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Psychotherapeuten­haftung – Behandlungsvertrags­beendigung durch nächtliche E-Mail

Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 U 87/17 – Urteil vom 18.12.2017

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 24.05.2017 (Az.: 9 O 571/15) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin, die Patientin bei der Beklagten war, die Diplompsychologin und Psychotherapeutin ist, verlangt im Wesentlichen Schmerzensgeld und Schadensersatz auf Grund von ihr behaupteter Behandlungsfehler.

Die Klägerin befand sich im Zeitraum von Juni 2010 bis Januar 2012 bei der Beklagten in psychotherapeutischer Behandlung.

Unter dem 28.09.2010 (Bl. 8 Bd. I d. A.) unterzeichneten die Parteien eine Patientenvereinbarung. Dort ist in Ziffer 2 vermerkt, dass die Klägerin von Suizidhandlungen während der Therapie Abstand nehmen solle, da ansonsten eine stationäre Einweisung und Information an den betreuenden Arzt zur Absicherung des Therapeuten unausweichlich sei. In Ziffer 5 heißt es weiter:

„… Wenn Sie beabsichtigen, die Therapie abzubrechen, ist es wichtig, das dem Therapeuten mitzuteilen und danach noch mindestens zweimal zu kommen, damit der Konflikt besser verstanden werden kann und ein Abschied möglich ist.“ …

Die Beklagte überreichte der Klägerin eine Patientenaufklärung und ein Informationsblatt zur Psychotherapie. In der Patientenaufklärung wird darauf hingewiesen, dass jede persönliche Beziehung zum Therapeuten/in ausgeschlossen und der persönliche Raum des Therapeuten/in zu respektieren sei, ebenso wie im Umfeld der Therapeuten/in keine persönlichen Dienste, Gefälligkeiten abgefordert werden dürften und keine realen emotionale, erotischen Annäherungen oder Kontakte erlaubt seien. Ebenso seien persönliche oder gar freundschaftliche Kontakte außerhalb der Therapiestunde beider Seiten ausgeschlossen. Übertretungen könnten beidseitig zur sofortigen Auflösung der Therapiebündnisse führen.

In dem Informationsblatt zur Psychotherapie heißt es, dass das Therapieende in der Regel eine gemeinsame Entscheidung von Patient/in und Psychotherapeut/in ist. Ferner heißt es dort:

„Sollten Sie aus welchen Gründen auch immer, die Behandlung beenden wollen, so hat sich herausgestellt, dass es wichtig ist, den Trennungsprozess frei zu geben. Es ist daher sinnvoll, das Therapieende ein viertel Jahr vorher zu thematisieren. …

Sollten Sie die Therapie abbrechen, wäre es wichtig, mindestens noch an zwei Sitzungen teilzunehmen, um die Gründe zu verstehen. …“

Die Beklagte stellte bei der Klägerin die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit depressiven, schizoiden und ängstlichen Anteilen sowie einer Somatisierungsstörung mit verschiedenen Schmerzen und führte bei der Klägerin eine analytische Psychotherapie durch.

Die Geschehnisse am Ende des Therapieverhältnisses gestalteten sich im Einzelnen wie folgt: Am 10.01.2012 erfolgte die erste Sitzung nach dem Weihnachtsurlaub, wobei die Klägerin sich in einem destabilisierten Zustand befand und gegenüber der Beklagten suizidale Gedanken äußerte, worauf die Beklagte sich weigerte, eine ambulante Weiterbehandlung an diesem Tag durchzuführen. In der Folge kam es dann zu einem Zusammenbruch der Klägerin in den Praxisräumlichkeiten der Beklagten, zur Herbeirufung eines Notarztes, zur stationären Aufnahme der Klägerin und ihrer Entlassung im Klinikum … auf eigenen Wunsch.

