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Fehllage von Implantaten – Arzt- und Krankenhaushaftung

OLG Köln – Az.: I-5 U 61/16 – Urteil vom 22.08.2018

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 20.04.2016 – 25 O 201/13 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten der Nebenintervention für beide Instanzen trägt der Kläger.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Bei dem am 01.05.1940 geborenen Kläger wurde im Jahr 2010 eine mehrsegmentale, hochgradige cervikale Spinalkanalstenose mit Myelopathie diagnostiziert. Er litt unter einer Gangunsicherheit und progredienten Parästhesien der Hände und Füße. Nachdem er sich in der Zeit von August bis Ende Oktober 2010 bei verschiedenen Ärzten und Krankenhäusern mit seinen Beschwerden vorgestellt hatte, entschied er sich zu einer Operation im Hause der Beklagten zu 1). Unter der Diagnose eines tetraspastischen Syndroms mit distal und links betonten Armparesen fand am 03.12.2010 eine mikrochirurgische Dekompressionsoperation mit Entfernung des Wirbelkörpers HWK 6, Cage-Implantation und Einbringen einer ventralen Platte statt. Die Operation führte der Beklagte zu 2) durch. Laut Operationsbericht war die Halswirbelsäule im seitlichen Röntgenbild nur bis HW 4/5 einsehbar. Im postoperativen CT zeigte sich eine Fehllage der Platte sowie der oberen Schrauben in HWK 5 bei ansonsten regelrechter Lage des Implantates. Der Kläger wurde am 09.12.2010 in die ambulante Betreuung entlassen.

Am 17.12.2010 wurde der Kläger erneut operiert. Der Beklagte zu 2) entfernte die Schrauben und die von ihm jetzt als zu kurz befundene Platte und tauschte sie gegen eine größere Platte aus. Laut Operationsbericht war die röntgenologische Sicht bis HWK 5 erneut eingeschränkt. Der Kläger wurde am 19.12.2010 aus dem Krankenhaus ohne vorherige radiologische Kontrolle entlassen.

Am Abend des gleichen Tages stellte sich der Kläger in dem von der Streithelferin betriebenen Klinikum „K“ in T vor. Bei Aufnahme gab der Kläger starke Schmerzen im Bereich der HWS an. Er hatte Fieber und das Labor ergab einen erhöhten CRP-Wert. Nach einer radiologisch nachgewiesenen Plattenfehllage kam es am 30.12.2010 im Hause der Streithelferin zu einer erneuten Revisionsoperation. Dabei zeigte sich, dass die in C 7 eingebrachte Platte völlig aus dem Wirbel herausluxiert war. Im Bereich des Wirbelkörpers C 5 saß nur eine Schraube im Wirbelkörper, die andere tangierte die Arteris vertebralis. Bei Eröffnung der Faszie entleerte sich Pus. Im entnommenen Abstrich wurde Staphylococcus epidermis nachgewiesen. Die postoperative CT-Kontrolle ergab eine regelrechte Lage der neu eingebrachten Platte. Der Kläger wurde am 27.01.2011 in die hausärztliche Betreuung entlassen.

Der Kläger hat den Beklagten Behandlungsfehler und Aufklärungsfehler vorgeworfen. Er hat behauptet, die Operation vom 03.12.2010 sei nicht indiziert gewesen. Der Beklagte zu 2) habe die Operation nicht lege artis durchgeführt, wodurch es zu einer Fehlplatzierung der Platte gekommen sei. Die Revisionsoperation sei ebenfalls fehlerhaft durchgeführt und eine postoperative Röntgenkontrolle fehlerhaft unterlassen worden. Der Kläger hat weiter behauptet, er sei über die erste Operation am 03.12.2010 nicht ausreichend aufgeklärt worden. Man habe ihm nicht gesagt, dass es zu einer Verschlechterung seines Zustandes kommen könne. Bei entsprechender Aufklärung hätte er dem Eingriff nicht ohne Weiteres zugestimmt. Er habe zu dieser Zeit keinen akuten Leidensdruck gehabt.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 17.01.2013 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 21.784,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 17.01.2013 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle gegenwärtigen und zukünftigen materiellen, sowie alle künftigen immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus der fehlerhaften Behandlung der Beklagten im Dezember 2010 entstanden sind und noch entstehen werden soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.759,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 17.01.2013 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben Behandlungsfehler bestritten. Sie haben ferner behauptet, der Kläger sei vor der ersten Operation ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass gravierende Komplikationen wie Verletzung der Nervenwurzeln oder des Rückenmarks eintreten und sich die bisherigen Beschwerden im schlimmsten Fall sogar verschlechtern könnten. Sie haben den Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben.

