OLG Rostock – Az.: 3 W 7/19 – Beschluss vom 02.07.2020
Auf die Beschwerde der Beteiligten vom 09.05.2018 wird der Beschluss des Amtsgerichts Stralsund (Nachlassgericht) – Zweigstelle Bergen auf Rügen – vom 11.04.2018 aufgehoben.
Gründe
I.
Der Erblasser, ein vormals in S. auf R. praktizierender Arzt, ist am 18.11.2015 verstorben. Mit Beschluss vom 28.01.2016 ordnete das Amtsgericht Stralsund – Zweigstelle Bergen auf Rügen – zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses des Erblassers eine Nachlasspflegschaft an.
In der Folgezeit wurde ein Ausschlagungsverfahren möglicher Erben durchgeführt. Da ein Neffe des Erblassers – Herr D. Z. – die Erbschaft zunächst vermeintlich nicht fristgerecht ausgeschlagen hatte, wurde die Nachlasspflegschaft mit Beschluss vom 02.08.2017 wieder aufgehoben. Herr D. Z. hat zur Überzeugung des Nachlassgerichts im Nachhinein jedoch darlegen können, vom Anfall der Erbschaft erst am 26.02.2018 Kenntnis erlangt zu haben. Die Erbschaft hat er sodann am 29.03.2018 fristgerecht vor dem Amtsgericht Wittlich ausgeschlagen. Ein Erbe ist aktuell nicht bekannt.
Im Rahmen einer Ortsbesichtigung zur Sicherung des Nachlasses, hatte der Nachlasspfleger in den ehemaligen Praxisräumen des Erblassers u. a. einen Bestand von ca. 500 Patientenakten vorgefunden.
Mit Beschluss vom 02.04.2018 hat das Amtsgericht Stralsund deren Inobhutnahme und ordnungsgemäße Aufbewahrung durch die Beteiligte angeordnet, nachdem sich diese hierzu verpflichtet gesehen hat. Zur weiteren Darstellung des Beschlussinhalts wird auf diesen Bezug genommen.
Hiergegen hat die Beteiligte fristgerecht Beschwerde eingelegt. Sie rügt, dass § 4 Abs. 1 Ziff. 14 HeilBerG M-V ihr entgegen der Auffassung des Amtsgerichts keine Aufbewahrungspflicht auferlege. Dies würde auch gegen das Konnexitätsprinzip verstoßen. Würde man die Vorschrift wie das Nachlassgericht auslegen, wäre § 4 Abs. 1 Ziff. 14 HeilBerG nicht verfassungsgemäß. Es sei auch nicht gerecht, die Beteiligte mit den Kosten der Aufbewahrung zu belasten, zumal hierfür gar keine Finanzierung durch die Beklagte möglich sei. Im Übrigen sei der D. Z. als Erbe aufbewahrungspflichtig. Eine fristgerechte Ausschlagung sei durch diesen nicht erfolgt. Der D. Z. sei vom Erbanfall mit Schreiben des Nachlassgerichts vom 16.06.2016 informiert worden. Längstens betrage die Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft indes 6 Monate. Zum Zeitpunkt der Ausschlagung der Erbschaft am 29.03.2018 sei diese Frist längst abgelaufen gewesen. Auch habe der D. Z. die Aufbewahrung und Verwaltung der Patientenakten gar nicht abgelehnt. Die Patientenakten seien auch nicht herrenlos, da, sollte die Ausschlagung des D. Z. gleichwohl wirksam und kein anderer Erbe vorhanden sein, das B. M.-V. Erbe würde. Dies sei auch sachgerecht, da alleine das B. M.-V. ein Interesse an den Patientenakten habe.
Die Voraussetzung des § 4 Abs. 1 Ziff 14 HeilBerG M-V, dass die Verwahrung der Patientenakten nicht auf andere Weise gewährleistet ist, sei deshalb letztlich nicht erfüllt.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht Rostock zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig und auch in der Sache begründet.
Das Amtsgericht Stralsund – Zweigstelle Bergen auf Rügen – ist gemäß § 344 Abs. 4 FamFG für die Sicherung des Nachlasses des zuletzt in ihrem Zuständigkeitsgebiet lebenden Erblassers zuständig.
