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Aufklärungspflicht vor Reposition einer Schulterluxation

OLG Koblenz, Az.: 5 U 428/15, Beschluss vom 10.11.2015

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 18.03.2015, Aktenzeichen 10 O 42/13, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil des Landgerichts Koblenz und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Aufklärungspflicht vor Reposition einer Schulterluxation
Symbolfoto: Von Doucefleur / Shutterstock.com

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 18.03.2015, Aktenzeichen 10 O 42/13, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 7.10.2015 Bezug genommen. Dort hat der Senat mitgeteilt:

„I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten gesamtschuldnerisch haftend immateriellen Schadensersatz wegen der behaupteten fehlerhaften Befunderhebung, Behandlung und Aufklärung nach einer Luxation ihres linken Schultergelenkes am 13.11.2010.

Die Klägerin wurde nach einem Sturz mit dem Rettungswagen in die unfallchirurgische Ambulanz der Beklagten zu 1) verbracht, wo sie zunächst von dem Zeugen Dr. R. untersucht und später von dem Beklagten zu 2) behandelt wurde. Zwischen den Parteien ist streitig, welche – insbesondere bildgebenden – Befunderhebungen durchgeführt wurden, bevor der Beklagte zu 2) einen Repositionsversuch unternahm, dessen Durchführungsform ebenfalls im Streit ist. Während die Parteien darum streiten, ob bereits nach dem Sturz ein Abriss und eine Fraktur des Tuberculum majus vorlag, kam es unstreitig unter der Behandlung zu einer subcapitalen Humerusmehrfragmentfraktur, die eine operative Behandlung nach sich zog und zu fortdauernden, im einzelnen streitigen Beschwerden führte.

Die Klägerin wirft den Beklagten eine unzureichende Befunderhebung, insbesondere die unterlassene Fertigung von Röntgenbildern, vor. Der Repositionsversuch sei weder indiziert noch fehlerfrei durchgeführt worden. Mangels schriftlicher Aufklärung sei diese nicht ordnungsgemäß gewesen. Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Es sei durch den Zeugen Dr. R. nach hinreichender Voruntersuchung eine Röntgenaufnahme veranlasst worden, die der Beklagte zu 2) ausgewertet und daraus zutreffend die Indikation für einen sodann lege artis durchgeführten Repositionsversuch abgeleitet habe.

Das sachverständig beratene Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen abgewiesen. Der Repositionsversuch sei behandlungsfehlerfrei durchgeführt worden. Es habe eine Indikation bestanden und der Versuch sei regelgerecht durchgeführt worden. Eine Operation sei dagegen nicht indiziert und weitaus risikoreicher gewesen. Auch sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass vor der Behandlung eine hinreichende Befunderhebung stattgefunden habe. Insbesondere sei die vorliegende Röntgenaufnahme der Klägerin zuzuordnen. Ein Aufklärungsmangel sei nicht zu ersehen. Im Übrigen sei von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages weiterverfolgt. Das Landgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass die vorliegenden Röntgenaufnahmen von ihr stammten. Schon die zeitlichen Abläufe stünden dem entgegen. Die Aussage des Zeugen B. hätten nicht als unglaubwürdig bezeichnet werden dürfen. Auch hätten die Beklagten nichts zu der Frage ausgeführt, wie sie, die Klägerin, angeblich in die Röntgenabteilung gelangt sein soll. Es sei denkbar, dass die Anordnung zur Röntgenuntersuchung ergangen, deren Ausführung aber, etwa wegen eines Schichtwechsels, unterblieben sei. Auch sei auf den Aufnahmen ein von ihr nicht getragenes Kleidungsstück zu sehen. Sie halte daran fest, dass die Reposition behandlungsfehlerhaft und die Aufklärung unzureichend gewesen sei.

Die Klägerin beantragt, unter Änderung des Urteils des Landgerichtes Koblenz vom 18.03.2015, 10 O 42/13, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt und das für den Fall der Säumnis mit 20.000 € beziffert wird, nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Die Berufungsbeklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die verteidigen das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und machen sich die Ausführungen des Landgerichtes zu Eigen. Die Würdigung aller Umstände führe zwingend zu dem Ergebnis, dass vor der Reposition eine Röntgenaufnahme vorgelegen habe. Die zeitlichen Abläufe seien ohne weiteres plausibel. Die Dokumentation entspreche den medizinischen und rechtlichen Vorgaben. Ein Behandlungsfehler sei nach dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung ausgeschlossen, die Aufklärung habe dem Notwendigen entsprochen. Letztlich sei nicht dargetan, dass die weiteren Beschwerden auf einer unzureichenden Aufklärung beruhten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sowie die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und letztlich die Gerichtsakten nebst Beiakten verwiesen.