Die Streithelferin hat ebenfalls Klageabweisung beantragt.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 278 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens von Prof. Dr. D (schriftliches Gutachten vom 18.03.2015, Bl. 108 ff. d.A.), welches der Sachverständige mündlich erläutert hat (Sitzungsprotokoll vom 09.03.2016, Bl. 244 ff. d.A.). Anschließend hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe Behandlungsfehler nicht bewiesen. Nach dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. D sei die Operation vom 03.12.2010 indiziert gewesen und fachgerecht durchgeführt worden. Auch die Operation vom 17.12.2010 sei fachgerecht durchgeführt worden. Dass es nach der Revisionsoperation erneut zu einer Dislokation der Platte gekommen sei, lasse nicht auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen schließen. Eine radiologische Nachkontrolle noch vor Entlassung sei nicht geboten gewesen. Auch die vom Kläger erhobene Aufklärungsrüge bleibe ohne Erfolg. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger angemessen und hinreichend aufgeklärt worden sei, verfange die Aufklärungsrüge nicht, weil der Kläger auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel gemacht habe. Die Operation vom 03.12.2010 sei absolut indiziert gewesen. Der Kläger selbst habe in der mündlichen Verhandlung geäußert, er hätte sich unter diesen Umständen und auf Empfehlung des Arztes operieren lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Fehllage von Implantaten - Arzt- und Krankenhaushaftung
(Symbolfoto: Von crystal light/Shutterstock.com)

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Er rügt, das Landgericht habe sich nicht mit dem vorgelegten N-Gutachten von Dr. P vom 22.11.2011 auseinandergesetzt. Dr. P habe gravierende handwerkliche Mängel bei der Durchführung der Operationen festgestellt. Das Verschieben der Plattenkorrektur auf eine zweite stationäre Behandlung sei medizinisch unverständlich und die Entlassung nach der Revisionsoperation ohne radiologische Befundkontrolle der Platten- und Schraubenlage nicht nachvollziehbar gewesen. Im Übrigen habe der Sachverständige Prof. Dr. D selbst ausgeführt, dass eine röntgenologische Lagekontrolle des eingebrachten Materials bei schwieriger Durchleuchtung während der Operation anerkannter Standard sei, dass die Entlassung des Klägers am 19.12.2010 ohne radiologische Befundkontrolle nicht nachvollziehbar sei und dass die Beklagten ihn in dem Zustand, wie er von der Streithelferin am selben Tag aufgenommen worden sei, nicht hätte entlassen dürfen. Das Landgericht habe sich nicht auf eine mündliche Anhörung von Prof. Dr. D beschränken, sondern auch Dr. P anhören müssen. Die Annahme des Landgerichts, sein Zustand habe sich nicht wegen, sondern trotz der durchgeführten Operation verschlechtert, sei nicht nachvollziehbar. Denn vor dem Eingriff sei er noch mobil gewesen, habe sich selbst versorgen und Fahrrad fahren können, während er nach der Operation noch nicht einmal gehfähig gewesen sei. Es sei nicht ersichtlich, worauf das Landgericht seine Annahme stütze, dass eine derartige Verschlechterung seines Zustandes auch ohne den Eingriff eingetreten wäre.

