OLG Köln – Az.: I-5 U 86/17 – Beschluss vom 15.11.2017
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 24. Mai 2017 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 11 O 48/16 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beklagte erhält Gelegenheit, zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).
Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt und seine Verpflichtung zum Schadensersatz festgestellt. Ihm fällt ein schadensursächlicher Behandlungsfehler zur Last.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die von den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. U getragen werden, hätte der Beklagte am 17.10.2014 die von der Klägerin geschilderten Bauchschmerzen über eine klinische Untersuchung hinaus abklären müssen, indem er Laborwerte bestimmte und eine Ultraschalluntersuchung des Abdomen vornahm. Waren Laborwerte vor dem Wochenende nicht mehr zu erhalten und dem Beklagten eine Ultraschalluntersuchung mangels eigener Expertise nicht möglich, hätte er die Klägerin zur Durchführung der Untersuchungen in ein Krankenhaus überweisen müssen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten, der sich im Berufungsverfahren gegen den vorstehenden Ausgangspunkt nicht wendet, ist ein entsprechendes Unterlassen als Befunderhebungsfehler zu werten und zu behandeln. Unterlässt ein Arzt einen Rat zu einer bestimmten diagnostischen Maßnahme oder eine bestimmten diagnostischen Untersuchungen dienende Überweisung an einen anderen Arzt oder in ein Krankenhaus, liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit ärztlichen Fehlverhaltens in der unterbliebenen Befunderhebung als solcher.
Dadurch, dass der Beklagte der Klägerin – wie er behauptet – riet, sich bei Persistenz oder Verschlechterung ihrer Beschwerden sofort im Krankenhaus vorzustellen, hat er die ihm nach fachärztlichem Standard obliegende Verpflichtung nicht erfüllt. Geschuldet war die konkrete und unbedingte Empfehlung, ein Krankenhaus zwecks weiterer Diagnostik aufzusuchen. Nach dem vom Beklagten behaupteten Rat oblag es dagegen der Klägerin zu entscheiden, ob von einer Persistenz oder Verschlimmerung der Beschwerden auszugehen war, die die Vorstellung in einem Krankenhaus erforderlich machte. Nach welchem Zeitraum und unter welchen Voraussetzungen eine ins Gewicht fallende Persistenz der Beschwerden anzunehmen war, war nicht klar. Darüber hinaus war der behauptete Rat auch deshalb ungeeignet, weil gerade Fälle einer akuten Appendizitis, die als Differentialdiagnose ex ante in Betracht kam, nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. U durch einen undulierenden Verlauf und eine geringer ausgeprägte Schmerzsymptomatik bei beginnender Perforation gekennzeichnet sind.
Im Übrigen vermag der Beklagte sein bestrittenes Vorbringen, für das ihm Zeugen nicht zur Verfügung stehen, nicht zu beweisen. In den Behandlungsunterlagen hat er eine entsprechende Empfehlung nicht dokumentiert. Lediglich in seinem nachträglichen Gedächtnisprotokoll, das keinen besonderen Beweiswert hat, findet sich der Eintrag „bei Beschwerde-Persistenz oder Verschlechterung – zeitnahe Vorstellung im KH-T“.
2. Unter Berücksichtigung der Beweislastumkehr, die sich aus einem Befunderhebungsfehler bei der im Streitfall gegebenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines reaktionspflichtigen Befundes ergibt, hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass der dem Beklagten anzulastende Fehler und die sich hieraus ergebende Verzögerung bis zum 19.10.2014 die Perforation des Darms, die Entwicklung der Peritonitis, die Notwendigkeit einer offenen Operation und einer Segmentresektion sowie die sich hieraus ergebenden Folgen wie die Revisionsoperation vom 28.10.2014 und die anhaltenden Verdauungsbeschwerden verursacht haben.
Zwar macht der Beklagte in der Berufungsbegründung im Ausgangspunkt zutreffend geltend, dass eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ausgeschlossen ist, wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (BGH, Urteile vom 27.4.2004 – VI ZR 34/03, iuris, Rdn. 16, abgedruckt in BGHZ 159, 48 ff. und vom 8.1.2008 – VI ZR 118/06, iuris Rdn. 11, abgedruckt in VersR 2008, 490 ff.).
Diese Voraussetzungen liegen aber schon nach dem Vorbringen des Beklagten nicht vor. Selbst wenn die Klägerin den vom Beklagten behaupteten Rat, sich bei Persistenz oder Verschlechterung ihrer Beschwerden sofort im Krankenhaus vorzustellen, nicht beachtet haben sollte, hätte dies nicht in gleicher Weise wie der Behandlungsfehler des Beklagten zur Nichtaufklärbarkeit des Behandlungsgeschehens beigetragen. Der Beklagte schuldete eine konkrete und unbedingte Empfehlung, während der von ihm behauptete Rat aus den oben erörterten Gründen inhaltlich unklar und ungeeignet war.
Darüber verbleibt es auch deshalb bei der Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite, weil der Beklagte sein bestrittenes Vorbringens aus den obengenannten Gründen nicht beweisen kann.
II. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist.