte Ziff. 2 eingeräumt, das Team hätte es merken müssen und die Sachverständige hat gemeint, der Schwester hätte es auffallen müssen. Dabei macht es keinen Unterschied, dass vorliegend beim konkreten Operationsschritt drei Nadeln zum Einsatz gekommen sind, während man zumeist mit zwei Nadeln auskommt (Senatsprot. S. 5 f.). Auch die intraoperativen Verhältnisse können das Versäumnis nicht erklären, zumal der Nähvorgang erst begann als die aufwendige Entfernung des Steingrießes bereits abgeschlossen war (Senatsprot. S. 5).

Abschließend sei angemerkt, dass die beklagtenseits herangezogenen Urteile vorliegend nicht einschlägig sind:

Im Fall des OLG Celle – 1 U 36/88, VersR 1990, 50 – war ein 75 cm langer Katheter fragmentiert und 10 cm waren im Körper verblieben. Ein Teil des Katheters wurde mithin aus dem Körper entfernt und konnte bei der Zählkontrolle erfasst werden, Bei einer Länge von 75 cm muss es sich auf den ersten Blick nicht sogleich erschließen, dass 10 cm des Katheters fehlen.

Im Fall OLG Oldenburg – 5 U 168/96, NJW-RR 1997, 1387 – war eine Nadel abgerissen und im Bohrkanal bei einer Kreuzbandersatzplastik steckengeblieben. Der Operateur hat sie dort aufgrund einer bewussten Abwägung der Risiken belassen.

2.

Das unbemerkte Zurücklassen der Nadel hat bei der Klägerin zu einem Schaden geführt.

a)

Der Schaden der Klägerin liegt zunächst darin, dass die Nadel in ihrem Körper (auf dem musculus psoas) verblieben ist, sie mithin einen Fremdkörper in sich trägt.

Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen muss man regelmäßig, in einem Abstand von 6 bis 12 Monaten, kontrollieren, ob die Lage der Nadel gleichgeblieben ist (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 3). Dies geht mit einer entsprechenden Strahlenbelastung einher.

Die Klägerin hat geschildert, wie sie der Verbleib der Nadel im Körper beschäftigt (LG Prot. v. 06.04.2016 S. 3 f.). Anders als früher gehe sie nicht mehr jeden Abend joggen, weil sie nicht wisse, wie sich die Nadel dabei verhalte. Auch habe sie wegen der Ungewissheit einen weiteren Kinderwunsch aufgegeben. Sie habe mehrere Termine bei einem Psychologen gehabt, jedoch festgestellt, dass dies nichts für sie sei und sie vorziehe, das Geschehen zu verdrängen.

Der Senat glaubt der Klägerin. Der Senat ist nicht daran gehindert, sich allein aufgrund ihrer Schilderung die Überzeugung zu verschaffen, dass sie den Fremdkörper im Körper und die damit verbundene Ungewissheit als sehr belastend empfindet (BGH, Beschl. vom 27.09.2017 – XlI ZR 48/17 -‚ NJWRR 2018, 249). Die Klägerin war bei ihrer Anhörung ersichtlich um Wahrheit bemüht, wie sowohl ihre Angaben zur Aufklärung (wollte unbedingt operiert werden) und den Schmerzen (zwischenzeitlich völlig verschwunden) zeigen. Dass die Klägerin sich Sorgen macht, ist – auch für die Sachverständige (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 4) – verständlich. Auch wenn nach ärztlichem Ermessen kein großes Risiko dafür besteht, dass die Nadel wandert und dabei Schäden setzt bzw. entfernt werden muss, gibt es andererseits keine 100 %ige Sicherheit (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 4), weshalb die Sachverständige regelmäßige Lagekontrollen für erforderlich hält (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 3). Die Sachverständige hat zudem angegeben, sie würde aus psychologischen Gründen zu einem Entfernen der Nadel tendieren und – sofern es sich um ihre eigene Tochter handeln würde – anraten, die Nadel entfernen zu lassen (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 3). Diese Einschätzung der Sachverständigen ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie davon ausgeht, dass die Entfernung der Nadel nicht im Wege einer Laparoskopie möglich wäre, es vielmehr hierfür einer offenen Operation bedürfte (LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 3).