In Bezug auf die erhobene Aufklärungsrüge habe das Landgericht die Reichweite der Aufklärungspflicht der Beklagten nicht ausreichend geprüft. Prof. Dr. D habe auf die Möglichkeit anderer operativer Techniken hingewiesen. Über diese Behandlungsalternativen sei er nicht aufgeklärt worden. Soweit das Landgericht ihn zitiert habe, „er hätte sich unter diesen Umständen und auf Empfehlung des Arztes operieren lassen“, könne dem Verhandlungsprotokoll eine derartige Aussage nicht entnommen werden. Wäre ihm das hohe Risiko von schweren Komplikationen einhergehend mit weiteren operativen Maßnahmen erläutert worden, hätte er sich in einem echten Entscheidungskonflikt befunden. Die Kammer habe es unterlassen, ihn hierzu näher zu befragen. Auch die von ihm benannten Zeugen seien nicht gehört worden. Sie hätten zu seiner persönlichen Entscheidungssituation und Willenslage Stellung nehmen können.

Der Kläger beantragt, die Beklagten gemäß den erstinstanzlich gestellten Klageanträgen zu verurteilen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung und treten dem Berufungsvorbringen im Einzelnen entgegen. Mit dem N-Gutachten von Dr. P habe sich Prof. Dr. D in seinem Gutachten auseinandergesetzt und es sei auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Im Übrigen habe das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass Dr. P Facharzt für Orthopädie sei und damit der Grundsatz der fachgleichen Begutachtung nicht gewahrt sei. In Bezug auf die erhobene Aufklärungsrüge behaupten die Beklagten, der Kläger sei in Anwesenheit seiner Kinder ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung auf unterschiedliche Methoden des Eingriffs abstelle, handele es sich lediglich um unterschiedliche Zugangswege und damit um technische Details, die nicht aufklärungsbedürftig seien. Zu Recht habe das Landgericht den Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgreifen lassen. Der Eingriff sei alternativlos gewesen und der Kläger habe auf Befragen des Gerichts geäußert, er lasse sich operieren, wenn ihm ein Arzt sage, dass er operiert werden müsse. Die Beklagten behaupten, etwaige Behandlungs- und Aufklärungsfehler hätten sich jedenfalls nicht schadensursächlich ausgewirkt. Die Behandlung habe den Zustand des Klägers nicht verschlechtert, auch wenn es möglicherweise leider nicht zu einer Verbesserung gekommen sei, was aber letztlich offengeblieben sei.

Die Streithelferin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, tritt dem Berufungsvorbringen entgegen und macht sich die Ausführungen der Beklagten in deren Berufungserwiderung zu eigen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. O. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. O vom 31.01.2018 (Bl. 399 ff d.A) und die Protokollierung der mündlichen Anhörung des Sachverständigen vom 20.06.2018 (Bl. 456 ff d.A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen die Beklagten aus der streitgegenständlichen Behandlung zu. Nach dem Ergebnis der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme sind im Hause der Beklagten zu 1) begangene Behandlungsfehler nicht festzustellen. Auch die Aufklärungsrüge bleibt ohne Erfolg.

1. Der Senat hat ein neues neurochirurgisches Gutachten von Prof. Dr. O eingeholt. Nach dem Ergebnis dieses den Senat durchweg überzeugenden Gutachtens haben sich die Behandlungsvorwürfe des Klägers nicht bestätigt. Behandlungsfehler sind nicht erwiesen.

a) Die Operation vom 03.12.2010 war zweifellos indiziert. Wie schon Prof. Dr. D in seinem in erster Instanz erstatteten Gutachten ausgeführt hat, hat auch Prof. Dr. O deutlich gemacht, dass die Operation mit mikrochirurgischer Dekompression, Entfernung des Wirbelkörpers HWK 6, Cage-Implantation und Einbringen einer ventralen Platte absolut indiziert war. Bei dem Kläger lag eine cervikale Spinalkanalstenose mit Myelopathie vor, bei der es aufgrund degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule zu einer Einengung des Spinalkanals und zur Schädigung des Rückenmarks infolge Druckbelastung gekommen war. Konservative Behandlungsmöglichkeiten bestanden nicht. Um eine weitere Verschlechterung der Symptomatik, die hier in Form von Gangunsicherheit und beidseitige Armparesen schon deutlich ausgeprägt war, zu verhindern, war die durchgeführte Operation geboten.

