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Arzthaftung – nicht Erkennung eines akrolentiginösen Melanoms

OLG Köln – Az.: 5 U 58/17 – Urteil vom 13.06.2018

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15.3.2017 – 11 O 439/13 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin, Alleinerbin ihres am 16.6.2014 an einem malignen Melanom verstorbenen Ehemannes und ursprünglichen Klägers (Patient), wirft den Beklagten zu 2 und 3, die in einer allgemeinmedizinischen Gemeinschaftspraxis (Beklagte zu 1) als niedergelassene Ärzte praktizieren und dem Beklagten zu 4, einem niedergelassenen Chirurgen, die fehlerhafte Behandlung des Patienten vor.

Der Patient suchte am 22., 23. und 24.06.2010 die Beklagte zu 2 auf wegen einer seit etwa drei Wochen auf der Fingerkuppe des linken Mittelfingers bestehenden, nicht abheilenden pustulösen und verkrusteten Verletzung. Die Beklagte zu 2 verordnete Fingerbäder und Iruxolsalbe und notierte am 23. und 24.6. jeweils eine Besserung des Lokalbefundes. Der Patient trat sodann eine längere Urlaubsreise an. Er stellte sich am 17.8.2010 erneut in der Praxis der Beklagten zu 1 vor, wo ihn diesmal der Beklagte zu 3 – nicht nur im Hinblick auf die Veränderungen der Fingerkuppe – behandelte. Hinsichtlich des Fingers erfolgte unter der Diagnose „Abszess“ eine Überweisung an einen Chirurgen.

Arzthaftung - nicht Erkennung eines akrolentiginösen Melanoms
(Symbolfoto: Inside Creative House/Shutterstock.com)

Der Patient suchte am selben Tag den Beklagten zu 4 auf. Dieser notierte, dass nach Angaben des Patienten eine seit mehr als vier Monaten bestehende nässende Hautveränderung bestehe, und dass sich an der beugeseitigen Kuppe des Mittelfingers ein umfassender granulomatöser „Tumor“ finde, den er als mögliches Granuloma pyogenicum deutete, und veranlasste eine Fotodokumentation des Fingers sowie eine Röntgenaufnahme zum Ausschluss von Osteolysen, die ohne Befund blieb. Als Procedere wurde vermerkt ein kurzzeitiger Therapieversuch mit Suprasorb A + Ag, bei Nichtbesserung eine Operation. Bei der Wiedervorstellung am 24.8.2010 hatte sich durch die verordneten Suprasorb-Verbände keine Befundbesserung gezeigt. Die Dokumentation unter diesem Datum enthält den Eintrag: „Patient ist jetzt 3 Wochen in Urlaub – direkt im Anschluss zum plastischen Chirurgen“. Diese Überweisung erfolgte am 21.9.2010. Am 4.10.2010 wurde eine Probeexzision vorgenommen, die den Nachweis eines ulzerierenden malignen Melanoms ergab. Der Finger musste amputiert werden. Im Hinblick auf das Vorliegen von Metastasen erfolgte in der Folgezeit eine umfangreiche krebstherapeutische Behandlung mit Chemo- und Strahlentherapien.

