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Alternativen zur Behandlung von Muskelverspannungen durch Injektion von Xylonest

OLG Frankfurt – Az.: 8 U 9/18 – Urteil vom 06.08.2019

Die Berufung der Klägerin gegen das am 13. Dezember 2017 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gießen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten zu tragen.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts vom 13. Dezember 2017 und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen etwaiger ärztlicher Behandlungsfehler.

Die Klägerin war bei der Beklagten – einer in der Rechtsform einer GbR betriebenen überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft – seit 2010 in Behandlung. Wegen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule nahm sie am 22. April 201X einen Behandlungstermin bei Herrn A – einem der Ärzte der Beklagten – wahr. Sie bat ihn bei dieser Gelegenheit, auch nach ihrer linken Schulter zu schauen, da diese leicht schmerzte. Herr A diagnostizierte eine Verspannung und setzte nach Aufbringen eines Desinfektionsmittels zwei fertig aufgezogene, auf einem Tisch bereit liegende Spritzen mit dem Medikament Xylonest in den Muskel.

Am 24. April 201X suchte die Klägerin die Praxis erneut wegen weiterhin bestehender Schmerzen in der Schulter auf. Es wurde eine Röntgenaufnahme des linken Armes gefertigt. Von Herrn B – einem anderen Arzt der Beklagten – wurde im Bereich der linken Schulter eine Quaddelung mit Xylocain vorgenommen. Die Klägerin bekam Schmerzmittel und Cortison verschrieben. Herr B ordnete eine Wiedervorstellung der Klägerin zur Befundkontrolle am nächsten Tag an, zu der die Klägerin jedoch nicht erschien.

Am 26. April 201X suchte die Klägerin wegen zunehmender Beschwerden in der linken Schulter ihren Hausarzt auf, der angesichts einer Rötung und Schwellung der Schulter die Klägerin an das C-Krankenhaus überwies. Dort erfolgte noch am selben Tag eine stationäre Aufnahme. Die Klägerin blieb dort bis zum 9. Mai 201X. Noch am Aufnahmetag wurde eine durch Streptokokken hervorgerufene Phlegmone, eine eitrige Entzündung des Bindegewebes, festgestellt. Es bildete sich ein Abszess, der schließlich am 3. Mai 201X operativ ausgeräumt wurde.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2015 forderte die Klägervertreterin die Haftpflichtversicherung der Beklagten unter Fristsetzung bis zum 18. August 2015 erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz auf.

Die Klägerin hat behauptet, die von Herrn A am 22. April 201X verabreichten Injektionen seien nicht indiziert gewesen. Außerdem habe dieser die Spritzen nicht fachgerecht, nämlich ohne hinreichende Desinfektion, in die Muskulatur gesetzt, wodurch es zu einem Abszess in der Schulter gekommen sei. Sie habe bereits am 24. April 201X nicht nur unter wesentlich stärker gewordenen Schmerzen in der Schulter, sondern auch unter Fieber mit Schüttelfrost und Schweißausbrüchen gelitten. Der linke Arm sei nur unter Schmerzen beweglich gewesen. Es hätten eine Rötung und eine Schwellung an der Schulter bestanden und diese sei heiß gewesen. Der behandelnde Arzt A hätte bei dieser Symptomatik erkennen müssen, dass bereits eine Entzündung in der Schulter vorgelegen habe, und die notwendigen weiteren Behandlungsmaßnahmen, insbesondere die Gabe von Antibiotika, veranlassen müssen.

Alternativen zur Behandlung von Muskelverspannungen durch Injektion von Xylonest
(Symbolfoto: Von Ralf Liebhold/Shutterstock.com)

Infolge des Abszesses habe sie – so die Klägerin weiter – bis zum 31. Juli 201X ihren Haushalt überhaupt nicht führen können und sei bis zum 30. September 201X bei der Haushaltsführung auf fremde Hilfe angewiesen gewesen. Sie könne ihren linken Arm infolge des Abszesses nur noch bis auf Schulterhöhe anheben und mit diesem keine Gegenstände mehr mit einem Gewicht von über fünf Kilogramm heben, weshalb sie in ihrer Haushaltsführungsfähigkeit dauerhaft um 25 % gemindert sei. Sie sei wegen des Abszesses außerdem für unabsehbare Zeit auf Physiotherapie angewiesen. Jegliche Folgeschäden wären ausgeblieben, wenn Herr B am 24. April 201X den Abszess erkannt und adäquat behandelt hätte.

