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Befunderhebungspflicht – Schmerzensgeldanspruch für schwerste Schädigungen durch Gehirnblutungen

OLG Frankfurt – Az.: 8 U 201/11 – Urteil vom 11.02.2014

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 2011 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (20. September 2005) zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen durch die fehlerhafte Behandlung vom 14. Dezember 20… entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen, soweit nicht Ansprüche auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 1.300.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Befunderhebungspflicht - Schmerzensgeldanspruch für schwerste Schädigungen durch Gehirnblutungen
Symbolfoto: Von Blue Planet Studio /Shutterstock.com

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung einer Ersatzpflicht für materielle Schäden aufgrund einer behaupteten notdienstlichen Fehlbehandlung durch den Beklagten am 14. Dezember 20….

Die Klägerin, seinerzeit (Beruf) …, 3X Jahre alt, ca. 1,60 m groß und 78 kg schwer, an Bluthochdruck und Durchblutungsstörungen leidend, klagte am 14. Dezember 20…, einem Sonntag, gegenüber ihrer Mutter telefonisch über Kopfschmerzen und bekam den Rat, einen Notarzt aufzusuchen. Ein Kollege fuhr sie daraufhin von ihrer Arbeitsstelle zu dem Beklagten, der an diesem Tag den kassenärztlichen Notdienst in … versah.

Der Beklagte, ein Facharzt für Innere Medizin, stellte bei der Klägerin ein kribbelndes Taubheitsgefühl in zwei Fingern und auf einem Ohr fest und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung bei Kopfdrehung nach links. Er stellte die Diagnose HWS-/BWS-Syndrom mit Blockierung und behandelte die Klägerin mit einem schmerzstillenden und entzündungshemmenden Präparat. Nach 15 Minuten trat eine leichte Besserung ein. Auf den Behandlungszettel (Bl. 492 d.A.) wird Bezug genommen.

Am 21. Dezember 20… wurde die Klägerin mit einer akuten neurologischen Symptomatik mit rascher Verschlechterung stationär aufgenommen. Es zeigte sich eine ausgedehnte Subarachnoidalblutung (der Subarachnoidalraum umgibt Gehirn und Rückenmark wie ein flüssigkeitsgefülltes Kissen, in dem das Gehirn regelrecht in der Gehirnflüssigkeit schwimmt). Die Klägerin ist nach Aneurysmen und Schlaganfällen heute schwerstgeschädigt, leidet an einem Hydrocephalus (Wasserkopf), ist schwerstpflegebedürftig und steht unter der Betreuung ihrer Mutter.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, bereits am 12. und 14. Dezember 20… gegenüber Zeugen und ihrer Mutter die Art der Kopfschmerzen als peitschenknallartig, wahnsinnig, plötzlich, irrsinnig oder aus heiterem Himmel (nachfolgend: peitschenknallartige Kopfschmerzen) angegeben zu haben. Dies habe sie auch gegenüber dem Beklagten angegeben. Die Klägerin hat geltend gemacht, die Diagnose des Beklagten sei grob fehlerhaft gewesen, der Beklagte habe nur unzureichend (neurologischen) Befund erhoben, der Beklagte habe die Stärke der Kopfschmerzen unzureichend abgeklärt, der Beklagte habe es grob fehlerhaft unterlassen, eine weiterführende bildgebende Diagnostik anzuordnen, der Beklagte habe grob fehlerhaft gegen seine Pflicht zur therapeutischen Sicherheitsaufklärung verstoßen, indem er die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, bei weiter bestehenden Schmerzen erneut einen Arzt (Neurologen) aufzusuchen.