b) Dass es bei der Operation am 03.12.2010 zu einer Fehllage der eingebrachten Platte sowie der oberen Schrauben der HWK 5 kam, ist nicht nachweislich auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen. Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Vorgehen bei der Operation hat Prof. Dr. O den Behandlungsunterlagen nicht entnehmen können. Und er hat dem Senat in überzeugender Weise deutlich gemacht, dass aus der Tatsache einer Fehllage der Implantate nicht auf einen Behandlungsfehler unter der Operation geschlossen werden könne. Es sei, so der Sachverständige, durchaus nicht ungewöhnlich, dass sich Platte und Schrauben in den Tagen nach der Operation infolge von Bewegungen des Patienten, auch in dem hier festgestellten Umfang, lösten. Es sei im Übrigen auch nicht so, dass der Operateur bei einer Schraube, die sich im Nachhinein als nicht im Wirbelkörper befindlich darstelle, dies intraoperativ bemerkt haben müsse. Der Operateur arbeite am Rande degenerativ geschädigter Knochenstrukturen und möglicherweise im Bereich von harten Bindegewebsstrukturen, die nicht immer erkennen ließen, wenn man nicht im Knochen arbeite. Die Verwendung von selbstsichernden Schrauben, wie sie der Kläger im Berufungsverfahren gefordert hat, hat der Sachverständige nicht als medizinischen Standard bezeichnet. Die eingebrachten Schrauben seien jedenfalls zur damaligen Zeit durchaus üblich gewesen. Auch die Wahl der Plattengröße hat der Sachverständige nicht beanstandet. Soweit der Beklagte zu 2) bei der Revisionsoperation am 17.12.2010 eine größere Platte gewählt habe, bedeute dies nicht, dass die Wahl bei der ersten Operation falsch gewesen sei. Bei der Revisionsoperation frage sich der Operateur natürlich, woran es gelegen habe und ob die Platte möglicherweise besser länger gewählt werden solle.

In Bezug auf die im Operationsbericht beschriebene schwierige Durchleuchtung der unteren Halswirbelsäule hat der Sachverständige ebenfalls keine Fehler feststellen können. Die eingeschränkte röntgenologische Einsehbarkeit der unteren Halswirbelsäule sei kein seltenes Problem bei diesem Operationsverfahren. Die intraoperative Röntgenkontrolle werde allerdings ohnehin in erster Linie dazu eingesetzt, um sicherzugehen, dass man in der richtigen Höhe operiere. Für den weiteren Verlauf der Operation sei die Röntgenkontrolle hingegen nicht von entscheidender Bedeutung, da der Operateur sehe, wie operiert werde. Einen Zusammenhang zwischen der erschwerten röntgenologischen Einsehbarkeit der Wirbelsäule und dem Lösen der eingebrachten Platte und Schrauben hat der Sachverständige damit nicht herstellen können. Lediglich ergänzend ist daher nur auszuführen, dass dem Umstand, dass bei der Revisionsoperation im Hause der Streithelferin am 30.12.2010 keine Schwierigkeiten bei der röntgenologischen Darstellung dokumentiert sind, keinen Anhalt für einen Fehler des Beklagten zu 2) bietet. Dass Schwierigkeiten bei der Einsehbarkeit der Wirbelsäule im Klinikum in T nicht beschrieben worden sind, kann nach den Ausführungen von Prof. Dr. O entweder daran liegen, dass Schwierigkeiten schlicht nicht schriftlich festgehalten worden sind, oder dass die Schultern des Klägers mit starkem Zug nach unten gezogen wurden. Letzteres berge aber, so der Sachverständige, die Gefahr einer Plexusschädigung in sich und werde aus diesem Grund von einigen Operateuren nicht gemacht.