Die Klägerin hat den Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. Das Melanom sei zu spät erkannt worden. Es hätte früher eine Gewebeprobe entnommen werden und früher eine Überweisung an einen Chirurgen erfolgen müssen. Die durchgeführten Behandlungen seien jeweils ungeeignet gewesen. Die Mindesthöhe des begehrten Schmerzensgeldes hat sie mit 100.000.- EUR beziffert.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit bezüglich der Beklagten zu 1) bis 3) und zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 35.000,00 EUR seit dem 08.03.2013 hinsichtlich des Beklagten zu 4) zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 5.529,28 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung i.H.v. 1.011,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den infolge der fehlerhaften ärztlichen Behandlung im Zeitraum vom 22.06.2010 bis zum 30.09.2010 bis zum 16.06.2014 entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen sowie zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht von den Klageanträgen zu 1) und 2) erfasst und soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben eine behandlungsfehlerhafte Vorgehensweise bestritten. Sie haben auf die Seltenheit des tatsächlichen Krankheitsbildes, dessen Nichterkennen ihnen nicht vorzuwerfen sei, und auf das Ergebnis eines Verfahrens vor der Gutachterkommission verwiesen (Sachverständiger hier Prof. Dr. N), in dem Behandlungsfehler nicht festgestellt worden seien.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 354 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines allgemeinmedizinischen Gutachtens von Prof. Dr. X (schriftliches Gutachten vom 17.2.2015, Bl. 224 ff. d.A.) und eines handchirurgischen Gutachtens von Dr. T (schriftliches Gutachten vom 12.9.2015, Bl. 265 ff. d.A.), welches die Sachverständigen mündlich erläutert haben (Sitzungsprotokoll vom 15.2.2017, Bl. 346 ff. d.A.). Anschließend hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe Behandlungsfehler der Beklagten nicht bewiesen. Im Hinblick auf die ausgesprochene Seltenheit stelle sich die Verkennung des Krankheitsbildes nicht als Behandlungsfehler, sondern als nachvollziehbarer Diagnoseirrtum dar. Das Unterlassen einer medizinisch notwendigen Befunderhebung sei ebenfalls nicht festzustellen. Ob eine intensivere Wundkontrolle oder deutlichere Warnhinweise angezeigt gewesen seien, könne im Ergebnis dahinstehen, da auch eine frühzeitigere Wiedervorstellung keine Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf gehabt hätten. Der Sachverständige Dr. T habe insoweit überzeugend festgestellt, dass von einer sehr frühen Metastasierung auszugehen sei und dass auch eine Erkennung des Melanoms schon Ende Juni 2010 am Krankheitsverlauf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts geändert hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Mit der hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klageziel grundsätzlich weiter, vermindert aber den Mindest-Schmerzensgeldbetrag von 100.000.- auf 35.000.- EUR.

Sie rügt, dass das Landgericht die Abgrenzung zwischen Diagnoseirrtum und unvertretbarem Diagnosefehler verkannt habe, dass weitergehende Überprüfungen erforderlich gewesen seien und dass weitergehende Hinweise an den Patienten hätten erteilt werden müssen.

Es sei unzulässig, von der Seltenheit eines Krankheitsbildes auf die Entschuldbarkeit eines Diagnosefehlers zu schließen. Vielmehr müsse bei auffälligen, nicht pigmentierten Läsionen, die lange Zeit nicht abheilten, an ein akrolentiginöses Melanom gedacht werden. Wegen der Gefährlichkeit der Krankheit komme der dermatologischen Abklärung eine entscheidende Bedeutung zu. Hier sei die nur dreitägige Beobachtung mit dem zweifelhaften und bestrittenen Befund einer Besserung unzureichend. Eine Kontrolle hätte bis zur völligen Abheilung erfolgen müssen. Es hätte eine Weiterverweisung an einen Dermatologen erfolgen müssen. Jedenfalls hinsichtlich des späteren Besuchs des Patienten (17.8.2010) sei die Verweisung an einen Chirurgen mit der Verdachtsdiagnose „Abszess“ unzureichend gewesen. Geboten sei vielmehr eine Verweisung an einen Dermatologen unter Einbeziehung der Verdachtsdiagnose Melanom. Die Diagnostik hätte angesichts der langen Dauer der Erkrankung früher in Zweifel gezogen werden. Insoweit sei auch eine genauere Dokumentation erforderlich gewesen.

Es sei medizinisch nicht tragbar, nach nur zweimaliger Kontrolle im Juni 2010 den Patienten ohne weitere Sicherheitshinweise zu lassen. Eine kurzfristige und regelmäßige Überwachung sei dringend geboten gewesen.

Auch wenn die Fehldiagnose wohl nicht als grober Fehler zu betrachten sei, sei von einer Haftung auszugehen, da die Beklagten weitere Abklärungen hätten veranlassen müssen. Insbesondere die Überweisung an einen Dermatologen hätte der Patient mit Gewissheit befolgt.

