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Arzthaftung für Diagnoseirrtum und Befunderhebungsversäumnisse

OLG Koblenz – Az.: 5 U 783/12 -. Beschluss vom 26.09.2012

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich ohne Erfolgsaussicht ist, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Urteil erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Im Einzelnen ist zur Sach- und Rechtslage zu bemerken:

Gründe

1. Die Klägerin, die ihren Ehemann gemeinsam mit ihren Kindern beerbt hat, nimmt den Beklagten auf Zahlung eines mit 50.000 € zu beziffernden Schmerzensgelds in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Ehemann der Klägerin stand in der hausärztlichen Behandlung des Beklagten. Er hatte bei einer Größe von 1,66 m ein Gewicht von 85 kg, rauchte und hatte erhöhte Cholesterinwerte. Von 2002 an stellte er sich mehrfach mit Schmerzen im Schulter- und Armbereich bei dem Beklagten vor. Dieser fertigte wiederholt, nämlich am 8.11. und 28.11.2002, am 6.05.2004 sowie am 6.04.2006 ein EKG, ohne dabei Auffälligkeiten festzustellen. Er ging von einer orthopädischen Problematik aus, die er anderweit behandeln ließ.

Während eines Spanienurlaubs erlitt der Ehemann der Klägerin am 27.07.2006 einen Herzinfarkt, der operativ versorgt wurde. Am 19.09.2006 kam es in Deutschland zu einem weiteren Eingriff. In dessen Gefolge stellte sich ein Hirninfarkt ein. Danach verstarb der Ehemann der Klägerin am 23.09.2006.

Diese hat dem Beklagten vorgeworfen, der Entwicklung durch eine nachlässige Diagnostik Vorschub geleistet zu haben. Er habe keine hinreichende, auf die vorhandene koronare Herzerkrankung ausgerichtete Befunderhebung veranlasst, obwohl das nach den Umständen indiziert gewesen sei. Der Ehemann habe nämlich auch einen Diabetes, Thoraxschmerzen und Atemnot gehabt. Die Beschwerdesymptomatik sei bei der Konsultation des Beklagten am 6.04.2006 besonders deutlich gewesen.

Arzthaftung für Diagnoseirrtum und Befunderhebungsversäumnisse
Symbolfoto: Von Joyseulay /Shutterstock.com

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Parteien und der Befragung einer Sachverständigen abgewiesen. Seiner Meinung nach war die Sicht des Beklagten, das Leiden sei orthopädischer Natur, zwar diagnostisch falsch, aber vertretbar. Dass die Situation am 6.04.2006 in der von der Klägerin behaupteten Weise dramatisch gewesen sei, stehe nicht fest. Der Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers könne nicht erhoben werden; im Übrigen sei unsicher, ob eine zusätzliche Abklärung zu weitergehenden Erkenntnissen geführt hätte.

Dagegen wendet sich die Klägerin in Erneuerung ihres Verlangens mit der Berufung. Sie wiederholt den Vorwurf einer unzulänglichen Prüfung der Verhältnisse, namentlich für den 6.04.2006. Hätte der Beklagte ihren Ehemann seinerzeit an einen Kardiologen überwiesen, wäre die koronare Herzerkrankung entdeckt worden.

2. Damit vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Die angefochtene Entscheidung ist aufrechtzuerhalten.

Das Landgericht hat zutreffend einen vorwerfbaren Diagnosefehler des Beklagten verneint. Allerdings war der Ehemann der Klägerin aufgrund von Übergewicht, Nikotinkonsum und einer Hypercholesterinämie für eine koronare Herzerkrankung prädisponiert. Aber insofern lagen nach den Erkenntnissen der Sachverständigen Dr. H. noch keine durchschlagenden Risikofaktoren vor, die einen Herzinfarkt auf absehbare Zeit wahrscheinlich machten. Ein Diabetes oder ein Bluthochdruck, die das Risiko deutlich gesteigert hätten, sind nicht belegt.

Mithin kam es für die Einordnung des Krankheitsbildes maßgeblich auf die klinische Symptomatik an. Sie äußerte sich in langfristig vorhandenen Schulter- und Armschmerzen und möglicherweise auch Taubheitsgefühlen. Daraus ließ sich, wie die Sachverständige Dr. H. aufgezeigt hat, nicht auf eine kardiale, sondern lediglich auf eine orthopädisch-neurologische Problematik schließen. Allerdings wurden dem Beklagten nach dem Vorbringen der Klägerin auch eine Atemnot und erhebliche Thoraxschmerzen mitgeteilt, die auf ein Herzleiden hindeuteten; dies sei namentlich am 6.04.2006 geschehen. Das hat der Beklagte jedoch bestritten und das Landgericht im Hinblick auf dessen Anhörung nicht für erwiesen erachtet. Diese tatsächliche Feststellung bindet für die Berufungsinstanz (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO); sie gibt keinen Anlass zur rechterheblichen Zweifeln, weil die Darstellung des Beklagten, entsprechende Beschwerden hätten zur Überweisung an einen Kardiologen geführt, ohne Weiteres plausibel ist.

