Gericht verurteilt Zahnarzt wegen mangelhafter Risikoaufklärung bei Zahnimplantation
Im Fall des LG Münster (Az.: 111 O 45/11) wurde entschieden, dass der Beklagte den Kläger wegen mangelnder Aufklärung über das Risiko einer dauerhaften Nervverletzung im Rahmen einer Zahnimplantationsbehandlung entschädigen muss. Der Kläger wurde nicht hinreichend über das Risiko informiert, was zu bleibenden Schäden führte und einen rechtswidrigen Eingriff darstellt.
Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ➜ Der Fall im Detail
- Rechtliche Auseinandersetzung wegen mangelhafter Aufklärung bei Zahnimplantation
- Die Details des medizinischen Eingriffs und die daraus resultierenden Folgen
- Kern der gerichtlichen Entscheidung und Begründung des LG Münster
- Auswirkungen des Urteils auf die medizinische Praxis und Patientenrechte
- Juristische und ethische Verpflichtungen im medizinischen Behandlungskontext
- ✔ Häufige Fragen – FAQ
- Welche Informationen muss ein Arzt im Rahmen der Aufklärungspflicht bereitstellen?
- Welche Rolle spielt die schriftliche Dokumentation bei der Aufklärungspflicht?
- Was sind die rechtlichen Konsequenzen, wenn die Aufklärungspflicht verletzt wird?
- In welchem Umfang müssen seltene Risiken einer Behandlung kommuniziert werden?
- Wie beeinflusst die fachliche Qualifikation eines Patienten die Aufklärungspflicht?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Das vorliegende Urteil
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das LG Münster verurteilte den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld und weiteren Schäden aufgrund einer unzureichenden Aufklärung über das Risiko einer Nervverletzung bei einer Zahnimplantationsbehandlung.
- Es wurde festgestellt, dass die Aufklärung nicht adäquat erfolgte, da der Kläger, obwohl Arzt, nicht über spezifische Risiken der Implantation informiert war.
- Der Kläger erlitt eine Nervschädigung, die zu Sensibilitätsstörungen und Schmerzen führte, für die er eine Kompensation in Höhe von 6.500,00 EUR erhielt.
- Die Entscheidung stützt sich auf das Fehlen eines adäquaten Aufklärungsgesprächs und die Ablehnung des Einwands der hypothetischen Einwilligung durch das Gericht.
- Die Sachverständigen bestätigten die dauerhafte Nervschädigung und deren Folgen, welche die Grundlage für das Schmerzensgeld bildeten.
- Der Beklagte scheiterte auch mit dem Argument, der Kläger hätte sich auch bei adäquater Aufklärung für die Behandlung entschieden, da er vorrangig eine 3-D-Diagnostik gewählt hätte.
Wie sicher sind Implantatbehandlungen wirklich?
Zahnimplantate sind eine verbreitete Methode, um fehlende Zähne zu ersetzen. Dennoch birgt jeder operative Eingriff gewisse Risiken. Ein besonders schwerwiegendes Risiko bei Implantatbehandlungen stellt die mögliche Nervverletzung dar. Diese kann zu anhaltenden Beschwerden wie Taubheitsgefühlen oder Schmerzen führen.
Für Patienten ist es daher von großer Bedeutung, umfassend über solche Komplikationsrisiken aufgeklärt zu werden. Nur so können sie eine informierte Entscheidung treffen. Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, ihre Patienten angemessen über Behandlungsrisiken zu informieren. Wie aber wird diese Aufklärungspflicht bei Implantatbehandlungen konkret umgesetzt?
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➜ Der Fall im Detail
Rechtliche Auseinandersetzung wegen mangelhafter Aufklärung bei Zahnimplantation
Im Fall des Landgerichts Münster, Az.: 111 O 45/11, geht es um die rechtliche Aufarbeitung einer mangelnden Aufklärung vor einer Zahnimplantationsbehandlung, bei der der Kläger, ein Chirurg mit dem Fachgebiet Proktologie, dauerhafte Nervenschäden erlitt.
Der Vorwurf liegt darin, dass der Beklagte, ein Zahnarzt, den Kläger nicht ausreichend über das Risiko einer möglichen Nervverletzung aufgeklärt hat. Besonders im Fokus steht die Frage, ob der Kläger bei adäquater Aufklärung andere medizinische Wege, wie etwa eine 3-D-Diagnostik, in Erwägung gezogen hätte, die das Risiko einer Schädigung minimieren könnte.
Die Details des medizinischen Eingriffs und die daraus resultierenden Folgen
Die rechtliche Kontroverse entstand nach einem Eingriff am 03. September 2010, bei dem der Kläger erhebliche Nervenschäden im Bereich der regio 36 erlitt, was zu anhaltenden Sensibilitätsstörungen, Schmerzen beim Rasieren und beim Beißen auf die Lippe führte. Trotz seiner medizinischen Vorkenntnisse war der Kläger über spezifische Risiken dieser Behandlung nicht informiert, was ihn dazu veranlasst hat, rechtliche Schritte einzuleiten. Der Kläger verlangte ursprünglich ein Schmerzensgeld von 12.000 Euro, sowie die Übernahme aller weiteren immateriellen und materiellen Schäden, die aus der Behandlung resultierten.
Kern der gerichtlichen Entscheidung und Begründung des LG Münster
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Beklagte in der Tat eine Aufklärungspflicht verletzt hat. Es konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob der Kläger vor der Behandlung tatsächlich einen Aufklärungsbogen erhalten und verstanden hat. Der Beklagte konnte nicht beweisen, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat, insbesondere da keine Unterschrift des Klägers auf dem Aufklärungsbogen vorlag und auch Zeugen hierzu nicht gehört werden konnten. Das Gericht stellte fest, dass bei einer Aufklärungsrate von 5 bis 15 % für dauerhafte Nervenschäden der Kläger vermutlich alternative diagnostische Verfahren gewählt hätte, um das Risiko zu minimieren.
Auswirkungen des Urteils auf die medizinische Praxis und Patientenrechte
Das Urteil unterstreicht die essentielle Notwendigkeit einer vollumfänglichen und verständlichen Aufklärung der Patienten über alle möglichen Risiken medizinischer Eingriffe. Es macht deutlich, dass die ärztliche Aufklärungspflicht unabhängig von den Vorkenntnissen des Patienten besteht und dass eine Nichtbeachtung dieser Pflicht zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen kann. In diesem spezifischen Fall wurde der Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 6.500 Euro verurteilt sowie zur Übernahme der vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten und weiteren materiellen Schäden, soweit diese nachweislich aus der Behandlung resultieren.
Juristische und ethische Verpflichtungen im medizinischen Behandlungskontext
Dieses Urteil hebt die juristische und ethische Verantwortung von Medizinern hervor, ihre Patienten umfassend über die Risiken und möglichen Folgen von Behandlungen zu informieren. Es zeigt auf, dass das Gericht im Zweifel zum Schutz des Patienten entscheidet, insbesondere wenn die Beweislage darauf hindeutet, dass eine Aufklärung entweder nicht stattgefunden hat oder nicht hinreichend dokumentiert wurde. Dies dient dem übergeordneten Ziel, das Vertrauen in medizinische Fachkräfte und die Patientensicherheit zu stärken.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Welche Informationen muss ein Arzt im Rahmen der Aufklärungspflicht bereitstellen?
Der Arzt muss den Patienten vor einer Implantatbehandlung umfassend über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken des Eingriffs in einem persönlichen Gespräch aufklären. Dazu gehören insbesondere:
- Diagnose, Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung
- Ziel, Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten der Implantatbehandlung
- Ablauf und Details des geplanten Eingriffs, wie z.B. Schnittführung, Knochenaufbau, Einheilungszeit
- Behandlungsalternativen mit Vor- und Nachteilen, sofern mehrere gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen
- Mögliche Nebenwirkungen, Komplikationen und Risiken, wie Schmerzen, Schwellungen, Blutungen, Nervenverletzungen, Implantatverlust, Entzündungen
- Folgen und Risiken der Nichtbehandlung
- Erforderliche Vor- und Nachbehandlung, wie regelmäßige Kontrollen und optimale Mundhygiene
- Kosten und wirtschaftliche Folgen, da Implantate eine Privatleistung sind
- Individuelle Risikofaktoren wie Rauchen, Parodontitis oder schlechte Mundhygiene, die den Erfolg gefährden können
Die Aufklärung muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient eine wohlüberlegte Entscheidung treffen kann. Sie muss laienverständlich sein und der Arzt hat sich zu vergewissern, dass der Patient alles verstanden hat. Merkblätter können das Gespräch ergänzen, aber nicht ersetzen.