Die Parteien haben die im landgerichtlichen Urteil wiedergegebenen Anträge gestellt.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe erst am Ende des Arztbesuchs, nach der Behandlung mit dem schmerzstillenden und entzündungshemmenden Präparat, starke Kopfschmerzen erwähnt, jedoch keine peitschenknallartigen. Der Blutdruck der Klägerin sei im Normalbereich gewesen. Er erinnere sich nicht mehr an Einzelheiten, gehe aber davon aus, der Klägerin geraten zu haben, sich an einen Orthopäden zu wenden. Auch die Konsultation dieses Kollegen hätte die Subarachnoidalblutung nicht verhindert.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von A, einem Facharzt für innere Medizin. Es hat die Klage abgewiesen. Auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.

In ihrer Berufung rügt die Klägerin, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, sie sei für ihre Behauptung, dem Beklagten peitschenknallartige Kopfschmerzen geschildert zu haben, beweisfällig geblieben. Das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft den Antrag, die Mutter der Klägerin als Zeugin zu hören, nicht in einen Antrag auf Parteivernehmung umgedeutet und die Zeugen Z1 und Z2 (Arbeitskollegen) nicht gehört.

Der Beklagte habe eingeräumt, dass die Klägerin ihm starke Kopfschmerzen geschildert habe. Dies sei nicht dokumentiert. Dieser Umstand führe dazu, dass der Beklagte dafür beweisbelastet sei, dass die Klägerin ihm gegenüber nicht über peitschenknallartige Kopfschmerzen geklagt habe. Demzufolge habe das Landgericht dem Sachverständigen unzutreffende Anknüpfungstatsachen übermittelt. Im Übrigen sei der Notfallvertretungsschein „unten abgeschnitten“ und daher die letzte Zeile nicht mehr lesbar, woraus sie Beweiserleichterungen ableitet.

Die Klägerin rügt weiter, das Landgericht habe statt eines Facharztes für Neurologie einen Facharzt für innere Medizin als Sachverständigen beauftragt, der Beklagte habe im Rahmen des Notdienstes diesen Facharztstandard gewährleisten müssen.

Das Landgericht habe verkannt, dass ein Diagnosefehler feststehe und hieraus keine Konsequenzen gezogen.

Das Landgericht habe sich nicht mit dem Behandlungsfehlervorwurf einer unzureichenden Befunderhebung auseinandergesetzt, die durchgeführte neurologische Befunderhebung sei unvollständig gewesen, ebenso die Anamnese, nachdem sie dem Beklagten starke Kopfschmerzen geschildert habe, danach sei eine weitere Befunderhebung veranlasst gewesen.

Die Klägerin rügt weiterhin, das Landgericht habe zu Unrecht eine Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung verneint, nicht einmal der Beklagte behaupte, sie explizit hierauf hingewiesen zu haben.

Die Klägerin beantragt, das Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 2011 (AZ 2-18 O 267/05) abzuändern und

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber in Höhe von 300.000,00 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (20. September 2005) zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen materiellen Schaden seit der fehlerhaften Behandlung vom 14. Dezember 20… zu ersetzen, soweit nicht Ansprüche auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden, hilfsweise: das Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 2011 (AZ 2-18 O 267/05) aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankfurt am Main zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Die Schilderung der Klägerin hinsichtlich peitschenknallartiger Kopfschmerzen ab 12. Dezember 20… sei unglaubwürdig. Solche Kopfschmerzen hätten nicht erst am 14. Dezember 20… zu einem Arztbesuch geführt. Die Klägerin habe ihrer Berufstätigkeit noch am 14. Dezember 20… nachgehen können. Die Beweisangebote hinsichtlich der Stärke der Kopfschmerzen seinen untauglich, da alle benannten Personen nicht bei der Untersuchung zugegen waren. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Sicherheitsaufklärung liege nicht vor.

Der Senat hat eine vollständige Kopie des Behandlungsscheins (Bl. 492 d.A.) angefordert und Beweis erhoben durch Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens des gerichtlichen Sachverständigen A und dessen mündliche Erläuterung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 8. Februar 2013 (Bl. 552 – 555 d.A.) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2013 (Bl. 600 – 607 d.A.).

