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Aufklärungsversäumnis vor alternativlosem Legen eines zentralen Venenkatheters

OLG Koblenz – Az.: 5 U 89/14 – Beschluss vom 04.07.2014

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 17.12.2013 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.

Gründe

1. Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem Senatsbeschluss vom 30. 04. 2014. Dort hat der Senat mitgeteilt:

„1. Die Klägerin wurde am 14.12.2007 mit Unterleibsschmerzen im Krankenhaus der Beklagten aufgenommen. Sie wurde zunächst sonografisch und dann auch magnetresonanztomografisch untersucht. Man stellte die Diagnose, dass es zum spontanen Abgang eines Gallengang-Konkrements gekommen sei. Eine Entzündung der Gallenblase und die Existenz von Gallensteinen wurden verneint. Daraufhin wurde die Klägerin am 18.12.2007 aus der stationären Behandlung entlassen.

Am 6.01.2008 erfolgte die erneute Aufnahme bei starken Schmerzen. Nach dem Befund einer nekrotisierenden Pankreatitis biliärer Genese wurde eine Papillotomie vorgenommen, um den Abfluss aus der Galle zu verbessern. Außerdem führte man über einen auf der rechten Halsseite gesetzten zentralen Venenkatheter Flüssigkeit zu.

Aufklärungsversäumnis vor alternativlosem Legen eines zentralen Venenkatheters
Symbolfoto: Von Kaspars Grinvalds /Shutterstock.com

Nachdem dort Entzündungsanzeichen aufgetreten waren, kam es am 18.01.2008 zu einem Katheterwechsel auf die linke Seite des Halses, ehe am 27.01.2008 wegen einer am linken Arm bemerkbaren Schwellung eine Rückverlegung nach rechts erfolgte. Eine sonografische Befunderhebung vom 31.01.2008 erbrachte keine Aufschlüsse. Am 15.02.2008 wurde die Klägerin aus dem Krankenhaus entlassen. Ihrer Darstellung nach war der linke Arm zu diesem Zeitpunkt unverändert geschwollen. Dagegen hatte sich nach dem Vortrag der Beklagten mittlerweile eine Besserung ergeben.

Nachfolgend kam es vom 28.02. bis zum 9.04.2008 zu einem dritten stationären Aufenthalt bei der Beklagten. Grund dafür waren erneute abdominelle Schmerzen. Man diagnostizierte einen Abszess und drainierte ihn.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin unter Hinweis sowohl auf von ihrer Bauchspeicheldrüse ausgehende Beschwerden als auch auf Schmerzen, Taubheiten, Schwellungen und Funktionseinschränkungen im linken Arm, die sie psychisch belasteten, immaterielle Ersatzansprüche von 45.000 € gegenüber der Beklagten erhoben und die Feststellung deren weitergehender Haftung begehrt; außerdem hat sie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten beantragt. Ursachen der geltend gemachten Beeinträchtigungen sind aus ihrer Sicht einerseits die bei ihr diagnostizierte Pankreatitis und andererseits eine Thrombose. Für beides hat sie die Beklagte verantwortlich gemacht. Die Pankreatitis sei durch Gallenkonkremente ausgelöst worden, die während ihres ersten Krankenhausaufenthalts wegen Nachlässigkeiten in der Befunderhebung übersehen und deshalb nicht entfernt worden seien. Die Thrombose habe sich gebildet, weil der während des zweiten Krankenhausaufenthalts eingeführte Venenkatheter linksseitig falsch gesetzt worden sei. Dies sei vorwerfbar nicht erkannt und demgemäß auch nicht schadenspräventiv therapiert worden. Zudem müsse der Beklagten angelastet werden, nicht über die mit der Katheterisierung verbundenen Risiken und über Behandlungsalternativen aufgeklärt zu haben.

Das Landgericht hat zum Geschehenshergang Zeugen gehört und Sachverständigenbeweis über die Schadensverantwortlichkeit der Beklagten erhoben. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Aus seiner Sicht wurden die während des ersten Krankenhausaufenthalts der Klägerin vorhandenen Abdominalbeschwerden hinlänglich befundet und plausibel interpretiert. Die nach der stationären Wiederaufnahme entstandene Thrombose sei offenbar durch den seinerzeit gesetzten Venenkatheter ausgelöst worden. Handwerkliche Fehler ließen sich in diesem Zusammenhang aber nicht feststellen. Genauso wenig sei ersichtlich, dass man die Thrombose zu spät erkannt habe. Die therapeutische Reaktion sei angemessen gewesen. Die Aufklärungsrüge der Klägerin scheitere jedenfalls an einer hypothetischen Einwilligung, da es zu dem Katheter keine Alternative gegeben habe.

