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Risikoaufklärungspflicht des Patienten über Off-Label-Use eines Medikaments

Risikoaufklärung und Selbstbestimmungsrecht: Der Fall des „Off-Label-Use“ von Medikamenten

In diesem Urteil, das am 2. Juli 2020 vom Landgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 6 O 425/12 erlassen wurde, geht es um eine bedeutende Frage des Medizinrechts: die Pflicht zur Risikoaufklärung über den sogenannten „Off-Label-Use“ von Medikamenten und die daraus resultierenden Konsequenzen. In diesem speziellen Fall wurde ein Medikament, das normalerweise nicht für die Geburtseinleitung vorgesehen ist (der „Off-Label-Use“), ohne ausreichende Aufklärung der Patientin eingesetzt, was zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Neugeborenen führte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 O 425/12 >>>

Die Rolle der Aufklärungspflicht

Die zentrale Problematik in diesem Fall war, dass die Mutter des Klägers nicht ausreichend über den Off-Label-Use des Medikaments aufgeklärt wurde. Das Gericht betonte, dass Patienten das Recht haben, über den Einsatz von nicht standardmäßigen Verfahren oder Medikamenten informiert zu werden. Dieses Informationsrecht erlaubt es ihnen, möglicherweise eine andere, standardgemäße Methode zu wählen – in diesem Fall hätte die Mutter vielleicht auf die Einleitung der Geburt verzichtet, hätte sie die Informationen gehabt.

Überlegungszeitraum und Selbstbestimmungsrecht

Ein weiteres bedeutendes Element dieses Falls war die Diskussion über den benötigten Überlegungszeitraum für den Patienten. Nach Ansicht des Gerichts muss dieser Zeitraum im Hinblick auf den geplanten medizinischen Eingriff ausreichend sein, um eine sorgfältige Abwägung der präsentierten Fakten zu ermöglichen. In diesem Fall hatte die Patientin nur 35 Minuten Zeit zum Überlegen, was das Gericht als unzureichend ansah. Dadurch wurde das Selbstbestimmungsrecht der Patientin beeinträchtigt.

Die Konsequenzen unzureichender Aufklärung

Die Folgen der unzureichenden Aufklärung und der daraus resultierenden Entscheidung, das Medikament Off-Label zu verwenden, waren tragisch. Das Kind leidet unter körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen und wird nie ein unabhängiges Leben führen können. Als Folge dieser Umstände hat das Gericht den Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro verurteilt. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Beklagten für alle zukünftigen materiellen Schäden aufkommen müssen.

Zukunftsorientiertes Feststellungsinteresse

Neben der direkten Entscheidung über das Schmerzensgeld stellte das Gericht auch das Bestehen eines zukünftigen Feststellungsinteresses fest. Damit ist das Interesse des Klägers gemeint, dass ein Rechtsverhältnis durch ein Gerichtsurteil alsbald festgestellt wird, um künftige Unsicherheiten zu vermeiden. Dieser Fall unterstreicht die wichtige Rolle, die das Informationsrecht und die Aufklärungspflicht in der medizinischen Praxis spielen, und die potenziell schwerwiegenden Konsequenzen, die eine Nichtbeachtung dieser Pflichten haben kann.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: 6 O 425/12 – Gerichtsbescheid vom 02.07.2020

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 300.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.01.2012 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die bereits entstandenen sowie alle zukünftig entstehenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit sie nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages.

Tatbestand

Risikoaufklärungspflicht des Patienten über Off-Label-Use eines Medikaments
Aufklärungspflicht und Selbstbestimmungsrecht bei Off-Label-Use: Urteil unterstreicht die Wichtigkeit von Informationsrechten und Entscheidungszeitraum für Patienten. (Symbolfoto: Chay_Tee /Shutterstock.com)

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen behaupteter ärztlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit seiner Geburt am … auf Ersatz des immateriellen Schadens und Feststellung der Ersatzpflicht materieller Schäden in Anspruch.

Die Beklagte zu 1) ist Trägerin des …-Krankenhauses in Berlin-…. Die Beklagte zu 2) und 4) sind angestellte Ärztinnen im …-Krankenhaus. Die Beklagte zu 3) ist Hebamme im …-Krankenhaus.