Hinsichtlich des Beklagten zu 4 habe ein deutlich weiter fortgeschrittenes Krankheitsstadium vorgelegen, das unmittelbar auf ein ulzeröses Tumorgeschehen gedeutet hätte. In dieser Situation hätte unverzüglich eine Biopsie oder sonstige weiterführende Diagnostik betrieben werden müssen. Insoweit könne auch die Rücksichtnahme auf den bevorstehenden Urlaub des Patienten den Behandler nicht entlasten. Wenn die notwendigen Untersuchungen durchgeführt und der Patient entsprechend aufgeklärt worden wäre, hätte dieser den Urlaub ohnehin verschoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld oder Ersatz materieller Schäden gegen die Beklagten aus §§ 280, 611, 823, 249, 253 BGB zu, denn von dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers, der für den weiteren Krankheitsverlauf und den Tod des Patienten ursächlich geworden ist, kann nicht ausgegangen werden.

1.

Soweit es die Haftung der Beklagten zu 1 bis 3 betrifft, hat die Kammer zu Recht und mit zutreffender Begründung schon das Vorliegen eines Behandlungsfehlers verneint. Dass die Beklagten unstreitig eine objektiv falsche Diagnose gestellt und das vorliegende akrolentiginöse Melanom (ALM) nicht als solches diagnostiziert haben, kann ihnen nicht als behandlungsfehlerhaft vorgeworfen werden, sondern stellt sich als bloßer Diagnoseirrtum dar, der für sich genommen keine Haftung auslöst. Insoweit hat die Kammer auch nicht etwa die rechtlichen Voraussetzungen eines echten Diagnosefehlers verkannt. Dieser liegt – in Abgrenzung zum bloßen Diagnoseirrtum – vor, wenn die objektiv fehlerhafte Diagnose unter Berücksichtigung der zu erhebenden Befunde aus Sicht eines gewissenhaften Arztes nicht mehr vertretbar ist. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung – auch des erkennenden Senates – die Fehlbewertung ordnungsgemäß erhobener Befunde nur mit Zurückhaltung als Fehler anzusehen. Grund dafür ist, dass die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig sind, sondern auf verschiedene Ursachen hinweisen können, und jeder Patient aufgrund der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Symptome ein und derselben Krankheit in unterschiedlicher Ausprägung aufweisen kann (BGH VersR 2011, 1672; BGH VersR 2008, 644; BGH VersR 2003, 1256 std. Rspr.).

Eine nicht mehr vertretbare Deutung der Befunde ist hinsichtlich der Beklagten zu 1 bis 3 nicht anzunehmen. Dies haben alle mit der Sache befassten Sachverständigen (Prof. Dr. N, Prof. Dr. X, Dr. T) einhellig so gesehen. Sie haben dies in übereinstimmender – und auch den Senat uneingeschränkt überzeugender – Weise damit begründet, dass es sich bei dem ALM um ein äußerst seltenes Krankheitsbild handelt, das unter den Melanomen nur einen Anteil von 4% hat, dass selbst unter diesen der Anteil derjenigen, die sich an der Hand – wie hier – zeigen, nur etwa 1 % ausmacht, und dass zudem die klinische Diagnose noch in besonderer Weise erschwert wird, wenn es – wie hier – nicht pigmentiert ist. Entsprechend ist die Fehldiagnostizierung typisch für dieses Krankheitsbild. Prof. Dr. N weist zudem darauf hin, dass die zutreffende Diagnose im Durchschnitt ein bis anderthalb Jahre dauert (Bl. 70 d.A.), dass etwa die Hälfte dieser Melanome mehrfach untersucht werde, bis eine richtige Diagnose gestellt wird, dass in bis zu 55% der Fälle als häufigste Fehldiagnose ein Zustand nach einer Verletzung angenommen wird. Prof. Dr. X weist ferner darauf hin, dass selbst erfahrene Dermatologen Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung haben, dass es „regelhaft“ zu Fehldiagnosen komme. Prof. Dr. N hält weiter im Einklang mit den beiden Gerichtssachverständigen die zunächst angenommene Diagnose durch die Beklagte zu 2 einer nicht abheilenden pustulösen Verletzung für naheliegend. Die eingeleitete Therapie, die in den folgenden beiden Tagen zu einer Besserung des Lokalbefundes und des Allgemeinbefindens führte, musste zudem zwangsläufig die zunächst getroffene Annahme bestärken. Insofern kann von einer aus objektiver Sicht nicht mehr vertretbaren Fehldeutung keine Rede sein.

