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Aufklärungspflichten bei Patientenüberweisung zur Operation in Krankenhaus

OLG Hamm  – Az.: I-3 U 33/19 – Beschluss vom 20.05.2019

In dem Rechtsstreit gegen … weist der Senat nach Vorberatung darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung des Klägers gegen das am 16.01.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Hagen durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Der im Jahr 1966 geborene Kläger unterzog sich am 21.04.2010, 08.02.2011 und 17.02.2011 jeweils einer Wirbelsäulenoperation im Gemeinschaftskrankenhaus I. Der Beklagte, ein niedergelassener Neurochirurg, hatte den Beklagten [richtig: den Kläger – Anmerkung der Redaktion] erstmals am 09.04.2010 untersucht und eine Operationsindikation wegen therapieresistenter Beschwerden bejaht. Am 14.01.2011 stellte sich der Kläger erneut mit Beschwerden in der Praxis des Beklagten vor.

Der Kläger hat dem Beklagten erstinstanzlich Behandlungsfehler und Aufklärungsmängel vorgeworfen und behauptet, dass die genannten Operationen zu einer deutlichen Verschlechterung seines Zustands geführt hätten. Er hat ein angemessenes Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 15.000 EUR gefordert (100.000 EUR abzüglich 85.000 EUR, die aufgrund eines Vorprozesses gegen die Trägerin des Gemeinschaftskrankenhauses I gezahlt wurden). Zudem hat er einen rückständigen Haushaltsführungsschaden i.H.v. 67.680 EUR, einen laufenden Haushaltsführungsschaden i.H.v. 779,40 EUR monatlich sowie einen Verdienstausfallschaden i.H.v. 30.015 EUR behauptet und geltend gemacht. Schließlich hat der Kläger die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz materieller und nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden begehrt. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und zur näheren Darstellung der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Parteien persönlich angehört, die Zeugin U vernommen und ein neurochirurgisches Gutachten des Sachverständigen PD Dr. L eingeholt. Sodann hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Behandlungsfehler des Beklagten nicht feststellbar sei, dem Beklagten auch kein Aufklärungsversäumnis vorzuwerfen sei und im Übrigen von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers in die Operation vom 21.04.2010 auszugehen sei.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge unverändert weiter.

Der Kläger akzeptiert die Feststellung des Landgerichts, dass die Operationsempfehlung des Beklagten vom 09.04.2010 nicht fehlerhaft gewesen sei. Er hält jedoch daran fest, dass der Beklagte wegen einer unzureichenden Eingriffsaufklärung für die Operation vom 21.04.2010 bzw. deren Folgen hafte. Der Beklagte habe ihn nicht über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung bzw. des Nichtstuns aufgeklärt, was in Anbetracht der relativen Operationsindikation geboten gewesen wäre. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hafte der Beklagte auch unter dem Aspekt einer unzureichenden Risikoaufklärung, da er die Risikoaufklärung nach eigenem Vortrag sehr wohl übernommen habe. Von einer hypothetischen Einwilligung, so der Kläger weiter, sei nicht auszugehen. Das Landgericht habe verkannt, dass an den Nachweis der hypothetischen Einwilligung strenge Anforderungen zu stellen seien. Er, der Kläger, habe im Rahmen seiner persönlichen Anhörung einen plausiblen Entscheidungskonflikt dargelegt und dabei nicht aus der Sicht ex post argumentiert.

Der Kläger macht weiterhin geltend, dass die Behandlung am 14.01.2011 fehlerhaft gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt, so der Kläger, hätte der Beklagte das Wirbelgleiten kennen und für den Fall einer weiteren Operation zu einer Versteifung raten müssen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung stand. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung. Dem Kläger stehen keine vertraglichen oder deliktischen Ansprüche gegen den Beklagten aus der streitgegenständlichen Behandlung zu.

Zur näheren Begründung wird zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers ist ergänzend Folgendes auszuführen:

1.  Der Beklagte haftet nicht wegen einer unzureichenden Aufklärung für die Operation vom 21.04.2010 und deren Folgen.

a)  Der Beklagte musste den Kläger am 09.04.2010 nicht darauf hinweisen, dass die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung bzw. des Nichtstuns bestand.

Zwar kann ein Arzt verpflichtet sein, den Patienten vor einem relativ indizierten Eingriff darüber aufzuklären, dass und mit welchem Risiko auch ein Aufschieben oder gänzliches Unterlassen der Operation möglich ist (vgl. BGH VersR 1997, 451). Im vorliegenden Fall ist aber ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Beklagten wusste, dass die Möglichkeit bestand, von einer Operation abzusehen und die bestehenden Schmerzen weiter zu ertragen (wobei dann das Risiko einer weiteren Verschlechterung und Chronifizierung bestanden hätte). Über Umstände, die der Arzt als bekannt voraussetzen darf, muss er den Patienten nicht aufklären (vgl. BGH VersR 2007, 66 Rn. 12). Der Kläger behauptet auch nicht, dass der Beklagte die möglichen Folgen eines Aufschiebens oder Unterlassens der Operation unzutreffend dramatisiert hätte.

Dass die Möglichkeiten einer aktiven konservativen Behandlung am 09.04.2010 bereits ausgeschöpft waren und folglich keine Pflicht des Beklagten zu einer diesbezüglichen Alternativenaufklärung bestand, hat der Sachverständige PD Dr. L überzeugend ausgeführt. Insoweit erhebt der Kläger auch keine Einwände.

b)  Dem Beklagten ist auch keine unzureichende Risikoaufklärung vorzuwerfen.

