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Behandlungsfehler beim Auftreten von Paravasaten

Verwendung eines Portsystems

OLG Dresden – Az.:  4 U 347/20 – Beschluss vom 23.04.2020

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.05.2020 wird aufgehoben.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 15.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zu Recht hat das Landgericht die von dem Kläger aus übergegangenem Recht geltend gemachten Anspruch unter Verweis auf das eingeholte nervenfachärztliche Sachverständigengutachten nebst Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2019 abgewiesen. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Schmerzensgeld aus §§ 630 a ff., 280, 249, 252 BGB zu. Der für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweisbelastete Kläger hat nicht bewiesen, dass den Beklagten ein schuldhafter Behandlungsfehler anlässlich der Behandlung seines Vaters zur Last fällt.

Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, dass der Wechsel der Portnadel am 27.03.2015 durch das Personal der Beklagten standardwidrig erfolgt ist. Der hierzu befragte Sachverständige Prof. Dr. B…… hat es als möglich bezeichnet, dass auch bei versierter Nutzung der Portnadeln eine Injektion nicht gelingt oder nach einiger Zeit die Nadel aus dem System sich herauslöst, weil die Fixierung der Nadel auf der Haut verrutscht ist oder beim Bewegen versehentlich und unbemerkt herausgezogen wird. Das Auftreten eines Paravasats mit Nährstofflösung, hier noch dazu in geringer Menge, sei daher keine Komplikation, die den Rückschluss auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen gebiete. Der Sachverständige hat das Vorgehen der behandelnden Ärzte bei der Verwendung des Portsystems und nach dem Auftreten des Paravasats mit überzeugenden Erwägungen insgesamt unbeanstandet gelassen. Die Verwendung des Portsystems sei wegen der notwendigen Medikamentengabe und wegen eines vorliegenden Kurzdarmsyndroms indiziert gewesen. Anhaltspunkte für eine nicht fachgerechte Nutzung des Portsystems konnte der Sachverständige nicht feststellen. Allein aus dem Auftreten eines Paravasats kann entgegen der Ansicht der Berufung noch nicht auf einen Behandlungsfehler bei der Verwendung des Portsystems geschlossen werden.

Zu Unrecht zweifelt der Kläger in diesem Zusammenhang die fachliche Kompetenz des neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. B…… an. Der Vater des Klägers wurde in die Einrichtung der Beklagten zu 1 verlegt zur Behandlung einer bei ihm nach einer – in einer anderen Klinik durchgeführten – Herzklappenersatzoperation aufgetretenen Critical-illness-Polyneuropathie und damit wegen Schäden des peripheren Nervensystems (vgl. Verlegungsbrief vom 08.06.2015, Anlage K2). Nach dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung war die Festlegung der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Behandlungsstandards somit einem neurologischen Sachverständigen vorbehalten (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 2019 – 4 U 510/17 –, Rn. 21, juris). Der Sachverständige kann als Facharzt für Neurologie auch die im Zusammenhang mit der Portimplantation stehenden medizinischen Fragen sachverständig beurteilen. Denn nach der Weiterbildungsordnung werden während der Weiterbildung zum Facharzt der Neurologie neben Kenntnissen der intensivmedizinischen Basisversorgung auch Kenntnisse der Punktions- und Katheterisierungstechniken einschließlich der Gewinnung von Untersuchungsmaterial aus dem Liquorsystem, und insbesondere auch Kenntnisse der Infusions-, Transfusions- und Blutersatztherapie, der enteralen und parenteralen Ernährung erlangt (vgl. Weiterbildungsordnung der Sächsischen Landesärztekammer (Weiterbildungsordnung – WBO) vom 26. November 2005, S. 39f, abrufbar unter www. Slaek.de).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist behandlungsfehlerhaftes Vorgehen beim routinemäßig durchgeführten Wechsel der Portnadel auch nicht nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos nachgewiesen. Eine Umkehr der Beweislast unter dem Gesichtspunkt eines voll beherrschbaren Geschehens kommt nicht in Betracht; denn Anlage und Verwendung eines Portsystems gehören nicht zu den voll beherrschbaren Risiken.