Der Arzt muss die erfolgte Aufklärung und Einwilligung des Patienten sorgfältig dokumentieren. Verstöße gegen die Aufklärungspflicht können haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Welche Rolle spielt die schriftliche Dokumentation bei der Aufklärungspflicht?
Die schriftliche Dokumentation der Aufklärung und Einwilligung des Patienten spielt eine entscheidende Rolle, um die Erfüllung der ärztlichen Aufklärungspflicht zu belegen:
- Grundsätzlich trägt der Arzt die Beweislast dafür, dass er den Patienten ordnungsgemäß aufgeklärt und dessen Einwilligung eingeholt hat.
- Eine schriftliche Dokumentation des Aufklärungsgesprächs und der Einwilligung des Patienten ist daher aus Beweisgründen dringend zu empfehlen, auch wenn sie gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben ist.
- Aufklärungsbögen und Einwilligungsformulare können das persönliche Aufklärungsgespräch zwar nicht ersetzen, erleichtern aber den Nachweis, dass eine Aufklärung stattgefunden hat.
- Dem Patienten ist ein Duplikat der von ihm unterzeichneten Aufklärungs- und Einwilligungsunterlagen auszuhändigen. Die Originale sind in der Patientenakte zu dokumentieren.
- Kann der Arzt im Streitfall keine ausreichende Aufklärung und Einwilligung beweisen, drohen haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen wegen eigenmächtiger Behandlung.
- Eine lückenlose schriftliche Dokumentation schützt den Arzt somit vor ungerechtfertigten Vorwürfen einer Aufklärungspflichtverletzung und ist ein wichtiges Beweismittel in einem etwaigen Arzthaftungsprozess.
Zusammengefasst ist die schriftliche Dokumentation von Aufklärung und Einwilligung unverzichtbar, um die Erfüllung der ärztlichen Aufklärungspflichten zu belegen und sich rechtlich abzusichern. Sie dient als zentrales Beweismittel, falls Patienten eine unzureichende Aufklärung behaupten.
Was sind die rechtlichen Konsequenzen, wenn die Aufklärungspflicht verletzt wird?
Wenn ein Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt, kann dies schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen:
- Die Einwilligung des Patienten in die Behandlung ist dann unwirksam. Der ärztliche Eingriff stellt somit eine rechtswidrige Körperverletzung dar.
- Der Arzt macht sich unter Umständen strafbar, da er ohne wirksame Einwilligung des Patienten einen Eingriff in dessen körperliche Unversehrtheit vorgenommen hat.
- Zivilrechtlich liegt ein grober Behandlungsfehler in Form einer unerlaubten Handlung vor. Der Patient hat dann Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, wenn er glaubhaft machen kann, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen den Eingriff entschieden hätte.
- Die Beweislast liegt beim Arzt. Er muss nachweisen, dass er den Patienten ausreichend aufgeklärt hat. Gelingt ihm dies nicht, haftet er für die entstandenen Gesundheitsschäden.
- Auch die Krankenkasse des Patienten kann Ansprüche gegen den Arzt oder das Krankenhaus geltend machen. Dabei ist es unerheblich, ob zusätzlich Behandlungsfehler vorliegen.
- Verstöße gegen die Aufklärungspflicht können für den Arzt berufsrechtliche Konsequenzen haben und seine Approbation gefährden.
Die Gerichte geben in der Regel dem Patienten Recht, wenn eine Verletzung der Aufklärungspflicht nachgewiesen werden kann. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung sind hoch. Sie muss rechtzeitig, umfassend, für den Patienten verständlich und individuell auf dessen Situation bezogen erfolgen.
In welchem Umfang müssen seltene Risiken einer Behandlung kommuniziert werden?
Der Arzt muss den Patienten auch über seltene Risiken einer Behandlung aufklären, wenn diese im Falle ihres Eintritts schwerwiegende Folgen für die Lebensführung und Lebensqualität des Patienten haben können:
- Grundsätzlich sind auch sehr seltene Risiken aufklärungspflichtig, sofern sie für den geplanten Eingriff spezifisch sind und sich schwerwiegend auf das weitere Leben des Patienten auswirken würden.
