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Aufklärungsversäumnisse eines Arztes – Kausalität für eingetretene Beeinträchtigungen

LG Paderborn – Az.: 4 O 365/17 – Urteil vom 11.03.2019

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten aufgrund behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung vom … in Anspruch.

Der Beklagte arbeitete in der Vergangenheit mit dem Hausarzt des Klägers Herrn G, gegen den das Verfahren abgetrennt worden ist, zunächst im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis zusammen. Zum Zeitpunkt der streitigen Behandlung erfolgte die Zusammenarbeit im Rahmen einer Praxisgemeinschaft, die bis zum 31.03.2017 geführt wurde.

Am … suchte der Kläger wegen starker Rückenschmerzen die Praxis seines Hausarztes G auf, wo ihm mitgeteilt wurde, dass dieser ihn urlaubsbedingt nicht behandeln könne und durch den Beklagten vertreten werde. Im Rahmen der Anamnese teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er aufgrund einer Beinvenenthrombose im Jahr 2013 dauerhaft Marcumar einnehme. Der Beklagte behandelte die Rückenschmerzen des Klägers mit chirotherapeutischen Maßnahmen, deren Umfang und Stärke zwischen den Parteien streitig ist.

Nach dieser Behandlung stellte sich der Kläger etwa 2 Stunden später erneut beim Beklagten vor, weil er zunehmend stärkere Schmerzen verspürte. Der Beklagte überwies ihn umgehend zur weiteren Abklärung der Beschwerden in das B in I.

Im Rahmen der weiteren ärztlichen Behandlung des Klägers – vom Beklagten mit Nichtwissen bestritten – wurde dieser in der Zeit vom 19.10.2015 bis zum 21.10.2015 dort behandelt und  nach Durchführung von CT- und MRT-Untersuchungen wegen des Verdacht auf ein epiduales Hämatom in die Neurochirugie in das B verlegt. Nach erneuten CT- und MRT-Untersuchungen wurde dort die Diagnose eines subduralen, spinalen Hämatoms in Höhe BWK 3 und 4 gestellt und der Kläger am 23.10.2015 in die Uniklinik H verlegt, wo am 25.10.2015 eine Hemilaminektomie und Hämatomevakution erfolgte. Wegen nachfolgend aufgetretener Komplikationen erfolgten u.a. Lumbalpunktionen, der Kläger wurde intensivmedizinisch betreut. Am 2./3.11.2015 erfolgte bei eingetretener inkompletter Querschnittslähmung eine Verlegung des Klägers in das Querschnittszentrum I.

Aufklärungsversäumnisse eines Arztes - Kausalität für eingetretene Beeinträchtigungen
(Symbolfoto: Von Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 17.03.2017 forderte der Kläger den Beklagten wegen eines behaupteten Behandlungsfehlers erfolglos zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz unter Anerkennung der Haftung dem Grunde nach auf. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten lehnte dies nachfolgend mit Schreiben vom 24.03.2017 ab.

Der Kläger hat der B und der B den Streit verkündet, Letztere ist dem Rechtsstreit auf Klägerseite beigetreten.

Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte ihn sowohl fehlerhaft behandelt als auch unzureichend aufgeklärt habe.

Im Hinblick auf die Behandlung behauptet der Kläger, dass er sich bäuchlings auf die Liege habe legen müssen und der Beklagte sich sodann mit seinem vollen Gewicht von schätzungsweise 150 kg auf den Rücken des Klägers nahe der Wirbelsäule gestützt und dabei eine zu hohe Kraft entfaltet habe. Über mögliche bestehende Risiken dieser chirotherapeutischen Maßnahme sei er zudem nicht aufgeklärt worden, insbesondere vor dem Hintergrund der reduzierten Blutgerinnung aufgrund seiner Marcumar-Einnahme. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er sich in einem Entscheidungskonflikt befunden, so dass keine wirksame Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erfolgt sei.

