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Krankenhaushaftung – nicht erkannte Sprunggelenkfraktur

LG Arnsberg – Az.: 3 O 6/16 – Urteil vom 06.03.2018

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000,00 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.10.2015 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle gegenwärtigen und künftigen materiellen Schäden sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 08.10.2012 bis 13.12.2013 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung eines Schmerzensgeldes, die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für materielle und immaterielle Schäden sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus Anlass einer Behandlung des Klägers im Hause der Beklagten aus der Zeit zwischen dem 08.10.2012 und dem 13.12.2013.

Nach einem Sturz auf einer Treppenstufe im häuslichen Bereich am Abend des 07.10.2012 begab sich der Kläger am Folgetag zunächst wieder zur Arbeit.

Wegen anhaltender Beschwerden stellte er sich am Abend des 08.10.2012 in der Notfallaufnahme des T in N vor, dessen Trägerin die Beklagte ist. Nach einer klinischen Untersuchung und der Anfertigung von Röntgenbildern stellte der behandelnde Unfallchirurg die Diagnose einer Distorsion des oberen linken Sprunggelenks. Er versorgte den Kläger mit einem Voltarensalbenverband und der Empfehlung einer lokalen Kühlung sowie Schonung und entließ ihn wieder nach Hause.

In den folgenden Wochen ging der Kläger weiter seiner beruflichen Beschäftigung nach und verbrachte einen Urlaub in Polen.

Am 08.11.2011 stellte sich der Kläger nach Überweisung aufgrund fortbestehender Beschwerden und einer Schwellung des Unterschenkels erneut notfallmäßig im Hause der Beklagten in N vor, wo durch einen Allgemeinchirurgen entsprechend dem Überweisungsauftrag eine Thrombose des linken Unterschenkels ausgeschlossen wurde. Eine Röntgenkontrolle erfolgte an diesem Tag nicht.

Die ambulante Weiterbehandlung des Klägers erfolgte bei dem niedergelassenen Orthopäden Dr. O. Nach anfänglicher konservativer Therapie zeigte sich auf einem von diesem am 25.11.2012 erstellten Röntgenbild eine dislozierte Pilon-Tibial-Fraktur des linken oberen Sprunggelenks.

Krankenhaushaftung - nicht erkannte Sprunggelenkfraktur
(Symbolfoto: Von Modxka/Shutterstock.com)

Mit diesen Röntgenaufnahmen stellte sich der Kläger am 26.11.2012 erneut im Haus der Beklagten vor, wo die Diagnose einer grob dislozierten Pilon-Tibial-Fraktur nach Anfertigung von CT-Aufnahmen bestätigt und eine stationäre Aufnahme des Klägers zum Zwecke der operativen Versorgung der Fraktur für den 28.11.2012 vereinbart wurde. Am 30.11.2012 erfolgte im Krankenhaus der Beklagten die offene Reposition der Fraktur mit Plattenosteosynthese der distalen Tibiafraktur. Eine Revisionsoperation zur Korrektur der Stellschraube und zur Durchführung einer Plattenosteosynthese der Fibula fand am 06.12.2012 statt. Die Entfernung des Osteosynthesematerials erfolgte im Dezember 2013.

Der Kläger wandte sich noch im Jahr 2012 an seine Krankenversicherung, woraufhin ein Gutachten des P erstellt wurde.

Die Beklagte verzichtete mit Schreiben ihrer Haftpflichtversicherung vom 03.09.2015 auf die Einrede der Verjährung bis zum 30.06.2016.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.09.2015 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos über ihre Haftpflichtversicherung unter Fristsetzung bis zum 07.10.2015 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000,00 EUR, zur Anerkennung der Einstandspflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden und zum Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.680,28 EUR auf.

Der Kläger behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei am 08.10.2012 die am Vortag erlittene Fraktur im linken oberen Sprunggelenk behandlungsfehlerhaft nicht erkannt worden. Die an diesem Tag erstellte Röntgenaufnahme des linken Sprunggelenks zeige am Übergang vom Innenknöchel zur Gelenkfläche der Tibia eine Strukturauflockerung, welche ein indirektes Zeichen für eine in die Gelenkfläche einstrahlende Pilon-Fraktur gewesen sei. Zum sicheren Ausschluss einer Fraktur habe das erstellte Röntgenbild nicht ausgereicht. Es hätten hierfür weitere bildgebende Befunderhebungen durchgeführt werden müssen, anhand derer die Fraktur dann bereits am 08.10.2012 erkannt worden wäre.

