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Verletzung der Pflichten aus Behandlungsvertrag – Aufwachphase nach Magenspiegelung

Verletzung der Überwachungspflicht: Arzt haftet für Sturz im Aufwachraum

Das Landgericht Hildesheim hat im Fall Az.: 4 O 170/13 entschieden, dass der Beklagte aufgrund einer Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag haftet. Nach einer Magenspiegelung und der Gabe des Sedativums Dormicum fiel die Patientin aus dem Bett und erlitt eine Femurfraktur. Der Beklagte wurde zur Zahlung von Schadenersatz und teilweisen Übernahme der Rechtsanwaltskosten verurteilt, da er die notwendige Überwachung der Patientin in der Aufwachphase vernachlässigt hatte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 O 170/13 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Der Beklagte hat eine Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag begangen.
  2. Die Patientin stürzte nach der Gabe des Sedativums Dormicum während der Aufwachphase einer Magenspiegelung.
  3. Es erfolgte eine Femurfraktur aufgrund des Sturzes.
  4. Der Beklagte wurde zur Zahlung von 8.693,27 € Schadenersatz sowie Zinsen verurteilt.
  5. Es wurde festgestellt, dass der Beklagte die Überwachungspflicht der Patientin vernachlässigt hat.
  6. Der Beklagte muss zudem Rechtsanwaltskosten in Höhe von 329,55 € übernehmen.
  7. Die Klage bezüglich der Zinsen auf eingezahlte Gerichtskosten wurde abgewiesen.
  8. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Aufwachphase nach Magenspiegelung: Pflichten des Behandelnden und mögliche Schadensersatzansprüche

Die Aufwachphase nach einer Magenspiegelung ist eine kritische Zeit, in der der Patient unter dem Einfluss von Sedativa steht und besondere Aufmerksamkeit und Betreuung benötigt. Laut § 630h (Organisationsfehler) trifft den Behandelnden die Pflicht, die in der Aufwachphase befindliche Person angemessen zu betreuen und zu überwachen. Im Urteil des LG Hildesheim vom 09.01.2015 (4 O 170/13) wurde festgestellt, dass der Beklagte eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag verletzt hat, indem er die Aufwachphase nicht ausreichend beachtete.

Die Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag kann zu Schadensersatzansprüchen führen, wenn durch diese Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist. In Bezug auf die Aufwachphase nach einer Magenspiegelung kann dies beispielsweise eine unzureichende Überwachung oder fehlende Aufklärung über mögliche Komplikationen sein. Es ist wichtig, dass der Behandelnde während dieser Phase die vertragstypischen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag einhält, um mögliche Schäden und Schmerzen für den Patienten zu vermeiden. Im Fokus steht dabei die angemessene Betreuung und Überwachung des Patienten, um mögliche Risiken und Komplikationen zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Der Sturz im Aufwachraum: Ein Fall von Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag

Im Zentrum dieses juristischen Falles steht eine ältere Patientin, geboren im Jahr 1922, die nach einer Magenspiegelung im Aufwachraum einer Praxis stürzte. Der Vorfall ereignete sich nach der Verabreichung von 5 Milligramm des Sedativums Dormicum, dessen Wirkstoff Midazolam ist. Dieser Sturz führte zu einer schwerwiegenden Femurfraktur. In der Folge entstanden Behandlungskosten in Höhe von 8.693,27 €, für die die Klägerin, eine Krankenversicherung, nun Schadensersatz vom Beklagten, dem durchführenden Arzt, forderte.

Überwachungspflicht und ihre Verletzung: Kern des rechtlichen Problems

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall lag in der Frage, ob der Beklagte seine Überwachungspflicht gegenüber der Patientin verletzt hat. Der Beklagte hatte die Patientin unter dem Einfluss des sedativen Medikaments in den Aufwachraum gebracht und dort auf einer Patientenliege abgelegt, die nur einseitig von einer Wand begrenzt war. Der Beklagte und seine Mitarbeiterin, eine Arzthelferin, waren nicht permanent im Aufwachraum anwesend, wodurch die Patientin unbeaufsichtigt war und stürzte. Dies führte zu der Frage, ob eine intensivere Überwachung angesichts der Medikamentenwirkung und des Alters der Patientin notwendig gewesen wäre.