Der Kläger behauptet weiter, dass infolge der chirotherapeutischen Maßnahme trotz kurzeitiger Besserung der Beschwerden nachfolgend zunehmende Schmerzen im Rückenbereich sowie ein plötzlich auftretender Hörverlust auf dem rechten Ohr eingetreten seien. Im Rahmen der sich anschließenden stationären Behandlung sei festgestellt worden, dass bei ihm im Bereich BWK 3 und 4 ein subdurales Hämatom vorliege, das nachfolgend operativ entfernt worden sei. Dabei sei es zu Komplikationen gekommen, die weitere Operationen erfordert hätten. In deren Folge sei er bis heute inkomplett querschnittsgelähmt. Er sei auf einen Rollator bzw. ein Gehstock angewiesen. Zudem leide er in den Beinen und im Unterkörper unter Gefühlsstörungen sowie unter einer Blasenentleerungsstörung und einer erektilen Funktionsstörung. Aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen erlebe er auch schwere depressive Episoden. Vor diesem Hintergrund sei ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 300.000 EUR angemessen.

Zudem ist der Kläger der Ansicht, der Beklagte sei ihm auch zum Ersatz eines Haushaltsführungsschadens verpflichtet. Dazu behauptet der Kläger mit näheren Ausführungen, dass ihm für den Zeitraum vom 20.10.2015 bis zum 05.07.2017 insgesamt ein Haushaltsführungsschaden i.H.v. 28.480,00 EUR entstanden sei. Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigungen sei er zu keiner Haushaltstätigkeit mehr in der Lage gewesen, während er zuvor im familiären 4-Personen-Haushalt etwa 32 Stunden pro Woche im Haushalt tätig gewesen sei.

Darüber hinaus macht der Kläger ausgehend von seinem monatlichen Durchschnittsgehalt unter Berücksichtigung gezahlten Krankengeldes einen Verdienstausfall in Höhe von insgesamt 6.984,40 EUR für den genannten Zeitraum geltend, da er behandlungsfehlerbedingt nicht habe arbeiten können. Daneben begehrt er Ersatz weiteren materiellen Schadens i.H.v. 955,44 EUR an Fahrtkosten und 200 EUR an Übernachtungskosten für seine Ehefrau anlässlich erfolgter Krankenbesuche. Darüber hinaus macht der Kläger die Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden geltend, da aufgrund der komplexen Beeinträchtigungen weitere Schäden, unter anderem in Form von Folgeeingriffen, nicht ausgeschlossen seien. Im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist er der Ansicht, die Ansetzung einer Geschäftsgebühr i.H.v. 2,0 sei angemessen. Zur Geltendmachung der bereits erstatteten Rechtsanwaltskosten sei er von seiner Rechtsschutzversicherung im eigenen Namen ermächtigt worden.

Der Kläger beantragt,

1.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch i.H.v. 300.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2017,

2.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn 36.619,84 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.12.2017 zu zahlen,

3.  festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren auch zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche diesem aus der fehlerhaften Behandlung vom 19.10.2015 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden,

4.  den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 6.242,74 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2017 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Streithelferin des Klägers hat keinen Antrag gestellt.

Der Beklagte ist der Auffassung, die chirotherapeutische Behandlung habe er lege artis durchgeführt. Auch könne ihm kein Aufklärungsversäumnis zur Last gelegt werden.

Der Beklagte behauptet, er habe vor dem Hintergrund der vom Kläger geschilderten Schmerzen durch Abtasten bei ihm eine Hypomobilität des rechten Ileosakralgelenkes mit einer Dorsalkippung der rechten Beckenschaufel diagnostiziert. Daraufhin habe er dem Kläger in Linksseitenlage auf einer Chirotherapieliege einen sanften Impuls im Bereich der Brustwirbelsäule gesetzt, um die Blockade zu lösen. Außerdem habe er achtsam eine Traktion im cervikothorakalen Bereich vorgenommen, um auch dort eine festgestellte Blockade zu lösen. Im Bereich der Halswirbelsäule habe er keine Maßnahmen durchgeführt Nach der Behandlung waren die Beschwerden des Klägers unstreitig deutlich gebessert.