Gleiches gilt auch für die Beurteilung durch den Beklagten zu 3 im Rahmen der Untersuchung vom 17.8.2010. Auch wenn seit der Erstdiagnose nunmehr eine nicht unerhebliche Zeit verstrichen war, nämlich mittlerweile acht Wochen seit der Untersuchung durch die Beklagte zu 2 und etwa elf Wochen seit dem Auftreten der von dem Patienten festgestellten Auffälligkeiten am Mittelfinger, war die Diagnose „Abszess“ schon angesichts der ausgesprochenen Seltenheit des ALM eine vertretbare Diagnose. Mag wegen des Zeitablaufs die Frage einer abklärungsbedürftigen Differenzialdiagnostik hier durchaus stärker in den Vordergrund gerückt sein (Prof. Dr. X hält eine Überprüfung nach acht Wochen für angezeigt, Dr. T nach sechs Wochen), so kann dem Beklagten zu 3 nicht zum Vorwurf gemacht werden, auch jetzt die zutreffende Diagnose noch nicht gestellt zu haben. Insoweit gilt nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X, dass der Verlauf der Behandlung darüber entscheidet, ob ein etwa zunächst angenommener Hautinfekt nicht passt und die Diagnose hinterfragt werden muss. Angesichts der unmittelbar durch den Beklagten zu 3 veranlassten Überweisung an den Beklagten zu 4 als Chirurgen zur weiteren Abklärung und Behandlung, oblag es aber nicht mehr dem Beklagten zu 3, diese Differenzialdiagnostik zu betreiben.

Befunderhebungsfehler der Beklagten zu 1 bis 3 hat die Kammer im Einklang mit den Sachverständigen ebenfalls nachvollziehbar und überzeugend verneint. Prof. Dr. X hat klar und eindeutig ausgeführt, dass die Entnahme von Gewebeproben durch den Hausarzt nicht üblich sei, dazu vielmehr die Überweisung an den Chirurgen diene. Die Notwendigkeit dafür ergebe sich indes erst im Verlauf der Behandlung, gewiss aber nicht schon nach drei Tagen. Eine entsprechende Notwendigkeit hat er nach zwei Monaten gesehen, was in Anbetracht der im August erfolgten Überweisung an den Chirurgen eingehalten wurde, allerdings auch wegen der urlaubsbedingten Abwesenheit des Patienten auch kurzfristiger nicht hätte erfolgen können. Andere Befunderhebungen seien – für den Senat unmittelbar einleuchtend – nach den Erläuterungen des Sachverständigen ohnehin nicht in Betracht gekommen, weil sie im Hinblick auf das hier gegebene Krankheitsbild nicht zielführend gewesen seien. Immerhin hat der Beklagte zu 3 mit der Überweisung zum Chirurgen ausweislich der Behandlungsdokumentation eine umfangreiche Laboruntersuchung veranlasst, die im Hinblick auf den im Vordergrund stehenden Verdacht auf einen Abszess folgerichtig war, allerdings im Hinblick auf das vorliegende Melanom keine Erkenntnisse erbrachte.

Schließlich kann auch eine unzureichende Sicherungsaufklärung, die rechtlich als Behandlungsfehler einzuordnen wäre (etwa BGH, Urteil vom 8.7.2008, VI ZR 259/06, VersR 2008, 1265), nicht angenommen werden. Die den Arzt treffende Pflicht, grundsätzlich zur Sicherung des therapeutischen Erfolgs die notwendigen Anordnungen treffen, etwa eine Wiedervorstellung zum Zwecke einer Kontrolluntersuchung, haben die Beklagten zu 1 bis 3 nach Erläuterung des Sachverständigen Prof. Dr. X nicht verletzt. Auf den konkreten Fall bezogen hat der Sachverständige Prof. Dr. X zwar gemeint, es sei geboten, den Erfolg der Behandlung dadurch zu überprüfen, dass bis zur sicheren Abheilung der Wunde eine Kontrolle erfolge, und er hat in diesem Zusammenhang den Zeitraum vom 24.6. bis zum 17.8.2010, der durch die lange Urlaubsreise des Patienten verursacht war, als medizinisch nicht mehr plausibel angesehen. Dennoch hat er in Einklang mit den Sachverständigen Prof. Dr. N und Dr. T einen Behandlungsfehler, also eine Abweichung vom fachärztlichen Standard, dadurch noch nicht angenommen. Dies leuchtet dem Senat angesichts der extremen Unwahrscheinlichkeit, dass es sich aus der Sicht vom 24.6. nicht nur um eine Wundheilungsstörung handelte, die sicherlich ebenfalls nicht zu unterschätzen war, sondern sogar um ein hochgefährliches Melanom, unmittelbar ein. Wenn eine bloße Wundheilungsstörung auch in Anbetracht des Zeitablaufs nicht nur von vornherein viel wahrscheinlicher war, als ein an dieser Stelle und in dieser Form kaum je vorkommendes Karzinom, sondern auch der bisherige therapeutische Verlauf die naheliegende Diagnose stützte, liegt es fern, den Patienten auf die praktisch rein theoretische Möglichkeit der Bösartigkeit gezielt hinzuweisen. Vielmehr durften die Beklagten sich darauf verlassen, dass der Patient, wenn er sich denn auf einer sechswöchigen Reise befand, sich bei Verschlechterung des Zustandes auch auf der Reise einem Arzt vorstellen würde.

