LG Berlin, Az.: 8 O 243/13
Beschluss vom 14.10.2014
Der Ablehnungsantrag des Klägers vom 7. Juli 2014 gegen den Sachverständigen Prof. Dr. … wird für begründet erklärt.
Gründe
Der Ablehnungsantrag des Klägers ist zulässig. Insbesondere ist er unverzüglich i.S.d. § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestellt worden. Das Gutachten vom 12. Juni 2014, auf dessen Inhalt der Kläger seinen Antrag stützt, ist ihm am 20. Juni 2014 zugestellt worden. Sein Ablehnungsantrag ist am 7. Juli 2014, also gut zwei Wochen später, bei Gericht eingegangen. Diese Reaktionszeit wahrt aus Sicht der Kammer die Verpflichtung zur unverzüglichen Geltendmachung des Ablehnungsgrundes. Die von der Kammer eingeräumte Monatsfrist zur Stellungnahme auf das Gutachten ist deutlich unterschritten.
Der Antrag ist auch begründet. Einzelne Passagen des Gutachtens vom 12. Juni 2014 sind geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Gutachters zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO.
Hierfür genügt jede Tatsache, die ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann. Für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich parteiisch ist oder sich selbst für befangen hält oder ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Entscheidend ist vielmehr, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit und Objektivität des Sachverständigen auszulösen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 14. Oktober 2005 – 21 W 8/05 -, juris).
Solche Tatsachen liegen hier vor.
Die Kammer hat den Sachverständigen mit Beschluss vom 25. März 2014 u.a. mit einem Gutachten zu der Behauptung des Klägers beauftragt, „er sei bei der Beklagten zu 1) und durch den Beklagten zu 2) nicht dem ärztlichen Standard entsprechend behandelt worden, insbesondere sei die Operation am 28. März 2013 ohne die in jedem Fall bei dem vorliegenden Krankheitsbild erforderliche vorherige Bestrahlungs- und/oder Chemotherapie durchgeführt worden, wodurch sich seine Heilungschancen in erheblicher Weise verschlechtert hätten“ (Beweisfrage I.1.). Ferner ist der Sachverständige um Stellungnahme gebeten worden, ob die ärztlichen Dokumentationspflichten aus medizinischer Sicht in hinreichendem Umfang erfüllt worden sind (Beweisfrage I. 3.).
Der Sachverständige ist diesen Fragen auf Grundlage der bei den Akten befindlichen Unterlagen und beigezogenen Krankenunterlagen nachgegangen. Er hat daraus die Erkrankungsvorgeschichte und Ausgangssituation rekonstruiert, ferner den Ablauf des operativen Eingriffs am 28. März 2013 einschließlich der dokumentierten Aufklärung des Klägers, den unmittelbaren postoperativen Verlauf bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus sowie die poststationäre Behandlung. Unter der Überschrift „Bewertung des Vorganges unter Berücksichtigung der im Beweisbeschluss vom 25.03.2014 aufgeworfenen Fragen“ (ad 1. und 2.) weist der Sachverständige u.a. zunächst – wie schon auf Seite 5 des Gutachtens – darauf hin, es fände sich keine Dokumentation zu der Tumorkonferenz vor dem Eingriff im Krankenblatt. Das nachfolgende Gespräch des Herrn Dr. F. mit dem Kläger über die Operationsempfehlung sei dort gleichfalls nicht dokumentiert.
In diesem Zusammenhang führt der Sachverständige u.a. aus:
„In der gutachterlichen Bewertung erscheint die Darstellung dieses Gespräches durch Dr. F. allerdings plausibel. Korrekt geht er auf die Fragen ein, beantwortet sie fachlich einwandfrei und es erscheint dem Gutachter auch plausibel, dass der Patient in Abwägung der Vor- und Nachteile sich gegen eine neoadjuvante Therapie aussprach. Aus der eigenen längeren Erfahrung im Umgang mit diesem Patienten-Klientel sei hervorgehoben, dass die letztliche Entscheidung über das Vorgehen der Patient selbst, im ausführlichen Gespräch mit dem behandelnden Arzt (in der Regel der Visceralchirurg) vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Tumorboards und in Abwägung der in diesem ausführlichen Aufklärungsgespräches aufgeführten Risiken, Komplikationen und Alternativen fällt. So spielen dabei Faktoren, die auch psychologisch begründet sind, eine nicht unwesentliche Rolle, so wie der lange Zeitraum der Vorbehandlung bis es letztlich zur definitiven Tumorentfernung kommt, die zum Teil nicht unbeträchtlichen Nebenwirkungen der Vorbehandlung sowie befürchtete Komplikationen dann postoperativ. Im vorliegenden Fall sind es ggf. auch ökonomische Ängste…?“.
Mit diesen Ausführungen ist der Sachverständige nicht nur über die Beantwortung der Beweisfrage zur hinreichenden Dokumentation aus medizinischer Sicht hinausgegangen, die er bereits negativ beantwortet hatte. Er hat in diesem Zusammenhang eigene Überlegungen zum Beklagtenvortrag zum Gesprächsverlauf im Rechtsstreit angestellt und zu erkennen gegeben, dass er diesem Glauben schenkt. Dabei hat er sich auf eigene Erfahrungen mit einer Patientengruppe gestützt, der er offensichtlich den Kläger zuordnet und Mutmaßungen zu weiteren Motiven des Klägers angestellt (psychologischen wie ökonomischen). Letztlich handelt es sich dabei um die Würdigung einer Zeugenaussage, die der behandelnde Arzt Dr. F. noch gar nicht abgegeben hat. Diese Positionierung des Sachverständigen greift in das Neutralitätsgefüge des Rechtsstreits ein. Dass der Sachverständige ohne Anknüpfungspunkt im Beweisbeschluss dem Gericht nachdrücklich Begründungsansätze dafür übermittelt, warum die Beklagtendarstellung eines nicht dokumentierten Patientengespräches zutreffend sein dürfe, kann – unabhängig von der Frage einer tatsächlichen Befangenheit – die Sorge des Klägers rechtfertigen, der Sachverständige habe an dieser Stelle den ihm zukommenden neutralen Bereich genau zwischen beiden Prozessparteien zu Gunsten einer Seite und damit zu Lasten der anderen Seite verlassen mit möglichen Auswirkungen für seine sachbezogenen Ausführungen. Damit erweist sich der Befangenheitsantrag als begründet.