Gerichtsurteil: Verantwortung des Beklagten und Schadensersatzansprüche

Das Landgericht Hildesheim entschied, dass der Beklagte die Pflichten aus dem Behandlungsvertrag verletzt hat. Die Klägerin erhielt einen Schadensersatzanspruch in der beantragten Höhe zugesprochen. Es wurde festgestellt, dass der Beklagte die Patientin in der Aufwachphase hätte besser überwachen müssen, insbesondere aufgrund der sedierenden Wirkung des Medikaments und des hohen Alters der Patientin. Das Gericht wies darauf hin, dass die bewusstseinstrübende Wirkung des Dormicum eine erhöhte Aufsichtspflicht erforderte und dass der Beklagte diese Pflicht nicht erfüllt hatte.

Kostenübernahme und die Grenzen der Klage

Neben dem Schadensersatz wurde der Beklagte auch zur Übernahme eines Teils der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Die Klägerin erhielt eine Entschädigung in Höhe von 329,55 €, basierend auf der Berechnung einer 0,65 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Jedoch wurde die Klage bezüglich der Verzugszinsen auf die eingezahlten Gerichtskosten abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin die Voraussetzungen für einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch nicht ausreichend dargelegt hatte.

Fazit: Das Urteil des Landgerichts Hildesheim unterstreicht die Bedeutung der Überwachungspflicht in der medizinischen Behandlung, insbesondere bei der Verabreichung sedierender Medikamente. Der Fall verdeutlicht, dass die Sicherheit der Patienten in allen Phasen der Behandlung, einschließlich der Aufwachphase, höchste Priorität haben muss.

✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

Was umfasst die Pflicht aus dem Behandlungsvertrag in Bezug auf die Patientenüberwachung?

Die Pflichten aus dem Behandlungsvertrag in Bezug auf die Patientenüberwachung umfassen die durchgehende medizinische Pflege und Überwachung des Patienten, um dessen Gesundheit und Sicherheit zu gewährleisten. Die Sicherheit des Patienten gilt als oberstes Gebot für den Krankenhausträger. Rehabilitationskliniken sind beispielsweise zur Überwachung des Gesundheitszustandes der Patienten verpflichtet, insbesondere wenn bei diesen aufgrund von Vorerkrankungen Komplikationen auftreten können. Die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Überwachung müssen ergriffen werden.

Das Patientenrechtsgesetz, welches im Februar 2013 in Kraft trat, regelt die gesetzlichen Pflichten im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, den Patienten über alle wesentlichen Umstände der Behandlung aufzuklären, insbesondere über die Diagnose und die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung.

Des Weiteren muss ein Arzt nach einer ambulanten Operation sicherstellen, dass der Patient nicht selbstgefährdend handelt, beispielsweise durch das Führen eines Fahrzeugs unter dem Einfluss sedierender Medikamente. Hierzu gehört auch die Überwachung der Patienten in einem Aufwachraum.

Die Pflichten des Patienten umfassen neben der Vergütung der Leistung auch die Mitwirkung an der Behandlung. Der Behandlungsvertrag bildet die rechtliche Grundlage der Beziehung zwischen Arzt und Patient. Es wird nicht nur eine Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards geschuldet, sondern auch die Einhaltung der Sorgfaltspflichten.

Die Überwachungspflichten können auch die Fixierung von Patienten im Krankenhaus umfassen, wenn eine konkrete Gefährdung des Patienten besteht, um diesen zu schützen. Eine allgemeine Fixierung und beständige Überwachung ist jedoch nicht bei lediglich latenter Sturzneigung gerechtfertigt.

Zusammenfassend sind die Pflichten aus dem Behandlungsvertrag vielfältig und beinhalten die sorgfältige Überwachung und Pflege des Patienten, die Aufklärung über die Behandlung und die Sicherstellung der Patientensicherheit, insbesondere nach operativen Eingriffen.

Inwiefern beeinflusst das Alter und der Zustand eines Patienten die Anforderungen an die medizinische Überwachung?