Im Zusammenhang mit den durchgeführten Maßnahmen habe er dem Kläger auch die Vorgehensweise erläutert, ohne die er die Maßnahme jeweils nicht hätte durchführen können. Eine besondere Aufklärungspflicht im Hinblick auf das erhöhte Blutgerinnungsrisiko des Klägers vor dem Hintergrund der Marcumar-Einnahme habe jedoch nicht bestanden. Darüber hinaus beruft sich der Beklagte auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung, da der Kläger sich in den Jahren 2001 und 2009 bei ihm unstreitig bereits erfolgreich chirotherapeutisch hat behandeln lassen.

Der Beklagte hält im Übrigen den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch für übersetzt und bestreitet den materiellen Schaden mit Nichtwissen.

Die Kammer hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen S, das dieser am 11.09.2018 schriftlich erstattet und in der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2019 ergänzend mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 11.09.2018 sowie das Sitzungsprotokoll vom 11.03.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stehen gegenüber dem Beklagten keine Ansprüche gemäß §§ §§ 630a, 630e, 280, 253, 823 BGB auf Zahlung von Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden anlässlich der Behandlung vom 19.10.2015 zu. Dem Kläger ist es nicht gelungen, den Nachweis einer fehlerhaften Behandlung durch den Beklagten zu erbringen (I.). Im Hinblick auf mögliche Aufklärungsfehler (II.) im Zusammenhang mit der chirotherapeutischen Behandlung konnte nicht festgestellt werden, dass diese ursächlich für den eingetretenen Schaden geworden sind (III.).

I.

Die ärztlichen Pflichten sind auf eine Behandlung und Versorgung des Patienten gerichtet, in der Regel mit dem Ziel der Wiederherstellung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität, die den Regeln der ärztlichen Kunst, d.h. mindestens dem im Zeitpunkt der Behandlung geltenden medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets entspricht. Standard ist, was auf dem betreffenden Fachgebiet dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht und in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störung anerkannt ist. Der Arzt muss unter Einsatz der von ihm nach diesem Standard zu fordernden sowie seiner speziellen und darüber hinausgehenden persönlichen medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten im konkreten Fall, d.h. unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der Behandlung, vertretbar über die diagnostisch und therapeutisch zu treffenden Maßnahmen entscheiden und diese sorgfältig durchführen, insbesondere diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften, aufmerksamen Arzt nach dem Standard seines Fachgebiets in dieser Situation erwartet werden dürfen (vgl. Palandt, BGB, § 630a Rdnr. 9, 10; BGH, NJW 2015, 1601; BGH, NJW-RR 2014, 1053).

1.

Gemessen an diesen Grundsätzen vermochte die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme einen Behandlungsfehler nicht festzustellen.

Der Sachverständige S hat sowohl im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens als auch in der mündlichen Verhandlung dazu ausgeführt, dass eine chirotherapeutische Manipulation, so wie sie von den Parteien in der mündlichen Verhandlung weitgehend übereinstimmend geschildert worden ist, grundsätzlich eine geeignete Behandlungsmaßnahme sei, wenn ein Patient sich wegen Rückenschmerzen in Behandlung begibt. Sie sei jedenfalls nicht per se nicht indiziert gewesen. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger dauerhaft marcumarisiert gewesen sei. Dieser Umstand stelle lediglich eine relative Kontraindikation dar und veranlasse eine besonders vorsichtige Vorgehensweise seitens des Behandlers; eine Chirotherapie-Maßnahme sei dadurch allerdings nicht generell unzulässig. Es sei vielmehr eine Frage der Risikoabwägung, ob im konkreten Fall tatsächlich eine chirotherapeutische Manipulation erfolgen solle.

