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Augenoperation – Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen

LG Kiel – Az.: 8 O 386/16 – Urteil vom 31.01.2020

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche als Folge einer Augenoperation geltend, über die er nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sein soll.

Der Kläger, geb. xxx, litt an verschiedenen Augenerkrankungen, u.a. an einem Glaukom, und war bereits auf dem rechten Auge voroperiert. Er begab sich im Sommer 2012 zur Behandlung in die Augenklinik xxx, deren Inhaber zum damaligen Zeitpunkt der Zeuge Prof. Dr. Y. gewesen ist. Das Sehvermögen betrug zu diesem Zeitpunkt auf dem linken Auge 1,0 und auf dem rechten Auge 0,63. Geplant war eine ambulante Katarakt-Operation. Etwa eine Woche vor dieser Operation gab es ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen Prof. Dr. Y. Am 31.08.2012 erfolgte ein Aufklärungsgespräch des Klägers mit dem Anästhesisten, dem Zeugen Dr. A. Hierbei wurde ein Aufklärungsformular verwendet. Die Einzelheiten dieser beiden Gespräche stehen zwischen den Parteien im Streit.

Bei dem Kläger wurde sodann am 31.08.2012 die Katarakt-Operation durch den Zeugen Prof. Dr. Y. vorgenommen. Bei dieser Operation war ursprünglich geplant, eine sogenannte Hinterkammerlinse zu implantieren, es wurde dann jedoch aufgrund intraoperativ vorgefundener Schwierigkeiten (extreme Vernarbung und Brüchigkeit der aufgefundenen Strukturen) eine Vorderkammerlinse implantiert. Der Kläger befand sich nach der Operation bis zum 03.09.2012 in stationärer Behandlung in der Augenklinik xxx. Zum Zeitpunkt der Operation nahm der Kläger das Prostatamittel Tamsulosin ein.

Nach der Operation gab der Kläger Probleme mit dem Sehen mit dem rechten Auge an. Im Entlassungsbrief vom 7.9.2012 ist erwähnt: „Visus: sc Handbewegung, Fingerzählen“.

Gegen den Zeugen Prof. Dr. Y. wurde am 21.05.2015 ein Insolvenzverfahren eröffnet. Bei der Beklagten handelt es sich um die Berufshaftpflichtversicherung des Zeugen Prof. Dr. Y.. Im Laufe dieses Rechtsstreits ist das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich beendet worden.

Mit Schreiben vom 17.11.2015 nahm der Kläger außergerichtliche Verhandlungen mit der Beklagten auf. Diese gab mit Schreiben vom 22.12.2015 einen Verjährungsverzicht ab (Anlage 1). Der Wortlaut dieser Erklärung lautet wie folgt: „Wir erklären uns bereit, Ihrer Mandantschaft gegenüber auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2016 zu verzichten, soweit Verjährung nicht bereits eingetreten ist. Die Erklärung erfolgt im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrages. Eine Anerkenntnis einer Haftung ist mit dieser Erklärung ausdrücklich nicht verbunden“.

Es wurde ein Gutachten von Dr. R. vom MDK xxx eingeholt, welches im Mai 2016 vorlag.

Der Kläger behauptet, auf dem rechten Auge nach der Operation erblindet zu sein. Auch das Sehvermögen auf dem linken Auge habe sich erheblich, auf 0,05, verschlechtert. Er erhebt die Rüge, dass er vor der streitgegenständlichen Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Der Eingriff sei daher insgesamt rechtswidrig und ursächlich für die Verschlechterung des Sehvermögens geworden.