- Je schwerer die möglichen Folgen sind, desto geringer sind die Anforderungen an die Häufigkeit eines Risikos, über das aufgeklärt werden muss. Bei gravierenden Gefahren wie Tod, Lähmung oder Erblindung besteht die Aufklärungspflicht auch dann, wenn diese Komplikationen extrem selten auftreten.
- Entscheidend ist, ob die Verwirklichung des Risikos die Lebensführung und Lebensplanung des Patienten besonders stark belasten würde, etwa weil er seinen Beruf nicht mehr ausüben könnte. Dann muss der Arzt auch über Risiken aufklären, die sich nur in Ausnahmefällen realisieren.
- Statistisch seltene Risiken sind aufklärungspflichtig, wenn sie dem geplanten Eingriff anhaften und für den Patienten „überraschend“ wären. Der Arzt darf sich nicht darauf verlassen, dass der Patient die Gefahr eines schweren Schadens selbst erkennt oder für möglich hält.
- Über seltene Risiken ist auch dann aufzuklären, wenn der Patient nach ihnen fragt. Der Arzt darf mögliche Komplikationen auf Nachfrage nicht verharmlosen oder beschönigen.
Zusammengefasst muss der Patient ein zutreffendes Bild von den Risiken erhalten, die mit der Behandlung einhergehen. Die Aufklärung darf sich nicht auf häufige Komplikationen beschränken, sondern muss auch seltene Risiken einbeziehen, wenn deren Folgen für den Patienten schwerwiegend wären. Maßgeblich ist die konkrete Bedeutung möglicher Beeinträchtigungen für die persönliche Lebensgestaltung des Patienten.
Wie beeinflusst die fachliche Qualifikation eines Patienten die Aufklärungspflicht?
Die fachliche Qualifikation und die Vorkenntnisse des Patienten können den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht in gewissem Maße beeinflussen:
- Verfügt der Patient aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit, z.B. als Arzt, über einschlägiges medizinisches Fachwissen, kann der aufklärende Arzt davon ausgehen, dass dem Patienten die grundlegenden Risiken und Abläufe der geplanten Behandlung bereits bekannt sind.
- In solchen Fällen muss der Arzt nicht mehr über Umstände aufklären, die der Patient aufgrund seiner Vorbildung ohnehin weiß. Die Aufklärung kann sich dann auf die Besonderheiten des konkreten Eingriffs und die individuelle Situation des Patienten beschränken.
- Allerdings darf der Arzt die Vorkenntnisse des Patienten nicht einfach unterstellen. Er muss sich in einem Gespräch vergewissern, was der Patient tatsächlich weiß und inwieweit er über mögliche Risiken im Bilde ist.
- Zudem entbindet die fachliche Qualifikation des Patienten den Arzt nicht von seiner grundsätzlichen Aufklärungspflicht. Auch ein Patient mit medizinischen Vorkenntnissen hat ein Recht auf individuelle Aufklärung und Beratung.
- Insbesondere über seltene Risiken und Komplikationen, die sich schwerwiegend auf die Lebensführung des Patienten auswirken können, muss der Arzt auch dann aufklären, wenn der Patient vom Fach ist. Hier darf sich der Arzt nicht darauf verlassen, dass der Patient die Tragweite möglicher Folgen selbst abschätzen kann.
Zusammengefasst reduzieren sich die Anforderungen an die ärztliche Aufklärung, wenn der Patient aufgrund seiner Ausbildung oder seines Berufs über medizinisches Fachwissen verfügt. Der Arzt kann dann eine gewisse Grundkenntnis voraussetzen. Er muss aber dennoch sicherstellen, dass der Patient die Bedeutung und Risiken des geplanten Eingriffs zutreffend einschätzt. Von seiner Pflicht zu einer angemessenen Aufklärung im Einzelfall ist der Arzt auch bei fachlich vorgebildeten Patienten nicht entbunden.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
§ 823 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)
Regelt die Schadensersatzpflicht bei der Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder eines sonstigen Rechts. In diesem Fall relevant, da der Beklagte für die Gesundheitsschäden des Klägers durch eine mangelhafte Aufklärung über die Risiken der Implantationsbehandlung haftbar gemacht wird.