Im Hinblick auf die Durchführung der Behandlung hat der Kläger geschildert, dass der Beklagte mit seinen Händen Druck im Bereich zwischen den Schulterblättern ausgeübt habe, als er sich in Bauchlage auf einer Therapieliege befunden habe. Dabei habe er zunächst einatmen, dann ausatmen und sodann kurzzeitig den Atem anhalten müssen. Danach habe der Beklagte nochmals Druck auf seine Brustwirbelsäule ausgeübt, als er sich nach dessen Anweisung in stabiler Seitenlage auf die  Therapieliege gelegt habe und einatmen, ausatmen und die Luft anhalten musste, bevor der Beklagte mit seinen Händen den Druck auf die Brustwirbelsäule entfaltet habe. Der Beklagte hat darauf verwiesen, dass er den Kläger zunächst im Sitzen untersucht und dabei die obere und untere Brustwirbelsäule bewegt habe. Im Rahmen dieser Untersuchung habe er dann festgestellt, dass für den Kläger das Drehen nach links schmerzhaft gewesen sei, während das Drehen nach rechts frei möglich gewesen sei. Sodann habe er auch noch eine Beckenuntersuchung durch Abtasten durchgeführt, bei der er festgestellt habe, dass das rechte Becken nach hinten gekippt war und eine ISG-Blockierung rechtsseitig vorgelegen habe. Zur weiteren Vorgehensweise hat der Beklagte den Vortrag des Klägers unter näherer Beschreibung der einzelnen Handgriffe im wesentlichen bestätigt und ergänzend darauf hingewiesen, dass er  den Kläger zudem im Bereich der Brustwirbelsäule durch eine cervikothorakale Traktion behandelt habe, die im Sitzen des Klägers erfolgt sei.

Dazu hat der Sachverständige ausgeführt, dass die geschilderte Vorgehensweise grundsätzlich üblich und nicht zu beanstanden sei. Ob allerdings im Rahmen der Durchführung der von den Parteien geschilderten konkreten Maßnahmen, gegebenenfalls ein zu starker Kraftaufwand des Beklagten erfolgt sei und dadurch zu starker Druck auf die Wirbelsäule des Klägers gegeben worden sei, könne retrospektiv mangels objektiver Anhaltspunkte nicht bestimmt werden. Insoweit können – so der Sachverständige weiter – auch die später im Krankenhaus durchgeführten Untersuchungen keinen Rückschluss auf das Maß der Kraftentfaltung bei dieser Behandlung zulassen.

2.

Ob möglicherweise dem Beklagten ein Befunderhebungsfehler unterlaufen ist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, da sich ein etwaiger Befunderhebungsfehler jedenfalls nicht kausal auf das später eingetretene Schadensbild ausgewirkt hat (s.u.).

Bei der Befunderhebung liegt ein Fehler vor, wenn, gfls. auch auf der Grundlage einer angenommenen Diagnose, eine medizinisch gebotene Erhebung unterbleibt. Er ist auch zu bejahen, wenn eine unrichtige Diagnose darauf beruht, dass die nach dem medizinischen Standard gebotene Untersuchung erst gar nicht durchgeführt wurde, also aufgrund unzureichender Untersuchung vorschnell eine Diagnose angenommen wurde, ohne sie durch die medizinisch gebotene Befunderhebung abzuklären (Palandt/ Weidenkaff, BGB, 76. Aufl. 2017, § 630a Rn. 26).

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige dazu zwar ausgeführt, dass aus seiner Sicht eine Überprüfung des Klopfschmerzes der Wirbelsäule sowie ein neurologischer Status durch Abklopfen der Körperteile angezeigt gewesen wäre, um den Ort der Beschwerden näher zu lokalisieren und einen pathologischen neurologischen Zustand ausschließen zu können. Zu welchem Ergebnis derartige Untersuchungen gegebenenfalls gekommen wären, lasse sich heute nicht mehr feststellen. Im Grunde habe der Beklagte jedoch im Rahmen seiner Untersuchung jedenfalls Feststellungen dazu treffen müssen, wo die Beschwerden des Klägers anzusiedeln gewesen sein, da nur dort erfolgreich eine Chirotherapie-Maßnahme angesetzt werden könne. Unstreitig haben die eingesetzten Maßnahmen des Beklagten die beim Kläger bestehenden Blockaden gelöst, so dass dieser nachfolgend Besserung verspürte.

II.

Im Ergebnis geht die Kammer zwar von Aufklärungsversäumnissen des Beklagten im Zusammenhang mit der Behandlung des Klägers aus; diese haben sich allerdings nicht schadenskausal ausgewirkt.

1.