Der Kläger behauptet, in dem persönlichen Patientengespräch mit dem Zeugen Prof. Dr. Y. sei ausschließlich über die Vorteile dieser Operation gesprochen worden. Auf die Frage des Klägers, welche Risiken es gebe, habe dieser geantwortet: „Keine.“ Auch in der schriftlich dokumentierten Einwilligungserklärung, die in dem Gespräch mit dem Zeugen Dr. A. ausgefüllt worden war, sei von einem drohenden Erblindungsrisiko, über das er hätte aufgeklärt werden müssen, nicht die Rede. Auch im Hinblick auf die Einnahme des Prostatamittels Tamsulosin sei er nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Bereits im Jahr 2009 sei in wissenschaftlichen Kreisen über das Risiko der Einnahme des Prostatamittels bei Katarakt-Operationen informiert worden. Dieses Medikament erschwere eine Katarakt-Operation, da es zu einer Instabilität der Iris führe. Über das bei Einnahme von Tamsulosin erhöhte Erblindungsrisiko hätte der Kläger ganz besonders aufgeklärt werden müssen. Der Kläger habe sich nur für die Operation entschieden, weil Herr Prof. Dr. Y. zum Ausdruck gebracht habe, dass diese keinerlei Risiken hätte und nur vorteilhaft sei. Schließlich habe der Kläger vor der Operation auf dem rechten Auge immer noch einen Visus von 0,63 gehabt und sei auf dem linken Auge vollsichtig gewesen. Er habe keine Probleme gehabt und sei hinsichtlich der Operation eher skeptisch und zurückhaltend gewesen. Bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung hätte der Kläger sein Sehvermögen nicht aufs Spiel gesetzt und eine Einwilligung nicht erteilt. Der Zeuge Prof. Dr. Y. habe fahrlässig gehandelt, weil er die Aufklärung nicht mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durchgeführt habe. Der Kläger trägt zudem vor, dass der Zeuge Dr. A. ihn auf das erhöhte Operationsrisiko aufgrund der Einnahme des Medikamentes Tamsulosin hätte hinweisen müssen und dieser sei verpflichtet gewesen, dies an den Operateur, den Zeugen Prof. Dr. Y., weiterzugeben. Dies sei nicht dokumentiert und auch nicht geschehen.

Der Kläger behauptet weiter, aufgrund der hochgradigen Sehbehinderung sei er in vielen Lebensbereichen auf fremde Hilfe angewiesen, dies gelte für die Mobilität, aber auch für die hauswirtschaftliche Versorgung. Er habe einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 100 %. Zudem sei eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, insbesondere weitere Behandlungskosten, öffentliche Nachteilsausgleiche wie Blindengeld, eventuell entstehende Pflegekosten durch eine eventuell eintretende Pflegebedürftigkeit stünden im Raum.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften und rechtswidrigen ärztlichen Behandlung am 31. August 2012 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird; mindestens jedoch 40.000,00 € (in Worten: Vierzigtausend Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte als Schuldnerin verpflichtet ist, sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung gemäß Ziffer 1. entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen
(Symbolfoto: Von Roman Zaiets/Shutterstock.com)

Die Beklagte ist zunächst der Ansicht, nicht passivlegitimiert zu sein. Da das Insolvenzverfahren gegen den Zeugen Prof. Dr. Y. mittlerweile abgeschlossen sei, müsse die Klage nunmehr gegen den behandelnden Arzt persönlich gerichtet werden. Zudem erhebt sie die Einrede der Verjährung. Mit Schreiben vom 17.11.2015 habe der Kläger erstmals Ansprüche aus Behandlungsfehlern geltend gemacht. Für den Beginn der Verjährung reiche die Kenntnis einer schwerwiegenden Komplikation, wenn die Aufklärung vollständig abgestritten werde, welche der Kläger nach eigenen Angaben bereits im Jahre 2012 gehabt habe. Die Verjährung sei daher Ende 2015 eingetreten. Der 2015 abgegebene Verjährungsverzicht beziehe sich nur auf Behandlungsfehler, nicht jedoch auf die Aufklärungsrüge. Der Verjährungsverzicht habe sich auf die bislang angemeldeten Ansprüche bezogen. Keinesfalls habe der Haftpflichtversicherer auf sämtliche Ansprüche verzichtet, ohne dass hierfür ein Erfordernis bestanden habe.

Die Beklagte wendet sich gegen die Aufklärungsrüge. Sie behauptet zum einen, dass weder der Zeuge Prof. Dr. Y. noch der Zeuge Dr. A. von der Medikation mit Tamsulosin Kenntnis hatten und zum anderen für den Fall, dass die Medikation bekannt war, der Zeuge Prof. Dr. Y. und/oder der Zeuge Dr. A. eine entsprechende Aufklärung durchgeführt haben. Die Beklagte erhebt zudem den Einwand der hypothetischen Einwilligung.

