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Gutachtenabschnitte eines medizinischen Gutachtens dürfen auf Gehilfen übertragen werden

Unvoreingenommene Bewertung trotz Assistenzarzt

Eine kontroverse Diskussion um Befangenheit eines Sachverständigen in rechtlichen Prozessen wird durch den jüngsten Fall vor dem Oberlandesgericht Dresden unter dem Aktenzeichen 4 W 716/22 erneut entfacht. Ein Kläger, der um Schadenersatz und Schmerzensgeld nach angeblichen Behandlungsfehlern während seiner stationären Behandlung kämpft, lehnt einen Sachverständigen ab und wirft ihm vor, die Verantwortung für sein Gutachten an einen Assistenzarzt abgegeben zu haben. Das Landgericht Dresden lehnt jedoch den Antrag des Klägers ab und weist seine sofortige Beschwerde zurück.

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Die Ablehnung des Sachverständigen und die sofortige Beschwerde

Die Auseinandersetzung begann, als das Landgericht Dresden eine Expertise von Prof. Dr. ### anforderte, die dann von einem Assistenzarzt mitunterschrieben wurde. Der Kläger interpretierte diese Mitunterzeichnung als Indiz dafür, dass die Verantwortung für das Gutachten nicht allein beim beauftragten Experten liegen würde. Der Kläger argumentierte weiter, dass aufgrund fehlender Angaben über den Umfang der Tätigkeit des Assistenzarztes anzunehmen sei, dass das Gutachten gemeinsam oder sogar hauptsächlich von dem Assistenzarzt erstellt worden sei. Diesen Standpunkt vertrat der Kläger auch in seiner sofortigen Beschwerde nach Ablehnung seines Antrags durch das Landgericht.

Das Ablehnungsgesuch ist nicht gerechtfertigt

Das Oberlandesgericht Dresden bekräftigte jedoch die Entscheidung des Landgerichts und wies die Beschwerde des Klägers zurück. Es stellte klar, dass die Befangenheit eines Sachverständigen angenommen werden könne, wenn objektive Gründe berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit wecken könnten. Jedoch könnten diese Voraussetzungen nicht dem Beschwerdevorbringen des Klägers entnommen werden. Die reine Mitunterzeichnung des Gutachtens durch einen Assistenzarzt stelle noch keine begründete Besorgnis dar, dass der Sachverständige nicht unvoreingenommen sei.

Die höchstpersönliche Gutachtenerstellung ist gewahrt

Die Entscheidung des Gerichts beruhte auch auf der Beurteilung, dass die höchstpersönliche Gutachtenerstellung nach § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht verletzt wurde. Das Oberlandesgericht Dresden argumentierte, dass trotz der Mitwirkung eines Assistenzarztes das Gutachten nicht unverwertbar sei und bekräftigte damit die Gültigkeit der Expertise für den fortlaufenden Prozess.

Der Fall zeigt deutlich, wie bedeutsam die Rolle und Verantwortung eines Sachverständigen in Gerichtsverfahren ist. Die richtige und transparente Ausführung dieser Aufgabe kann den Ausgang eines Verfahrens entscheidend beeinflussen und hat daher einen hohen Stellenwert in der Rechtsprechung.


Das vorliegende Urteil

OLG Dresden – Az.: 4 W 716/22 – Beschluss vom 17.04.2023

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 28.11.2022 – 6 O 2915/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 14.500,- Euro festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf materiellen Schadenersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für materielle und immaterielle Schäden aus behaupteten Behandlungsfehlern während seiner stationären Behandlung im Hause der Beklagten im Zeitraum vom 23.03.2017 bis 03.05.2017 in Anspruch.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 26.11.2022 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gem. § 358a ZPO angeordnet. Das Gutachten des herzchirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. ### vom 12.09.2022 ist dem Kläger am 11.11.2022 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 17.11.2022 hat der Kläger beantragt, den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Die Mitunterzeichnung des Gutachtens durch den Assistenzarzt Dr. ### belege, dass der Sachverständige die Verantwortung für den Inhalt des Gutachtens nicht allein trage. Zudem sei wegen fehlender Angabe des Umfangs der übertragenen Tätigkeit davon auszugehen, dass das Gutachten gleichberechtigt gemeinsam erstellt oder gar überwiegend durch den Assistenzarzt erstellt worden sei, was auch durch die Fristüberschreitung indiziert werde.

Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 28.11.2022 zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1, 569 ZPO zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. ### wegen Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt ist.

Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen ist gemäß §§ 406 Abs. 1, 42 ZPO anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Senat, Beschluss vom 11. März 2019 – 4 W 208/19 -; Beschluss vom 02. Januar 2019 – 4 W 1108/18 -; Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 4 W 1113/17 -). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Die Besorgnis, der gerichtlich beauftragte Sachverständige könne wegen der Mitunterzeichnung des Gutachtens durch einen Assistenzarzt nicht unvoreingenommen sein, ist nicht gerechtfertigt. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ### ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der höchstpersönlichen Gutachtenerstellung nach § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO unverwertbar.

Nach § 407 a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die Zuziehung von Gehilfen für unterstützende Dienste nach Weisung und unter Aufsicht des Sachverständigen erlaubt, solange die wissenschaftliche Auswertung der Arbeitsergebnisse durch den Sachverständigen selbst sichergestellt ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2014 – 26 W 16/13 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 25.10.2019 – 25 W 249/19; Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., § 407a Rz. 2a m.w.N.). Die Verpflichtung zur höchstpersönlichen Gutachtenerstattung schließt demnach weder aus, dass der Sachverständige – in einem seine Gesamtverantwortlichkeit nicht in Frage stellenden Umfang – Gehilfen hinzuzieht noch ergeben sich hieraus allgemein gültige Regeln für den Einsatz solcher Mitarbeiter, so dass diesen auch wichtige Abschnitte der gutachterlichen Untersuchungen übertragen werden dürfen. Die Grenze ist erst dann überschritten, wenn der Sachverständige selbst die Arbeiten nicht mehr überschaut und auch die wissenschaftliche Auswertung und Gesamtbeurteilung der Ergebnisse dem Gehilfen überlässt oder dazu nicht mehr in der Lage ist (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Einen Grundsatz, wonach der Sachverständige das Gutachten selbst zu diktieren oder gar höchstpersönlich schriftlich abzufassen habe, gibt es nicht (vgl. Senat, Urteil vom 10. November 2020 – 4 U 255/20 -, Rn. 23, m.w.N.).

Vorliegend hat der Sachverständige Prof. Dr. ### mit Schreiben vom 10.03.2023 ausgeführt, der in seiner Klinik beschäftigte Assistenzarzt Dr. ### habe ihn bei der Erstellung des Gutachtens unterstützt. Er habe den Assistenzarzt bei der Gutachtenerstellung eingebunden, indem er ihm die Sichtung der Unterlagen und das Verfassen einer ersten Stellungnahme übertragen habe. Im Anschluss daran erfolge regelmäßig eine detaillierte Durchsprache des Falles mit Entscheidungsfindung. Der zu den Akten gelangte Gutachtentext sei vom Sachverständigen selbst erstellt worden und werde damit auch von ihm verantwortet. Lediglich als Nachweis der Gutachtertätigkeit für die Facharztweiterbildung lasse er den Assistenzarzt die Gutachten mit unterschreiben.

Nach diesen Angaben hat der Gerichtssachverständige die Gutachtenerstellung sowie die Gesamtbeurteilung des Sachverhalts und der Ergebnisse aufgrund eigener Prüfung selbst verantwortet im Sinne des § 407 a Abs. 2 Satz 2 ZPO. Bei den dem Assistenzarzt im Rahmen der Vorbereitung des Gutachtens übertragenen Aufgaben handelt es sich dagegen um lediglich vorbereitende Hilfstätigkeiten, die der sachverständigen Pflicht zur höchstpersönlichen Gutachtenerstellung nicht entgegenstehen. Aus diesem Grund ist auch eine Befangenheit des Sachverständigen im Hinblick auf die Mitarbeit von Dr. ### zu verneinen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Gegenstandswert bemisst sich gemäß § 3 ZPO auf ein Drittel des Hauptsachewertes (vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2003 – II ZB 32/03 -; Senat, Beschluss vom 2. November 2020, a.a.O., m.w.N.).

 

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