Da der Beklagte dem Kläger lediglich eine Operation empfahl, ohne diese selbst durchzuführen, dem Kläger eine Einwilligung abzuverlangen oder eine abschließende medizinische Entscheidung zu treffen (vgl. dazu BGH NJW 1980, 633), war er nicht zur Risikoaufklärung verpflichtet. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass die Aufklärung im Gemeinschaftskrankenhaus I, an das er den Kläger überwies, erfolgen würde (vgl. Pauge/Offenloch „Arzthaftungsrecht“, 14. Aufl. 2018, Rn. 471; Martis/Winkhart „Arzthaftungsrecht“, 5. Aufl. 2018, Rn. A 1781 m.w.N.; anders für eine abweichende Fallgestaltung, im Übrigen offenlassend BGH NJW 1980, 1905 (1907)).

Übernimmt der Arzt, der einen Patienten zur Operation in ein Krankenhaus einweist, allerdings tatsächlich die Risikoaufklärung, muss diese richtig und grundsätzlich vollständig sein (Martis/Winkhart a.a.O. Rn. A 1782; OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 390 (391)). Indes hat der Kläger im Kammertermin ausdrücklich erklärt, dass der Beklagte mit ihm nicht über eventuelle Folgen und Risiken der Operation gesprochen habe. In der Berufungsinstanz will der Kläger sich möglicherweise den erstinstanzlichen Vortrag des Beklagten zur Risikoaufklärung zu eigen machen (S. 5 der Berufungsbegründung). Auch auf dieser Grundlage ist allerdings kein Aufklärungsdefizit festzustellen, und zwar, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, schon aus dem Grund, dass der Beklagte nach eigenem Vortrag nicht den Eindruck einer abschließenden Auflistung aller Risiken erweckte, sondern den Kläger ausdrücklich auf die mündliche und schriftliche Aufklärung im Krankenhaus verwies. Wenn der Kläger sich den Vortrag des Beklagten zu eigen macht, dann ist auch dieser Aspekt des Vortrags zu berücksichtigen. Im Übrigen hat das Landgericht nach persönlicher Anhörung der Parteien die Überzeugung gewonnen, dass der Vortrag des Beklagten den Tatsachen entspricht (S. 9, 14 UA). Diese Überzeugungsbildung ist nicht zu beanstanden und wird auch vom Kläger mit der Berufung nicht angegriffen.

c)  Selbst wenn dem Beklagten ein Aufklärungsdefizit vorzuwerfen wäre, würde er für dieses nicht haften, da auch der hilfsweise erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgreift.

Dem Kläger ist es vor dem Hintergrund seines ganz erheblichen präoperativen Leidensdrucks und der zahlreichen erfolglosen Vorbehandlungen nicht gelungen, einen echten Entscheidungskonflikt plausibel darzulegen. Auf die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen.

Ergänzend ist festzuhalten, dass der Kläger vor dem Landgericht erklärt hat, den Aufklärungsbogen des Krankenhauses durchgelesen und die darin enthaltenen Angaben zur Kenntnis genommen zu haben. In diesem Bogen sind diverse schwerwiegende Risiken aufgeführt, darunter diejenigen, die sich beim Kläger nach dessen Darstellung verwirklicht haben sollen (Verschlechterung der Beschwerden, Lähmungen, Gefühlsstörungen, Impotenz). Der Kläger hat sich dennoch der Operation unterzogen, sodass grundsätzlich nicht nachvollziehbar ist, dass ihn eine zusätzliche mündliche Aufklärung durch den Beklagten in einen echten Entscheidungskonflikt gestürzt hätte. Hinzu kommt, dass der Kläger nach eigenen Angaben den Ärzten des Gemeinschaftskrankenhauses I vertraute.

2.  Es ist auch kein Behandlungsfehler des Beklagten festzustellen. Der insoweit einzig noch erhobene Vorwurf des Klägers, der Beklagte habe ihm am 14.01.2011 für den Fall einer etwaigen weiteren Operation eine Wirbelversteifung anraten müssen, ist unbegründet.

Nach den insoweit unangefochtenen Ausführungen des Sachverständigen war es Aufgabe der operierenden Klinik, durch entsprechende Untersuchungen zu klären, ob das leichtgradige Wirbelgleiten L5/S1 behandlungsbedürftig war. Tatsächlich ergaben wohl Röntgen-Funktionsaufnahmen vom 16.04.2010, angefertigt im Gemeinschaftskrankenhauses I, einen versteifungswürdigen Befund. Es ist allerdings entgegen der Berufungsbegründung nicht ersichtlich, dass der Beklagte diesen Befund am 14.01.2011 gekannt hätte. Im Entlassungsbrief der Klinik vom 26.04.2010, gerichtet an den Beklagten, findet sich kein Hinweis auf die Funktionsaufnahmen vom 16.04.2010 oder deren Ergebnis. Dass der Beklagte die vollständigen Behandlungsunterlagen der Klinik gekannt hätte, ist nicht anzunehmen.

Aber selbst wenn der Beklagte am 14.01.2011 gewusst hätte, dass ein mobiles Wirbelgleiten bestand, wäre ihm kein Behandlungsfehler vorzuwerfen. Der Kläger stellte sich an diesem Tag nämlich mit neuen Beschwerden vor, die dem Sachverständigen zufolge nicht auf das Wirbelgleiten zurückzuführen waren (Schmerzen im Bereich der Oberschenkelvorderseite, Leiste und Hoden). Der Beklagte handelte richtig, indem er den Kläger zunächst zur urologischen und allgemeinchirurgischen Abklärung überwies und für den Fall der Ergebnislosigkeit ein LWS-MRT vorsah (vgl. die Dokumentation des Beklagten sowie S. 3 des Protokolls zum Kammertermin vom 16.01.2019).

III.

Die weiteren Voraussetzungen einer Beschlusszurückweisung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2-4 ZPO sind erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

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