Aufgrund des mehrfach voroperierten rechten Auges habe beim Kläger ohnehin eine nicht mehr mobile Pupille vorgelegen, sodass die Risikoerhöhung relativiert werden musste. Das bei dem Kläger vorbestehende Glaukom sei zwar ein risikoerhöhender Faktor gewesen, dieser wurde aber mehrfach und intensivst mit dem Kläger besprochen. Unstreitig sei mit dem Kläger über das Risiko einer Netzhautablösung gesprochen worden, welches ebenso mit einem Erblindungsrisiko einhergehe. Die Beklagte ist der Auffassung, dass nicht sie, sondern der Kläger darlegungs- und beweisbelastet sei für eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den Zeugen Prof. Dr. Y., da die Beklagte nicht der behandelnde Arzt gewesen sei. Der postoperative Zustand des Klägers habe sich sodann unauffällig gestaltet, eine Erblindung sei nicht festgestellt worden. Die Beklagten bestreiten das Vorliegen von kausalen Gesundheitsbeschwerden des Klägers. Eine Visusverschlechterung sei allenfalls auf die Grunderkrankung des Klägers zurückzuführen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von Dr. C., Universitätsklinikum XXX, vom 18.02.2019. Wegen der schriftlichen Ausführungen wird auf das Gutachten Bl. 83 – 90 d. A. verwiesen. Zudem hat der Sachverständige sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutert und die Kammer hat weiter Beweis erhoben durch Befragung der Zeugen Prof. Dr. Y. und Dr. A. sowie durch Anhörung des Klägers. Wegen des Ergebnisses der weiteren Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 29.11.2019 (Bl. 131 – 139 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen die Beklagte aus §§ 823 BGB, 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG zu. Die vom Kläger erhobene Aufklärungsrüge hat im Ergebnis keinen Erfolg, da der Kläger die erforderliche Kausalität zwischen Aufklärungsmangel und Schaden nicht beweisen konnte.

Entgegen ihrer Auffassung ist die Beklagte im vorliegenden Fall (weiterhin) passivlegitimiert. Unstreitig war gegen den Zeugen Prof. Dr. Y. das Insolvenzverfahren bei Klagerhebung (die Zustellung der Klage erfolgte am 23.01.2017, die Klageschrift ist bei Gericht eingegangen am 21.12.2016) eröffnet. Gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG besteht sodann ein Direktanspruch gegen die Versicherung. Diese Vorschrift bestimmt, dass der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen kann, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Laufe dieses Verfahrens das Insolvenzverfahren beendet worden ist. Die Umstände, die in § 115 Abs. 2 Nr. 2 u. 3 VVG genannt sind, können sich im Laufe der Zeit ändern, sodass die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt, wann diese Voraussetzungen vorliegen müssen, eine entscheidende Bedeutung einnimmt. Wie sich die Änderung dieser Umstände auf den Direktanspruch auswirkt, ist umstritten. Bisweilen wird hierzu vertreten, derartige Veränderungen ließen die Passivlegitimation des Versicherers entfallen, sodass der Geschädigte nur noch die Klage auf den Versicherungsnehmer erweitern und den Rechtsstreit gegen den Versicherer für erledigt erklären könnte. Die Kammer schließt sich jedoch der gegenteiligen Ansicht an, dass die Voraussetzungen des jeweiligen Eröffnungsgrundes bei Klagerhebung (§ 261 Abs. 1 ZPO) vorliegen müssen und wenn dies der Fall war, die unmittelbare Inanspruchnahme der Versicherers eröffnet ist und spätere Veränderungen in der Person des Versicherungsnehmers auf den laufenden Prozess keinen Einfluss haben (vgl. dazu insgesamt Langheid/Wandt, MüKo zum VVG, 2. Aufl. 2017, § 115 VVG, RdNr. 18 m. V. a. w. Rspr. u. Literatur). Die Kammer schließt sich der Argumentation dieser Ansicht an, da vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgen Intention, den Verbraucherschutz zu verbessern, die rein materiellrechtliche Sichtweise der ersten Ansicht kaum tragbar ist (vgl. Langheid/Wandt in MüKo, a. a. O.; Prölls/Martin, VVG 29. Aufl. 2015, § 115 VVG, RdNr. 10 a).

Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht bereits verjährt. Dabei kann offenbleiben, ob die Verjährung hier möglicherweise durch Verhandlungen gem. § 203 BGB gehemmt war oder ob die Voraussetzungen des Verjährungsbeginns für Aufklärungsmängel erst mit Vorliegen des MDK-Gutachtens im Mai 2016, in dem eine mangelhafte Aufklärung thematisiert wird, beim Kläger vorlagen. Für Schadensersatzansprüche aus ärztlichen Aufklärungsmängel beginnt die Verjährung in der Regel nicht schon, sobald der nicht aufgeklärte Patient einen Schaden aufgrund der medizinischen Behandlung feststellt; hinzutreten muss vielmehr die Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht des Arztes ergibt – etwa, dass der Schaden nicht auf einem Behandlungsfehler beruht, sondern spezifische Folgen der Behandlung ist, über die der Arzt den Patienten hätte aufklären müssen (BGH NJW 2007, 2017). Es spricht viel dafür, dass diese erforderliche Kenntnis beim Kläger erst im Jahr 2016 vorlag.

Jedenfalls aufgrund des von der Beklagten abgegebenen Verjährungsverzichts bis zum 31.12.2016 und Klagerhebung am 21.12.2016 (Zustellung 23.1.2017) kann die Einrede der Verjährung seitens Beklagten vorliegend keinen Erfolg haben. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 22.12.2015 einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung erklärt, soweit Verjährung nicht bereits eingetreten ist (grundsätzlich möglich, vgl. BGH BB 2007, 2591). Zu diesem Zeitpunkt der Abgabe des Verzichts im Dezember 2015 waren Ansprüche aus ärztlichen Aufklärungsmängeln keinesfalls verjährt, da selbst bei frühestmöglich anzunehmenden Beginn der Verjährung Ende des Jahres 2012 gem. § 199 BGB Verjährung frühestens eingetreten wäre mit Ablauf des 31.12.2015. Nach Ansicht der Kammer ist der Verzicht der Versicherung auch als umfassender Verzicht anzusehen. Eine Einschränkung oder Differenzierung nach Ansprüchen aufgrund von Behandlungsfehlern oder aufgrund von Aufklärungsmängeln ist gerade nicht vorgenommen worden. Aus Sicht des Klägers konnte die Erklärung der Versicherung nicht anders verstanden werden, zumal die Versicherung selbst in einem späteren Schreiben vom 24.11.2016 die Problematik der Aufklärung thematisiert und Ansprüche daraus gegenüber dem Kläger aus anderen Gründen als Verjährung zurückweist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte hier lediglich eine Verzichtserklärung bezogen allein auf Behandlungsfehler abgegeben hätte oder abgeben wollte, sondern die Erklärung ist so auszulegen, dass der Verzicht sämtliche Gründe, auf denen die geltend gemachten Ansprüche beruhen können, betrifft. Andernfalls hätte die Beklagte dies differenzierter erklären können, was sie unterlassen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird durch einen vom Schuldner erklärten befristeten Verjährungsverzicht der Ablauf der Verjährung zwar nicht beeinflusst. Folge des Verzichts ist jedoch, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, für den genannten Zeitraum ausgeschlossen ist (vgl. BGH Urteil vom 16. März 2009 – II ZR 32/08 – NJW 2009, 1598 Rn. 22 mwN). Die Reichweite des Verjährungsverzichts ist durch Auslegung der Verzichtserklärung zu ermitteln. Diese hat regelmäßig zum Inhalt, dass der Schuldner bis zum Ablauf der von ihm eingeräumten Frist die Einrede der Verjährung nicht erheben wird. Da der Verzicht den Gläubiger von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs entheben soll, bleibt er auch nach Ablauf der vom Schuldner eingeräumten Frist wirksam, wenn der Gläubiger die Streitsache vor Ablauf der Frist rechtshängig macht, wobei die Zustellung des Antrags in entsprechender Anwendung des § 167 ZPO auf den Eingang des Antrags zurückwirkt (vgl. BGH Urteil vom 16. März 2009 – II ZR 32/08 – NJW 2009, 1598 Rn. 22 mwN). So liegt der Fall hier.