Der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens bedarf es nicht. Die Klägerin macht nicht geltend, psychische Probleme mit Krankheitswert zu haben.

b)

Der Entscheidung ist demgegenüber nicht zugrunde zu legen, dass die Nadel zu den Schmerzen beitragen hat, unter denen die Klägerin postoperativ litt hat, heute aber nicht mehr leidet.

aa)

Die Sachverständige hat ausgeführt, nur persistierende Schmerzen könnten (mit-)ursächlich auf die Nadel zurückgeführt werden (GA S. 8, Senatsprot. S. 6). Solche Schmerzen hat die Klägerin aber nicht, sie ist vielmehr zwischenzeitlich beschwerdefrei.

bb)

Es greift auch keine Beweiserleichterung ein. Anders als die Klägerin annimmt, ist nicht von einem groben Behandlungsfehler auszugehen. Zwar kann das Zurücklassen eines Instruments im Einzelfall einen groben Behandlungsfehler darstellen (BGH, Urt. v. 27.01.1981 – VI ZR 138/79 – VersR 1981, 462, Rn. 11, juris). Hiervon ist aber nicht auszugehen. Es kann nicht unterstellt werden, dass die Beklagte Ziff. 1 bzw. deren Personal keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, um sicherzustellen, dass nicht ungewollt Fremdkörper zurückbleiben. So ist den OP-Pflegedokumentationen zu entnehmen, dass eine Instrumentenkontrolle vorgesehen ist, mag diese sich auch (fehlerhaft) nicht auf Nadeln erstreckt haben. Zudem ist die Nadel zwar spitz, aber mit 1,9 cm klein, weshalb dem Verstoß geringeres Gewicht beizumessen ist als dies der Fall wäre, wenn man ein größeres Arbeitsinstrument zurückgelassen hätte.

Auch die Gesamtschau führt nicht zu einer anderen Bewertung. Dass die Klägerin erst über einen Monat später über den Verbleib der Nadel aufgeklärt worden ist, rechtfertigt es nicht, in der Gesamtschau einen groben Behandlungsfehler anzunehmen. Selbst wenn man dieses Vorgehen, anders als die Sachverständige, nicht für verständlich hält, vielmehr hierin eine Pflichtverletzung sieht, war für die behandelnden Ärzte klar, dass der Klägerin hiermit keine Therapieoptionen genommen werden. Man hätte keinesfalls die Nadel schon 1-2 Monate nach der Operation entfernt, weil es sich um ein entzündliches Gebiet gehandelt hat. Zudem hätte man zunächst abgewartet, ob die Nierenoperation Erfolg hatte oder diese ohnehin wiederholt werden muss (vgl. LG-Prot. v. 17.05.2017 S. 4). Im Ergebnis hatte daher eine etwaige in der verspäteten Information liegende Pflichtverletzung keinerlei Folgen.

c)

Durch die Nadel (mit-)verursachte Rückenschmerzen hat das Landgericht – anders als die Beklagte Ziff. 1 annimmt – nicht berücksichtigt und solche stehen auch nicht im Raum.

3.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Vorstehenden, erscheint dem Senat vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 EUR angemessen, aber auch ausreichend. Daher war das angefochtene Urteil auf die Berufung der Beklagten Ziff. 1 insoweit abzuändern und die auf ein höheres Schmerzensgeld gerichtete Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

a)

Ebenso wie in der Entscheidung des Landgerichts ist dabei lediglich die (psychisch belastende) Ungewissheit über die Erforderlichkeit einer Operation zur Nadelentfernung berücksichtigt, nicht aber die Operation selbst. Ob diese tatsächlich zur Ausführung kommt, ist nicht abzuschätzen. Wegen der mit einer Operation verbundenen Risiken raten die behandelnden Ärzte derzeit von einer Nadelentfernung ab und die Klägerin beabsichtigt (derzeit) auch nicht, die Nadel entfernen zu lassen.