Soweit der Kläger auf die im Auftrag des N Hessen gefertigte gutachterliche Stellungnahme von Dr. P vom 22.12.2011 verweist, in welchem der Gutachter zu dem Ergebnis kommt, dass die Durchführung der Operation gravierende handwerkliche Mängel aufweise, begründet diese keine Zweifel an dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. O. Zum einen handelt es sich bei Dr. P um einen Facharzt für Orthopädie und nicht um einen Neurochirurgen, in dessen alleinige fachliche Zuständigkeit die medizinisch-sachverständige Bewertung einer Operation an der Wirbelsäule fällt. Zum anderen setzt sich Dr. P nicht mit dem Schulterhochstand als Ursache der erschwerten Durchleuchtung der Wirbelsäule und mit der Möglichkeit nicht behandlungsfehlerbedingten Ursachen einer Lösung von Platte und Schrauben, wie sie von beiden Gerichtsgutachtern eingehend und sorgfältig beschrieben und begründet worden sind, auseinander.

c) Den Zeitpunkt der am 17.12.2010 durchgeführten Revisionsoperation hat Prof. Dr. O nicht als fehlerhaft beanstandet. Für Revisionsoperation bei Fehllagen von zentralen Platten und/oder Schrauben gebe es keinen verbindlichen optimalen Zeitpunkt. Die Entscheidung, wann operiert werde, richtet sich nach dem allgemeinen Zustand des Patienten, der Situation, der Symptomatik und dem Erwarten von Folgeschäden. Auch wenn er eine Operation im gleichen Aufenthalt nahe gelegt hätte, sei ein Abwarten mit geplanter Wiederaufnahme nicht als fehlerhaft einzustufen.

d) Fehler bei der Durchführung der Operation am 17.12.2010 hat der Sachverständige nicht feststellen können. Insbesondere hat er aus dem Umstand, dass sich im Nachhinein die Platte mit Schrauben erneut gelöst hatte, nicht auf ein fehlerhaftes Vorgehen bei der Operation schließen können. Wie schon Prof. Dr. D in seinem erstinstanzlich erstatteten Gutachten hat auch Prof. Dr. O es für wahrscheinlicher gehalten, dass sich die Fixierung erst nachträglich aus dem Knochen gelöst hat. Die Lösung der Platte sei dabei möglicherweise durch die infektiologische Situation begünstigt worden.

e) Das Unterlassen einer Röntgenkontrolle vor Entlassung des Klägers am 19.12.2010 aus der stationären Behandlung hat Prof. Dr. O in Übereinstimmung mit Prof. Dr. D nicht als Behandlungsfehler bewertet. Soweit Prof. Dr. O in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat, dass eine Lagekontrolle vor Entlassung aus seiner Sicht hätte erfolgen sollen, aber keinen Behandlungsfehler dargestellt habe, hat er dies in der mündlichen Verhandlung dahingehend erläutert, dass eine Aufnahme nicht aus medizinischen, sondern aus seiner Sicht allenfalls aus Gründen der Beweissicherung geboten gewesen sei.