Die Klägerin erteilte der Beklagten die Zustimmung, den Ehemann der Klägerin über die Einweisung ins Krankenhaus in Kenntnis zu setzen. Die Beklagte hinterließ auf dem Anrufbeantworter bei der Familie der Klägerin eine Nachricht, wonach sich die Beklagte wegen suizidaler Gedanken im Klinikum … befand. Die Tochter der Klägerin hörte den Anrufbeantworter ab.

Am 10.01.2012 schrieb die Klägerin die Beklagte an und bat nach der Entlassung aus dem Klinikum … um einen Termin am kommenden Freitag in der Hoffnung, dass die Beklagte den Termin noch nicht bereits anderweitig vergeben habe. Darauf schrieb die Beklagte am 10.01.2012 an die Klägerin um 21:35 Uhr zurück, dass der Termin am Freitag zwar vergeben sei, dass sie diesen Termin aber auf Wunsch der Klägerin rückgängig gemacht habe und teilte ihr mit, dass sie zunehmend den Eindruck gewonnen habe, dass eine ambulante Therapie nicht ausreichend sei.

Am 12.01.2012 um 00:20 Uhr schrieb die Beklagte dann an die Klägerin, dass sie nach langen Überlegen per E-Mail bereits mitteilen wolle, was sie am Freitag habe mitteilen wollen, nämlich, dass die Therapie im Moment ambulant nicht weitergeführt werden könne und sie diese vorläufig beende, weil die ambulante Therapie eine Grundstabilität voraussetze, die die Klägerin derzeit auf Grund ihrer suizidalen Gedanken nicht habe. Am 12.01.2012 um 07:27 Uhr teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass das Therapieverhältnis von ihrer Seite beendet sei und auch beendet bleibe.

Die Klägerin hat behauptet, dass bereits der methodische Ansatz einer analytischen Psychotherapie unzutreffend gewesen sei. Diese Therapie habe eine weitgehende Stabilität ihrerseits erfordert, die im Therapiezeitraum bei der Klägerin nicht gegeben gewesen sei. Bei einer bei ihr bestehenden kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Borderline-Anteilen hätte die Beklagte sie „ressourcenorientiert“ behandeln und eine behaviorale Therapie (Verhaltenstherapie) durchführen müssen. Jedenfalls aber hätte die Therapiefrequenz erhöht werden müssen, als eine deutliche Dekompensation bei der Klägerin erkennbar gewesen sei.

Durch die tatsächlich durchgeführte analytische Psychotherapie sei ein erkennbarer Fortschritt nicht eingetreten und es sei im Gegenteil zu einer ausgeprägten Instabilität gekommen. Die Beklagte habe eine emotionale Abhängigkeit der Klägerin von ihr als Therapeutin aufgebaut, die das Selbstwertgefühl der Klägerin stark beeinträchtigt und zu schweren negativen Auswirkungen bei der Klägerin geführt habe. Durch den nächtlichen Abbruch der Therapie per E-Mail in der Nacht zum 12.01.2012 sei ein bestehendes und der Beklagten bekanntes Kindheitstrauma reaktiviert und verstärkt worden, es sei zu einer gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen und die Klägerin habe Monate gebraucht, um mit dem Gedanken fertig zu werden, von einer wichtigen Bezugsperson für sie völlig überraschend im Stich gelassen worden zu sein. Auch die unberechtigte Unterrichtung ihrer Familie müsse gewichtet werden, da diese in Angst und Schrecken versetzt worden sei. Mit diesem Verhalten habe die Klägerin gegen die Regeln der Psychotherapie verstoßen.