Ein weiterer Behandlungsfehler liege darin, dass trotz fortbestehender Beschwerden am 08.11.2012 keine weitere Bildgebung durchgeführt worden sei. Wäre dies geschehen, hätte sich auf diesen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die dislozierte Fraktur dargestellt.

Bei der Operation am 30.11.2012 hätte bereits primär eine Osteosynthese am Wadenbein durchgeführt werden müssen. Zudem sei die Sprunggelenksachse in O-Bein-Verbiegung rekonstruiert worden und die anatomische Rekonstruktion der Gelenkfläche an der Schienbeinbasis misslungen. Dies habe zu Destruktionen der Gelenkfläche, dem Einbruch der Knochensubstanz und den überschießenden Knochenneubildungen im Bruchgebiet geführt.

Das Nichterkennen der Fraktur am 08.10.2012 habe zu einem Dauerschaden an seinem linken Bein geführt. Weil er sein linkes Bein nach dem 08.10.2012zunächst voll belastet habe, sei es in der Folge zu der grob dislozierten Fraktur des linken oberen Sprunggelenks in Luxationsfehlstellung des Talus und einersekundären Fraktur des Fibulaschaftes gekommen. Aufgrund des nunmehr eingetretenen Dauerschadens sei ihm durch Nachbehandler im L und dem M zu einer Versteifungsoperation geraten worden. Er sei arbeitslos und könne behandlungsfehlerbedingt seinen bisherigen Beruf als Maurer bzw. zuletzt als Produktionshelfer nicht mehr ausüben; er könne nicht mehr schmerzfrei gehen und stehen, Arbeiten im Stehen und unter Belastung seien ihm daher nicht mehr möglich.

Hinsichtlich des Schmerzensgeldes erachte er einen Betrag von mindestens 10.000,00 EUR als angemessen. Da die Schadensentwicklung und etwaige Spätfolgen nicht vorhersehbar seien, habe er ferner einen Anspruch auf Feststellung der Einstandspflicht für gegenwärtige und künftige materielle und immaterielle Schäden.

Für die außergerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten seien ihm nach einem Gegenstandswert von 17.500,00 EUR Kosten in Höhe von 1.680,28 EUR entstanden, wobei eine 2,0-fache Geschäftsgebühr nach Ziffer 2300 VV-RVGabgerechnet worden sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichtsgestelltes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.10.2015 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Behandlung 08.10.2012 bis 13.12.2013 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind und

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.680,28 EUR an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.10.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Hierzu behauptet sie, dem Kläger sei bereits Ende 2012 positiv bekannt gewesen, dass die Diagnose vom 08.10.2012 möglicherweise fehlerhaft gewesen sei. Er habe deshalb noch im gleichen Jahr eine Begutachtung durch seine Krankenversicherung eingeleitet und auch in seinem Schreiben an die Gutachterkommission bei der B hierauf Bezuggenommen. Vor diesem Hintergrund sei mit Ablauf des Jahres 2015 Verjährungeingetreten.

Sie behauptet weiter, eine knöcherne Verletzung habe bei der röntgenologischen Untersuchung am 08.10.2012 aus der maßgeblichen ex-ante Sicht nicht festgestellt werden können. Die Diagnose einer Distorsion sei vertretbar gewesen. Der Verdacht auf eine Pilon-Tibial-Fraktur bereits zu diesem Zeitpunkt hätte sich erst aus einer nachträglichen Betrachtung und in Kenntnis des späteren tatsächlichen Verlaufs ergeben.

Auch das Verhalten des Klägers bis zum und nach dem 08.10.2012 spräche gegen das Vorliegen der Fraktur bereits zu diesem Zeitpunkt. Bei einem derartigen Beschwerdebild sei nicht vorstellbar, dass der Kläger zunächst erst einen Tag und nach der Erstbehandlung weitere drei Wochen seiner Arbeit nachgehe und anschließend einen zehntägigen Urlaub antrete. Dieses Verhalten führe jedenfalls zu einem erheblichen Mitverschulden aufseiten des Klägers. Dem Kläger sei am 08.10.2012 im Übrigen mitgeteilt worden, sich bei anhaltenden Beschwerden erneut vorzustellen.