Dagegen wendet sich die Klägerin in Erneuerung ihres erstinstanzlichen Begehrens mit der Berufung. Sie wiederholt den Vorwurf, dass man die Ursache ihrer abdominellen Beschwerden nicht hinlänglich erforscht und in der Konsequenz eine effektive Therapie unterlassen habe. Ebenso wenig sei dann der – ihr zudem nicht vorab vermittelten – Gefahrenlage, die der linksseitig eingeführte zentrale Venenkatheter begründet habe, hinreichend nachgegangen worden. Vor diesem Hintergrund bedürfe es ergänzender sachverständiger Feststellungen.

2. Mit diesen Angriffen vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Der Beklagten ist kein schadensträchtiges Versäumnis anzulasten.

a) Die Unterleibsschmerzen, die am 14.12.2007 die erste stationäre Aufnahme der Klägerin veranlassten, wurden seinerzeit plausibel mit dem spontanen Abgang eines Gallensteins erklärt. Diese Diagnose wurde durch den klinischen und laborchemischen Verlauf gestützt. Relevante Entzündungswerte waren nicht vorhanden. Die bildgebenden Untersuchungen, die mit Ultraschall und danach magnetresonanztomografisch durchgeführt wurden, lieferten keinen Hinweis auf eine Obstruktion des Gallen- oder Bauchspeicheldrüsengangs.

Mangels entsprechender Verdachtsmomente war eine invasive Befunderhebung in Form einer Endosonografie oder der von der Berufung angemahnten und für den – hier indessen gerade nicht gegebenen – Fall einer „unklaren Cholestase als Goldstandard“ bezeichneten ERCP nicht geboten. Das hat der vom Landgericht befragte Sachverständige Prof. Dr. J. unter Hinweis auf die Leitlinien dargelegt.

Angesichts der Indikationslage war die Beklagte auch nicht gehalten, derartige invasive Untersuchungen ergänzend anzubieten und damit zur Disposition der Klägerin zu stellen. Deren Rüge, sie sei „massiv in ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt“ worden und es sei zu einem „rechtswidrigen Eingriff“ gekommen, geht fehl. Denn die körperliche Integrität der Klägerin wurde nicht tangiert. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Untersuchungen erfolgt wären.

b) Mit Blick auf den zweiten, vom 6.01. bis zum 15.02.2008 dauernden Krankenhausaufenthalt, in dessen Zuge den abdominellen Beschwerden zielführend durch eine Papillotomie begegnet wurde, bemängelt die Klägern das linksseitige Einbringen des zentralen Venenkatheters und Versäumnisse in der Kontrolle einer nachfolgend aufgetretenen thrombotischen Entwicklung. Auch darauf lässt sich eine Inanspruchnahme der Beklagten nicht gründen.

Die Anlage des Katheters war indiziert. Da bei der Klägerin eine nekrotisierende Pankreatitis festgestellt worden war, musste in erheblichem Maße Flüssigkeit zugeführt werden. Das bloße Legen eines peripheren Zugangs etwa über eine Braunüle, in dem die Berufung eine gangbare Alternative sieht, war, wie Prof. Dr. J. mitgeteilt hat, nicht angezeigt, weil sich dabei nicht hätte messen lassen, ob in den Gefäßen ein ausreichendes Volumen vorhanden war, und deshalb ein angemessener Flüssigkeitshaushalt nicht gewährleistet gewesen wäre.

Im Hinblick darauf war die Vorgehensweise der Beklagten vom Ansatz her nicht zu beanstanden. Der Vorwurf der Klägerin, sie sei vorab über die von dem Katheter ausgehenden Gefahren nicht unterrichtet worden, so dass es an der erforderlichen Einverständniserklärung auf ihrer Seite gefehlt habe, greift nicht. Das Landgericht ist insoweit unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Maßnahme zutreffend von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen. Dem hat die Klägerin nichts Substantielles entgegen gesetzt. Um die Würdigung des Landgerichts zu entkräften, hätte sie plausibel dartun müssen, dass sie in Kenntnis der vorhandenen Risiken vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob sie die Katheterbehandlung trotz deren Indikation ablehnen solle (BGH NJW 2005, 1364). Ein solcher Entscheidungskonflikt ist nicht ansatzweise deutlich geworden.