Im Ergebnis rechtfertige dieses fehlerhafte Verhalten der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 6.000 €.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 6.000 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass weder der therapeutische Ansatz, noch die Vorgänge am 12.01.2012 einen Schmerzensgeld- oder Schadensersatzanspruch rechtfertigen würden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass zum einen bei der Klägerin bereits eine Verhaltenstherapie erfolglos durchgeführt worden sei und die Klägerin ausreichend stabil für eine analytische Psychotherapie gewesen sei. Die Behandlung sei ressourcenorientiert gewesen und die Regression notwendiger Bestandteil der analytischen Therapie. Eine Borderline-Symptomatik habe bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Eine behaviorale Therapie könne nur stationär durchgeführt werden. Eine solche stationäre Therapie sei allerdings von der Klägerin gerade nicht gewünscht und stets abgelehnt worden. Besondere Nähewünsche seien von der Klägerin ausgegangen. Das Selbstwertgefühl der Klägerin sei schon im Vorfeld der Therapie reduziert gewesen.

Das Verhalten der Beklagten, die Therapie per E-Mail am 12.01.2012 abzubrechen, sei vor dem Hintergrund der von der Klägerin geäußerten suizidalen Gedanken regelgerecht gewesen.

Im Übrigen bestreitet die Beklagte die Kausalität zwischen der von der Klägerin behaupteten Fehlbehandlung einerseits und den behaupteten eingetretenen Folgen andererseits.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholen eines Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. D. vom 26.06.2016 (Anlagenband Gutachten). Der Sachverständige hat ein Gutachten auf Veranlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2017 mündlich erläutert (Bl. 151 ff. Bd. I d. A.). Das Landgericht hat auf der Basis des gewonnenen Beweisergebnisses die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt:

Der Sachverständige habe einen fehlerhaften Therapieansatz im Hinblick auf eine differenzialdiagnostisch zu erwartende Persönlichkeitsstörung vom „Borderline-Typ“ nicht bestätigt, wobei für diesen differenzialdiagnostischen Ansatz auch hinreichend konkrete Anhaltspunkte fehlten. Die schwere Persönlichkeitsstörung bei der Klägerin und die damit grundsätzlich bestehenden Symptome habe die Beklagte hinreichend berücksichtigt.

Zur Frage der Kausalität führe der Sachverständige aus, dass die mit der genannten Persönlichkeitsstörung verbundenen Symptome durchgängig in Behandlungsraum beschrieben würden, ohne dass man sagen könne, dass diese in irgendeiner Form der therapeutischen Einwirkung durch die Beklagte zugeordnet werden könne.

Zum Komplex der Beendigung des Therapieverhältnisses könne man über die Art und Weise der Beendigung zwar unterschiedlicher Meinung sein, man könne aber nicht die Aussage treffen, dass die Beklagte in diesem Rahmen gegen therapeutische Standards verstoßen habe. Die Beklagte habe aufgrund ihres Verhaltens mit dem Abbruch der Behandlung rechnen müssen. Dies gelte insbesondere mit Blickrichtung auf den Inhalt der Patientenvereinbarung, wonach eine Beendigung der Therapie bei suizidalen Gedanken möglich war. Die Beendigung eines Therapieverhältnisses sei immer eine Sache des Einzelfalles, folge aber keinen vorgeschriebenen Regeln. Aus Sicht des Therapeuten komme eine Beendigung des Therapieverhältnisses insbesondere in Betracht, wenn kein Therapieerfolg erkennbar sei. Der richtige Zeitpunkt für eine Beendigung sei im Verhältnis Patient/Therapeut schwierig zu finden, gerade bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. Die ambulante Therapie habe bei Suizidgefahr abgebrochen werden müssen, wenn sich das daraus ergebende Risiko auf diesem Wege nicht mehr ausreichend beherrschbar sei für den Therapeuten. Im Ergebnis sei durch die Beendigung des Therapieverhältnisses per E-Mail nicht gegen Behandlungsstandards verstoßen worden, auch wenn man mögliche Beschädigungen im Hinblick auf den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu einem anderen Therapeuten oder Therapeutin in Rechnung stelle.

Letztlich ließen sich keine Krankheitssymptome feststellen, die ursächlich auf den Abbruch der Behandlung durch die Beklagte zurückzuführen seien.