§ 253 BGB
Bestimmt die Möglichkeit des Schmerzensgeldanspruchs bei immateriellen Schäden, wie sie hier durch die dauerhafte Nervverletzung entstanden sind. Der Kläger hat aufgrund der festgestellten Pflichtverletzung und der daraus resultierenden Gesundheitsschäden Anspruch auf Schmerzensgeld.
§ 630e BGB
Spezifiziert die Aufklärungspflichten des Behandelnden gegenüber dem Patienten. Diese Norm ist besonders relevant, weil sie die Basis für die Beurteilung der ordnungsgemäßen Aufklärung über Behandlungsrisiken bildet, die im vorliegenden Fall strittig war.
§ 249 BGB
Regelt die Art und Weise der Schadensersatzleistung, insbesondere die Wiederherstellung des Zustands, der vor dem schädigenden Ereignis bestand. In diesem Kontext wird Bezug genommen auf die materiellen und immateriellen Schäden, die der Kläger geltend macht.
§ 286 ZPO (Zivilprozessordnung)
Beschreibt die Beweislast im Zivilprozess. Im vorliegenden Fall relevant für die Frage, ob der Kläger ausreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt wurde. Der Beklagte konnte nicht ausreichend nachweisen, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat.
§ 288 BGB
Regelt die Verzinsung von Geldschulden bei Verzug. Der Beklagte wurde zur Zahlung von Zinsen über dem Basiszinssatz verurteilt, was auf diesen Paragraphen zurückgeht.
§ 291 BGB
Betrifft den gesetzlichen Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit und ist relevant für die Zinsansprüche, die vom Gericht im Urteil festgestellt wurden.
Das vorliegende Urteil
LG Münster – Az.: 111 O 45/11 – Urteil vom 20.02.2014
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.500,00 Euro (sechstausendfünfhundert Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren immateriellen Schaden sowie sämtliche materiellen Schäden aus der Implantationsbehandlung vom 03.09.2010 zu ersetzen, materielle Schäden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 661,16 Euro (sechshunderteinundsechzig 16/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte zu 60 % und der Kläger zu 40 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 %.
Von dem Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils insgesamt gegen den Kläger zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 % abgewendet werden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 % leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der weiteren Ersatzpflicht wegen einer angeblich fehlerhaften Zahnbehandlung sowie unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufklärungspflicht. Streitgegenständlich ist ein Eingriff vom 03.09.2010.
Bei dem vorgenannten Eingriff ist es unstreitig im Zusammenhang mit einer Implantatbehandlung bei regio 36 zu einer Nervschädigung gekommen.
Der Kläger behauptet, die Behandlung sei nicht lege artis durchgeführt worden. Auch sei er u.a. nicht über das Risiko einer Nervverletzung vom Beklagten aufgeklärt worden. Für den Fall einer solchen Aufklärung hätte er sich – so der Kläger – vor der Durchführung der Behandlung für eine 3-D-Diagnostik entschieden.
Die Nervschädigung habe zu Sensibilitätsstörungen geführt. Jedes Rasieren schmerze, er beiße sich ständig auf die Lippe. Es sei zu Reizungen und – von ihm als besonders störend empfunden – zu Rötungen mit leichten Schmerzen im Bereich der linken Seite des Unterkiefers und der Lippe gekommen. Hierbei handele es sich um Folgen der Nervverletzung.
Der Kläger meint, ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,00 EUR sei angemessen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.03.2011 hat der Kläger den Beklagten erfolglos zur Anerkennung der Haftung aufgefordert. Er beansprucht vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.236,17 EUR nach 1,8-fachem Satz, ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 16.000,00 EUR.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 12.000,00 Euro, nebst gesetzlichen Zinsen zu zahlen;
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen weiteren immateriellen Schaden sowie sämtliche materiellen Schäden aus der Implantationsbehandlung vom 03.09.2010 zu ersetzen, materielle Schäden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs;
3. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.236,17 EUR nebst gesetzlichen Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, die Behandlung sei lege artis erfolgt. Der Kläger sei anhand eines Aufklärungsbogens (Anlage B 1, Bl. 44 d.A.), von dem er ein Exemplar mit nach Hause genommen habe, über sämtliche Risiken aufgeklärt worden – insbesondere auch über das Nervverletzungsrisiko. Weiter behauptet der Beklagte, dass der Kläger bei unterstelltem Aufklärungsdefizit für den Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung wegen seines Grundleidens in die Behandlung eingewilligt hätte. An dem tatsächlichen Verlauf hätte sich – so der Beklagte – im Übrigen nichts geändert, wenn er dem Kläger eine 3-D-Diagnostik angeboten hätte bzw. eine solche durchgeführt worden wäre. Der Beklagte meint, das beanspruchte Schmerzensgeld sei übersetzt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Krankenunterlagen und durch Einholung zweier schriftlicher Sachverständigengutachten (Bl. 88 ff. und 112 ff. d.A.), welche von den Sachverständigen N und T mündlich erläutert wurden. Die Parteien wurden persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle über die mündliche Verhandlung vom 20.12.2013 (Bl. 155 ff. d.A.) und vom 20.02.2014 (Bl. 199 ff. d.A.) verwiesen.
