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Krankenhaushaftung – gerichtliches Ermessen bei Auswahl medizinischer Sachverständiger

OLG Dresden – Az.: 4 U 225/20 – Beschluss vom 27.04.2020

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert des Berufungsverfahrens auf 171.138,00 € festzusetzen.

4. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.05.2020 wird aufgehoben.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Er erlitt Anfang Januar 2017 eine Ruptur der Supraspinatussehne der rechten Schulter. Der Kläger stellte sich in der Orthopädischen Ambulanz der Beklagten vor, wo ihm eine arthroskopische Versorgung empfohlen wurde. Am 04.04.2017 wurden Aufklärungsgespräche geführt. Der Eingriff erfolgte am 07.04.2017. Der Kläger wurde in der Beach-Chair-Position gelagert, wobei sein rechter Arm freihängend von einem Assistenten gehalten wurde. Unmittelbar postoperativ litt der Kläger unter starken Schmerzen im operierten rechten Arm und beklagte Taubheit in den Fingern 4 und 5 der rechten Hand. Er wurde am 10.04.2017 entlassen und stellte sich am 11.04.2017 bei einer niedergelassenen Neurologin vor, die eine ulnaris parese rechts diagnostizierte. Am 17.05.2017 wurde er stationär im xxxklinikum L… aufgenommen, wo am 18.05.2017 ein operativer Eingriff zur Dekompression des nervus ulnaris durchgeführt wurde.

Der Kläger hat behauptet, die Schädigung des nervus ulnaris sei durch eine fehlerhafte Durchführung der Arthroskopie, insbesondere durch eine falsche Lagerung des Armes hervorgerufen worden. Darüber hinaus sei auch die postoperative Nachsorge unzureichend gewesen. Es hätten bereits während des stationären Aufenthaltes bei der Beklagten weitere Untersuchungen und Maßnahmen zur Dekompression des Nervs ergriffen werden müssen. Auch ein falsches Anlegen der Fixationsmanschette nach dem Eingriff sei möglicherweise schadensursächlich. Er leide nach wie vor unter starken Schmerzen in der Hand und im Unterarm sowie an Gefühlsstörungen der Finger 4 und 5 der rechten Hand. Er sei sowohl im Rahmen der Berufsausübung als auch im Rahmen der Freizeitgestaltung und in der Haushaltsführung eingeschränkt und habe Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie die Feststellung der Ersatzpflicht von künftigen Schäden.

Die Beklagte hat behauptet, dass ein Lagerungsschaden ausgeschlossen sei, weil der Arm bei dem Eingriff keinerlei Druck ausgesetzt gewesen sei. Eine Schädigung während der Operation sei auch deshalb nicht möglich, weil der Nerv nicht im Operationsgebiet verlaufe. Eine weitere Befunderhebung sei während des stationären Aufenthaltes nicht indiziert gewesen, zumal die Beschwerden rückläufig gewesen seien und dem Kläger eine neurologische Kontrolle empfohlen worden sei. Die Fixationsmanschette sei nicht fehlerhaft angelegt worden und sei auch nicht Ursache für den Schaden.

Das Landgericht hat Zeugen gehört und ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Klage mit Urteil vom 23.12.2019 – auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird – abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er trägt zur Begründung vor, das Landgericht habe es verabsäumt, ein neurologisches Gutachten einzuholen. Soweit der gerichtlich bestellte Sachverständige – Facharzt für Orthopädie – ausgeführt habe, dass eine Nervverletzung durch falsches Anlegen der Armabduktionsschiene sehr unwahrscheinlich sei, falle dies nicht in seinen Kompetenzbereich, sondern in den eines Neurologen. Denn jede Form von Druck – auch bei einer Weichpolsterung – könne den Nerv schädigen. Vorschäden des Klägers würden die Beklagten nicht entlasten, denn es genüge eine Mitverursachung. Da nach Auftreten der Symptome ein gebotener Entlastungsversuch durch Entfernen der Schiene für kurze Zeit nicht durchgeführt worden sei, sei aufgrund des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs eine Mitverursachung wahrscheinlich. Selbst wenn eine Einengung des Nerves vorgelegen habe, sei diese jedenfalls symptomlos gewesen. Trotz unmittelbar postoperativ angegebener Schmerzen und Taubheit an den Fingern, sei eine weitere neurologische Befunderhebung unterblieben. Ungeprüft und rechtsfehlerhaft gestützt auf die Angaben des orthopädischen Sachverständigen habe das Landgericht angenommen, dass eine erforderliche neurologische Befunderhebung fachgerecht erfolgt sei. Dies sei unzutreffend, denn die Beklagte verfüge über keine Neurologische Abteilung. Wenn eine frühzeitige Befunderhebung und therapeutische Maßnahme stattgefunden hätten, so wäre der Schaden nicht, jedenfalls in dem vorliegenden Umfang, eingetreten.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil.

II.

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 630 a ff., 280, 249, 253 BGB zu.

Intraoperative Behandlungsfehler am 07.04.2017 hat das Landgericht mit zutreffenden Gründen verneint. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht.