Für die Annahme, der Katheter sei regelwidrig gesetzt worden, gibt es keinen Anhalt. Der anfänglich komplikationslose klinische Verlauf spricht gemäß Prof. J. für eine korrekte Positionierung. Allerdings wurde nicht kontrolliert, ob die Katheterspitze richtig lag und damit keine Lungenverletzung drohte. Angesichts dessen vermisst die Berufung die Anfertigung einer Röntgenaufnahme des Thorax. Es ist jedoch nicht zu ersehen, dass sich dieses Manko ausgewirkt hätte. Eine Schädigung der Lunge steht nicht im Raum. Die Schwellungen, die sich mittelfristig im linken Arm einstellten und die sich nach Prof. Dr. J. mit Wahrscheinlichkeit aus einem thrombotischen Geschehen erklären, sind der Beklagten allenfalls insoweit zuzurechnen, als ein solches Geschehen nicht rechtzeitig erkannt und in der Folge keine angemessene Behandlung erfuhr. Tatsächlich kam es erst am 31.01.2008 zu einer Ultraschalluntersuchung des Arms, ohne dass sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ein Thrombosenachweis führen ließ. Nach der Auffassung der Klägerin wurde damit erheblich zu spät reagiert; ihrer Ansicht nach waren bereits deutlich früher klare pathologische Anzeichen vorhanden, denen umgehend sonografisch und phlebographisch hätte nachgegangen werden müssen. Für derartige Anzeichen, über die es freilich keine tragfähige Dokumentation gibt und die auch von der Beklagten bestritten worden sind, lässt sich die Aussage des Zeugen K. anführen, der – anders als der in der zeitlichen Einordnung der Verhältnisse eher vage Zeuge H. – eine einschlägige Symptomatik kurz nach dem am 18.01.2008 durchgeführten Katheterwechsel von der rechten auf die linke Seite bemerkt zu haben meint. Das hat das Landgericht indessen in der Gesamtschau des Geschehenshergangs für nicht glaubhaft erachtet. Diese Würdigung ist plausibel und für die Berufungsinstanz bindend (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das kann aber letztlich auf sich beruhen, weil sich die Schadensursächlichkeit eines möglichen diagnostischen Versäumnisses der Beklagten nicht erschließt. Dazu hat Prof. Dr. J. eingehende Ausführungen gemacht: Hätte man schon frühzeitig einen klaren Thromboseverdacht gehegt, hätte man, statt der Klägerin wie geschehen niedrig dosiertes Heparin zu verabreichen, von vornherein eine Vollantikoagulation vornehmen können. Das hätte jedoch im Hinblick auf die vorhandene Pankreatitis ein lebensbedrohliches Blutungsrisiko impliziert, dem, da die Klägerin die Gabe von Fremdblut aus religiösen Gründen ablehnte, nicht durch eine Transfusion hätte begegnet werden können. Deshalb war das therapeutische Vorgehen der Beklagten – unabhängig von einem möglichen Diagnosefehler – im Ergebnis angemessen.

3. Nach alledem wird die Entscheidung des Landgericht zu bestätigen sein. Die Erkenntnisse des Sachverständigen Prof. Dr. J., die sie tragen, sind ohne weiteres nachvollziehbar und geben keinen Anlass zu rechtserheblichen Zweifeln. Eine ergänzende Begutachtung (§ 412 ZPO) ist nicht veranlasst. Mithin sollte die Klägerin erwägen, ihr Rechtsmittel aus Kostengründen zurückzunehmen. Bis zum 3.06.2014 besteht Gelegenheit zur Stellungnahme.“

Mit Blick auf den Schriftsatz der Klägerin vom 27.06.2014 ist anzufügen:

a) Dass eine Aufklärung über die von der Anlage eines Katheters ausgehenden Gefahren auf Seiten der Klägerin zu einem Entscheidungskonflikt geführt hätte, erschließt sich weiterhin nicht. Zwar bedarf es zur Darlegung eines entsprechenden Konflikts keiner näheren Substantiierung. Aber es ist Sache der Klägerin, im Kern aufzuzeigen, dass sie sich in einem echten Dilemma befunden hätte (BGH NJW 2007, 2771). Daran fehlt es. Das Vorbringen, auch über eine Braunüle hätte ein angemessener Flüssigkeitshaushalt hergestellt werden können, beschreibt die Situation unzulänglich. Es vernachlässigt, dass die Verwendung einer Braunüle insoweit keine Gewähr gab und deshalb keine reelle Alternative bei der Pankreatitis-Behandlung war. Nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. J. ließ sich allein über einen zentralen Venenkatheter die notwendige kontinuierliche Flüssigkeitsversorgung des Organismus verlässlich herbeiführen.

b) Ob es im Hinblick auf die Erkennung der Thrombose diagnostische Versäumnisse gab, kann auf sich beruhen. Denn jedenfalls steht deren Schadensursächlichkeit nicht fest. Dazu sind im Beschluss vom 30.04.2014 Ausführungen gemacht worden, auf die Bezug genommen werden kann.

c) Darüber hinaus hat sich der Senat in dem Beschluss ebenfalls zur Indikation einer Befunderhebung mittels einer Endosonografie oder einer ERCP und den insoweit bestehenden Hinweispflichten der Beklagten geäußert. Auch darauf kann verwiesen werden.

2. Der Rechtsmittelstreitwert wird im Einklang mit der unangefochtenen Bemessung, die das Landgericht, anknüpfend an die von der Klägerin vorgelegte Berechnung, für das erstinstanzliche Verfahren vorgenommen hat, auf 112.699,68 € festgesetzt.

 

 

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