Die Mutter des Klägers, die zuvor bereits zwei Kinder spontan entband und zwei Fehlgeburten hatte, stellte sich erstmals am 27. September 2009 in der ambulanten Sprechstunde bei der Beklagten zu 4) vor. Sodann erschien sie am 28. Oktober 2009 erneut im …-Krankenhaus zur Absprache eines Einleitungstermins. Hierbei fand zudem eine vaginale Untersuchung und Ultraschalluntersuchung durch die Beklagte zu 2) statt. Die Mutter des Klägers traf mit der Beklagten zu 2) die Übereinkunft, dass aufgrund ihrer Beschwerden mit Eintritt der kindlichen Reife in der 37. SSW die Geburt eingeleitet werden sollte. Die Mutter litt unter einem Karpaltunnelsyndrom an beiden Händen mit starken Schmerzen und befürchtete dauerhafte neurologische Schäden. Als Termin zur Einleitung der Geburt wurde der 11. November 2009 vereinbart. Der weitere Inhalt des Gesprächs, insbesondere hinsichtlich der Aufklärung der Mutter des Klägers über die Art und Weise der Geburtseinleitung sowie deren Risiken, ist streitig.

Am 9. November 2009 stellte sich die Mutter des Klägers erneut im …-Krankenhaus wegen des Verdachts auf vorzeitigen Blasensprung vor. Nachdem ein solcher ausgeschlossen wurde, begab sich die Mutter des Klägers zurück in die Häuslichkeit.

Am 11. November 2009 erschien die Mutter des Klägers gegen 08.00 Uhr im …-Krankenhaus. Nach der Aufnahme wurde die Mutter des Klägers vaginal untersucht. Die Mutter des Klägers erhielt um 08:35 Uhr zur Geburtseinleitung 50 g Cytotec. In der Behandlungsdokumentation ist insoweit durch die Beklagte zu 2) vermerkt: „Patientin ist über Cytotec aufgeklärt (off-label-use, NW)“. Der Inhalt und Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs an diesem Tag ist im Einzelnen streitig.

In der Folgezeit wurden mehrfach CTG-Untersuchungen durchgeführt, wegen deren Inhalt und Zeiten auf die Behandlungsdokumentation des …-Krankenhauses verwiesen wird. Um 17.00 Uhr erhielt die Mutter des Klägers weitere 50 g Cytotec.

Hinsichtlich des weiteren Geburtsverlaufs ab 21.25 Uhr wird auf die Behandlungsunterlagen der Beklagten Bezug genommen. Der Geburtsverlauf ab 22.21 Uhr ist in der Dokumentation bis kurz nach der Geburt des Klägers um 22.32h wie folgt dargestellt:

22.21h Entschluss zur Notsectio, Info Anästhesie durch Notsectio Sammelruf, Info Chirurg Dr. …, Info Kinderklinik

22.22h Ankunft OP-Pfleger und kurz darauf des Anästhesisten Vorbereitungen zur Sectio

22.32h Partus eines deprimierten Knaben aus 1. Schädellage, Abnabeln des Kindes, Übergabe des Kindes an OÄ Dr. …, die die Erstversorgung übernimmt

22.33h Entwicklung der Plazenta, welche ein 13×8 cm großes Koagel an der zentralen Haftungsstelle aufweist im Sinne einer vorzeitigen (zentralen) Plazentalösung sowie mehrere Verkalkungen. Plazenta wird zur histologischen Untersuchung weitergeleitet.“

Weiter wurde dokumentiert:

22.32h Geburt durch Notsectio Rea-Raum Apgar 3 Absaugung, Maskenbeatmung, Oxymeter, Wärme, physikalische Stimulation, darunter erholt sich der Säugling mäßig

Auf dem CTG-Bogen ist für 22.30h der Sectio-Schnitt vermerkt. Nach Ankunft der Kinderärzte des …-Krankenhauses wurde der Kläger durch diese versorgt und um 00.30h (12. November 2009) auf die dortige neonatologische Intensivstation verlegt. Dort verblieb der Kläger bis zum 27. November 2009.

Der Kläger forderte die Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz unter Fristsetzung bis zum 18. Januar 2012 auf.