Krankenhaushaftung - gerichtliches Ermessen bei Auswahl medizinischer Sachverständiger
(Symbolfoto: Von Halfpoint/Shutterstock.com)

Dem Kläger ist aber auch der Beweis für eine postoperativ fehlerhafte Anlage der Fixationsmanschette nicht gelungen. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Begutachtung keine Anhaltspunkte für ein falsches Anlegen der Armabduktionsschiene gesehen. Unabhängig davon hat er mit überzeugenden Gründen eine Ursächlichkeit für den Schaden verneint und ausgeführt, die postoperativ angelegte Orthese bestehe aus gepolstertem Stoff, die keine schweren Metallteile oder Ähnliches enthalte und die auch bei fehlerhafter Anlage eine Drucksymptomatik im Bereich des nervus ulnaris im Verlauf des sulcus ulnaris nicht auslösen könne. Im Ergebnis hielt er die Anlage der Orthese keinesfalls geeignet, eine Schädigung herbeizuführen, wie sie beim Kläger später – dokumentiert im Operationsbericht der Klinik für Neurochirurgie des xxxklinikums L… – beschrieben wurde. Dieser Operationsbericht vom 18.05.2017 beschreibe eine kräftige muskuläre Einengung bedingt durch eine Subluxationsstellung (teilweise Verrenkung) des Nervs. Eine durch die Manschette ausgelöste traumatische Subluxation hätte aber zu einer erheblichen Weichteilschädigung führen müssen und gehe in der Regel auch mit offenen Verletzungen oder Frakturen einher. Beides sei hier nicht der Fall gewesen.

Zu Unrecht beanstandet der Kläger, dass die Frage, ob durch die Armabduktionsschiene die Schädigung des Nervs herbeigeführt worden sei, nur durch einen Neurologen beantwortet werden könnte. Die Auswahl des Sachverständigen steht im Ermessen des Gerichts. Eine fehlerhafte Ermessensausübung liegt vor, wenn das Gericht einen Sachverständigen aus einem falschen Sachgebiet auswählt (so BGH, Urteil vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07 – juris). Grundsätzlich ist bei der Auswahl auch die Sachkunde in dem medizinischen Fachgebiet abzustellen, in dem der Eingriff fällt (so BGH, a.a.O.; vgl. BGH, Beschluss vom 15.05.2018 – VI ZR 287/17 – juris). Ein Ermessensfehler liegt hier nicht vor. Die Nachbehandlung des Klägers nach einem orthopädischen Eingriff an der Schulter fällt in den Fachbereich eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie. Zu den Grundlagenkenntnissen einer Facharztausbildung eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie gehören die Kenntnisse der anatomischen Strukturen und die Biomechanik der Bewegungsorgane sowie die technische und biomechanischen Grundlagen operativer und konservativer Verfahren. Dazu gehören auch die Nachsorge nach chirurgischen Operationen sowie die Techniken der temporären Ruhigstellung und der Fixationsverbände sowie die Eingriffe an Nerven und Gefäßen (vgl. B 7.5 der Weiterbildungsordnung vom 26.11.2005 i. d. F. der Änderungssatzung vom 28.11.2016, ABS S. 512).

Ein rein zeitliches Zusammentreffen zwischen Anlage der Armabduktionsschiene und Auftreten der Beschwerden mag ein Indiz für einen Kausalzusammenhang sein, reicht jedoch als Beweis nicht aus.

Auch die weitere postoperative Behandlung im Hause der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Insbesondere bestand keine Veranlassung, weitere Befunderhebungen durchzuführen. Der Sachverständige hat die postoperative Behandlung nicht beanstandet. In der Pflegedokumentation wurde das Taubheitsgefühl festgehalten und von der Schmerzvisite eine neurologische Kontrolle empfohlen. Aus der Pflegedokumentation ergibt sich des Weiteren, dass eine grob neurologische ärztliche Überprüfung der Bewegung der Finger durchgeführt wurde. Nach den Ausführungen des Sachverständigen wurden dabei keine motorischen Defizite festgestellt. Der Sachverständige hat angesichts dessen eingeschätzt, dass auch ein vorzeitiges neurologisches Konsil hier keine daraus resultierende Therapie mit verkürztem Verlauf der Erkrankung oder Vermeidung eines Dauerschadens zur Folge gehabt hätte. Tatsächlich hat sich der Kläger am Folgetag seiner Entlassung – am 11.04.2017 – auf eigene Initiative bei einer Neurologin vorgestellt, die am 11.04.2017 eine Ulnarisparese rechts diagnostiziert hat. Gleichwohl hat ein operativer Eingriff erst am 18.05.2017 stattgefunden. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich eine verzögerte Diagnosestellung von allenfalls vier Tagen in der Behandlung ausgewirkt haben soll, zumal auch die niedergelassene Neurologin Dr. K… am 11.04.2017 keine Veranlassung für weiterführende Maßnahmen gesehen hat. Aus ihrer ärztlichen Dokumentation ergibt sich vielmehr, dass sie am 11.04.2017, am 18.04. und 25.02.2017 weder Therapien noch eine Überweisung an eine Neurologische Klinik für erforderlich gehalten hat. Erst am 02.05.2017 wurde eine Überweisung in die Neurochirurgie veranlasst. Die Operation im xxxklinikum L… ist über einen Monat nach der Entlassung des Klägers aus dem Hause der Beklagten erfolgt.

Ohne Erfolg stützt sich der Kläger auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Köln vom 02.04.1990 (27 U 140/88 – juris). Der dort entschiedene Fall ist mit dem Vorliegenden nicht vergleichbar. Denn dort war ein Lagerungsschaden positiv festgestellt worden, eine neurologische Konsultation erfolgte zudem erst ca. sechs Wochen nach der Operation.

Der Senat rät angesichts dessen zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

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