Hinzu kommt, dass die Klägerin keinen tauglichen Beweis anbieten kann, dass der von den Beklagten behauptete Hinweis, sich bei ausbleibender Heilung wieder vorzustellen (was die Vorstellung bei einem anderen Arzt einschloss), unterblieben ist. Auf die fehlende Dokumentation kann sie sich nicht stützen, denn es handelt sich wegen der Alltäglichkeit der Maßnahme nicht um einen dokumentationspflichtigen Umstand, wie der Sachverständige Prof. Dr. X ausgeführt hat. Die Beweislast für ein fehlerhaftes Verhalten der Beklagten liegt jedoch bei der Klägerin.

Einen Behandlungsfehler begründet es schließlich auch nicht, dass der Beklagte zu 3 den Patienten nicht unmittelbar an einen Dermatologen oder einen plastischen Chirurgen überwies, sondern an einen allgemeinen Chirurgen, der wegen der von ihm für erforderlich gehaltenen umfassenden Abtragung und Deckung dann seinerseits an einen plastischen Chirurgen überwies. Beide Sachverständige haben die Überweisung an den Beklagten zu 4 als sachgerecht angesehen. Dies leuchtet dem Senat ebenfalls ein, da nach Kenntnis des regelmäßig mit Arzthaftungsfällen befassten Senates eine erhebliche Überschneidung der Fachbereiche des plastischen Chirurgen und des Allgemeinchirurgen besteht. Dass für eine solch flächenmäßig begrenzte Operation, wie sie hier in Rede steht, sich die Einschaltung eines plastischen Chirurgen als notwendig erweisen würde, war für den Beklagten zu 3 nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr, als die Überweisungsdiagnose ja auf einen mutmaßlichen Abszess lautete und die Überweisung zunächst nur der Entnahme einer Gewebeprobe dienen sollte, nicht aber zwangsläufig die Abtragung praktisch der gesamten Fingerkuppe absehbar war.

Unabhängig von dem zur Frage des Behandlungsfehler Gesagten scheitert der Anspruch zudem am Fehlen des von der Klägerin zu beweisenden Ursachenzusammenhangs. Beide Sachverständige gehen als praktisch sicher davon aus, dass auch eine frühzeitigere Diagnose und Therapie am Verlauf nichts mehr geändert hätte. Insbesondere Dr. T geht hier mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der weitere Verlauf für den Patienten unabwendbar gewesen sei. Eine Beweislastumkehr, hier etwa wegen eines groben Fehlers der Beklagten zu 1 bis 3, kommt nach Lage der Dinge unter keinen Umständen in Betracht, würde der Klägerin nach Auffassung der Sachverständigen zudem nicht einmal helfen.

2.