Den behandelnden Arzt trifft die Pflicht, den Patienten über die erkennbar für die Entscheidung des Patienten medizinisch bedeutsamen Umstände aufzuklären, insbesondere über die Diagnose sowie über den Verlauf, die Risiken und Heilungschancen, eventuelle Alternativen und die Dringlichkeit der Behandlung. Die Intensität der Aufklärung richtet sich dabei nach dem Einzelfall, das heißt nach den Wünschen des Patienten, dem, was der Patient in der konkreten Situation objektiv erwartet sowie dem allgemein Erforderlichen, wobei der sachlichen und zeitlichen Notwendigkeit des Eingriffs entscheidende Bedeutung zukommt (Palandt/ Sprau, 73. Aufl. BGB, § 823 Rn. 154 m.w.N.). Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die Zustimmung des Patienten als Einwendung mit ihren Voraussetzungen, insbesondere einer richtig und vollständig erteilten Selbstbestimmungsaufklärung, von der Behandlungsseite zu beweisen ist, ihr also der Beweis sämtlicher Tatsachen obliegt, aus denen sich eine wirksame Einwilligung ergibt (vgl. Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl. 2006, unter C. Rn. 131 m.w.N.). Besteht zwischen den Parteien Streit darüber, was alles zum Umfang der ordnungsgemäßen Aufklärung gehört, ist die Behandlungsseite nicht gehalten, von vornherein jedes erdenkliche Risiko als nicht aufklärungspflichtig auszuscheiden. Es ist in solchen Fällen vielmehr Sache des Patienten vorzutragen, über welches Risiko er aus seiner Sicht noch hätte aufgeklärt werden müssen. Die Beweisbelastung der Behandlungsseite führt dann dazu, dass diese die Behauptung des Patienten zum weitergehenden Umfang der erforderlichen Aufklärung widerlegen oder die Erfüllung der Aufklärungspflicht auch insoweit beweisen muss (Geiß/ Greiner, aaO Rn. 132).

Gemessen an diesen Grundsätzen war der Beklagte zwar gehalten, den Kläger vor Durchführung der chirotherapeutischen Manipulationen an der Wirbelsäule über die generellen Risiken dieser Behandlung aufzuklären, was unstreitig nicht erfolgt ist. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Beklagte den Kläger bereits dreimal in den Jahren 2001 und 2009 chirotherapeutisch im Bereich der Wirbelsäule behandelt hat, geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte auch im konkreten Fall die allgemeinen Risiken akzeptiert hätte. Er hat sich gerade wegen seiner Beschwerden erneut an den Beklagten gewandt. Einen ernsthaften Entscheidungskonflikt hat der Kläger insoweit nicht plausibel gemacht.

2.

Daneben war der Beklagte nach den Ausführungen des Sachverständigen im konkreten Fall auch gehalten, den Kläger darauf hinzuweisen, dass eine Chirotherapie bei ihm eine deutlich risikobehaftetere Behandlungsmaßnahme darstellt als bei einem Patienten, der kein Marcumar einnimmt, da die Gefahr von Einblutungen mit nicht absehbaren Folgen deutlich höher war. Auch insoweit ist unstreitig eine Aufklärung nicht erfolgt.

Im Hinblick auf dieses besondere beim Kläger bestehende Risiko kann sich der Beklagte allerdings nicht auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen. Unstreitig stand der Kläger zum Zeitpunkt der früheren chirotherapeutischen Maßnahmen noch nicht unter der dauerhaften Einnahme von Marcumar, so dass dieses Risiko für ihn nunmehr neu war. Allerdings scheitert insoweit ein Anspruch auch an der fehlenden Kausalität für die später eingetretenen Schädigungen (s.u.).

3.

Die Wahl der Behandlungsmethode ist grundsätzlich primär Sache des Arztes. Er muss dem Patienten daher im allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere Methode spricht, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Wählt der Arzt eine medizinisch indizierte, standardgemäße Behandlungsmethode, bedarf es der Aufklärung über eine anderweitige, gleichfalls medizinisch indizierte, übliche Methode dann nicht, wenn die gewählte standardgemäße Therapie hinsichtlich ihrer Heilungsaussichten einerseits und ihrer Belastungen und Risiken für den Patienten andererseits der Behandlungsalternative gleichwertig oder vorzuziehen ist. Eine Aufklärung kann nur dann erforderlich werden, wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage 2014, C Rn. 22, 23; BGH, Beschl. V.17.12.2013, Az: VI ZR 230/12, zit. N. juris, m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund war der Beklagte nach den Ausführungen des Sachverständigen S auch gehalten, den Kläger wegen des erhöhten Einblutungsrisikos bei einer Chirotherapie über alternative Methoden wie z.B. physikalische Therapie oder Medikamenteneinnahme aufzuklären, was ebenfalls unstreitig nicht erfolgt ist. Aber auch insoweit scheitert ein Anspruch des Klägers an der fehlenden Kausalität (s.u.).