Aufgrund der ex-ante vertretbaren Diagnose sei auch keine weitere Befunderhebung zu veranlassen gewesen. Die Operation am 30.11.2012 sei kunstgerecht erfolgt.

Die Schmerzensgeldforderung sei übersetzt, die Feststellungsanträge mangels Feststellungsinteresse bereits unzulässig, mangels Vorliegens eines Behandlungsfehlers unbegründet. Der Kläger sei bezüglich der vorgerichtlichen Kosten nicht aktivlegitimiert, zudem sei insoweit ein erhöhter Gegenstandswert und ein nicht angemessener Faktor bei der Geschäftsgebühr angesetzt worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gemäß Auflagen- und Beweisbeschluss vom 30.05.2016 (Bl. 69 f. d.A.) i.V.m. den Beschlüssen vom 16.08.2017 (Bl. 87 d.A.) und 13.09.2016 (Bl. 97 d.A.) und durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Q vom 28.02.2017 (Bl. 110 ff. d.A.), die radiologische Stellungnahme von H vom 15.02.2017 (Bl. 108 f. d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2018 (Bl. 207 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat aus der streitgegenständlichen Behandlung gegen die Beklagte nach §§ 280 Abs. 1, 611 BGB bzw. §§ 823 Abs. 1, 2, 249, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. § 256 ZPO einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle materiellen und künftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, soweit diese Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen sonstigen Dritten übergegangen sind bzw. noch übergehen werden.

1.

Die Ansprüche sind nicht verjährt, nachdem – unstreitig – die Haftpflichtversicherung der Beklagten am 03.09.2015, also in unverjährter Zeit, auf die Erhebung der Einrede bis zum 30.06.2016 verzichtet hat und der Beklagten die am 22.01.2016 erhobene Klage vom 20.01.2016 am 19.02.2016 zugestellt worden ist.

2.

Bei der Behandlung des Klägers im Krankenhaus der Beklagten am 08.10.2012 ist behandlungsfehlerhaft eine nicht dislozierte Fraktur im Bereich der distalen Tibia des linken oberen Sprunggelenks des Klägers übersehen worden.

Der Sachverständige Q hat hierzu in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass bei Durchsicht der am 08.10.2012 im T in N gefertigten Röntgenbilder Frakturlinien im Bereich der distalen Tibia erkennbar seien, ohne dass eine Dislokation der Knochenfragmente vorliege. Diese Fraktur sei im Krankenhaus der Beklagten nicht erkannt worden, die Röntgenaufnahmen seien als unauffällig beurteilt und es sei die Diagnose einer Prellung des linken oberen Sprunggelenks gestellt worden. Diese Diagnose sei wegen der im Röntgenbild erkennbaren Frakturlinien fehlerhaft gewesen.

Bei dieser Einschätzung ist der Sachverständige auch im Rahmen der mündlichen Gutachtenerläuterung geblieben. Er hat auf Nachfrage angegeben, dass ein Facharzt die Frakturlinien auf der Röntgenaufnahme vom 08.10.2012 hätte sehen müssen.

Es handele sich jedoch nicht um einen fundamentalen Diagnoseirrtum, da die Frakturlinien schon schwer zu erkennen seien. Ein Nichterkennen sei zwar fehlerhaft, aber nicht schlicht nicht nachvollziehbar. Letzteres sei beispielsweise dann anzunehmen, wenn eine dislozierte Fraktur vorläge und diese dann auf einem Röntgenbild nicht erkannt werde.

Die Kammer schließt sich den Ausführungen des erfahrenen, der Kammer aus zahlreichen Verfahren bekannten Sachverständigen nach eigener Überprüfung, auch hinsichtlich der Frage der Fehlerqualität, an. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Schwelle, von der ab ein Diagnosefehler als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, welcher dann zu einer Belastung der Behandlungsseite mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden muss (vgl. BGH Urteil vom 21.12.2010, VI ZR 284/09 m. w. N.). Nach diesen Maßstäben stellt es unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Q lediglich einen einfachen Diagnosefehler dar, dass die unverschobene Fraktur auf den Röntgenaufnahmen nicht erkannt worden ist.

3.