Zu Recht hat die Kammer auch eine Haftung des Beklagten zu 4 verneint. Auch bei ihm kann das Verkennen des Krankheitsbildes nicht als echter Diagnosefehler angesehen werden. Er hat vor dem Hintergrund des ihm bekannten langen Krankheitsverlaufs und der Überweisungsdiagnose „Abszess“ zwar auch seinerseits nicht ein Melanom diagnostiziert, sondern zunächst ein „eitriges Granulom“. Aber auch hierbei handelt es sich nach der überzeugenden Ansicht von Dr. T keineswegs um eine unvertretbare Diagnose, auch nicht vor dem Hintergrund des Zeitablaufs. Es leuchtet unmittelbar ein, wenn der Sachverständige hier ausführt, dass man in dieser Situation eben zunächst an eine schlecht heilende Wunde denke und nicht an Tumor. Dies gilt erst recht, da es sich nicht um eine abschließende Diagnose handelte, sondern um eine Verdachtsdiagnose, der vom Beklagten zunächst durch einen zeitlich begrenzten Behandlungsversuch, nämlich einer knapp einwöchigen Behandlung mit Suprasorb, nachgegangen werden sollte und sodann mit einer zielgerichteten weiteren Diagnostik durch Überweisung an einen plastischen Chirurgen. All dies bezeichnet der Sachverständige als in Einklang stehend mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung und als „good clinical practice“. Dies ist überzeugend vor dem Hintergrund, dass er den Patienten erstmals sah und der Patient wegen der vorausgegangenen ausgedehnten Reise eine längere „Therapiepause“ eingelegt hatte. Darüber hinaus veranlasste der Beklagte eine genaue Dokumentation durch Fotografien, was die Kontrolle auch geringfügiger Veränderungen ermöglichte, und zur Abklärung einer Beteiligung des Knochens eine Röntgenaufnahme. Gegen die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen erhebt die Klägerin auch keine konkreten Einwände, zeigt insbesondere nicht auf, dass diese medizinische Beurteilung des Behandlungsgeschehens nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche.

Unterlassene Befunderhebung ist dem Beklagten zu 4 danach ebenfalls nicht vorzuwerfen. Dass der Beklagte zu 4 nicht unmittelbar – quasi als initiale Maßnahme – eine Probeexzision durchführte, war nach dem Ausgeführten nicht zu beanstanden. Die Überweisung des Patienten an einen Hautarzt bzw. plastischen Chirurgen ersetzte sodann die entsprechenden Befunderhebungsmaßnahmen.

Auch kann dem Beklagten zu 4 eine Verletzung der Pflicht zur Sicherheitsaufklärung nicht vorgeworfen werden. Zwar waren wegen der zwischenzeitlichen Dauer der vermeintlichen Wundheilungsstörung nunmehr Warnhinweise an den Patienten durchaus geboten, wie der Sachverständige Dr. T ausgeführt hat. Ihren Vortrag, dass der Beklagte zu 4 einen gezielten Hinweis auf die mögliche Bösartigkeit und die Dringlichkeit der Überweisung an den plastischen Chirurgen unterlassen habe, was der Beklagte zu 4 konkret behauptet und was durch die Eintragungen in seiner handschriftlichen Dokumentationen gestützt wird, kann die Klägerin jedoch nicht beweisen. Tauglichen Beweis hierfür kann sie nicht antreten. Der bloße Umstand, dass es lebensfremd sei anzunehmen, ein Patient trete nicht eine Urlaubsreise an, wenn ihm bewusst sei, dass eine nicht heilende Wunde ein Karzinom befürchten lasse, reicht hierfür nicht aus. Dabei wird ausgeblendet, dass ein solcher Verdacht trotz des Zeitablaufs immer noch eine höchst unwahrscheinliche Möglichkeit darstellte. Die Lebenserfahrung spricht durchaus dafür, dass Patienten in der Zuversicht, es werde schon nicht zum Schlimmsten kommen, in einer solchen Situation nicht bereit sind, auf einen geplanten und womöglich fest gebuchten Urlaub zu verzichten.

Selbst wenn es aber insoweit an der hinreichenden Deutlichkeit des Hinweises gefehlt haben würde, wäre ein solches etwaiges Fehlverhalten nicht ursächlich geworden. Hier gilt mehr noch als bei den Beklagten zu 1 bis 3, dass sich nach der Überzeugung der Sachverständigen, insbesondere des Sachverständigen Dr. T, am weiteren Krankheits- und Therapieverlauf nichts geändert hätte. Für eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin gibt es keinen Anlass, abgesehen davon, dass selbst eine Beweislastumkehr nach den Ausführungen von Dr. T der Klage nicht zum Erfolg verhelfen könnte.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 50.529,28 EUR (vgl. Beschluss vom 30.6.2017)

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