Vorliegend bestand – und besteht weiterhin – auch ein Anlass zur Anordnung von Fürsorgemaßnahmen, weil die bislang bekannten Erben des Erblassers die Erbschaft nicht angenommen haben bzw. die Annahme durch etwaige Erben (noch) nicht feststeht (§ 1960 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB).
Soweit die Beteiligte einwendet, dass vorliegend mit Herrn D. Z. ein Erbe bereits feststehe, da dieser das Erbe nicht wirksam ausgeschlagen habe, vermag der Senat dem allerdings nicht zu folgen. Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 BGB erst mit Kenntnis des Erben vom Anfall der Erbschaft zu laufen. Herr D. Z. hat indes dargelegt, hiervon erst am 26.02.2018 Kenntnis erlangt zu haben. Aus der Nachlassakte lässt sich dies nicht widerlegen. Ein Zustellungsnachweis befindet sich nicht in der Akte. Im Übrigen wird insoweit auf die Begründung des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen auf Rügen – im Nichtabhilfebeschluss vom 19.12.2018 Bezug genommen, der sich der Senat vollumfänglich anschließt. Die Ausschlagung des Herrn D. Z. am 29.03.2018 erfolgte damit innerhalb der sechswöchigen Frist des § 1944 Abs. 1 BGB und damit rechtzeitig. Entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten stellt dabei § 1944 Abs. 3 BGB keine allgemeine Ausschlagungshöchstfrist dar.
Für ein Tätigwerden des Nachlassgerichts besteht auch ein Sicherungsbedürfnis für Fürsorgemaßnahmen, da etwaige Erben in die gemäß § 630 f Abs. 3 BGB i. V. m. §§ 10 BO der Ä. M-V, 57 Abs. 2 BMV – Ä dem Erblasser auferlegte Verwahrungs- und Verwaltungspflicht von Patientenakten eintreten würden. Nach allgemeiner Auffassung gilt nämlich, dass die Aufbewahrungspflicht von Patientenunterlagen nach Tod des (behandelnden) Arztes auf die Erben übergeht (vgl. MüKo – Wagner, BGB, 8. Aufl., § 630 f, Rn. 15; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 08.11.2017 – L 3 KA 80/14 -, zit. n. juris, Rn. 31). Dies folgt dem Umstand, dass eine Arztpraxis wie ein Handelsgeschäft mit allen Rechten und Pflichten auf die Erben übergeht (§ 1922 BGB), wobei dies selbstverständlich nicht die ärztliche Tätigkeit selbst umfasst. Insoweit gilt nichts Anderes als für die Aufbewahrungspflicht von Handakten eines verstorbenen Rechtsanwalts (§ 50 BRAO), in die ebenfalls dessen Erben eintreten (vgl. Henssler / Prütting / Offermann – Burckart, BRAO, 5. Auf., § 50, Rn. 110).
Als Sicherungsmaßnahme kann das Nachlassgericht dabei zwischen mehreren Maßnahmen wählen, wobei die in § 1960 Abs. 2 BGB erfolgte Aufzählung nicht als abschließend anzusehen ist.
Die Übertragung auf die Ärztekammer gemäß § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V gehört grundsätzlich jedoch nicht hierzu, da diese Vorschrift nach Auffassung des Senats eine andere Intention hat. § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V ist eingeführt worden, um die Interessen des Gemeinwohls unter Beachtung der Patientenrechte zu stärken, indem die Ärztekammer mit in die durch § 630 f BGB dem behandelnden Arzt auferlegte Verwahrungs- und Verwaltungspflicht hinsichtlich seiner Patientenakten eingebunden wird. Eine (alternative) Aufbewahrungspflicht der Patientenakten durch die Ärztekammer gemäß § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V soll jedoch nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen, sofern die Aufbewahrung und die Gestattung der Einsichtnahme nicht durch die niedergelassenen Kammermitglieder oder auf andere Weise „gewährleistet“ ist. § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V enthält damit eine Einschränkung und stellt bereits dem Wortlaut nach keine (einstweilige) Sicherungsmaßnahme für den Erbanfall dar. Vielmehr handelt es sich bei § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V um eine Vorschrift, die grundsätzlich die Pflicht zur Aufbewahrung der Patientenakten regeln soll, wenn der Verpflichtete selbst – zum Beispiel aus Gesundheitsgründen – hierzu nicht mehr in der Lage ist (vgl. hierzu auch: Landtag Rheinland-Pfalz, Gesetzesentwurf zum Heilberufsgesetz, Drucksache 16/3626 vom 10.06.2014, zu § 22, Seite 76). Nicht anderes kann dabei für dessen Erben gelten, der in die diesbezüglichen Pflichten des Erblassers eintritt, wenn sich herausstellt, dass die Aufbewahrung der Patientenakten und die Gestattung der Einsichtnahme in diese durch ihn nicht gewährleistet ist, wobei nach Auffassung des Senats nicht nur Gesundheitsgründe, sondern auch sittliche / moralische Bedenken, die in der Person des Erben liegen, Zweifel am sachgerechten Umgang mit den Patientenakten aufkommen lassen müssen. Ob Akten mit brisantem, höchstpersönlichen und datenschutzrelevanten Inhalt zum Beispiel einem mehrfach einschlägig vorbestraften Erben überlassen werden sollten, erscheint daher problematisch. Auch in diesen Fällen hat die Ärztekammer gemäß § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V dementsprechend im Interesse des Gemeinwohls und zur Wahrung der Rechte der Patienten einzuschreiten und die diesbezüglichen Aufgaben des eigentlich Verpflichteten zu übernehmen.