Das Alter und der Zustand eines Patienten beeinflussen die Anforderungen an die medizinische Überwachung in vielfältiger Weise.

Ältere Patienten haben oft eine geringere Anpassungsfähigkeit und Erholungsfähigkeit von physiologischen Störungen. Zudem sind sie häufiger multimorbid und nehmen mehrere Medikamente ein, was die Überwachungsanforderungen erhöht. Bei älteren Patienten kann auch das Risiko für Verwirrtheitszustände, wie Delir, erhöht sein, was eine erhöhte Wachsamkeit erfordert.

Der Zustand des Patienten, insbesondere bei chronischen Krankheiten oder nach Operationen, erfordert eine spezifische und intensive Überwachung. Patienten, die sich von einer Operation erholen, können von Technologien zur Fernüberwachung profitieren, die es medizinischem Fachpersonal ermöglichen, kompetente Ferndiagnosen durchzuführen.

Die Überwachung muss systematisch und zielgerichtet erfolgen, um frühzeitig Störungen des physiologischen Gleichgewichts zu erkennen. Dabei müssen die Überwachungsmaßnahmen auf den Bedarf des Patienten abgestimmt werden und ihr Nutzen muss sorgfältig gegenüber dem Risiko abgewogen werden.

Die Überwachung umfasst in der Regel die Beobachtung, Messung und Registrierung veränderlicher Vitalwerte, Funktionen und Zustände des Patienten. Dabei stehen die Atem- und die Herz-Kreislauf-Funktion im Mittelpunkt der Überwachung. Abhängig vom Zustand des Patienten kann die Überwachung auch auf andere Organfunktionen ausgedehnt werden.

Die Anforderungen an die Überwachung können auch durch den spezifischen medizinischen Kontext, wie z.B. die Intensivmedizin oder die Anästhesie, beeinflusst werden. In diesen Fällen können spezifische Leitlinien und Protokolle für die Überwachung gelten.

Die Technologie spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Patientenüberwachung. Moderne Überwachungssysteme können eine Vielzahl von Messgrößen erfassen und kontinuierlich überwachen, was eine frühzeitige Erkennung von Veränderungen im Patientenzustand ermöglicht.

Die Anforderungen an die Überwachung können sich auch im Laufe der Zeit ändern, je nachdem, wie sich der Zustand des Patienten entwickelt. Daher ist eine kontinuierliche Anpassung der Überwachungsstrategie an den aktuellen Zustand des Patienten erforderlich.


Das vorliegende Urteil

LG Hildesheim – Az.: 4 O 170/13 – Urteil vom 09.01.2015

1. Der Beklagte wird verurteilt,

a. an die Klägerin 8.693,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.08.2013 zu zahlen.

b. die Klägerin von den Rechtsanwaltskosten ihres Prozessbevollmächtigten für dessen vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 329,55 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche der bei ihr gesetzlich krankenversicherten Frau XXX gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht geltend.

Am 17.07.2008 führte der Beklagte bei der im Jahr 1922 geborenen Frau XXX eine Magenspiegelung nach der Gabe von 5 Milligramm des Medikaments „Dormicum“ (Wirkstoff Midazolam) durch. Im Anschluss daran wurde Frau XXX auf eine im Aufwachraum der Praxis befindliche Patientenliege gelegt. Dort stürzte sie von der Liege herunter und zog sich einen Bruch des Oberschenkelknochens, eine sogenannte Femurfraktur, zu. Die Klägerin hat für die anschließende Heilbehandlung insgesamt 8.693,27 € aufgewandt.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 8.693,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2008 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, sie von den Anwaltskosten ihres Prozessbevollmächtigten für dessen vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 371,10 € freizustellen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die jeweiligen von der Klägerin eingezahlten Gerichtskosten Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem jeweiligen Zeitpunkt der Einzahlung bei der Gerichtskasse bis zum Zeitpunkt des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags für die jeweilige Instanz nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, die Arzthelferin Frau XXX habe den Aufwachraum nur kurz verlassen, nachdem die Patientin aufgewacht sei. Nach ihrer Rückkehr habe sie die Patientin auf dem Boden liegend vorgefunden. Diese habe geäußert, sie habe sich die Schuhe anziehen wollen und sei dabei gestürzt. Der Beklagte ist der Ansicht, ein zurechenbares Fehlverhalten liege nicht vor. Vielmehr sei eine über die geschehene Beobachtung der Patientin hinausgehende Überwachung aufgrund der Ansprechbarkeit der Patientin nicht notwendig gewesen.