Der Beklagte hat sich zum Ergebnis der Beweisaufnahme geäußert und eine nicht unterzeichnete Stellungnahme des Facharztes für innere Medizin, B, eingereicht und beantragt, den Sachverständigen A erneut hierzu zu hören.

II.

Auf die Berufung der Klägerin war das landgerichtliche Urteil abzuändern. Die Klage ist begründet und der Beklagte den Klageanträgen entsprechend zu verurteilen.

A. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Beklagten nach §§ 280Abs. 1, 611 Abs. 1,253 Abs. 2 BGB.

1. Der Beklagte hat gegen seine aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrag resultierenden Pflichten verstoßen, indem er die Klägerin nicht dem Facharztstandard entsprechend behandelte.

a) Der Arzt hat die beruflich geforderte Sorgfalt zu wahren und die ärztlichen Kunstregeln zu beachten. Die Sorgfaltspflichten bestimmen sich nach dem jeweiligen, dem handelnden Arzt bei zumutbaren Anstrengungen zugänglichen und verfügbaren Stand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung. Er hat zur Abwehr gesundheitlicher Gefährdungen des Patienten diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, welche von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereiches vorausgesetzt und erwartet werden (vgl. BGH Urteil vom 29. November 1994 – VI ZR 189/93 – VersR 1995, 659, 660). Dabei schuldet ein Allgemeinmediziner meist ein geringeres Maß an Sorgfalt und Können als ein Facharzt einer anderen Sparte (BGH NJW 1997, 3090), wobei ein Arzt auch seine speziellen Erkenntnisse zu Gunsten des Patienten einzusetzen hat (vgl. BGH VersR 1987, 686, 687).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend der Sorgfaltsmaßstab eines Facharztes für innere Medizin zugrunde zu legen. Die Klägerin hat sich zu dem von den Krankenkassen eingerichteten Notdienst begeben. Dort ist entgegen der Ansicht der Klägerin kein neurologischer Facharztstandard geschuldet, sondern grundsätzlich der Facharztstandard eines Allgemeinmediziners (vgl. Ziegler/Hartwig, Der Grundsatz der fachgleichen Begutachtung, VersR 2011, 1113, 1116). Der Beklagte, ein Facharzt für innere Medizin, verfügte allerdings aufgrund seiner Ausbildung über speziellere Kenntnisse als ein Facharzt für Allgemeinmedizin, so dass das Landgericht zutreffend auf den Standard eines Facharztes für innere Medizin abgestellt hat.

b) Der Beklagte ist bei der Behandlung der Klägerin am 14. Dezember 20… vom Standard eines Facharztes für innere Medizin abgewichen, indem er gegen seine Pflicht zur Erhebung von Befunden verstoßen hat. Die Frage nach einem ärztlichen Fehlverhalten kann sich auch stellen, wenn der behandelnde Arzt eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, dass der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, dass der behandelnde Arzt für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende Behandlung und deren Folgen einzustehen hat (vgl. BGHZ 138, 1, 5 ff., BGH VersR 1999, 231, 232).