II. Der Senat ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO erfordern keine Entscheidung durch Urteil nach mündlicher Verhandlung, die auch nicht nach § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten ist. Von ihr sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Die Klägerin hat keine Gründe aufgezeigt, die eine mündliche Verhandlung ansonsten geboten erscheinen lassen.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Der Senat macht sich deren Begründung zu Eigen. Die dagegen erhobenen Angriffe der Berufung überzeugen den Senat nicht. Hierzu Folgendes:

1. Gegen die Überzeugung des Landgerichtes, dass eine hinreichende Befunderhebung stattgefunden hat, ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nichts zu erinnern. Die Tatsachenfeststellung ist verfahrensfehlerfrei erfolgt. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellung hat der Senat nicht, so dass er an diese gemäß § 529 Abs. 1 ZPO gebunden ist.

Dass eine hinreichende Röntgenkontrolle der Klägerin vor der Reposition erforderlich war, aber auch erfolgte, ist durch die dokumentierte Untersuchung der Klägerin durch den Zeugen Dr. R. und den ausgefertigten Röntgenanforderungsschein ebenso belegt wie durch die vorliegende Röntgenaufnahme. Die enge Zeitfolge steht dem nicht entgegen. Sie wurde vom Landgericht ebenso gesehen wie der Umstand, dass der Zeuge Dr. R. bekundete, dass eine unmittelbare räumliche Nähe vom Behandlungszimmer zur Röntgenabteilung bestand und die Klägerin im maßgeblichen Zeitfenster die einzige Röntgenpatientin war. Der Sachverständige hat ergänzend ausgeführt, dass der Arzt aufgrund der erheblichen Schmerzen des Patienten auch um eine sehr schnelle Befunderhebung bemüht ist. Dafür bedarf es keiner Lebensgefahr, wie die Klägerin mit der Berufung vorträgt. Entgegen der Ansicht der Klägerin waren die – unstreitigen – Schmerzen ein Grund für ein besonderes Eilbedürfnis. Auch bekundete der Zeuge Dr. R., dass er das Röntgenbild noch selbst gesehen und im Rahmen der Übergabe an den Beklagten zu 2) erläutert habe. Es gibt keine tragenden Anhaltspunkte, an der Dokumentation und der nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und mit den dem Senat aus einer Vielzahl von Dokumentationen bekannten (§ 291 ZPO) Abläufen in Einklang stehenden Aussage des Zeugen zu zweifeln. Dies gilt umso mehr, als die Zeugin B. und der Beklagte zu 2) bestätigen, dass ein Röntgenbild vorgelegen habe und es nach Darlegung des Sachverständigen „sehr wahrscheinlich“ ist, dass die vorliegenden Röntgenbilder von der Klägerin stammen. Letzteres ergibt sich gerade auch aus dem Vergleich der knöchernen Strukturen zwischen der ursprünglichen – streitigen – präoperativen Röntgenaufnahme und der späteren postoperativen Röntgenaufnahme. Dies ist ein tragendes Indiz, dass die Berufung nicht in Zweifel zieht. Der abgesprengte Tuberculum majus sei auf beiden Bildern eindeutig und identisch. Der Hinweis der Klägerin, dass dort ein Kleidungsstück zu sehen sei, über das sie nicht verfüge, ist nicht geeignet, all das zu entkräften. Der Sachverständige sieht die zeitliche Abfolge in jedem Fall für möglich und sogar aus Sicht des Patienten geboten an. Der Senat sieht, dass der Ehemann der Klägerin der Meinung ist, dass diese den Behandlungsraum nicht verlassen hat. Letztlich bleibt allerdings festzuhalten, dass der Zeuge B. nach den eigenen Bekundungen der Klägerin in erster Instanz mit dem eigenen Wagen dem Krankenwagen gefolgt ist und sein Fahrzeug erst noch parken musste. Es ist daher nahe liegend, dass er erst im Behandlungszimmer erschien, als die Klägerin bereits von der Röntgenuntersuchung zurückgekehrt war. Insoweit schilderte die Klägerin in ihrer Anhörung nämlich den Ablauf erst ab der Behandlung durch den Beklagten zu 2), ohne die dokumentierte Behandlung durch den Zeugen Dr. R. zu erwähnen. Das lässt sich nicht zuletzt schmerzbedingt und vor dem Hintergrund einer sehr kurzen Untersuchung durch den Zeugen Dr. R. erklären. Der Beklagte zu 2) hat seinen Dienst zeitlich erst nach der Einlieferung der Klägerin angetreten. Zu sehen ist auch, dass die zeitliche Einordnung des Zeugen B. sehr unpräzise bleibt. Konsequent hat er seine Angaben sehr relativiert. Nicht auszuschließen ist deshalb auch, dass ihm schlicht etwas entgangen ist. Letztlich kommt es darauf aber auch nicht an, weil der Zeuge mangels Anwesenheit im Behandlungsraum jedenfalls nicht definitiv bekunden kann, dass vor der Reposition keine Röntgenaufnahme vorgelegen hat.