f) Weitere, schadensursächlich gewordene Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Entlassung des Klägers am 19.12.2010 sind ebenfalls nicht feststellbar. Prof. Dr. O hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, es sei richtig gewesen, den Kläger vor Entlassung ärztlich zu untersuchen. Dies sei nicht zwingend für den Tag der Entlassung selbst zu fordern gewesen, sondern es hätte auch genügt, wenn dies am Vortag der Fall gewesen wäre. Der Beklagte zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er habe den Kläger am Entlassungstag gesehen. Er hat auf seiner handschriftliche Dokumentation in den Behandlungsunterlagen verwiesen, in der es unter dem 19.12.2010 heißt: „13:00 Wohlbefinden, keine neuen Ausfälle, keine Entzündungszeichen, kein Fieber Wunde reizlos, Gespräch mit Familie, CT im Verlauf geplant“. Der Senat sieht keine Gründe, der Dokumentation des Beklagten zu 2) und seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung keinen Glauben zu schenken. Zweifel sind insbesondere nicht deswegen angebracht, weil sich der Kläger wenige Stunden später im Klinikum „K“ mit Schmerzen und Fieber vorstellte. Prof. Dr. O hat im Rahmen seiner Anhörung verdeutlicht, dass er in der Dokumentation des Beklagten zu 2) und dem späteren Verlauf keinen Widerspruch sehe. Bei einer sich entwickelnden Wundinfektion könne es typischerweise zu plötzlichen Körperreaktion in Form von hohem Fieber kommen. Es sei daher durchaus möglich, dass der Arzt vor Entlassung kein Fieber festgestellt habe und sich wenige Stunden später hohes Fieber eingestellt habe. Vor diesem Hintergrund ist dem Antrag des Klägers, seine Familienangehörigen als Zeugen zum Beweis der Behauptung zu vernehmen, dass am 19.12.2010 zu keiner Zeit eine Entlassungsuntersuchung stattgefunden habe, nicht nachzugehen. Darüber hinaus ist aber auch nicht dargetan, dass die als Zeugen benannten Personen den gesamten Tag des 19.12.2010 bis zum Zeitpunkt der Entlassung im Zimmer des Klägers waren und daher sicher ausschließen können, dass es einen Arzt-Patienten-Kontakt gegeben hat.

Das Unterlassen einer Laborkontrolle am Entlassungstag hat der Sachverständige Prof. Dr. O nicht als Fehler bewertet. Dies hat er damit begründet, dass selbst ein auffällig erhöhter CRP-Wert keine unmittelbaren Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Der CRP-Wert wäre kein guter Indikator für eine sich anbahnende bakterielle Infektion gewesen, weil sich eine Erhöhung des CRP-Wertes schon alleine aufgrund eines stattgehabten operativen Eingriffs und damit unspezifisch zeige. Das Unterlassen einer Laborkontrolle am Entlassungstag zwei Tage nach dem Revisionseingriff sei daher vertretbar gewesen.

Darüber hinaus kann der Kläger aber auch die Kausalität eines etwaigen Befunderhebungsfehlers nicht beweisen. Eine Beweislastumkehr kommt dem Kläger nicht zugute. Ein grober Befunderhebungsfehler ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ersichtlich. Und auch die Voraussetzungen nach den Grundsätzen der Beweislastumkehr bei Befunderhebungsfehler sind nicht gegeben. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass auf eine Infektion hinweisende Befunde erhoben worden wären, auf die nicht sofort zu reagieren grob fehlerhaft gewesen wäre.

2. Die Beklagten haften auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Aufklärungsfehlers.

a) Auf Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. O geht der Senat davon aus, dass der Kläger über die Möglichkeit eines dorsalen Zuganges bei der Operation am 03.12.2010 nicht hätte aufgeklärt werden müssen. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten eingehend erklärt, warum der hier gewählte ventrale Zugang die richtige und im Vergleich zum dorsalen Zugang vorzugswürdige Vorgehensweise gewesen ist. Es sei hier primär um die Beseitigung der Stenosen für das Rückenmark gegangen, die meistens hauptsächlich von vorne herrührten, wo Knorpel-, Bandscheiben-, Bänder- und Knochengewebe im Wege seien. Derartige Anbauten und Engstellen kämen zwar auch von den Wirbelgelenken von hinten auf die nervalen Strukturen zu, seien aber meistens ein nachgestelltes Problem. Daher werde der Zugang von ventral in diesem Falle favorisiert. Zudem gelinge es über den ventralen Zugang, die Bandscheibe oder ganze Segmente zu ersetzen und zur Fusion zu bringen, wohingegen Schrauben in den lateralen Anteilen der Wirbelkörper und Verbindungsstangen erreicht werden müsste, die ventralen Stenosen aber unberührt blieben. Es sei, so der Sachverständige, kein Grund ersichtlich, über eine dorsale Stabilisierung mit lediglich hinterer Dekompression zu sinnieren. Die durch den Beklagten zu 2) gewählte Operationstechnik hat der Sachverständige als „Goldstandard“ bezeichnet. Vor diesem Hintergrund stellte sich eine Operation über einen dorsalen Zugang nicht als gleichwertige Behandlungsalternative dar, über die der Kläger hätte aufgeklärt werden müssen.