aa) Der Beklagte hat gegen seine Pflicht zur Erhebung von Befunden vor der Diagnosestellung verstoßen, indem er der Klägerin bei der Untersuchung, ob Meningismus (Nackensteifigkeit) vorliegt, keine ausreichenden Fragen zu Intensität, Verlauf und Art von Kopfschmerzen gestellt hat. Neben der klinischen Prüfung der Beugefähigkeit des Kopfes gehören – wie der Sachverständige A nachvollziehbar ausgeführt hat – die anamnestischen Fragen nach Intensität, Art und Verlauf zu den selbstverständlichen Pflichten eines Arztes und es ist ein gravierender Fehler, diese Fragen nicht zu stellen. Dass der Beklagte diese Fragen nicht gestellt hat, folgt aus zweierlei Umständen. Zum einen sind die Prüfung und das Ergebnis der Prüfung eines Meningismus nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen dokumentationspflichtig. Ziel und Zweck der Dokumentation ist die Gewährleistung sachgerechter medizinischer Behandlung durch den Erstarzt und den weiter behandelnden Arzt. Das erscheint plausibel, weil im vorliegenden Fall auch für Nachbehandler entscheidend ist, dass und auf welcher Basis bereits in Richtung auf eine Subarachnoidalblutung, für die Meningismus ein Leitsymptom ist, befundet worden ist. Vorliegend fehlt jedoch eine solche Dokumentation. Das Fehlen einer Dokumentation deutet indiziell darauf hin, dass die Maßnahme unterblieben ist (BGH NJW 1995, 1611), mithin die Anamnese nicht in dem erforderlichen Umfang durchgeführt worden ist. Diese indizielle Wirkung hat der Beklagte nicht entkräftet. Zum anderen belegt das Vorbringen des Beklagten, die Klägerin habe gegen Ende der Untersuchung, als er bereits beim Ausfüllen des Behandlungsscheins war, erstmals geäußert, die Kopfschmerzen seien stark, dass zuvor bei der Prüfung eines Meningismus hierauf nicht eingegangen wurde. Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass die maßgeblichen Fragen zu den Einzelheiten des Kopfschmerzes nicht gestellt worden sind.

bb) Der Beklagte hat gegen seine Pflicht zu Erhebung von Befunden verstoßen, indem er am Ende der Untersuchung, als er bereits beim Ausfüllen des Behandlungsscheines war, auf die erstmalige Angabe der Klägerin, es handele sich um starke Kopfschmerzen, keine ausreichende Befunderhebung durchgeführt hat, sondern lediglich eine Blutdruckmessung durchführte.

Der Beklagte war aufgrund der Angabe der Klägerin veranlasst, seine Diagnose aufgrund der gegen Ende erfolgten Angabe der Klägerin zur Intensität ihrer Kopfschmerzen zu überprüfen und weitere Befunderhebung zur Überprüfung der Diagnose durchzuführen. Dies folgt zum einen daraus, dass der Beklagte die Angabe der Klägerin zum Anlass genommen hat, zumindest eine Blutdruckmessung durchzuführen, aber in der Hauptsache daraus, dass der Sachverständige, der insbesondere bei seinem Ergänzungsgutachten von der unzutreffenden Anknüpfungstatsache ausgegangen war, dass Fragen nach Art und Schwere der Kopfschmerzen gestellt worden waren, erläutert hat, dass man auf die erstmalige Angabe starker Kopfschmerzen „neu einsteigen“ muss, und dies Fragen nach Art, Dauer und Intensität nach sich ziehen muss. Der Beklagte hat solche Fragen nicht gestellt, das Ergebnis solcher Fragen ist nicht dokumentiert. Die Schlussfolgerung des Privatgutachters, bei der Angabe starker Schmerzen gegen Ende der Untersuchung sei davon auszugehen, dass die Schilderung im konkreten Kontext ungeeignet gewesen sei, um von dem Beklagten als wegweisendes Leitsymptom erkannt zu werden, gründet allein auf einer Vermutung. Dies gilt auch für seine Annahme, die ansonsten übliche Fragenkaskade sei gegen Ende der Untersuchung gestellt, jedoch nicht dokumentiert worden, da keine peitschenknallartigen Kopfschmerzen geschildert worden seien.

cc) Einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bedurfte es nach Vorlage des Privatgutachtens von B nicht. Der Privatgutachter geht in den entscheidenden Fragen davon aus, dass die Klägerin von sich aus die Art, Intensität und den Verlauf der Kopfschmerzen hätte darlegen müssen, damit der Beklagte sie als Leitsymptom erkannt hätte. Dem folgt der Senat aus den oben genannten Gründen nicht.