b)

Bei der Schmerzensgeldbemessung war es nicht als erhöhender Faktor anzusehen, dass die Beklagte Ziff. 1 der Klägerin mehrere Wochen den Verbleib der Nadel verschwiegen hat. Das Verschweigen mag zwar rechtlich zu beanstanden sein, hatte aber für die Klägerin keine nachteiligen Folgen, sondern schenkte ihr sogar noch einen „unbeschwerten“ Monat.

c)

Soweit die Beklagte Ziff. 1 annimmt, vorliegend sei ein Schmerzensgeld überhaupt nicht geschuldet, und auf die bereits zitierten Entscheidungen des OLG Oldenburg sowie des OLG Celle verweist, ist anzumerken, dass es auf den jeweiligen Fall ankommt. Vorliegend ist ein Schmerzensgeld schon alleine wegen der zumindest jährlichen Kontrollen geboten. Hinzu kommen die persönlichen Beeinträchtigungen durch die Ungewissheit.

4.

Die Höhe der materiellen Schäden (Fahrtkosten 144,25 EUR; Telefonkosten 25,00 EUR, Rechtsanwaltskosten) steht zwischen den Parteien nicht im Streit, allerdings sind die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus den berechtigten Forderungen in Höhe von 13.919,25 EUR (10.000,00 EUR Schmerzensgeld + 169,25 EUR + 3.750,00 EUR begründeter Feststellungsantrag) zu errechnen. Sie belaufen sich auf 1.957,55 EUR.

5.

Die begehrte Feststellung der Schadensersatzpflicht war bereits wegen der Möglichkeit einer künftigen Entfernung der Nadel auszusprechen.

II.

Die Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg. Weitergehende Ansprüche stehen ihr nicht zu.

1.

Das Landgericht hat (zutreffend) eine Haftung wegen fehlerhafter Aufklärung abgelehnt. Dies hat die Klägerin (zu Recht) mit ihrem Berufungsvorbringen nicht in Frage gestellt und ist daher nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

2.

Auf Behandlungsfehlerebene rügt die Klägerin (abgesehen von der Nadelproblematik) nur noch die präoperative Diagnostik deshalb als unzureichend, weit man nicht bereits vor Durchführung der Operation festgestellt hat, dass es sich nicht um Nierensteine, sondern um Steingrieß handelt (vgl. Senatsprot. S. 2). Insoweit ist aber ein Behandlungsfehler nicht gegeben (vgl. a)) und ein etwaiger Fehler hätte auch nicht zu einem Schaden geführt (vgl. b)).

a)

Die bei der Klägerin im Vorfeld der Operation bei der Beklagten bzw. teilweise auch bei anderen Ärzten durchgeführte Diagnostik (Ausscheidungsprogramm, Nierenfunktionsszintigraphie, CT, Ultraschall) war ausreichend. Weiterer Untersuchungen bedurfte es nicht (Senatsprot. S. 3 f.).

b)

Selbst wenn der Beklagte Ziff. 2 gewusst hätte, dass man intraoperativ Steingrieß antreffen wird, hätte dies am Behandlungsregime und am Verlauf der Operation nichts geändert. Die Klägerin hätte dennoch operiert werden müssen und zwar in genau derselben Weise wie dies erfolgt ist (Senatsprot. S. 4), d.h. man hätte weder verhindern können, dass sich intraoperativ nach der Eröffnung des Nierenbeckens Steinsludge entleert, noch hätte man für bessere Operationsbedingungen sorgen können.

3.

Damit bleibt als einziger Behandlungsfehler das unbemerkte Zurücklassen der Nadel. Wegen der hieraus resultierenden Ansprüche wird auf die obigen Ausführungen (vgl. I.) verwiesen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 543 Abs. 2 ZPO), bestehen nicht.

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