b) Soweit der Kläger behauptet, er sei vor dem Eingriff am 03.12.2010 nicht über das Risiko einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes aufgeklärt worden, greift jedenfalls der von den Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung. Der Kläger hat nicht plausibel gemacht, dass er, wenn er über die Möglichkeit einer Verschlechterung aufgeklärt worden wäre, ernsthaft vor der Frage gestanden hätte, ob er die Operation durchführen lassen möchte. Die Operation war absolut indiziert. Es bestand die sehr ernst zu nehmende Gefahr, dass sich der ohnehin schon schlechte Zustand des Klägers weiter verschlechtern würde. Es stand die Möglichkeit einer Querschnittslähmung als gravierendste Folge der Myelopathie im Raum. Zu der konkret durchgeführten Operation bestand keine sinnvolle Alternative. Konservative Behandlungsmöglichkeiten waren ausgeschöpft. Hinzukommt, dass der Kläger nach eigenem Vortrag zuvor von einem Arzt im Klinikum „K“ in T erfahren hatte, dass mit der Operation ein sehr hohes Risiko einer Querschnittslähmung verbunden war. Gleichwohl war er letztlich bereit, sich der Operation zu unterziehen. Es ist nicht plausibel, dass der Kläger im Falle einer Aufklärung über die Möglichkeit einer Verschlechterung seines Zustandes, wie sie nun möglicherweise mit einer Einschränkung seiner Gehfähigkeit eingetreten ist, ernsthaft vor der Frage gestanden hätte, ob er die Operation durchführen lässt. Der Kläger hat auch in seiner persönlichen Anhörung dem Senat einen Entscheidungskonflikt nicht verständlich machen können. Bei seiner Anhörung durch den Senat war er erkennbar nicht in der Lage, die an ihn gestellten Fragen ihrem Sinn nach zu verstehen und zu beantworten. Darüber hinaus sind eklatante Erinnerungsschwierigkeiten zu Tage getreten, die es dem Senat unmöglich machen, einen – nach Aktenlage ohnehin nicht erkennbaren – Entscheidungskonflikt anzunehmen.

Eine Vernehmung der Zeugen Ü. und D. zur Frage des Entscheidungskonfliktes ist nicht geboten. Die Frage, ob eine Partei bei richtiger Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt gekommen wäre, ist eine höchst persönliche Frage, die in der Regel nur von der Partei und nicht von Dritten beantwortet werden kann. Der Kläger legt auch nicht dar, zu welchen konkreten Tatsachen, die seinen Entscheidungskonflikt belegen würden, die Zeugen aus eigener Wahrnehmung irgendetwas bekunden können sollen.

3. Lediglich ergänzend merkt der Senat an, dass der Kläger nicht beweisen kann, dass die Einschränkung seiner Mobilität durch die streitgegenständlichen Operationen hervorgerufen worden ist. Der Sachverständige Prof. Dr. O hat ausgeführt, dass die Frage, ob und inwieweit die Operationen mit dem heute vorliegenden Krankheitsbild im Zusammenhang stehen, nicht beantwortet werden könne. Beim Kläger habe als Grunderkrankung eine cervikale Myelopathie vorgelegen, was bedeute, dass das Rückenmark über viele Jahre einem Druck ausgesetzt gewesen sei. Trotz Beseitigung der Einengung schreite die Erkrankung im weiteren Verlauf des Lebens fort. Es handele sich um eine degenerative Erkrankung, die nicht unbedingt aufgehalten werden könne. Insoweit sei es schon als Erfolg der Operation zu werten, dass eine Querschnittslähmung als gravierendste Folgen der Erkrankung verhindert worden sei. Ob bei dem heute bestehenden Krankheitszustand die Operationen mitgewirkt hätten, sei nicht auszuschließen, aber auch nicht sicher zu sagen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 81.000 EUR.

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