c) Der Beklagte hat die Pflichtverletzung zu vertreten, §§ 280Abs. 1 S. 2, 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB. Wegen des im Arzthaftungsrecht maßgeblichen objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffs, kommt es auf die persönliche, subjektive Situation des Beklagten nicht an, so dass der objektive Pflichtverstoß die Fahrlässigkeit bedingt.

d) Die Klägerin hat die unter I. geschilderten Gesundheitsschäden erlitten, die durch die Pflichtverletzung des Beklagten verursacht wurden. Beweispflichtig für die Kausalität ist grundsätzlich der Geschädigte. Vorliegend kommt der Klägerin aber eine Beweislastumkehr wegen eines groben Befunderhebungsfehlers des Beklagten zugute.

aa) Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die jeweiligen Abweichungen vom Standard eines Facharztes für innere Medizin, sind für sich genommen gravierend, wie der Sachverständige ausgeführt hat. Die Fragen nach Art, Intensität und Verlauf von Kopfschmerzen gehören ganz selbstverständlich zu den Sorgfaltspflichten eines jeden Arztes, unabhängig von dem Fachbereich, in dem er tätig ist. Unterlassene Fragen nach Art, Intensität und Verlauf von Kopfschmerzen stellen damit einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln dar. Aus objektiver ärztlicher Sicht ist ein solcher Verstoß allerdings nicht mehr verständlich, weil er einem Arzt in der Situation des Beklagten nicht unterlaufen darf, da diese Fragen zum selbstverständlichen Grundwissen eines jeden Arztes gehören und besondere Umstände, die den Vorwurf eines schwerwiegenden Behandlungsfehlers mildern könnten, nicht ersichtlich sind.

Ein grober Befunderhebungsfehler führt grundsätzlich zu einer echten Beweislastumkehr. Diese Beweislastumkehr wirkt sich im vorliegenden Fall zum Nachteil des Beklagten aus, denn der Senat konnte nicht sicher feststellen, dass bei richtiger Reaktion des Beklagten die Folgen für die Klägerin geringer ausgefallen wären. Vielmehr sprechen die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen und auch des Privatgutachters des Beklagten dafür, das bei entsprechenden Fragen und einer geeigneten Reaktion in Form der Einholung einer bildgebenden Diagnostik ein besseres Behandlungsergebnis zu erzielen gewesen wäre. Denn die Operationschancen waren am 14. Dezember 20… besser als in der Folgezeit und ein Eingriff noch vor dem Tag der stationären Aufnahme hätte die Hirnblutung und den Hirnschaden verhindern können. Dies überzeugt deshalb, weil es nachvollziehbar ist, dass bei einer früheren operativen Versorgung der Klägerin die Aneurysmen hätten behandelt werden können. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Bedenken gegen die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden vom Beklagten nicht ausgeräumt werden konnten.

Es ist deshalb nach Beweislastgrundsätzen davon auszugehen, dass die spätere große Blutung die zu den gravierenden Beeinträchtigungen der Klägerin geführt hat, vermieden worden wäre. Den Gegenbeweis hat der Beklagte nicht geführt.

e) Die Klägerin kann gem. § 253 Abs. 2 ZPO ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen, dessen Höhe der Senat mit 300.000,00 EUR bemisst. Dabei ist der äußerst gravierende Krankheitsverlauf mitentscheidend, insbesondere die Hirnblutung, die Schlaganfälle, der Wasserkopf, die Bettlägerigkeit, die vollständige Pflegebedürftigkeit, die Inkontinenz, die schwerste spastische Lähmung aller Extremitäten und die Ernährung über eine Magensonde. Die Klägerin war seit dem 21. Dezember 20… bis mindestens 19. März 20…(Folgejahr) in stationärer Behandlung im Krankenhaus und seit 24. März 20… (Folgejahr) bis mindestens 8. November 20… (Folgejahr) in stationärer neurologischer Frührehabilitationsbehandlung. Für die Höhe des Schmerzensgeldes ist auch mitbestimmend, dass die unter Betreuung ihrer Mutter stehende Klägerin nach dem unstreitigen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zeitlebens schwerst geschädigt und ein Pflegefall bleiben wird.