Die Klägerin hat im Einzelnen ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von € 25.000,00 geltend gemacht und darüber hinaus Ersatz für einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von € 19.651,60, Verdienstausfall in Höhe von € 915,54, Fahrtkosten von € 1.215,00, Heilmittelzuzahlungen in Höhe von € 21,84 und eine Unkostenpauschale von € 25,00. Des Weiteren hat die Klägerin wegen der von ihr behaupteten Einschränkungen in der Haushaltsführung eine monatliche Geldrente in Höhe von € 433,33 sowie eine monatliche Rente wegen vermehrter Bedürfnisse in Höhe von € 44,62 beansprucht. Schließlich hat die Klägerin Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 3.593,80 verlangt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin wegen der fehlerhaften ärztlichen Behandlung vom 24. April 201X ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19. August 2015 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 21.828,98 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 19.132,55 seit dem 19. August 2015 sowie aus € 2.696,43 seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 1. März 2016 eine quartalsweise im Voraus zu zahlende monatliche Rente für Fahrtkosten in Höhe von € 44,62 zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 3.593,80 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise € 1.899,24 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten an die Rechtsschutzversicherung der Klägerin, die D Versicherungen, zu der Schadennummer …, nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, € 1.250,00 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten an die Klägerin nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen und die Klägerin in Höhe von € 444,56 von der Zahlung außergerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten freizustellen,

5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung bei der Beklagten am 24. April 201X resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, Herr A habe am 22. April 201X eine ordnungsgemäße Desinfektion vor dem Setzen der Injektionen vorgenommen. Am 24. April 201X hätten bei der Klägerin noch keine Entzündungsanzeichen vorgelegen. Andernfalls hätte Herr B diese bei seiner Behandlung wahrnehmen müssen. Aus diesen Gründen liege kein Behandlungsfehler vor.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Nach Vernehmung der Zeugen E, G, Vorname1 F, Vorname2 F und H sowie Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen I, das dieser in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2017 (BI. 200 ff. d. A.) erläutert hat, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt, die Klägerin habe nicht den Nachweis führen können, dass die ihr am 22. April 201X verabreichten Injektionen mit dem Medikament Xylonest nicht indiziert gewesen seien. Der Sachverständige I habe ausgeführt, dass bei den Beschwerden der Klägerin die Injektion des Medikaments Xylonest nicht zu beanstanden gewesen sei, da die Klägerin über Schmerzen in der Schulter geklagt habe. Zwar gebe es auch Behandlungsalternativen wie die Verabreichung von Wärme oder von Massagen, für die Gabe der Injektionen habe es aber einen ausreichenden Anlass gegeben. Aus der Patientenakte lasse sich nämlich entnehmen, dass es zuvor bereits sieben oder acht identische Behandlungen bei gleicher Symptomatik gegeben habe.

Die Klägerin sei auch beweisfällig hinsichtlich ihrer Behauptung geblieben, vor den Injektionen am 22. April 201X habe Herr A nur eine mangelhafte Desinfektion vorgenommen. Der Sachverständige habe dargelegt, dass eine intramuskuläre Injektion hinsichtlich der Anforderungen an die Hygiene bei Punktionen und Injektionen der niedrigsten Risikoklasse 1 unterfalle. Es werde insoweit das einmalige Aufbringen eines Antiseptikums durch Aufsprühen oder Wischen mit einer Einwirkzeit von 15 Sekunden empfohlen. Die Klägerin habe nicht den Nachweis führen können, dass die Injektionen ohne eine Einwirkzeit unmittelbar nach dem Aufsprühen des Desinfektionsmittels erfolgt seien. Der behandelnde Arzt A habe im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass er auch bei der Klägerin eine Desinfektion durchgeführt habe, wie er sie seit 30 bis 40 Jahren in der gleichen Weise vornehme. Der Sachverständige habe auch keine Pflichtwidrigkeit darin gesehen, dass die verabreichten Spritzen bereits aufgezogen bereit gelegen hätten, als die Klägerin den Behandlungsraum betreten habe. Das zeitnahe Vorbereiten einer Injektion sei nicht zu beanstanden.

Auch ihre Behauptung, der behandelnde Arzt B habe am 24. April 201X trotz eindeutiger Symptome das Vorhandensein einer Infektion in der Schulter nicht erkannt, habe die Klägerin nicht zu beweisen vermocht. Der Sachverständige habe aufgezeigt, welche Symptome sich im Falle einer Entzündung charakteristischerweise zeigten. Dazu gehörten im Bereich der entzündeten Region Schmerzen, Wärme, eine Rötung, eine Schwellung und Funktionseinschränkungen. Werde zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Infektion der Gesamtorganismus erfasst, könnten Fieber, Schüttelfrost und Zittern hinzukommen. Zeichen wie Blässe, ein Krankheitsgefühl oder Zittern könnten aber auch Folge starker Schmerzen wegen einer Muskelverspannung sein. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt ihres Praxisbesuchs am 24. April 201X bereits die von ihr behaupteten eindeutigen Entzündungsanzeichen in Form von Fieber und Schüttelfrost sowie einer Rötung und Schwellung der Schulter vorgelegen hätten.