Der Kläger rügt die Aufklärung durch die Beklagten, hierbei insbesondere zur Aufklärung über den Off-label-Use von Cytotec oder dessen besondere Risiken, die unterbliebene Risikoaufklärung über die Geburtseinleitung und die unterlassene Aufklärung zu Behandlungsalternativen am 28. Oktober 2009 und am 11. November 2009. Er behauptet, dass seiner Mutter erst nach Einnahme der Tablette am 11. November 2009 um 08.35 Uhr gesagt worden sei, dass Cytotec für die Einleitung von Geburten nicht zugelassen sei. Sie sei weder über die Risiken einer Geburtseinleitung bei unreifer Zervix im Allgemeinen noch über die besonderen Risiken, die mit der Einnahme von Cytotec verbunden sind, oder über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden.

Die Mutter des Klägers hätte sich gegen eine Einleitung mit Cytotec entschieden, wenn sie über dieses Medikament konkret aufgeklärt worden wäre. Ihr sei der Name des Medikaments bzw. dass es sich um ein Magenschutzmittel handelt, erst nach der Einnahme gesagt worden. Zudem hätte sie sich gegen eine Geburtseinleitung überhaupt zum stattgefundenen Zeitpunkt entschieden, sondern für eine weitere Abklärung ihrer Beschwerden, wenn ihr mitgeteilt worden wäre, dass deren Ursache noch nicht gefunden worden sei. Sie sei nicht über die Möglichkeit einer Kaiserschnittentbindung aufgeklärt worden, obwohl es sich bei dem Kläger um ein großes und schweres Kind gehandelt habe.

Bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken von Cytotec hätte sie sich über das Medikament informiert und unter Inkaufnahme der Risiken für sich für einen Kaiserschnitt entschieden.

Zudem rügt der Kläger, dass seine Mutter weder über die Möglichkeit eines primären Kaiserschnitts noch unter der Geburt über die echte Behandlungsalternative eines Kaiserschnitts aufgeklärt worden sei, der ab 18.35 Uhr indiziert gewesen sei.

Der Kläger behauptet, dass er durch die schwere perinatale Asphyxie einen Gehirnschaden erlitten habe und es aufgrund der vorausgegangenen Sauerstoffunterversorgung postnatal zu zerebralen Krampfanfällen gekommen sei. Er sei schwerbehindert und für ihn würden Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegestufe 3 mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz) bezogen (vgl. Anlage K 16). Er habe einen GdB 100 mit den Merkzeichen: B, AG, G, H (vgl. Anlage K 15). Er leide unter erheblichen kognitiven und körperlichen Einschränkungen. Im Einzelnen leide er unter einer globalen Entwicklungsstörung und sei geistig entwicklungsverzögert bzw. retardiert. Es seien eine infantile Zerebralparese und Mikrozephalie diagnostiziert worden. Sein Gang sei gestört und er habe einen Spitzfuß. Daher würde er Orthesen sowie Nachtorthesen benötigen. Er leide unter Ataxie und einer Hüftluxation. Seine Mundmotorik sei gestört, sodass es zu Speichelfluss komme und eine Dysphagie auftrete. Er sei Brillenträger und es liege Strabismus, d. h. Schielen auf dem linken Auge, vor. Darüber hinaus leide er unter Muskelhypotonie. Aufgrund seiner Einschränkungen könne er Gefahren nur mangelhaft einschätzen. Er sei an Epilepsie erkrankt. Zeitweise habe ein Minderwuchs vorgelegen. Aufgrund der körperlichen Beeinträchtigungen leide er unter Stuhl-/Harninkontinenz. Er spreche nur wenige Worte und diese so undeutlich, dass nur Vertrauenspersonen ihn verstehen können. Er habe aufgrund von Ein- und Durchschlafstörungen einen gestörten Tag-/Nachtrhythmus.

Seine Schmerzensgeldvorstellung benennt der Kläger mit 300.000,00 EUR.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 19. Januar 2012 zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm die bereits entstandenen sowie alle zukünftig entstehenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit sie nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Mutter des Klägers sei schon am 28. Oktober 2009 durch die Beklagte zu 2) ausführlich über die Einleitung der Geburt durch Prostaglandine aufgeklärt worden, ferner über den Geburtsverlauf und die Risiken. Darüber hinaus sei die Mutter über die Möglichkeit aufgeklärt worden, dass die künstliche Einleitung der Geburt wirkungslos bleiben könne. Außerdem sei die Mutter über Risiken für das Kind, wie kindlicher Stress und somit Unterversorgung des Kindes, die schlimmstenfalls ein Notkaiserschnitt erfordert, aufgeklärt worden.