Dagegen waren ein Befunderhebungsfehler am 08.10.2012 durch die unterbliebene Anfertigung eines CT und Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der operativen Versorgung der Fraktur am 30.11.2012 und 06.12.2012 nicht festzustellen.

Der Sachverständige Q hat erklärt, dass die Anfertigung eines CT nur dann geboten sei, wenn sich für den Behandler aus den Röntgenaufnahmen Auffälligkeiten ergäben; die Fraktur als solche müsse nicht unbedingt erkannt werden. Ausweislich der Behandlungsunterlagen sei der Behandler seinerzeit aufgrund der Unfallschilderung von einem Umknicktrauma und einer dadurch bedingten Bandverletzung ausgegangen. Es seien dann folgerichtig Röntgenaufnahmen angefertigt worden, auf denen die Fraktur verkannt worden sei. In der Situation sei es dann schlüssig, eine konservative Behandlung einzuleiten. Die Anfertigung eines CT sei nicht geboten gewesen.

Der Behandler habe auch nicht bei der Annahme eines Umknicktraumas zwingend vom Vorliegen einer Fraktur ausgehen müssen, die weiter diagnostisch hätte abgeklärt werden müssen, da es bei solchen Traumata wesentlich häufiger nur zu Bandverletzungen komme. Auch die beim Kläger vorliegende Schwellung des linken Beines und die Minderbelastbarkeit hätten nicht zwingend zu der Annahme einer Fraktur führen müssen, da solche Symptome ebenso bei einer Bandverletzung auftreten könnten.

Nach den weiteren Darlegungen des Sachverständigen Q sind sowohl der Eingriff vom 30.11.2012 als auch der Eingriff zur Korrektur der Lage der Stellschraube am 06.12.2012 behandlungsfehlerfrei durchgeführt worden.

Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, der Ausgangsbefund am 30.11.2012 sei von vornherein ungünstig gewesen, weil die Tibiagelenkfläche in größeren Anteilen destruiert und der Talus teilfrakturiert gewesen sei und die Fraktur bereits seit mehreren Wochen bestanden habe. Man müsse daher die Operation vom 30.11.2012 als Rekonstruktionsversuch mit unklarem Ergebnis einordnen. Fehler bei der Durchführung dieses Eingriffs habe er nach den Behandlungsunterlagen nicht festgestellt.

Auch der Umstand, dass in dem Eingriff vom 06.12.2012 eine zu lange Stellschraube ausgetauscht worden ist, lässt keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers zu. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, die später erforderliche Verplattung der Fibula und die Korrektur der Stellschraube seien eher der Komplexität des Eingriffs zuzuordnen. In seiner mündlichen Anhörung gab der Sachverständige an, dass es schon einmal vorkommen könne, dass eine Stellschraube ausgetauscht werden müsse, dies stelle keinen Behandlungsfehler dar.

Auch hinsichtlich der Einschätzung des Nichtvorliegens eines Befunderhebungsfehlers am 08.10.2012 und von Behandlungsfehlern ab dem 30.11.2012 schließt sich die Kammer den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an.

4.

Es kann dahinstehen, ob sich möglicherweise weitere Behandlungsfehler aus einer unterbliebenen Nachbefundung der Röntgenbilder vom 08.10.2012 oder einer unterlassenen Befunderhebung durch Anfertigung bzw. Auswertung von Röntgenaufnahmen am 08.11.2012 ergeben würden, da bereits der festgestellte Diagnosefehler vom 08.10.2012 kausal für die vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen war.

Hierzu hat der Sachverständige Q ausgeführt, wenn die Fraktur sogleich am 08.10.2012 erkannt worden wäre, hätte die Möglichkeit bestanden, diese entweder konservativ mittels Gipsverband und Ruhigstellung oder operativ durch Verplattung zu behandeln. Bei beiden Alternativen, die nach Auffassung des Sachverständigen gleichwertig nebeneinander bestanden hätten, wäre von einer Heilungsdauer von etwa 3 Monaten auszugehen.

Bei einer sofortigen operativen Versorgung wäre diese wesentlich einfacher und weniger umfassend erforderlich geworden, als die am 30.11.2012 tatsächlich erfolgte Operation. Am 08.10.2012 sei die Situation vergleichbar gewesen mit einer Tasse, die einen Sprung aufweise. im Zeitpunkt der tatsächlichen operativen Versorgung seien die Frakturteile schon auseinander gedriftet gewesen und die Fraktur sei nicht mehr frisch gewesen.