Zwar hätten die Eltern der Klägerin, die Zeugen Vorname1 und Vorname2 F, übereinstimmend bekundet, die Klägerin habe am 24. April 201X nach dem Praxisbesuch Schüttelfrost und Fieber gehabt. Der Zeuge F habe angegeben, die Stirn der Klägerin habe sich glühend heiß angefühlt. Die Zeugin F habe zudem beschrieben, sie habe die Schulter der Klägerin über der Kleidung angefasst und diese sei sehr heiß gewesen. Beide Zeugen hätten aber andererseits auch angegeben, dass man trotz der geschilderten Symptome kein Fieber gemessen und auch nicht mitbekommen habe, dass die Klägerin dies getan hätte. Die Zeugen hätten auch keine Aussage dazu treffen können, wie die Schulter der Klägerin in unbekleidetem Zustand ausgesehen habe.

Gegen das Vorliegen eindeutiger Entzündungsanzeichen bereits am 24. April 201X spreche die Dokumentation in der Patientenakte der Klägerin. Der behandelnde Arzt B habe dort vermerkt, dass außer den Schmerzen keine weiteren Zeichen einer Entzündung vorgelegen hätten. Herr B habe ausdrücklich eine Rötung, Schwellung, Fieber, neurologische Ausfälle und Zeichen einer Sepsis verneint. Das spreche dafür, dass er das Vorliegen einer Entzündung abgeklärt, eine solche letztlich aber nicht habe feststellen können. Auch lege die Gabe von Cortison und die Durchführung einer Quaddelung mit Xylocain nahe, dass es am 24. April 201X an einer klaren Befundlage gefehlt habe, da diese Medikamente bei einer Entzündung kontraindiziert seien und deshalb nicht verabreicht würden. Nach der Einschätzung des Sachverständigen sei die von Herrn B für den 25. April 201X angeordnete engmaschige Kontrolle bei der Klägerin die richtige Vorgehensweise gewesen.

Der Sachverständige habe zudem nachvollziehbar ausgeführt, dass der bei der Klägerin am 26. April 201X im Krankenhaus gemessene CRP-Wert keine Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Infektion bereits am 24. April 201X zulasse. Der CRP-Wert könne innerhalb von sechs Stunden bis auf das Tausendfache des Normwertes ansteigen. Eine Infektion mit Streptokokken, wie sie bei der Klägerin vorgelegen habe, schreite sehr schnell voran und könne innerhalb von wenigen Stunden sogar Gewebe zerstören.

Auch die Zeugen E und G hätten für den 24. April 201X keine eindeutigen Entzündungssymptome beschreiben können. Die Zeugen hätten lediglich angegeben, dass die Klägerin schlecht ausgesehen und über Schmerzen in ihrer Schulter geklagt habe. Aus diesem Grund habe sie sich dann von der Arbeit abgemeldet, um zum Arzt zu gehen. Nach Angaben des Zeugen G habe die Klägerin auch gezittert. Der Zeuge E habe zudem ausgesagt, dass er sich nicht erinnern könne, dass die Klägerin auch über Schüttelfrost und Fieber geklagt habe. Beide Zeugen hätten zudem angegeben, die Schulter nicht entkleidet gesehen zu haben.

Die Aussage des Zeugen H sei unergiebig gewesen, da er die Klägerin am maßgeblichen Tag nicht gesehen habe. Der Zeuge habe angegeben, dass er am 24. April 201X auf Montage gewesen sei und die Klägerin erst am 25. April 201X kurz vor Mitternacht wiedergesehen habe. Er habe zwar bekundet, die Klägerin habe bei seiner Rückkehr im Bett gelegen, über starke Schmerzen geklagt und Fieber gehabt. Daraus ließen sich wegen des zeitlichen Abstands aber keine Rückschlüsse auf die bei der Klägerin am 24. April 201X vorhandenen Symptome während ihres Praxisbesuchs bei der Beklagten ziehen.

Vor diesem Hintergrund sei letztlich offen, ob die von der Klägerin behaupteten Entzündungsanzeichen tatsächlich bereits zum Zeitpunkt ihres Praxisbesuchs am 24. April 201X vorgelegen hätten, so dass eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen und damit zu Lasten der Klägerin zu treffen gewesen sei.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts vom 13. Dezember 2017 Bezug genommen.

Gegen dieses ihrer Prozessbevollmächtigten am 14. Dezember 2017 (Bl. 218 d. A.) zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem hier per Fax am 15. Januar 2018 – einem Montag – eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt (Bl. 232 f. d. A.). Diese hat die Klägerin sodann mit Anwaltsschriftsatz vom 5. Februar 2018 begründet, der hier am 6. Februar 2018 eingegangen ist (Bl. 240 ff. d. A.).

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter.

Zur Begründung führt die Klägerin u. a. an, es könne hinsichtlich der Frage nach der Indikation der verabreichten Injektion des Medikaments Xylonest nicht maßgeblich sein, dass aus der Patientenkartei hervorgehe, dass bereits sieben- oder achtmal bei gleicher Symptomatik diese Behandlung durchgeführt worden sei. Es sei vielmehr die streitgegenständliche Behandlung zu beurteilen. Im Übrigen hätte es nach den Ausführungen des Sachverständigen Behandlungsalternativen gegeben.