Die Klägerin muss vor diesem Hintergrund mit ihrem Versuch, ihre Wertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme an die Stelle der Wertung des Landgerichtes zu setzen, scheitern.

2. Lücken in der Dokumentation oder sonstige Gründe, die die Richtigkeit und Vollständigkeit der Dokumentation in Frage stellen, sieht der Senat nicht. Schon das Landgericht hat darauf hingewiesen, dass der OP-Bericht nicht im Rahmen der Erstellung des MDK-Gutachtens verfasst, sondern nur überreicht wurde. Gründe für eine Beweislastumkehr sind nicht zu ersehen. Mehr als der Umstand, dass die geschlossene Reposition durchgeführt wurde, war aus medizinischer Sicht nicht zu dokumentieren. Das ist unstreitig geschehen.

3. Ein Behandlungsfehler liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor. Der Senat sieht den Versuch einer geschlossenen Reposition mit dem Landgericht als indiziert und fehlerfrei durchgeführt an. Auf die Ausführungen des Sachverständigen und des Landgerichtes kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden. Die Klägerin trägt dagegen auch nach nochmaliger Prüfung durch den Senat nichts Erhebliches vor. Mit den von ihr wiederholten Aspekten hat der Sachverständige sich hinreichend auseinandergesetzt.

4. Der Senat sieht auch nach dem Berufungsvorbringen der Klägerin keinen Mangel in der Aufklärung.

Nach dem allgemein anerkannten Grundsatz der Therapiefreiheit ist die Wahl der konkreten Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Solange dieser eine Therapie anwendet, die dem aktuellen medizinischen Standard entspricht, muss er dem Patienten im Allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche Alternativen theoretisch in Betracht kommen und mit welchen Vorzügen oder Nachteilen diese jeweils verbunden sind (BGH NJW 1988, 763). Nur wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere gleichermaßen indizierte Behandlungsmethoden mit unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen zur Verfügung stehen, besteht für den Patienten eine echte Wahlmöglichkeit, die es gebietet, dem Selbstbestimmungsrecht folgend, ihm die Entscheidung darüber zu lassen, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH NJW 2006, 2477; BGH NJW 2005, 1718; BGH NJW 1989, 1533).

Der invasive Eingriff stellte in diesem Sinne keine gleichwertige Alternative zur durchgeführten geschlossenen Reposition dar. Vielmehr folgt er regelmäßig der geschlossenen Reposition. Nachdem das gestufte Vorgehen und die durchgeführte geschlossene Reposition nach den Ausführungen des Sachverständigen auch im konkreten Fall der Klägerin das Standardverfahren darstellte, war zunächst über einen alternativen invasiven Eingriff nicht aufzuklären. Der invasive Eingriff war vor der geschlossenen Reposition nicht indiziert.

Nach dem Ergebnis der Anhörung des Beklagten zu 2) und der Klägerin, dem wechselseitigen Parteivortrag sowie in Beachtung der höchstrichterlichen Anforderungen an den Nachweis der Aufklärung, sieht der Senat keinen Anlass, an einer ordnungsgemäßen Aufklärung „im Großen und Ganzen“ zu zweifeln.

Dass ungeachtet dessen der Kausalitätsnachweis nicht geführt ist, legt die Berufungserwiderung ohne Rechtsfehler dar.“

Die Klägerin hat in der verlängerten Stellungnahmefrist zum Hinweisbeschluss des Senates lediglich mitgeteilt, dass sie auf einer Entscheidung über die Berufung besteht. Mangels sachlicher Angriffe gegen die Hinweise des Senates gibt dies keinen Anlass zu einer Änderung der Sichtweise des Senates.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt.

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