Unter dem Kausalitätsgesichtspunkt könne auch unterstellt werden, dass die telefonische Unterrichtung der Familie der Klägerin über deren Zustand am 10.01.2012 gegen eine getroffene Vereinbarung verstoßen habe. Es lasse sich auch insoweit nicht feststellen, wie sich dies auf den Gesundheitszustand der Klägerin ausgewirkt haben könnte.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der eine Verurteilung der Beklagten aus dem erstinstanzlichen Antrag angestrebt wird.

Sie rügt, dass die Art und Weise der Beendigung des Therapieverhältnisses gegen Ziffer 5 der Patientenvereinbarung verstoße und eine Kündigung zur Unzeit darstelle und ein wichtiger Grund zur Kündigung nicht bestanden habe, und zwar auch dann, wenn man den Ausführungen des Sachverständigen dazu folge, dass es für die Beendigung eines Therapieverhältnisses letztlich keinen medizinischen Standard gebe.

Der Abbruch des Therapieverhältnisses habe auch in keinem Zusammenhang mit einer behaupteten Suizidgefahr bestanden, sondern seinen Grund darin gehabt, dass sich die Beklagte nach ihrem Eindruck nicht mehr hinreichend von der Klägerin abgrenzen konnte.

Die Klägerin habe Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Therapieende gehabt, wozu mindestens zwei weitere Sitzungen gehört hätten, um sich mit den Gründen der Beendigung auseinanderzusetzen. Dies ergebe sich bereits aus dem Inhalt der Patientenvereinbarung, die für die Beklagte genauso wie für die Klägerin gelte.

Zur Kausalität verkenne das Landgericht zum einen, dass die Klägerin nach den Bekundungen des Sachverständigen schwieriger Vertrauen zu dem neuen Therapeuten fassen könne, was den Kausalzusammenhang geradezu belege. Darüber hinaus setze sich das Landgericht nicht mit der Erwägung des Sachverständigen auseinander, dass ein Alternativverhalten der Beklagten den Abbruch eines Therapieverhältnisses hätte verhindern können.

Soweit der Beklagte einen Kausalzusammenhang auch deshalb verneint habe, weil sich bei der Klägerin bereits zu Beginn der Behandlung und auch danach über Jahre hinweg erkennbar sämtliche Symptome und Syndrome gezeigt hätte, so müsse erörtert werden, ob die Beklagte nicht gerade wegen der erkennbaren Symptomatik verpflichtet gewesen wäre, einen möglichen Abbruch sorgfältiger vorzubereiten. Dadurch wäre jedenfalls verhindert worden, dass die Klägerin einen weiteren Vertrauensverlust erleidet. Der weitere Vertrauensverlust und die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht würden ein Schmerzensgeldanspruch in beantragter Höhe rechtfertigen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte in Abänderung des am 24.05.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Magdeburg zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld zu zahlen, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 6.000 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil erster Instanz. Aus Ziffer 5 der Patientenvereinbarung folge zugunsten der Klägerin schon vom Wortlaut her nicht, dass noch weitere Therapiestunden hätten stattfinden müssen. Dort heißt es lediglich, dass es sinnvoll wäre. Dies stelle aber keine zwingende Vorgabe dar.

Es liege auch keine Kündigung zur Unzeit vor. Vor allem aber fehle es an der eindeutigen Feststellung des Sachverständigen an einem Kausalitätszusammenhang zwischen den Symptomen der Klägerin und der Beendigung des Therapieverhältnisses.

Die Art und Weise der Beendigung des Therapieverhältnisses stelle keine Sorgfaltspflichtverletzung dar und könne mangels eines verbindlichen Standards somit auch keinen Behandlungsfehler darstellen, wobei dies auch für die Unterrichtung der Angehörigen der Klägerin durch die Beklagte gelte.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Beklagten ein psychotherapeutischer Behandlungsfehler zulasten der Klägerin nicht vorgeworfen werden kann, der in einem kausalen Zusammenhang mit einer die Grunderkrankung verstärkenden Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin steht. Weder beruht die angefochtene Entscheidung auf einem Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1, 1. Fall, 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, 2. Fall ZPO).