In seinem schriftlichen Gutachten habe der Sachverständige zudem auch noch ausgeführt, dass überhaupt kein Befund beschrieben sei, der die angeordneten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen erkläre.

Hinsichtlich der mangelhafte Desinfektion solle nach den geltenden Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut „die Zubereitung und das Aufziehen von Medikamenten unmittelbar vor der Applikation erfolgen“.

Hier sei jedoch davon auszugehen, dass die Spritze entgegen den Empfehlungen gerade nicht unmittelbar vor der Applikation aufgezogen worden sei. Der Sachverständige habe bekundet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Infektion durch die Spritze am 22. April 201X hervorgerufen worden sei. Es sei von einem Verstoß gegen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention und einem Hygienemangel mit der Folge einer Infektion auszugehen.

Nach Ansicht der Klägerin habe die Beklagte die Einhaltung der Hygienevorschriften zu beweisen. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht, da die Angaben des A nicht glaubhaft seien.

In Bezug auf die Frage des Nichterkennens der Infektion in der Schulter beruhe die Entscheidung des Landgerichts auf einer falschen Beweiswürdigung.

Das Landgericht habe verkannt, dass auch Herr B am 24. April 201X kein Fieber gemessen habe. Darüber hinaus spreche die Dokumentation der Beklagten gegen das Vorliegen eindeutiger Entzündungszeichen. Der Sachverständige habe die Dokumentation von B vom 24. April 201X mit 21 Zeilen als ungewöhnlich umfangreich erachtet, zumal die meisten anderen Karteikarteneinträge lediglich zwei bis fünf Zeilen lang seien. Erstaunlicherweise fänden sich die entscheidungserheblichen Punkte in ungewöhnlicher Ausführlichkeit in der Karteikarte wieder. Dies habe das Landgericht nicht hinterfragt.

Zudem habe sich das Landgericht fälschlicherweise der eigenwilligen Interpretation des Sachverständigen, aus der durchgeführten Therapie (Kortisonverordnung und Quaddelung) sei herzuleiten, dass eben keine Infektion vorgelegen habe, angeschlossen.

Insgesamt habe sich das Landgericht bei seiner Entscheidungsfindung im Wesentlichen auf die Dokumentation der Beklagten gestützt. Die Aussagen der Zeugen Vorname1 und Vorname2 F, E und G seien bei der Entscheidungsfindung nicht hinreichend gewichtet worden. Das Gericht habe der Tatsache, dass die Zeugen die Schulter nicht in entkleidetem Zustand gesehen haben, zu viel Bedeutung zugemessen. Es verwundere nicht, dass die Arbeitskollegen der Klägerin die Schulter nicht gesehen hätten.

Wenn das Landgericht insgesamt unterstelle, die Zeugen hätten keine eindeutigen Entzündungszeichen beschreiben können, so sei dies nicht zutreffend. Schüttelfrost sei von den Zeugen beschrieben worden, ebenso Fieber von den Zeugen Vorname1 und Vorname2 F. Das Landgericht hätte – so die Klägerin weiter – nicht ohne Weiteres unterstellen dürfen, dass Fieber gerade nicht vorgelegen habe, weil es nicht von der Klägerin oder den Zeugen gemessen worden sei, denn Herr B habe „kein Fieber“ dokumentiert, ohne eine Messung vorzunehmen.

Zudem habe das Gericht nicht hinterfragt, warum Herr B – wenn am 24. April 201X keine Infektion vorgelegen haben sollte, sondern lediglich Muskelverspannungen – das Cortison Volon verordnet habe.

Aufgrund der auffälligen Dokumentation, der Verordnung von Cortison, dem hochschmerzhaften Zustand mit hohem Schmerzmittelbedarf, dem Erfordernis zur kurzfristigen Kontrolle und der übereinstimmenden Zeugenaussagen hätte das Landgericht „das Vorliegen einer Infektion am 24. April 201X nicht ausschließen dürfen“. Es spreche viel dafür, dass eine Infektion vorgelegen habe und Herr B die Infektion nicht erkannt und weitere Behandlungsmaßnahmen fehlerhaft unterlassen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 5. Februar 2018 (Bl. 240 ff. d. A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung des am 13. Dezember 2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Aktenzeichen 5 O 67/16, die Beklagte zu verurteilen, an sie wegen der fehlerhaften ärztlichen Behandlung der Klägerin vom 24. April 201X ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19. August 2015 zu zahlen,

2. unter Abänderung des am 13. Dezember 2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Aktenzeichen 5 O 67/16, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 21.828,98 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 19.132,55 seit dem 19. August 2015 sowie aus € 2.696,43 seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. unter Abänderung des am 13. Dezember 2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Aktenzeichen 5 O 67/16, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 1. März 2016 eine quartalsweise im Voraus zu zahlende monatliche Rente für Haushaltsführungsschaden in Höhe von € 433,33 zu zahlen,