Bei dem Kläger liege jetzt ein starker Verschleiß in dem betroffenen Sprunggelenk vor. Der Rückfuß stehe schräg und die Gehfähigkeit des Klägers sei eingeschränkt, die Beweglichkeit des oberen linken Sprunggelenks sei praktisch aufgehoben. Ob letztlich eine Versteifungsoperation, mit der man versuchen könne, die Fehlstellung bestmöglich zu korrigieren und die Beschwerden deutlich zu reduzieren, erforderlich werde, sei abhängig von dem Leidensdruck des Klägers.

Es sei zwar theoretisch möglich, dass diese negativen Folgen auch bei einer sofortigen, behandlungsfehlerfreien Versorgung der Fraktur aufgetreten wären. Es bestehe aber eine weit über 50 % liegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Folgen auf dem Behandlungsfehler in Form des Nichterkennens der Fraktur beruhten. Das Risiko, dass solche Folgen auch ohne Behandlungsfehler aufträten, sei vielleicht mit 10-20 % zu bemessen, wobei es sich nur um eine vorsichtige Schätzung handele.

Nach diesen schlüssigen und überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen, ist die Kammer davon überzeugt, dass die bei dem Kläger bestehenden Folgen in Form eines starken Verschleißes, der Fehlstellung des Rückfußes, der Einschränkung der Gehfähigkeit und der Aufhebung der Beweglichkeit des Sprunggelenks auf dem unter Ziffer 2. dargelegten Diagnosefehler vom 08.10.2012 beruhen.

Dabei stützt sich die Kammer u. a. auch auf die anschauliche Erklärung des Sachverständigen, die Situation sei vergleichbar mit einer Tasse, die ursprünglich nur einen Sprung aufgewiesen habe und letztlich in 1000 Teile zersprungen gewesen sei. Hierzu gab der Sachverständige weiter an, wenn die Tasse nur einen Sprung habe, sei das Risiko des Auftretens dieser massiven Folgen weitaus geringer als dann, wenn die Tasse in 1000 Teile zersprungen sei.

Die Kammer hat danach keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Folgen auf dem Behandlungsfehler beruhen und nicht der Grundverletzung des Klägers geschuldet sind.

Nachdem bereits der Behandlungsfehler zu Beginn der Behandlung des Klägers im Haus der Beklagten kausal für sämtliche von ihm erlittenen negativen Folgen war, musste die Kammer nicht weiter aufklären, ob sich in der nachfolgenden Behandlung weitere Behandlungsfehler feststellen lassen würden.

5.

Aus den vorstehenden Gründen steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB zu.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer zunächst die unter Ziffer 4. dargelegten massiven negativen Folgen des Diagnosefehlers für den Kläger berücksichtigt. Ferner wurde berücksichtigt, dass dieser sich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2018 voraussichtlich bei sofortigem Erkennen der Fraktur für eine operative Versorgung entschieden hätte, er aber infolge des Behandlungsfehlers eine wesentlich umfassendere Operation mit einem Folgeeingriff über sich ergehen lassen musste. Zudem wurde in die Bemessung des Schmerzensgeldes einbezogen, dass sich der Kläger künftig möglicherweise einer Versteifungsoperation unterziehen muss, um noch eine mögliche Beschwerdelinderung zu erzielen.

Danach hält die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 EUR für erforderlich, aber auch ausreichend.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 ZPO.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Anspruch des Klägers nicht aufgrund eines Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen. Den Geschädigten trifft dann ein solches Mitverschulden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren. Es muss ein sog. Verschulden gegen sich selbst vorliegen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Auflage, § 254 Rn. 8 m. w. N.). Das Vorliegen eines solchen Verschuldens gegen sich selbst auf Seiten des Klägers hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, dass er in Unkenntnis der im Krankenhaus der Beklagten übersehenen Fraktur in der Zeit nach dem 08.10.2012 sein Bein voll belastet und damit rein tatsächlich zur Verschiebung des Bruchs beigetragen hat.

6.

Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und derzeit nicht voraussehbaren weiteren immateriellen Schäden, die auf dem Behandlungsfehler im Haus der Beklagten beruhen.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.

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