Die Klage ist dem Beklagten am 18.05.2011 zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
I.
Der Beklagte haftet unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsdefizits, §§ 823 Abs. 1, 253 BGB.
Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger über das Risiko einer dauerhaften Nervverletzung infolge einer Implantatbehandlung im Unterkiefer aufgeklärt worden ist. Die Behandlung vom 03.09.2010 war daher rechtswidrig.
1. Nach den Ausführungen des Sachverständigen N ist das Risiko für einen dauerhaften Nervschaden bei Behandlungen der streitgegenständlichen Art mit 5 bis 15 % zu beziffern. Bezüglich dieses typischen Risikos bestand daher eine Aufklärungspflicht. Die Aufklärungspflicht entfiel hier auch nicht ausnahmsweise aus dem Grund, dass der Kläger selber als Arzt tätig ist. Der Kläger ist nicht Zahnarzt, sondern Chirurg mit Schwerpunkt Proktologie. Er verfügte demnach nicht schon von Berufs wegen über Kenntnis von Risiken einer Implantatbehandlung im Unterkiefer.
Der Beklagte ist für die Vornahme der gebotenen Aufklärung beweisfällig geblieben.
Gemäß seinen persönlichen Angaben sei dem Kläger am 17.08.2010 ein Aufklärungsbogen (entsprechend Bl. 44 d.A.) von der Empfangsdame mitgegeben worden, den der Kläger am Operationstag ohne Unterschrift wieder mitgebracht habe. Auf einen entsprechenden Hinweis der Empfangsdame auf die fehlende Unterschrift habe er, der Beklagte, gesagt, dies sei nicht nötig, da sie sich kennen würden. Ferner sei durch ihn am 31.08.2010 eine allgemeine Aufklärung des Klägers erfolgt. Das Aufklärungsblatt bzw. dessen Inhalt seien nicht mehr angesprochen worden. Der Kläger habe anfangs wohl davon gesprochen, dass er Sorge um seinen Nerv habe. Daraufhin habe er ihm gesagt, dass man das Implantat mit dem Sicherheitsabstand so setze, dass man eigentlich vom Nerv genügend Abstand habe.
Nach den persönlichen Angaben des Klägers sei ihm dagegen kein Merkblatt bzw. Aufklärungsbogen übergeben worden. Auch habe er den Beklagten nicht darauf angesprochen, dass er Sorge wegen einer potenziellen Nervverletzung habe. Diese sei erst thematisiert worden, nachdem es hierzu bereits gekommen war.
Die Kammer vermochte nicht, der Schilderung des Beklagten gegenüber derjenigen des Klägers den Vorzug zu gegeben, weshalb schon nicht mit einer hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, dass das Risiko einer Nervschädigung überhaupt ansatzweise vom Beklagten angesprochen worden ist. Die Angaben der Parteien waren gleichermaßen nachvollziehbar, widerspruchslos und insgesamt glaubhaft. Möglicherweise hat der Beklagte deshalb von einer Aufklärung über das Nervschädigungsrisiko abgesehen, weil er meinte, der Kläger wisse als Arzt hierüber ohnehin Bescheid. Dass er ein solches Wissen vorausgesetzt hat, folgt jedenfalls aus seinen persönlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2014. Möglicherweise hat aber auch der Kläger gerade wegen seiner Profession kein gesondertes Augenmerk auf eine Aufklärung gelegt und eine solche schlicht nicht zur Kenntnis genommen, zumal beide Parteien sich zum Zeitpunkt der Behandlung schon seit Jahren kannten (und sich nach wie vor duzen).