Der Patient, dem grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für einen von ihm behaupteten Behandlungsfehler obliegt, kann dabei nur ausnahmsweise Beweiserleichterungen nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für sich in Anspruch nehmen. So muss die Behandlungsseite dann, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das von ihr hätte voll beherrscht werden können und müssen, darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2018 – VI ZR 509/17 –, Rn. 30 – 34, juris m.w.N.). Voll beherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung – wie sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens – objektiv voll ausgeschlossen werden können und müssen. Sie sind abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind. Ist diese Voraussetzung hingegen nicht erfüllt, bleibt der Patient für das Vorliegen des Behandlungsfehlers beweispflichtig (vgl. BGH, a.a.O.). Nach den oben dargestellten Feststellungen des Sachverständigen kann das Auftreten von Paravasaten bei der Verwendung eines Portsystems nicht im Sinne eines objektiv voll beherrschbaren Risikos ausgeschlossen werden, da es aus einer Reihe von nicht der Behandlerseite zurechenbaren Gründen zu einer Dislozierung kommen und dieses Risiko auch nicht durch besondere Vorkehrungen ausgeschlossen werden kann. Der Kläger hat daher einen fehlerhaften Einsatz des Portsystems nicht beweisen können. Zu dem Fehlliegen der Portnadel und daraus folgend zu einem Austritt von Nährstofflösung als Paravasat kann es vielmehr aus Gründen gekommen sein, die sich auch und gerade aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus ergeben können.

Gleiches gilt für das Auftreten einer Infektion, die dem Sachverständigen zufolge auf die Nährstofflösung und der Abbau sowie dadurch eingetretene zentrale Nekrosen zurückzuführen und in Reaktion darauf entstanden ist. Der Kläger hat somit nicht bewiesen, dass die Infektion am Einstichbereich infolge eines Hygienemangels bei der Verwendung des Portsystems eingetreten ist. Aus den sachverständigen Ausführungen ergibt sich vielmehr, dass die Infektion im Einstichbereich, die den Wechsel des Portsystems notwendig machte, auf den Abbau der geringen Menge an Nährstofflösung und die sich darauf ergebende Entzündungsreaktion zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass nach Entfernung des Portsystems am 15.05.2015 mikrobiologisch keine bakterielle Besiedelung festgestellt wurde.

Dem Kläger stehen auch keine Ansprüche wegen der Besiedelung des Patienten mit multiresistenten Keimen zu, wie das Landgericht gestützt auf die sachverständige Begutachtung zutreffend erkannt hat. Beweiserleichterungen kommen dem Kläger insoweit nicht zugute. Da eine absolute Keimfreiheit auch bei Einhaltung des Hygienestandards nicht zu erreichen ist, spricht kein Anscheinsbeweis zu Gunsten des Klägers. Insbesondere kann aus dem Auftreten einer Infektion gerade nicht grundsätzlich der Rückschluss auf eine Nichteinhaltung des Hygienestandards gezogen werden (vgl. BGH, NJW 1991, 1541 ff.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 08. März 2018 – 8 U 89/16 –, Rn. 26 – 27, juris; OLG Köln, GesR 2011, 600 f.; 2013, 413 ff.). Auch auf Beweiserleichterungen auf der Grundlage der Rechtsprechung zum voll beherrschbaren Risiko kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten nur dann, wenn feststeht, dass die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen ist und sich der Krankenhausträger nicht entlasten kann (BGH a.a.O.). Hierfür ist maßgeblich, dass sich Risiken verwirklicht haben, die nicht vorrangig aus den Eigenheiten des menschlichen Organismus erwachsen, sondern durch den Krankenhausbetrieb gesetzt werden und von dem Träger des Krankenhauses und dem dort tätigen Personal beherrscht werden können (BGH a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Bei dem Vater des Klägers bestand schon vor dem Aufenthalt bei der Beklagten zu 1 eine chronische Kolonisation der Haut und des Trachealsystems mit MRSA und 4MRGN. Nach den plausiblen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen war es aufgrund einer durch schwerwiegende Erkrankungen des Patienten und langen Krankheitsverlauf mit langem intensivmedizinischen Behandlungszeitraum bewirkten Schwächung seines Immunsystems nicht zu verhindern, dass diese multiresistenten Keime im weiteren Verlauf in den Blutraum des Patienten eindringen konnten. Der Sachverständige hat ferner festgestellt, dass es keine besonderen Schutzmaßnahmen gab, die multiresistenten Keime an der weiteren Besiedelung des Körpers zu hindern oder deren Fähigkeiten, in den geschwächten Körper einzudringen, zu verhindern. Da die Entfernung sämtlicher künstlicher Zugänge beim Patienten nicht möglich war, bestanden auch keine wirksamen Maßnahmen, das Risiko einer Sepsis zu senken. Die aufgrund der Keime eingetretene Sepsis bewertet der Sachverständige somit überzeugend als schicksalhaft.

Der Senat rät vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zur Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

 

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