4. unter Abänderung des am 13. Dezember 2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Aktenzeichen 5 O 67/16, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 1. März 2016 eine quartalsweise im Voraus zu zahlende monatliche Rente für Fahrtkosten in Höhe von € 44,62 zu zahlen,

5. unter Abänderung des am 13. Dezember 2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Aktenzeichen 5 O 67/16, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 3.593,80 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise € 1.899,24 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten an die Rechtsschutzversicherung der Klägerin, die D Versicherungen, zu der Schadennummer …, nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, € 1.250,00 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten an die Klägerin nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen und die Klägerin in Höhe von € 444,56 von der Zahlung außergerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten freizustellen,

6. unter Abänderung des am 13. Dezember 2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Gießen, Aktenzeichen 5 O 67/16, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung bei der Beklagten am 24. April 201X resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Hilfsweise beantragt die Klägerin, das Verfahren an das Landgericht Gießen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung der Beklagten wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 22. Februar 2018 verwiesen (Bl. 255 ff. d. A.).

In der öffentlichen Sitzung vom 2. Juli 2019 hat der Sachverständige I sein Gutachten mündlich erläutert; auf das Protokoll dieser Sitzung (Bl. 287 ff. d. A.) wird insoweit Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden.

III.

In der Sache bleibt die Berufung der Klägerin indes ohne Erfolg.

Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Der mit dem Antrag zu 2 geltend gemachte materielle Schadensersatzanspruch (§§ 630a, 280 Abs. 1, 249 BGB) steht der Klägerin nicht zu.

Zwar finden die §§ 630a ff. BGB im Streitfall ratione temporis Anwendung, weil ein nach dem 25. Februar 201X geschlossener Behandlungsvertrag in Rede steht (vgl. etwa Mansel, in: Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, Vorbemerkungen zu §§ 630a-630h, Rdnr. 7). Der Klägerin ist jedoch nicht zur Überzeugung des Senats (§§ 525 Satz 1, 286 Abs. 1 ZPO) der Nachweis gelungen, dass den für die Beklagte tätigen Ärzten ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.

Die Klägerin hat nicht den Beweis führen können, dass ihre Behandlung in der Form der Injektion des Medikaments Xylonest am 22. April 201X nicht medizinisch indiziert gewesen ist (a). Ebenso wenig hat die Klägerin zu beweisen vermocht, dass Herrn A bei dieser Injektion ein Behandlungsfehler unterlaufen ist (b). Schließlich steht auch nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Behandlung der Klägerin durch Herrn B am 24. April 201X behandlungsfehlerhaft gewesen ist (c).

a. Die Behandlung der Klägerin in der Form der Injektion des Medikaments Xylonest am 22. April 201X war medizinisch indiziert.

Zwischen den Parteien des Rechtsstreits ist unstreitig, dass die Klägerin Herrn A anlässlich ihrer Vorstellung am 22. April 201X u. a. gebeten hat, nach ihrer linken Schulter zu schauen, da diese leicht schmerzte. Ebenso wenig steht zwischen den Parteien im Streit, dass Herr A daraufhin eine Verspannung diagnostiziert hat (§ 314 ZPO). Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass der Sachverständige I den Behandlungsunterlagen in Ermangelung einer entsprechenden Dokumentation nicht entnehmen konnte, was Anlass für die Injektion des Medikaments Xylocain gewesen ist, keine Bedeutung zu, da diese Dokumentationslücke durch den unstreitigen Sachvortrag der Parteien geschlossen worden ist.

Der Sachverständige hat vor diesem Hintergrund ausgeführt, es handele sich bei der von Herrn A vorgenommenen Injektion um eine gängige und anerkannte Therapieform zur Behandlung solcher Verspannungen. Im Hinblick auf die Indikation einer Injektion spiele die Dauer der Beschwerden keine entscheidende Rolle. Es mache keinen Unterschied, ob die Beschwerden schon länger anhaltend vorhanden gewesen oder erst kurz vor der Behandlung aufgetreten seien. Auf die Entscheidung des Arztes, zu welcher Behandlungsmethode er greife, habe das keinen Einfluss (s. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2019, Bl. 288 d. A.; vgl. überdies S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 22. November 2017, Bl. 201 d. A.: Es sei nicht zweifelhaft, dass „ein Anlass für eine solche Behandlung vorgelegen“ habe).

Diesen in sich schlüssigen und auch für Laien nachvollziehbaren Ausführungen folgt der Senat, zumal diese auch im Einklang mit der Einschätzung der Gutachterkommission der Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungen bei der Landesärztekammer Bundesland1 stehen, die in ihrem Entscheid vom 27. März 2015 ausgeführt hat, die am 22. April 201X verabreichte Spritze mit Xylocain sei „angesichts des geschilderten Beschwerdebildes indiziert“ gewesen (S. 5, Bl. 48 d. A.).

Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht (S. 2 des Protokolls der Sitzung vom 22. November 2017, Bl. 201 d. A.) betont hat, dass hier auch Behandlungsalternativen (Verabreichung von Wärme, Massage; medikamentöse Behandlung) vorgelegen hätten, ist dieser Einwand nicht stichhaltig.

Der Umstand, dass zu einer indizierten Behandlung Behandlungsalternativen bestehen, macht die gewählte Behandlung nicht behandlungsfehlerhaft. Nach dem Grundsatz der Therapiefreiheit ist die Therapiewahl primär Sache des Arztes, dem bei seiner Entscheidung ein weites Ermessen für den Fall eingeräumt wird, dass praktisch gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22.05.2007 – VI ZR 35/06 -, NJW 2007, 2774; Katzenmeier, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, Stand: 01.05.2019, § 630a, Rdnr. 183 ff.). Die Frage nach etwaigen Behandlungsalternativen wäre daher allenfalls für die Frage der Aufklärung relevant; die Klägerin hat jedoch weder im ersten noch im zweiten Rechtszug eine nicht ordnungsgemäße Aufklärung gerügt, so dass etwaige Ansprüche der Klägerin wegen einer unzureichenden Aufklärung hier nicht Streitgegenstand sind.

b. Auch in Bezug auf die von der Frage der Indikation der Injektion zu trennende Frage der Durchführung der Injektion hat die Klägerin einen Behandlungsfehler des Herrn A nicht zu beweisen vermocht.

Insoweit ist nach dem den Senat bindenden Tatbestand des angegriffenen Urteils (§ 314 ZPO) zwischen den Parteien unstreitig, dass Herr A „nach Aufbringen eines Desinfektionsmittels zwei fertig aufgezogene, auf einem Tisch bereit liegende Spritzen mit dem Medikament Xylonest in den Muskel“ injizierte.

In der vom dem Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auf den S. 3 ff. in Bezug genommenen Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI) mit dem Titel „Anforderungen an die Hygiene bei Punktionen und Injektionen“ heißt es insoweit:

„Die Zubereitung und das Aufziehen von Medikamenten soll unmittelbar vor der geplanten Applikation erfolgen, da In-vitro-Studien eine Keimvermehrung nach einer bis mehreren Stunden in Abhängigkeit von der Art des Medikamentes, vom initialen Keimeintrag und ggf. antimikrobiellen Eigenschaften von enthaltenen Zusätzen gezeigt haben [38, 39]. Erforderliche Ausnahmen (z. B. für die Notfallmedikamente in Ambulanzen oder Arztpraxen) müssen vom Krankenhaushygieniker (ggf. dem niedergelassenen Arzt) und der zuständigen Apotheke (ggf. unter Hinzuziehung weiteren Sachverstandes in der jeweiligen Einrichtung) in einer Standardarbeitsanweisung beschrieben werden“.

Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vor dem Hintergrund der Angabe von Herrn A, er habe bei Eintreffen der Klägerin in der Praxis die Anweisung zum Aufziehen der Spritzen gegeben, von einem zur Verabreichung „zeitnahen“ Aufziehen der Spritze gesprochen. Diese Einschätzung hat das Landgericht übernommen (s. S. 6 des Urteils unter „b“, Bl. 213 d. A.). Angesichts der Formulierung der zitierten Empfehlung, die auf Studien Bezug nimmt, bei denen sich eine Keimvermehrung nach einer bis mehreren Stunden gezeigt habe (Hervorhebung hinzugefügt), ist diese Einschätzung nicht zu beanstanden, da von einer derart langen Zeitdauer hier keine Rede sein kann.

Die in der Berufungsbegründung formulierte Ansicht der Klägerin, insoweit treffe die Beklagte die Beweislast, ist offensichtlich unzutreffend. Die Klägerin ist im Streitfall für den von ihr postulierten Hygieneverstoß beweisbelastet, da ein Fall des § 630h Abs. 1 BGB offensichtlich nicht vorliegt.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang im ersten Rechtszug die Behauptung aufgestellt hat, Herr A habe keine hinreichende Desinfektion der Einstichstelle vorgenommen, ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellung des Landgerichts gebunden, dass die Klägerin ihre entsprechende Behauptung nicht zu beweisen vermocht hat. Die Klägerin ist auf diese Behauptung in der Berufungsbegründung nicht mehr explizit zurückgekommen.

c. Auch in Bezug auf die Behandlung der Klägerin durch Herrn B am 24. April 201X hat diese einen Behandlungsfehler nicht zu beweisen vermocht.

Das Landgericht hat sich insoweit auf den Standpunkt gestellt, dass die Klägerin ihre Behauptung, der behandelnde Arzt B habe am 24. April 201X trotz eindeutiger Symptome das Vorhandensein einer Infektion in der Schulter nicht erkannt, nicht zu beweisen vermocht habe.

Mit der Berufung versucht die Klägerin, Fehler in der entsprechenden Beweiswürdigung des Landgerichts aufzuzeigen. So betont die Klägerin in der Berufungsbegründung etwa den Umstand, dass auch B am 24. April 201X bei der Klägerin kein Fieber gemessen habe.

Dass B am 24. April 201X bei der Klägerin kein Fieber gemessen hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat in der Berufungserwiderung nämlich vortragen lassen, der diesbezügliche Vortrag der Klägerin liege „neben der Sache“ (S. 3 des Anwaltsschriftsatzes vom 22. Februar 2018, Bl. 257 d. A.). Hierfür habe nämlich „kein Anlass [bestanden], weil kein Entzündungszeichen“ vorgelegen hätte (a. a. O.; s. auch die Anhörung von Herrn B vor dem Landgericht, S. 8 des Protokolls der Sitzung vom 7. September 2016, Bl. 93 d. A.).

Soweit in der Dokumentation für diesen Tag u. a. der Eintrag „kein Fieber“ vermerkt ist, handelt es sich vor diesem Hintergrund lediglich um eine bloße Wiedergabe der entsprechenden Angabe der Klägerin gegenüber Herrn B.

Dass Herr B am 24. April 201X bei der Klägerin kein Fieber gemessen hat, stellt jedoch keinen Behandlungsfehler dar. Der Sachverständige hat deutlich gemacht, dass Herr B zu einer Fiebermessung Veranlassung nur dann gehabt hätte, wenn hinreichende Entzündungszeichen bei der Klägerin vorgelegen hätten. Dies jedoch war nach der Fall, wie bereits das Landgericht zutreffend herausgearbeitet hat.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sich nicht im Sinne des § 286 ZPO davon hat überzeugen können, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung durch Herrn B am 24. April 201X hinreichende Entzündungszeichen vorgelegen hätten.

Dagegen spricht in erster Linie die Dokumentation der Beklagten. Herr B hat – wie bereits der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten betont hatte (S. 7 oben, Bl. 147 d. A.) – in der Dokumentation die möglichen Entzündungszeichen explizit aufgeführt. Dabei hat er lediglich das Vorliegen von Schmerzen bejaht, das Vorliegen einer Rötung, einer Schwellung, von Fieber, von neurologischen Ausfällen und von Sepsiszeichen hingegen jeweils verneint (s. dazu auch die Bewertung des Sachverständigen auf S. 7 seines schriftlichen Gutachtens, Bl. 147 d. A.).

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang wieder darauf zurückkommt, dass die Dokumentation von Herrn B für den 24. April 201X außergewöhnlich umfangreich sei (so auch der Sachverständige auf den S. 6 f. seines Gutachtens, Bl. 146 f. d. A.), ist dieser Einwand nicht stichhaltig. Es gibt im Streitfall keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass die Dokumentation nachträglich im Sinne des § 630f Abs. 1 Satz 2 BGB berichtigt oder geändert worden ist, was auch der Sachverständige betont hat (s. S. 7 seines Gutachtens, Bl. 147 d. A.).

Überdies lässt sich die Ausführlichkeit der Dokumentation mit einer Reihe von zwischen den Parteien unstreitigen Umständen erklären. So hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass es sich bei der Klägerin um eine Patientin handelte, die in erster Linie – wie ja auch bereits am 22. April 201X – durch Herrn A behandelt wurde (S. 2 des Anwaltsschriftsatzes vom 15. Mai 2017, Bl. 166 d. A.). Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Arzt eine Dokumentation in einem derartigen Fall tendenziell ausführlicher gestaltet, um dem Kollegen ein zutreffendes Bild insbesondere der Befunde und der Diagnose zu vermitteln. Es kommt noch hinzu, dass die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, dass Herr B es gewohnt sei, umfassend zu dokumentieren, da er bereits mehrfach als Gutachter tätig gewesen sei und daher wisse, wie wichtig eine ausführliche Dokumentation sei (S. 1 f. des Anwaltsschriftsatzes vom 15. Mai 2017, Bl. 166 d. A.).

Darüber hinaus spricht gegen eine nachträgliche Veränderung der Dokumentation auch noch der Umstand, dass der nächste (handschriftliche) Eintrag in der Dokumentation im üblichen Abstand unter den ausführlichen (handschriftlichen) Eintrag vom 24. April 201X gesetzt worden ist.

Auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen kann daher auch der Senat – wie zuvor bereits das Landgericht – nicht die Überzeugung gewinnen, dass bei der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung durch Herrn B am 24. April 201X hinreichende Entzündungszeichen vorgelegen hätten.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang in der Berufungsbegründung formuliert, es verwundere nicht, dass die Arbeitskollegen der Klägerin die Schulter nicht gesehen hätten (S. 8, Bl. 247 d. A.), ist dieser Umstand in der Tat nicht verwunderlich. Die Klägerin verkennt jedoch, dass dieser Aspekt die Bedeutung der Beobachtungen der Zeugin und der Zeugen eben ein Stück weit reduziert, da diese die Schulter der Klägerin gerade nicht in einem entkleideten Zustand gesehen haben.