1. Nachdem die Klägerin erstinstanzlich noch einen Behandlungsfehler der Beklagten dahingehend gerügt hatte, dass die analytische Therapie bei einer Persönlichkeitsstörung in Form des Borderline-Typs, so wie sie auch bei der Klägerin vorliege, die falsche Methodik darstelle, wird dieser Behandlungsfehler in der Berufungsinstanz nicht weiter problematisiert. Die Feststellungen des Sachverständigen zur grundsätzlichen Kritik an der Methode sind gänzlich eindeutig. Denn der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Behandlung sämtlicher von der Beklagten diagnostizierten psychischen Störungen mit der von ihr gewählten Methode der analytischen Therapie behandelt werden könnten. Das wurde vom Landgericht auch so gewertet und von der Berufung auch nicht weiter problematisiert und angegriffen.

2. Soweit die Klägerin einen ärztlichen Behandlungsfehler durch die Art und Weise der Beendigung des Therapieverhältnisses durch die Beklagte, also insbesondere den E-Mail-Verkehr ab 00:20 Uhr am 12.01.2012 behauptet, lässt sich eine damit in einem kausalen Zusammenhang stehende, von der Grunderkrankung abgrenzbare oder diese verstärkende Grundgesundheitsbeeinträchtigung bei der Klägerin nicht feststellen.

Soweit die Berufung hinsichtlich einer vertraglichen Haftung auf § 630a BGB verweist, gilt der für diesen Fall nicht, weil das Patientenrechtegesetz, mit dem die Vorschrift eingeführt wurde, erst ab dem 26.02.2013 in Kraft getreten ist.

Gleichwohl formuliert § 630a Abs. 2 BGB lediglich einen auch schon zuvor geltenden allgemeinen Grundsatz, wonach der Inhalt des Behandlungsvertrages, wenn nicht etwas anderes ausdrücklich vereinbart wurde, durch den jeweiligen fachlichen Standard definiert wird. Der Arzt und dementsprechend auch der Psychotherapeut sind verpflichtet, den Patienten nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft zu behandeln. Die Sorgfaltspflichten des Arztes/Psychotherapeuten bestimmen sich nach dem jeweiligen dem behandelnden Arzt/Psychotherapeuten bei zumutbaren Anstrengungen zugänglichen und verfügbaren Stand der medizinischen/psychotherapeutischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung. Der Psychotherapeut muss die Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Psychotherapeuten aus beruflicher Sicht seines Fachgebietes vorausgesetzt und erwartet werden darf. Maßgeblich sind insoweit regelmäßig Leitlinien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden.

Der Sachverständige Dr. D. hat ausgeführt, dass es einen Standard für den hier zu entscheidenden Fall mit Blick auf die Beendigung eines Therapieverhältnisses indes gerade nicht gibt. Weder aus der wissenschaftlichen Literatur noch aus allgemeinen ethischen Grundsätzen von psychoanalytischen Vereinigungen kann der Sachverständige einen solchen Standard herleiten. Ein Standard hinsichtlich der Beendigung eines Therapieverhältnisses lässt sich auch nicht aus der Formulierung aus Ziffer 5 der Patientenvereinbarung ableiten. Wie der Sachverständige richtig ausführt, formuliert Ziffer 5 der Patientenvereinbarung lediglich eine Handlungsanweisung an den Patienten. Der Sachverständige hält es zwar für wünschenswert und diskussionswürdig, ob man den Inhalt von Ziffer 5 nicht quasi analog für das Beendigungsverfahren durch den Therapeuten heranziehen sollte, wobei er aber selbst nur von einer Anregung spricht und im Ergebnis gerade nicht zu einem haftungsrelevanten Verstoß gegen einen Standard gelangt. Der Sachverständige sieht ein standardwidriges Verhalten auch nicht darin, dass die Beklagte eben nicht analog des Inhalts der grundsätzlich an den Patienten gerichteten Ziffer 5 der Patientenvereinbarung gehandelt hat.