Dennoch hat die Klage im Ergebnis keinen Erfolg, da es jedenfalls an der Kausalität zwischen einem etwaigen Aufklärungsmangel und dem vom Kläger behaupteten Schaden fehlt.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Kläger in zeitlicher Hinsicht jedenfalls rechtzeitig aufgeklärt worden ist, selbst wenn dieses erst am Tag der Operation durch den Zeugen Dr. A. erfolgte. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten erfordert grundsätzlich, dass ein Arzt, der einem Patienten die Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon in diesem Zeitpunkt die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Eine erst später erfolgte Aufklärung ist zwar nicht in jedem Fall verspätet. Eine hierauf erfolgte Einwilligung ist jedoch nur wirksam, wenn unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. Deshalb ist bei stationärer Behandlung eine Aufklärung erst am Tag des Eingriffs grundsätzlich verspätet (BGH, NJW 2003, 2012). Vorliegend war der Kläger zwar nach dem Eingriff noch einige Tage in stationärer Behandlung, der Eingriff war jedoch nach Angaben des Klägers selbst und auch des Zeugen Prof. Dr. Y. als ambulanter Eingriff geplant. Die Notwendigkeit des stationären Aufenthalts ergab sich nach nachvollziehbaren Angaben von Prof. Dr. Y. dadurch, dass es zu einer Komplikation gekommen war, da ein Teil der Linse nach hinten gerutscht war und der Kläger zur Beobachtung in der Klinik bleiben sollte. Bei normalen ambulanten und diagnostischen Eingriffen reicht es grundsätzlich aus, wenn die Aufklärung am Tag des Eingriffs erfolgt (BGH, a. a. O.). Die Art des Eingriffs im vorliegenden Fall erfordert nach Ansicht der Kammer nicht zwingend eine frühere Aufklärung, um eine solche wirksam zu machen. Dies kann bei größeren ambulanten Eingriffen mit beträchtlichen Risiken der Fall sein. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Der Kläger war zwar nicht über ein erhöhtes Erblindungsrisiko aufzuklären, allerdings schon über Risiken im Zusammenhang mit der Einnahme des Medikaments Tamsulosin. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist letzteres gerade nicht erfolgt. Die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung liegt nach Ansicht der Kammer auch im Prozess gegen die Haftpflichtversicherung auf Seiten der Beklagten.

Ein erhöhtes Erblindungsrisiko ergibt sich nach den schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. weder allein aufgrund des Alters des Klägers und auch nicht aufgrund der Vorerkrankung, des Glaukoms. Auch das Medikament Tamsulosin führt nicht zu einem erhöhten Erblindungsrisiko. Darüber hinaus haben sowohl der Zeuge Prof. Dr. Y. als auch der Zeuge Dr. A. glaubhaft ausgesagt, dass sie über eine Verschlechterung der Situation des Auges, wie z. B. Netzhautablösung oder sogar Verlust des Auges, mit dem Kläger gesprochen haben. Das Risiko des Verlustes des Auges beinhaltet dann aber auch zugleich ein (allgemeines) Erblindungsrisiko. Nicht dagegen ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger über Risiken aufgeklärt wurde, die durch die Einnahme des Medikaments Tamsulosin vorgelegen haben. Hierzu hat der Sachverständige in seinen schriftlichen Ausführungen dargelegt, dass über das damit verbundene Risiko der Irisinstabilität hätte im Aufklärungsgespräch hingewiesen werden müssen. Folge dieses Risikos der Irisinstabilität ist, dass sich die intraoperative Situation etwas komplizierter gestalten kann, sodass, wie auch vorliegend erfolgt, statt der geplanten Hinterkammerlinse eine sogenannte Vorderkammerlinse implantiert wird. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige dazu weiter erläutert, dass beim Kläger zwei Umstände bestanden, die die vorliegende Operation erschwert haben. Zum einen das Pex-Glaukom und zum anderen die Einnahme des Medikamentes Tamsulosin. Beides kann dazu führen, dass der Halteapparat brüchig sein kann und dann eben für eine Hinterkammerlinse nicht mehr geeignet ist. Grundsätzlich erfolgt die Entscheidung für die Wahl der zu implantierenden Linse intraoperativ. Die vorliegende Entscheidung, intraoperativ eine Vorderkammerlinse einzusetzen, ist nicht zu beanstanden nach den Darlegungen des Sachverständigen. Eine Aufklärung über diese speziellen Risiken im Zusammenhang mit der Einnahme von Tamsulosin ist nicht dokumentiert. Prof. Dr. Y. hat eine solche Aufklärung nicht dargelegt und auch nach den Angaben des Zeugen Dr. A. ist der Kläger von ihm nicht darüber aufgeklärt worden.