III.

Soweit dem Beklagten danach Aufklärungsversäumnisse zur Last zu legen sind, ist dem Kläger jedoch der Nachweis nicht gelungen, dass die bei ihm eingetretenen Beeinträchtigungen bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht entstanden wären. Soweit der Kläger dazu im Rahmen seiner Anhörung erklärt hat, dass er bei entsprechender Aufklärung die chirotherapeutische Manipulation nicht zugelassen hätte, konnte die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen, dass die im weiteren Verlauf bei ihm eingetretenen Schädigungen in diesem Fall nicht eingetreten wären.

Dazu hat der Sachverständige S im Rahmen seines schriftlichen Gutachten sowie bei seiner Anhörung vor der Kammer ausgeführt, dass nicht sicher feststellbar sei, ob das später festgestellte subdurale Hämatom, durch dessen operative Ausräumung weitere Komplikationen eingetreten sind, die letztlich zu der inkompletten Querschnittslähmung des Klägers geführt haben, ohne die chirotherapeutische Maßnahme nicht entstanden wäre.

Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass bei dem Kläger ein spontanes spinales Hämatom vorgelegen habe, das sehr selten auftrete und bei dem nach der medizinischen Fachliteratur in 43 % aller Fälle eine Ursache nicht festgestellt werden könne. Zu den Patienten, bei denen in der Literatur ein spontanes, spinale Hämatom beschrieben werde, zählten auch Patientengruppe, die mit Marcumar versorgt worden sind bzw. die im Rahmen von Behandlungen Druck im Wirbelsäulenbereich erhalten hatten. Daraus ergebe sich jedenfalls ein Risikofaktor. Dennoch könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die durchgeführte Chirotherapie unter Marcumarisierung zu der Einblutung geführt habe oder ob diese unerkannt und äußerlich nicht erkennbar bereits vorgelegen habe oder ob sie unabhängig von der durchgeführten Chirotherapie überhaupt erst entstanden sei. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auch darauf verwiesen, dass nachfolgende Behandler wiederholte CT- bzw. MRT-Untersuchungen benötigt hätten, bis die Diagnose einer subduralen Einblutung gestellt worden sei. Allerdings gehe er – der Sachverständige – davon aus, dass die chirotherapeutische Maßnahme wahrscheinlich zu einer Verschlechterung des Zustandes geführt habe, wenn bereits zuvor das Hämatom vorgelegen habe. Der Zeitpunkt des Entstehens des spontanen spinalen Hämatoms könne jedoch nicht festgestellt werden; auch retrospektiv gebe es keine medizinischen Untersuchungsmethoden – auch nicht anderer Fachrichtungen – , um diesen Umstand sowie den Kausalitätszusammenhang definitiv aufklären zu können. Allein festgestellt werden könne ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Durchführung der Chirotherapie sowie dem nachfolgenden Auftreten der starken Schmerzen des Klägers.

Vor dem Hintergrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S, denen sich die Kammer vollumfänglich anschließt, hat die Kammer keine Veranlassung gesehen, ein weiteres Gutachten zur Frage der Kausalität zwischen den chirotherapeutischen Maßnahmen und der nachfolgend festgestellten Subduraleinblutung einzuholen. Der Sachverständige hat insoweit auf Nachfrage bestätigt, dass er aufgrund seiner langjährigen medizinischen (Lehr-)Tätigkeit ausreichend sachkundig sei, um auch diese sein Fachgebiet übergreifende Frage abschließend beantworten zu können.

Im Ergebnis war daher die Klage abzuweisen.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 ZPO und § 709 ZPO.

 

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