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Arzthaftungssache – Verjährungsbeginn

Schmerzensgeld nach Leistenhernienoperation: Urteil zu Prozesskostenhilfe

In einem Gerichtsverfahren begehrte ein Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine Klage, bei der er Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Komplikationen nach einer Leistenhernienoperation forderte. Die Verhandlung betraf auch die Verjährungsfrage. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Aspekte des Falls und dessen Ergebnis.

Direkt zum Urteil: Az.: 4 W 251/22  springen.

Die Forderungen des Antragstellers

Der Antragsteller forderte Schmerzensgeld, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Einstandspflicht für Zukunftsschäden von der Antragsgegnerin. Er machte geltend, dass die postoperative Sepsis und das akute Nierenversagen auf eine unzureichende Reaktion der Ärzte auf seine extremen Schmerzen und eine unzureichende Befunderhebung zurückzuführen seien. Er verlangte ein Schmerzensgeld von mindestens 150.000 Euro.

Das Landgericht und die Verjährungseinrede

Das Landgericht verweigerte die beantragte Prozesskostenhilfe, obwohl es den Antragsteller als bedürftig einstufte. Es sah jedoch die Verjährungseinrede der Beklagten als gegeben an und verneinte damit die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage. Der Antragsteller hätte nach Ansicht des Gerichts erkennen können, dass es sich bei den Komplikationen um ärztliches Fehlverhalten handeln könnte.

Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das Oberlandesgericht entschied, dass die sofortige Beschwerde Erfolg hatte und bewilligte ratenlose Prozesskostenhilfe im angegebenen Umfang. Es stellte fest, dass die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht wegen der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede verneint werden konnte. Der Antragsteller hätte erst nach Zugang einer ärztlichen Begutachtung die notwendige Kenntnis für den Verjährungsbeginn erlangen können.


Das vorliegende Urteil

OLG Dresden – Az.: 4 W 251/22 – Beschluss vom 04.05.2022

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 13.1.2022 aufgehoben. Dem Antragsteller wird ratenlose Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M……, L…, für folgenden Klageantrag bewilligt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld In Höhe von bis zu 50.000,- € nebst Zinsen In Höhe von fünf Prozentpunkten hieraus seit dem 10.3.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Kosten seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe einer 1,3 Gebühr aus einem Streitwert von 60.000,- € freizustellen und diese Ansprüche ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche entstandenen und noch entstehenden materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus der fehlerhaften Behandlung im Zeitraum vom 25.1. bis 17.2.2017 im Klinikum der Beklagten entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte entstanden sind.

II. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

III. Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er die Antragstellerin wegen der Folgen einer Leistenhernienoperation auf Schmerzensgeld, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Einstandspflicht für Zukunftsschäden in Anspruch nehmen will. Im Anschluss an die am 25.1.2017 erfolgte Operation hatte sich bei ihm eine Sepsis mit akutem Nierenversagen bei 4-Quadranten-Peritonitis entwickelt. Der Kläger behauptet, dies sei auf eine unzureichende Reaktion auf die von ihm geäußerten extremen Schmerzen und eine unzureichende Befunderhebung zurückzuführen. Trotz eines nach der Operation auf bis zu 214,06 mg/l angestiegenen CRP-Werts hätten die Ärzte der Beklagten nicht umgehend reagiert, eine gebotene CT-Untersuchung zu spät angesetzt und ihn erst am 27.1.2017 notoperiert. Dies rechtfertige ein Schmerzensgeld von mindestens 150.000,- €. Da er zugleich seine Arbeitsstelle habe aufgeben müssen und einen Haushaltsführungsschaden erlitten habe, sei der Feststellungantrag mit 100.000,- € zu bemessen. Die Antragstellerin hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die begehrte Prozesskostenhilfe versagt. Zwar habe der Antragsteller einen Behandlungsfehler schlüssig dargelegt, der das begehrte Schmerzensgeld rechtfertige. Auch der Feststellungsantrag sei schlüssig dargelegt. Allerdings greife die Verjährungseinrede der Beklagten durch, so dass es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht fehle. Der Antragsteller hätte bei erhöhten Entzündungswerten und insbesondere aufgrund der von ihm angegebenen „höllischen Bauchschmerzen“ erkennen können, dass es sich hierbei um postoperative Komplikationen aufgrund ärztlichen Fehlverhaltens handeln könne. Insbesondere sei weder dargelegt, „welche Kenntnis aufgrund welcher Anhaltspunkte“ der Antragsteller erst im Jahr 2021 erlangt habe.

Der sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Die Antragstellerin hatte im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie verteidigt den ablehnenden Beschluss.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingereichte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führte zur Bewilligung ratenloser Prozesskostenhilfe in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Der bedürftige Antragsteller ist – wie sich aus den im Verfahren vor dem Landgericht eingereichten Unterlagen ergibt – bedürftig. Seine Rechtsverfolgung hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Grundsätzlich muss der Patient, der einen Arzt auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, zunächst den nach §§ 630a ff., 823 Abs. 1, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB notwendigen Behandlungsfehler darlegen und beweisen. Hierbei sind an seine Substantiierungspflichten lediglich maßvolle Anforderungen zu stellen, weil von ihm angesichts des bestehenden Informationsgefälles zwischen Arzt und Patient regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 – VI ZR 199/03 – juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.07.2017 – 8 U 150/16 beide juris). Die Partei darf sich daher auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 – VI ZR 199/03; vom 14.03.2017 – VI ZR 605/15 – juris; Senat, Beschluss vom 19. März 2021 – 4 W 72/21 –, Rn. 7, juris; Beschluss vom 26. November 2020 – 4 W 733/20 –, Rn. 5, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13 – juris). Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Antragstellers gerecht, was auch das Landgericht nicht verkannt hat. Ob den Ärzten der Antragstellerin die behaupteten Befunderhebungsfehler unterlaufen sind, ob insbesondere auf den im Nachgang zur Operation vom 25.1.2017 festgestellten erhöhten CRP-Wert früher hätte reagiert werden müssen, kann nicht ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens entschieden werden. Gleiches gilt für die Frage, ob aufgrund dieser Verletzung in der Zukunft noch Folgeschäden zu erwarten sind, die einen materiellen und immateriellen Vorbehalt rechtfertigen.