f) Der Beklagte kann sich nicht auf ein Mitverschulden der Klägerin berufen, indem sie sich an den Tagen nach der Untersuchung durch den Beklagten keinem anderen Arzt vorgestellt hat.

aa) Grundsätzlich kann sich zwar auch der Arzt gegenüber dem Patienten, der ihn wegen fehlerhafter Behandlung und Beratung in Anspruch nimmt, darauf berufen, dass dieser den Schaden durch sein eigenes schuldhaftes Verhalten mitverursacht hat (BGHZ 96, 98, 100; BGH VersR 1992, 1229). Ein solches Mitverschulden liegt vor, wenn der Patient diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGH VersR 1992, 1229). So muss von dem Patienten, der an den Heilungsbemühungen des Arztes mitzuwirken hat (BGHZ 96, 98, 100), etwa erwartet werden, dass er dessen Therapie- und Kontrollanweisungen befolgt (BGH VersR 1992, 1229, VersR 1985, 1068, 1070). Mit Rücksicht auf den Wissens- und Informationsvorsprung des Arztes gegenüber dem medizinischen Laien ist jedoch bei der Bejahung mitverschuldensbegründender Obliegenheitsverletzungen des Patienten grundsätzlich Zurückhaltung geboten, so dass sie nur dann in Betracht kommt, wenn der Arzt ihn über die Sachlage vollständig und für ihn verständlich unterrichtet hat (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht 11. Aufl. Rn. 222).

bb) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann der Klägerin ein Mitverschulden nicht angelastet werden. Ein solches Mitverschulden ist nicht darin zu sehen, dass die Klägerin einer eventuellen Anweisung des Beklagten, sich bei Fortdauer der Beschwerden einem Orthopäden vorzustellen, nicht gefolgt ist. Die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen oder Empfehlungen wäre zwar grundsätzlich geeignet, den Mitverschuldenseinwand zu begründen. Dieser setzt jedoch voraus, dass die Klägerin tatsächlich vollständig unterrichtet worden ist. Dies ist jedoch nicht festzustellen. Der Beklagte war sich weder sicher, die Anweisung gegeben zu haben, noch hat er Beweis für eine solche Anweisung angeboten. Eine Anweisung, dass die Klägerin über die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen unterrichtet worden ist, ist auch nicht dokumentiert. Infolgedessen kann der Klägerin eine Nichtbefolgung nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Der Klägerin verfügte auch über kein besonderes persönliches Wissen, dass sie die Unvollständigkeit der Unterrichtung hätte erkennen müssen. Als Laiin musste sich ihr auch kein erneuter Arztbesuch aufdrängen, insbesondere, überzeugt die Ausführung des Privatgutachters des Beklagten, dass der Kopfschmerz nach einiger Zeit zu einem andauernden Kopf- oder Nackenschmerz übergeht.

g) Die für den Schmerzensgeldanspruch geltend gemachten Zinsen seit Rechtshängigkeit sind begründet aus §§ 288, 291 BGB.

B. Die Klägerin kann die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für allen durch die fehlerhafte Behandlung des Beklagten entstandenen materiellen Schaden verlangen. Der Feststellungsantrag war insofern redaktionell anzupassen. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO besteht schon deshalb, weil angesichts von Art und Schwere der Beeinträchtigung der Klägerin materielle Schadensfolgen offensichtlich sind.

C. Der Hilfsantrag bedarf nach der Entscheidung in der Hauptsache keiner Entscheidung. Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708Ziff. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

D. Der Streitwert beträgt 1.300.000,00 EUR. Er setzt sich – wie in der ersten Instanz – zusammen aus 300.000,00 EUR für den Schmerzensgeldantrag und 1.000.000,00 EUR für den Feststellungsantrag.

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