Vor diesem Hintergrund war die – auch im DRK-Schmerzzentrum nicht in Frage gestellte – Diagnose eines orthopädischen Leidens vertretbar, so dass daraus, auch wenn sie objektiv unrichtig gewesen sein mag, keine Haftung abgeleitet werden kann. Irrtümer in der Stellung einer Diagnose rechtfertigen nämlich nicht schon aus sich heraus den Schluss auf ein schuldhaftes ärztliches Verhalten (BGH VersR 1981, 1033; BGH NJW 2003, 2827). Denn derartige Fehleinschätzungen sind in der medizinischen Praxis nicht ungewöhnlich, weil die Symptome einer Erkrankung oft mehrdeutig sind. Liegt eine Ursache dafür nahe, kann das den Blick auf andere Umstände verstellen, ohne dass damit Fahrlässigkeiten einhergehen müssen (Senat MedR 2006, 726). Ein haftungsrechtlich relevantes Verschulden ist erst dort gegeben, wo das diagnostisch gewonnene Ergebnis für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheint (Senat OLGR Koblenz 2008, 100). Diese besonderen Voraussetzungen lassen sich im vorliegenden Fall nicht bejahen.

Ein Befunderhebungsfehler kann grundsätzlich nicht angenommen werden. Der Beklagte hatte, wie sein mehrmaliger Karteieintrag „Stenokardie“ dokumentiert, eine Angina pectoris in Erwägung gezogen und daraufhin in diese Richtung eine Abklärung vorgenommen, indem er EKGs fertigte. Diese EKGs waren durchweg unauffällig. Das bestärkte die Annahme, die Beschwerden seien orthopädisch – neurologisch bedingt. Wenn danach von ergänzenden kardialen Untersuchungen abgesehen wurde, lag das in der Konsequenz dieser Diagnose und war deshalb dem insoweit unterlaufenen, nicht haftungsbegründenden Fehler zuzuordnen, aber kein Befunderhebungsversäumnis. Ein Diagnosefehler wird nicht dadurch zu einem Befunderhebungsfehler, dass Befunde unterbleiben, die erst bei einer Falsifizierung der Diagnose zu erheben gewesen wären (BGHZ 188, 29).

Die Klägerin beanstandet freilich, dass die wiederholte Überlegung des Beklagten, es könne sich bei den Beschwerden des Klägers um die Auswirkungen einer Angina pectoris handeln, nicht durchgängig durch die Fertigung eines EKGs ausgeräumt worden sei. Anlässlich der Konsultation vom 10.09.2004, bei der der Gedanke an eine kardiale Erkrankung ebenfalls aufgekommen sei, habe der Beklagte nämlich kein EKG gemacht. Damit mag man für diesen Tag einen Befunderhebungsfehler konzedieren. Indessen können daran keine Haftungskonsequenzen anknüpfen, weil es keinerlei Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass ein seinerzeit gefertigtes EKG – anders als es sonst regelmäßig der Fall war – ein pathologisches Bild offenbart hätte. Insofern lässt sich eine irgendwie geartete Kausalität nicht begründen. Eine die Klägerin begünstigende Umkehr der Beweislast findet nicht statt (vgl. BGHZ 132, 47; BGH NJW 2004, 1871).

Die von der Berufung aufgeworfene Frage, ob zielführende Erkenntnisse gewonnen worden wären, wenn der Beklagte am 6.04.2006 die Dinge durch einen Kardiologen hätte abklären können, ist ohne rechtliches Gewicht. Das Landgericht hat, gestützt auf die Darlegungen der Sachverständigen, gemeint, die Antwort sei ungewiss. Das hat der Senat grundsätzlich zu beachten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Darauf kommt es aber gar nicht einmal an. Denn eine entsprechende Abklärung wäre nach den Darlegungen der Sachverständigen allenfalls dann erforderlich gewesen, wenn sich am 6.04.2006 ein außergewöhnliches Beschwerdebild geboten hätte, wie es die Klägerin in ihrer Anhörung geschildert hat. Eben diese Dramatik ist jedoch nach den auch für das Berufungsverfahren maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts nicht bewiesen.

3. Nach alledem sollte die Klägerin erwägen, ihr Rechtsmittel aus Kostengründen zurückzunehmen. Bis zum 25.10.2012 besteht Gelegenheit zur Stellungnahme.

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