Anders als das Landgericht angenommen hat, kann die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage auch nicht wegen der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede verneint werden. Noch zutreffend hat es im Ausgangspunkt erkannt, dass auch für Schadensersatzansprüche nach den §§ 630aff. 823ff. BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstandenen ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler kann die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners allerdings nicht schon dann bejaht werden, wenn dem Patienten oder dem Anspruchsteller lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischer Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 8.11.2016 – VI ZR 594/15, juris Rdn. 13 m. w. Nachw., abgedruckt in VersR 2017, 165 ff.; OLG Köln, Urteil vom 05. März 2018 – I-5 U 98/16 –, Rn. 65, juris). Für ärztliche Behandlungsfehler ist des Weiteren die Kenntnis des Abweichens vom medizinischen Standard oder des Unterlassens medizinisch gebotener Handlungen notwendig. In Anbetracht der Komplexität moderner medizinischer Behandlungsweisen richtet sich die Kenntnis des Gläubigers hierbei nicht nach wissenschaftlichen Kriterien. Es muss für den Patienten in seiner Parallelwertung in der Laiensphäre nur erkennbar sein, dass die Behandlung nicht lege artis durchgeführt wurde. Dazu müssen dem Patienten diejenigen Behandlungstatsachen positiv bekannt geworden sein, die – im Blick auf den Behandlungsfehler – ein ärztliches Fehlverhalten und – im Blick auf die Schadenskausalität – eine ursächliche Verknüpfung der Schadensfolge mit dem Behandlungsfehler bei objektiver Betrachtung nahelegen. Der ärztliche Standard ist dem Laien, mit Ausnahme grundlegender Behandlungsmethoden, meist unbekannt. Kenntnis von einem Abweichen von diesem Standard erwirbt der Patient daher häufig erst durch eine ärztliche Begutachtung des Schadens. Eine solche Begutachtung lag vorprozessual allerdings erst mit dem von der Krankenversicherung des Antragstellers eingeholten viszeralchirurgischen MDK-Gutachten des Gutachters Dr. S…… vom 18.8.2020 vor, von dem der Antragsteller erst durch das Schreiben der IKK-classic vom 24.8.2020 Kenntnis erhielt. Ob – wie in Teilen der Rechtsprechung angenommen wird – die für den Verjährungsbeginn in einer Arzthaftungssache erforderliche Kenntnis des Patienten zwingend eine solche fachgutachterliche Stellungnahme voraussetzt (dafür wohl OLG Köln, Urteil vom 5.3.2018, 5 U 98/16 – juris), bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls ist für den Senat nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände der Antragsteller vor Zugang dieser gutachterlichen Stellungnahmen die nach den o.a. Maßstäben gebotene Kenntnis hätte haben sollen. Keinesfalls kann es hierfür ausreichen, dass ihm bekannt war, dass die Beklagte auf die von ihm angegebenen Schmerzen erst zu den vorgetragenen Zeitpunkten reagiert hat. Die vorgetragenen Umstände mögen für den Patienten den Schluss rechtfertigen, dass es postoperativ zu Komplikationen gekommen ist; ob und ggf. welches ärztliche Fehlverhalten hierfür ursächlich geworden sein kann, kann er hieraus jedoch weder positiv ableiten noch hätte sich ihm ein solcher Schluss infolge dieser Komplikationen aufdrängen müssen.

Hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Klage ist auf der Grundlage des Klageentwurfs jedoch nur für einen Schmerzensgeldantrag in einer Höhe von bis zu 50.000,- € wegen der Behandlungsverzögerung und zweier weiterer Folgeeingriffe sowie der postoperativ erlittenen Schmerzen und Belastungen gerechtfertigt. Dass dem Kläger hieraus ein Dauerschaden entstanden ist, wird durch die vorgelegten Unterlagen nicht belegt. Aus dem als Anlage K4 vorgelegten – nicht vollständigen – Reha-Entlassungsbericht der Deutschen Rentenversicherung ergibt sich vielmehr, dass „perspektivisch … die Vollschichtigkeit für die letzte berufliche Tätigkeit mit nur geringen Leistungseinschränkungen zu erwarten [ist]“. Die weitere Behauptung des Antragstellers, er leide noch heute psychisch unter den erlebten Behandlungskomplikationen bleibt farblos und ist nicht durch eine ärztliche Bescheinigung untersetzt. Aus demselben Grund war der Anspruch auf Freistellung wegen der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren auf eine 1,3-Gebühr gem. KV RVG 2300 aus einem Streitwert von 60.000,- € zu beschränken. Für den Feststellungsantrag war mangels Substantiierung des behaupteten Verdienstausfallschadens und des Fehlens jeglicher Angaben zu dem behaupteten Haushaltsführungsschaden lediglich ein Betrag in Höhe von 10.000,- € zugrunde zu legen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich. Da die Beschwerde teilweise erfolgreich war, war die Beschwerdegebühr auf die Hälfte zu ermäßigen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

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