Die Kammer hat gemäß prozessleitender Verfügung vom 08.04.2014 (Bl. 90 d.A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin XXX. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 16.10.2014, Bl. 139 – 142 d.A., Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die – auch hinsichtlich des Feststellungsantrags gem. § 256 ZPO – zulässige Klage ist teilweise begründet.

1. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein gem. § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangener Schadensersatzanspruch der verletzten Frau XXXr gem. §§ 280 Abs. 1 S. 1, 611, 630 a BGB in der beantragten Höhe zu. Der Beklagte hat im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag verletzt.

Den Beklagten traf vorliegend die Pflicht, die in der Aufwachphase befindliche, mithin unter dem Einfluss des sedativen Medikaments stehende, Patientin so zu überwachen, dass diese nicht aufgrund der durch das Medikament bestehenden geringeren Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zu Schaden kommt. Gerade im Hinblick auf das hohe Alter Frau XXX wäre es aufgrund der bewusstseinstrübenden Wirkung des Medikaments Dormicum erforderlich gewesen, zu gewährleisten, dass die Patientin so lange liegen bleibt, bis sie ihr Bewusstsein und ihre Einsichtsfähigkeit in ausreichendem Maße wiedererlangt hat (vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.09.2010, Az.: 5 U 111/10).

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Behauptung des Beklagten, die Patientin sei von selbst aufgestanden, um sich die Schuhe anzuziehen. Aufgrund der unstreitig bestehenden Möglichkeit eines Gedächtnisverlusts nach Verabreichung des sedativen Medikaments Dormicum ist der für den Inhalt von Verkehrssicherungspflichten  geltende Grundsatz von Bedeutung, dass derjenige, der Gefahrenquellen schafft oder verstärkt auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz des Gefährdeten, hier der Patientin, treffen muss (BGH NJW 2003, 2309, Urteil vom 8.4.2003, Az. VI ZR 265/02; BGH, Urteil vom 20.06.2000, Az.: VI ZR 377/99; OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.09.2010, Az.: 5 U 111/10). Aus dieser Pflicht folgt vorliegend, dass der Beklagte gegen ein zu erwartendes weisungswidriges Aufstehen Vorsorge hätte treffen müssen, beispielsweise durch eine durchgehende Überwachung der Patientin oder durch eine Umgrenzung des Bettes.

Den Beweis dafür, dass er für eine hinreichende Überwachung gesorgt hat, hat der Beklagte durch Benennung der Frau XXX als Zeugin angetreten, aber nicht erbracht.

Die Zeugin hat glaubhaft und mit den schriftsätzlichen Äußerungen des Beklagten übereinstimmend ausgesagt, dass die Patientin – wie in der Praxis üblich – nach der Behandlung im Aufwachraum auf einer normalen Patientenliege gelegen habe, die zur einen Seite hin von der Wand begrenzt, zur anderen Seite hin aber frei sei und dass sie – die Zeugin – parallel zur Beobachtung der Patientin im Aufwachraum weitere in der Praxis anfallende Tätigkeiten außerhalb des Aufwachraums wahrgenommen habe. Während der Verrichtung einer solchen anderweitigen Tätigkeit kam es sodann zum Sturz der Patientin.

Den Beweis dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten hat, hat der Beklagte nicht erbracht. Die Vermutung des Vertretenmüssens gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB findet vorliegend Anwendung. In Anwendung des Rechtsgedankens des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB sowie des § 630 h Abs. 1 BGB trägt die Beweislast für Fehler- und Verschuldensfreiheit im Bereich des sogenannten voll beherrschbaren Risikos die Behandlungsseite (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage 2014, Kapitel B, Rn. 214, m.w.N.).