Gleichwohl kann der Kläger aus dieser nicht korrekt erfolgten Aufklärung im Hinblick auf die Einnahme des Medikamentes Tamsulosin keine Ansprüche geltend machen, denn zwar hat sich dieses Risiko vorliegend verwirklicht und kann es auch nach Ausführungen des Sachverständigen durch die Vorderkammerlinse bei Auftreten von Komplikationen zu einem Sehverlust kommen. Der Sachverständige hat jedoch deutlich klargestellt, dass im Fall des Klägers dieser Umstand, dass eine Vorderkammerlinse statt einer Hinterkammerlinse eingesetzt wurde, nicht ursächlich für eine Verschlechterung der Sehfähigkeit nach der Operation war. Der Sachverständige hat den Kläger selbst eingehend untersucht und festgestellt, dass der rechte Sehnerv praktisch tot ist, während der linke noch intakt ist. Daher geht der Sachverständige davon aus, dass Ursache des Verlustes der Sehfähigkeit eine Verschlechterung des Sehnerven ist, die jedoch im Falle des Klägers nicht bedingt war durch seine Glaukomerkrankung. Vielmehr ist die Ursache der Schädigung des Sehnerven nach Ansicht des Sachverständigen eine Ischämie, d. h. eine verminderte Durchblutung. Dafür spricht auch, dass im Bereich des Sehnerven bei der streitgegenständlichen Operation gar nicht operiert worden war. Die Katarakt-Operation erfolgt lediglich im vorderen Augenbereich, nicht dagegen im Bereich des Sehnerven am anderen Ende des Augapfels. Nach Erörterungen der Angaben von Prof. Dr. Y. im Entlassungsbrief vom 07.09.2012, in dem es heißt „sc-Handbewegung, Fingerzählen“, so hat der Sachverständige hierzu erläutert, dass dies bedeute, dass hier eine Prüfung ohne Korrektur vorgenommen wurde. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine genaue Visusbestimmung, sondern es wird dem Patienten lediglich ohne Korrektur eine Handbewegung gezeigt und gefragt, ob er diese wahrnehme und ihm werden die Finger vorgehalten und er wird gebeten, diese zu zählen. Eine direkte Visusbestimmung nach der Operation liegt damit nicht vor. Der Sachverständige hat weiter erläutert, dass es letztlich aber Monate dauere, bis morphologisch sichtbar ist, dass ein Sehnerv „tot“ ist. Eine Verschlechterung des Visus von 0,63 bis zur völligen Erblindung kann innerhalb weniger Tage geschehen. Daher spricht die Angabe des Visus von 0,63 unmittelbar vor der Operation nicht gegen die Annahme des Sachverständigen, dass Ursache vorliegend eine Ischämie ist. Denkbar ist es hier, dass, weil eine derartige Visusverschlechterung eben auch kurzzeitig eintreten kann, dieses Ereignis einfach zufällig in den Zeitraum der Operation gefallen ist. Der Sachverständige hat ganz klar eine Ursächlichkeit der Operation für die Sehnervschädigung ausgeschlossen, was sich im Übrigen auch mit den Angaben des MDK-Gutachters Dr. R. deckt, der einen Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Operation ebenfalls nicht konstatiert hat.

Die Kammer schließt sich der nachvollziehbaren und gut begründeten Argumentation des Sachverständigen Dr. C. an. Damit aber hat der Kläger den ihn obliegenden Beweis der Kausalität nicht erbracht. Die Erblindung des rechten Auges wäre mit großer Sicherheit auch bei Unterlassen der streitgegenständlichen Operation eingetreten, so der Sachverständige auch in seinem schriftlichen Gutachten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

 

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