3. Der Beklagten steht auch kein Schadensersatzanspruch auf vertraglicher Grundlage aus § 280 Abs. 1 BGB zu. Vertragsrechtlich handelt es sich bei einem Behandlungsvertrag um einen Dienstvertrag höher Art im Sinne des § 627 BGB. Dieser kann grundsätzlich von beiden Seiten jederzeit gekündigt werden, und zwar auch ohne dass ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegen würde. Eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten würde nur dann bestehen, wenn es sich um eine Kündigung zur Unzeit handeln würde. Das Kammergericht (Urteil vom 04.06.2009 – 20 U 49/07 – [z. B. MDR 2010, 16]) nimmt bei der kieferchirurgischen Behandlung an, dass eine Kündigung zur Unzeit vorliegen könne, wenn die erforderlichen Dienste nicht mehr anderweitig besorgt werden können und eine fachliche Monopolstellung des behandelnden Arztes vorliege. Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 04.05.2006 – 8 U 110/05 – [HRS 2695/327]) stellt auf eine Notfallsituation ab. Beides liegt jedoch bei dem hier zur Entscheidung stehenden Fall nicht vor. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Kündigung zur Unzeit vorliegt. Die Leistungen der Beklagten können auch grundsätzlich durch einen anderen Therapeuten erbracht werden, was ja mittlerweile auch erfolgt. Denn die Leistungen der Beklagten werden durch einen anderen Therapeuten erbracht. Es lag auch keine akute Notsituation mehr vor. Die akute Notfallsituation erhielt dadurch eine Zäsur, dass der von der Beklagten gerufene Notarzt die Einweisung der Klägerin in das Klinikum … zur stationären Therapie veranlasst hat, die die Beklagte dann abgelehnt und die Klinik auf eigenen Wunsch verlassen hat.

Ohne Erfolg bleibt die Berufung, soweit sie darauf gestützt wird, dass der Abbruch des Therapieverhältnisses in keinem Zusammenhang mit einer bestehenden Suizidgefahr bestanden habe, sondern seinen Grund darin gehabt habe, dass sich die Beklagte nach dem Eindruck der Klägerin nicht mehr hinreichend von der Klägerin habe abgrenzen können. Sollte dies der Grund für den Abbruch der Zusammenarbeit gewesen sein, so fehlt es bereits an einer Notfallsituation.