Aussagekräftige objektive Anhaltspunkte, welche die jeweiligen Angaben der Parteien stützen könnten, existieren nicht. Unter dem 17.08.2010 ist in der Karteikarte zwar vermerkt, „Dem Patienten Merkblätter, Tabletten etc. mitgeben“. Rein sprachlich deutet dies aber schon lediglich auf eine entsprechende Absicht und nicht auf eine tatsächliche Aushändigung hin. Im Übrigen bleibt auch unklar, um welche Merkblätter es sich überhaupt gehandelt haben soll und ob gerade ein Exemplar des Merkblatts „zum Aufklärungsgespräch und Einverständniserklärung zur Implantation“ enthalten war.
Zeugen für ein entsprechendes Aufklärungsgespräch hat der Beklagte nicht benannt. Seinen Angaben nach konnten die geladenen Zeuginnen nur etwas über den Eingriff selbst sagen. Die Empfangsdame, welche das maßgebliche Merkblatt ausgehändigt haben soll, ist vom Beklagten ebenfalls nicht als Zeugin benannt worden.
2. Der von dem Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung greift nicht durch. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger dem Eingriff vom 03.09.2010 unterzogen hätte, wenn er über das Risiko einer dauerhaften Nervschädigung aufgeklärt worden wäre. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass er sich in Kenntnis eines Verletzungsrisiko von bis zu 15 % zunächst für eine 3-D-Diagnostik entschieden hätte, welches nach den Ausführungen des Sachverständigen N das Risiko einer Nervschädigung deutlich reduziert hätte. Gerade angesichts des vergleichsweise doch recht hohen Verletzungsrisikos hält die Kammer die entsprechende Erklärung des Klägers für gut nachvollziehbar.
Dass es auch nach Durchführung einer 3-D-Diagnostik bei einer entsprechenden Implantatbehandlung zu einem anderen Zeitpunkt ebenfalls zu einer dauerhaften Nervschädigung gekommen wäre, hat der Beklagte weder substantiiert vorgetragen noch bewiesen.
3. Folge der Behandlung vom 03.09.2010 ist unstreitig eine geringe Schädigung des Nervus alveolaris inferior in der Endverzweigung des Nervus mentalis, wobei es sich um einen Dauerzustand handelt. Diese Schädigung hat nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen N und T zu einer reduzierten Sensibilität im linken Unterkiefer, respektive Unterlippenbereich (linkes Kinn) geführt, auch wenn es hierfür keinen elektrophysiologischen Beleg gibt. Die Kammer hat unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen keinerlei Zweifel am tatsächlichen Vorliegen der vom Kläger geschilderten Beschwerden, insbesondere in Form von partiellen Taubheitsgefühlen und von Schmerzen beim Rasieren im linken Lippenbereich. Die Kammer ist aufgrund der persönlichen Angaben des Klägers auch davon überzeugt, dass er sich nach der Behandlung vom 03.09.2010 wiederholt auf die Lippe gebissen hat, wenn auch dies jedenfalls nicht so häufig vorkommt, dass der Kläger permanent hieraus resultierende Verletzungen aufweist.
Angesichts dieser Folgen hält die Kammer unter Berücksichtigung sämtlicher weiteren Umstände die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 6.500,00 EUR für erforderlich, aber auch ausreichend.
II.
Der zugesprochene Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 288 Abs. 1 S. 1, 291 BGB. Ferner hat der Kläger auch einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB nebst Zinsen, wobei zu berücksichtigen war, dass eine berechtigte Forderung nur in Höhe von insgesamt 8.000,00 EUR besteht (6.500,00 Schmerzensgeld, 1.500,00 EUR Feststellungsantrag) und lediglich ein 1,3-facher Gebührensatz gerechtfertigt ist, da die Sache weder einen überdurchschnittlichen Umfang noch eine überdurchschnittliche Schwierigkeit aufweist. Schließlich war dem Feststellungsbegehren zu entsprechen. Bei der eingetretenen Nervverletzung handelt es sich um einen Dauerschaden, weshalb das Eintreten (weiterer) materieller Schäden zu besorgen ist.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.