Im Übrigen hat der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten darauf aufmerksam gemacht, dass die von den Zeugen und der Zeugin berichteten Entzündungszeichen „Zittern“, „Blässe“ und „Krankheitsgefühl“ auch durch eine „starke Schmerzhaftigkeit einer akuten Muskelverspannung hervorgerufen werden“ können; auch die Überwärmung sei „im Bereich von akuten Muskelverspannungen“ möglich (S. 10, Bl. 150 d. A.). Dieser Umstand relativiert die Bedeutung der Beobachtungen der Zeugen und der Zeugin noch weiter, da der von diesen beschriebene Zustand der Klägerin auch eine andere Ursache als eine Entzündung gehabt haben kann.

Auch die von der Klägerin auf S. 9 der Berufungsbegründung aufgeworfene Frage, warum Herr B am 24. April 201X der Klägerin das Medikament „Volon“ – ein Cortikoid – verordnet hat, obwohl er nach seinen Angaben lediglich von einer Muskelverspannung ausgegangen ist, gibt keinen Anlass für eine abweichende Beweiswürdigung. Im Gegenteil: Der Sachverständige hat ausgeführt, dass – sofern bei der Klägerin schon am 24. April 201X eine Infektion vorgelegen hätte und dies von Herrn B erkannt worden wäre – die Verordnung von Kortison ebenso komplett kontraindiziert gewesen wäre wie die an diesem Tage vorgenommene Quaddelung. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass Herr B bei der Klägerin einen bakteriellen Infekt nicht gesehen und auch nicht vermutet habe. Offenbar habe Herr B mit der Verordnung von Kortison die Ursache der Muskelverspannung, die vermutlich im Bereich der Halswirbelsäule gelegen habe, behandeln wollen.

Auch insoweit folgt der Senat den ganz offensichtlich von großer Sachkunde getragenen, in sich schlüssigen und auch für Laien verständlichen Ausführungen des Sachverständigen. Zwar ist der von dem Sachverständigen insoweit gezogene Schluss nicht logisch zwingend, da es ja immerhin theoretisch denkbar ist, dass Herr B trotz des Erkennens eines vorliegenden bakteriellen Infekts in behandlungsfehlerhafter Weise die Klägerin mit einer Quaddelung und der Gabe von Kortison behandelt hat. Allerdings ist ein derartiges Szenario wenig wahrscheinlich und gibt erst recht keinen Hinweis auf das Vorliegen von hinreichenden Entzündungszeichen bei der Vorstellung der Klägerin am 24. April 201X bei Herrn B.

d. Soweit die Klägerin eine Unkostenpauschale in Höhe von € 25,00 begehrt, ist das materielle Schadensersatzbegehren auch noch aus einem weiteren Grunde unbegründet. Außerhalb der Regulierung von Verkehrsunfallschäden ist eine Pauschale für Schadensfälle (ohne nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen) nämlich nicht anerkannt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11 -, NJW 2012, 2267, 2268; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 249, Rdnr. 79).

2. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Anträge der Klägerin auf Ersatz des immateriellen Schadens (Antrag zu 1) und auf Zahlung einer monatlichen Rente (Antrag zu 3), der Feststellungsantrag (Antrag zu 5) sowie der Antrag auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 4) ohne Erfolg bleiben.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die Klägerin ohnehin – wie bereits im ersten Rechtszug – die (Berufungs-)Anträge zu 1 und zu 6 auf die „fehlerhafte ärztliche Behandlung der Klägerin vom 24. April 201X“ beschränkt hatte. Selbst wenn Herrn A am 22. April 201X ein Behandlungsfehler unterlaufen wäre, hätte dies also allenfalls zur Begründetheit der (Berufungs-) Anträge zu 2, zu 3, zu 4 und zu 5 führen können.

Es bestand für den Senat auch keine Veranlassung, die Klägerin auf diese nicht ohne Weiteres nachvollziehbare Beschränkung der Klageanträge zu 1 und zu 6 hinzuweisen. Eine Erstreckung der Klageanträge zu 1 und zu 6 auch auf die Behandlung am 22. April 201X hätte eine Klageerweiterung dargestellt. Der Senat war jedoch insbesondere im Interesse seiner Unparteilichkeit daran gehindert, im Wege des § 139 ZPO der Klägerin eine Klagerweiterung nahezulegen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.07.1999 – V ZR 56/98 -, NJW 1999, 2890, 2892; BAG, Urteil vom 08.09.1971 – 4 AZR 405/70 -, juris; OLG Köln, Urteil vom 03.05.1972 – 2 U 137/71 -, VersR 1972, 1150, 1151 f.; Greger, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO, Rdnr. 15; Schellhammer, Zivilprozess, 15. Aufl. 2016, Rdnr. 1329; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 16. Aufl. 2019, § 139, Rdnr. 13).

3. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10 Sätze 1 und 2, 711 ZPO.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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