Die Sicherung einer aufgrund der Sedierung noch nicht wieder voll selbst steuerungsfähigen Patientin durch Überwachung oder Abgrenzung der zu einer Seite offenen Liege fällt in den Bereich des sog. voll beherrschbaren Risikos. Die Verletzung der Patientin rührt gerade aus einem Risiko her, das dem Herrschafts- und Organisationsbereich des Beklagten als Behandelnder zuzuordnen ist und das dieser insofern voll beherrschen kann, als er es nach Erkennen des Risikos mit Sicherheit ausschließen kann (vgl. Definition in Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Auflage 2015, § 630 h Rn. 3), beispielsweise durch ständige Überwachung seitens eines Praxismitarbeiters oder durch Verwendung einer zu allen Seiten abgegrenzten Liege statt einer üblichen offenen Patientenliege.

Aus der Pflichtverletzung ist der Klägerin ein Schaden in Höhe von 8.693,27 € entstanden. Bei dem Sturz hat sich die Patientin unstreitig eine Femurfraktur zugezogen, die zu Behandlungskosten in der genannten Höhe führte.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht. Der Beklagte befand sich nicht bereits deshalb in Verzug gem. § 286 Abs. 1 S. 1 BGB, weil er mit Schreiben vom 15.12.2008 eine Haftung ablehnte. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie in einem dem Antwortschreiben vom 15.12.2008 vorausgehenden Schreiben die Forderung der Höhe nach beziffert hat. Das als Forderungsanmeldung zur Akte gereichte Schreiben vom 16.08.2010 (Anlage K2, Bl. 36 d.A.) wurde deutlich nach dem ablehnenden Schreiben des Beklagte verfasst und enthält überdies keine Bezifferung der Forderung.

2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die Klägerin die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts als erforderlich und zweckmäßig ansehen durfte (vgl. BGH NJW 2004, 444; BGH NJW 2006,1065). Weder handelte es sich vorliegend um einen einfach gelagerten Fall noch erschien eine außergerichtliche Einigung von vornherein aussichtslos. Dem Schadensersatzanspruch steht es nicht entgegen, dass die Klägerin eine eigene Rechtsabteilung unterhält. Anhaltspunkte dafür, dass die Abwicklung des konkreten Schadensfalles vorliegend zu den originären Aufgaben der Rechtsabteilung der Klägerin gehören, liegen nicht vor (vgl. BGH NJW 2008, 2651).

Der Anspruch besteht aber lediglich in Höhe von 329,55 €. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten werden nach Vorbemerkung zu Teil 3, Abs. 4 VV RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, sodass die Klägerin vorliegend einen Anspruch auf eine 0,65 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG hat.

3. Hinsichtlich der Feststellung einer Pflicht des Beklagten, Zinsen auf den eingezahlten Gerichtskostenvorschuss zu zahlen, ist die Klage unbegründet. Zwar ist ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch neben einem prozessualen nicht von vorneherein ausgeschlossen (vgl. BGHZ 45, 251, 256 f.; BGHZ 52, 393, 396; BGH NJW 2007, 1458), aber ein Antrag auf dieser Grundlage erfordert, dass die Voraussetzungen einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung erfüllt sind. Der daraus resultierenden Darlegungslast hat die Klägerin nicht genügt.

Neben dem Eintritt einer Verzugslage hätte auch der eingetretene Schaden besonderer Darlegung bedurft. Die Klägerin begehrt hier Verzugszinsen für ihre Geldaufwendungen als Gläubigerin, die sie getätigt hat, um mit gerichtlicher Hilfe eine nach ihrer Ansicht berechtigte Geldforderung durchzusetzen. In Fällen dieser Art kann zur Schadensbemessung nicht auf die abstrakten Regelungen des § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückgegriffen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Juli 2012, Az. 8 U 66/11). Der Schaden kann allenfalls in einer konkreten Aufwendung von Zinsen (z. B. durch Kreditaufnahme oder Kontoüberziehung) oder in dem Verlust einer Zinsanlagemöglichkeit für den als Gerichtskosten eingezahlten Geldbetrag liegen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 S. 2 ZPO.

 

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