Der Senat verkennt nicht, dass das Verhalten der Beklagten bei der Beendigung der Therapie per E-Mail, als ungewöhnlich und unglücklich zu werten ist, allerdings könnte die Frage, ob überhaupt ein Behandlungsfehler vorliegt, dahinstehen, da das eigentliche haftungsrechtliche Problem vorliegend die Kausalitätsfrage ist. Selbst wenn man einen Behandlungsfehler der Beklagten unterstellen würde, wäre es erforderlich, dass es einen Bereich gibt, für den man abgrenzbar sagen könnte, und zwar abgrenzbar im Verhältnis zur vorbestehenden Grunderkrankung, dass die Art und Weise der Beendigung des Therapieverhältnisses durch die Beklagte sowie es rein tatsächlich erfolgt ist zu einer eigenständigen Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Klägerin geführt hat, oder dass eine bestehende Beeinträchtigung dadurch irgendwie greifbar verstärkt oder verschlimmert wurde. Hierzu hat der Sachverständige eindeutig ausgeführt, dass sich keine Hinweise darauf herausarbeiten lassen, dass die Art und Weise des Abbruchs des Therapieverhältnisses generell geeignet gewesen wäre, Beeinträchtigungen, die bei der Patientin ohnehin vorhanden waren, mithin die bestehende Grunderkrankung, zu verstärken, hervorzurufen oder herbeizuführen. Im Rahmen der mündlichen Anhörung des Sachverständigen vor dem Landgericht ist diese Frage noch einmal problematisiert worden, und zwar mit der auch in der Berufung genannten Blickrichtung des Vertrauens zu einer anderen behandelnden Person. Der Sachverständige führt aber an dieser Stelle aus, dass man keine belastbaren Aussagen zu einem kausalen Zusammenhang zwischen der Beendigung des Therapieverhältnisses durch die Klägerin einerseits und einer beschädigten Fähigkeit auf Seiten der Beklagten Vertrauen zu entwickeln andererseits, herstellen kann. Schon vor dem Hintergrund, dass es auch bereits zuvor Beziehungsprobleme zwischen der Klägerin und den sie behandelnden Ärzten oder Therapeuten gegeben hat, erweist sich ein kausaler Zusammenhang als nicht nachweisbar. Das bedeutet im haftungsrechtlichen Ergebnis, dass selbst dann, wenn man einen Behandlungsfehler im Rahmen der Beendigung des Therapieverhältnisses annehmen würde, sich eine damit in einem kausalen Zusammenhang stehende, von der Grunderkrankung abgrenzbare und diese verstärkende Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Klägerin als Grundlage für einen Schadensersatzanspruch nicht darstellen lässt.

4. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 6.000,– € wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht durch den Anruf der Beklagten bei der Familie der Klägerin und der Mitteilung auf den Anrufbeantworter aus § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Verb. mit § 823 Abs. 2 BGB und Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Selbst wenn man unterstellt, dass die Beklagte die Klägerin durch die Mitteilung auf dem Anrufbeantworter in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt hätte und eine Entbindung von der Schweigepflicht nicht vorgelegen hätte, würde die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht so schwerwiegend sein, dass sie unabweisbar die Zubilligung einer Geldentschädigung erfordern würde. Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt nämlich nur dann zu einer Geldentschädigung, wenn es sich um eine objektiv erheblich ins Gewicht fallende Beeinträchtigung handelt. Ob eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen so erheblichen Grad erreicht, ist anhand aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind in diesem Rahmen Art und Intensität des Eingriffs sowie die Nachhaltigkeit der Schädigung des Betroffenen. Ferner sind als Beurteilungskriterien der Bereich des Eingriffs, der Anlass und der Beweggrund und das Verschulden des Verletzten zu würdigen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.12.2008 – 15 U 170/17 – [z. B. GesR 2008, 587]; Rd. 65 zitiert nach juris). Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt sich im vorliegenden Fall keine Verletzung des allgemeine Persönlichkeitsrechts der Klägerin feststellen, die so schwer wiegen würde, dass die Zuwendung einer Geldentschädigung unabwendbar geboten wäre, um die erlittene Beeinträchtigung auszugleichen. Denn würdigt man die Umstände, unter denen diese telefonische Mitteilung erfolgt ist, also im Besonderen das, was am 10.01.2012 in den Praxisräumen der Beklagten geschehen ist, nämlich der Zusammenbruch der Klägerin, ihre stationäre Einweisung durch den Notarzt und die vorherige Erörterung von Suizidgedanken und auch der Hinweis der Klägerin den Ehemann von der Einweisung in das Krankenhaus zu unterrichten, ist eine zu billigende Motivation festzustellen, die gerade keine haftungsrechtliche Relevanz erreicht. Denn das Verhalten der Beklagten war gerade darauf ausgerichtet, im Interesse der Klägerin den Ehemann von der Einweisung ins Krankenhaus in Kenntnis zu setzen und die sachgerechte Weiterbehandlung der Klägerin zu gewährleisten.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.

Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG und 3 ZPO festgesetzt.

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