Anders aber als in Rheinland-Pfalz, wo § 22 Abs. 2 S. 2 HeilBG – RLP der Ä. offenbar im Falle des Versterbens eines Kammermitglieds eine grundsätzliche Verwahrungs- und Verwaltungspflicht auferlegt (vgl. hierzu auch: Landtag Rheinland-Pfalz, Gesetzesentwurf zum Heilberufsgesetz, Drucksache 16/3626 vom 10.06.2014, zu § 22, Seite 76), wird im hier streitbefangenen Gesetz insbesondere durch die Verwendung der Formulierung „ … oder auf andere Weise …“ klargestellt, dass das hiesige Gesetz eben nicht so weitreichend ist. Hierdurch unterscheidet es sich im Übrigen auch vom Heilberuf – Kammergesetz (HBKG) des Landes Baden-Württemberg.
Solange also zwar feststeht, dass ein Kammermitglied oder dessen Erbe (aus welchen Gründen auch immer) nicht in der Lage ist, der Aufbewahrungspflicht Genüge zu leisten, dies aber „ … auf andere Weise…“ gewährleistet werden könnte, kommt die in § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V normierte Aufbewahrungspflicht für die Ärztekammer nicht zum Tragen, da insoweit allein die Interessen von Gemeinwohl und Patienten maßgeblich sind.
Für den Fall, dass ein Verpflichteter verstirbt, dessen Erbe aber nicht bzw. noch nicht feststeht, bedeutet dies dementsprechend nicht, dass damit gemäß § 4 Ziffer 14 HeilBerG M-V automatisch die entsprechende Aufbewahrungspflicht der Ärztekammer eintritt. Vielmehr kommt die Aufbewahrungspflicht der Ärztekammer dann nicht zum Tragen, wenn die dem Nachlass obliegende Verwahrungs- und Verwaltungspflicht der Patientenakten „… auf anderer Weise …“ gewährleistet werden könnte. In Betracht kommt vorliegend insoweit zumindest die Anordnung einer Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 Abs. 2 BGB. Der Wirkungskreis eines Nachlasspflegers kann entsprechend bestimmt werden und neben der Aufbewahrung nach Auffassung des Senats auch im Rahmen der Verwaltung die verantwortungsbewusste Gewährung auf Einsichtnahme in die Patientenakten umfassen. Für den Senat ist jedenfalls kein Grund erkennbar, dass ein Nachlasspfleger, der die Sicherung des Nachlasses für den Erben übernimmt, der ihm insoweit gestellten Aufgabe nicht gerecht werden sollte, da an ihn in diesem Zusammenhang keine anderen Anforderungen gestellt werden, als an den Erben selbst. Zumal, wenn am Ende eines Nachlassverfahrens festgestellt wird, dass zur Zeit des Erbfalls kein anderer Erbe vorhanden ist, wenigstens der Fiskus erben würde (§ 1936 BGB).
Im vorliegenden Nachlassverfahren hat der ehemals bestellte Nachlasspfleger jene Aufgaben offenbar als selbstverständlich und beanstandungsfrei bis zur Aufhebung der Nachlasspflegschaft erledigt.
Dies erneut zu veranlassen, wird das Amtsgericht im weiteren Verfahren zu prüfen haben.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.