Am 11. November 2009 habe die Beklagte zu 2) der Kindesmutter nochmals vor der Gabe der Tablette das Einleitungsprocedere, die Prostaglandingabe sowie die Wirkung und neben Wirkungen von Prostaglandinen allgemein und von Cytotec im Speziellen erläutert. Als Risiken seien allergische Reaktionen, Bronchokonstriktion, uterine Überstimulation, Fieber, Kopfschmerzen, Erbrechen, Übelkeit, Blutdruckabfall und Myokardischämie genannt worden. Die Beklagte zu 2) habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Cytotec nicht für die Geburtshilfe zugelassen sei.

Die Beklagten meinen, die Aufklärung am 11. November 2009 sei rechtzeitig gewesen, da die Wahl des Mittels zur Geburtseinleitung vom vaginalen Befund des Tages abhänge. Die Mutter sei über die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht aufzuklären gewesen, da diese medizinisch nicht indiziert gewesen sei und daher keine Alternative zur vaginalen Entbindung dargestellt habe.

Die Beklagten erheben den Einwand der hypothetischen Einwilligung der Mutter des Klägers zur Geburtseinleitung mittels Prostaglandinen.

Sie bestreiten die Kausalität zwischen mangelhafter Aufklärung und Schaden, da die vorzeitige Plazentaablösung nicht auf die Gabe von Cytotec zurückzuführen sei. Bei einer primären Schnittentbindung wären die Gehirnschäden des Klägers ebenfalls aufgetreten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Einholung zweier medizinischer Sachverständigengutachten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche geburtshilfliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. … vom 19. März 2015 nebst Ergänzungen vom 29. Januar 2016 sowie auf das neonatologische und neuropädiatrische schriftliche Gutachten von PD Dr. med. … vom 31. Januar 2018 nebst Ergänzungen vom 03. Dezember 2018 Bezug genommen. Ferner ist der Sachverständige Prof. Dr. med. … in der mündlichen Verhandlung angehört worden (vgl. Protokoll vom 13. Oktober 2016, Band 3 Bl. 76 ff. d. A.).

Darüber hinaus hat das Gericht erhoben durch Vernehmung der Zeugin …. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 27. März 2014, Band 2, Bl. 91 ff. d. A., Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache vollumfänglich Erfolg.

I.

Antrag zu 1)

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus §§ 280 Abs. 1, 249, 253, 278 BGB i. V. m. dem Behandlungsvertrag bzw. aus §§ 831, 249, 253 BGB zu.

A. Aufklärungsfehler

Da den Beklagten der Nachweis der ordnungsgemäßen Aufklärung der Mutter des Klägers über die Einleitung der Geburt nicht gelingt, war die Einwilligung der Mutter des Klägers in die Gabe von Cytotec und damit in die Einleitung der vaginalen Geburt unwirksam und diese infolgedessen rechtswidrig, § 630d Abs. 2 BGB.

Der behandelnde Arzt muss den Nachweis einer vollständigen und rechtzeitigen Aufklärung führen. Dieser Nachweis ist den Beklagten weder für das Gespräch mit der Mutter des Klägers am 28. Oktober 2006 noch am 11. November 2006 gelungen. Im Rahmen der Geburt liegt die Einwilligungszuständigkeit allein bei der Mutter, weil der Geburtsablauf immer auch sie und ihre körperliche Unversehrtheit betrifft (vgl. BGH NJW 1989, 1538).

1. Gespräch am 28. Oktober 2009

Der Patient muss „im Großen und Ganzen“ über die nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken einer ordnungsgemäßen Behandlung, insbesondere Art, Bedeutung, Verlauf und Folgen des Eingriffs, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, aufgeklärt werden (sog. Grundaufklärung; vgl. BGH NJW 2019, 1283, 1284). Fehlt es bereits an einer solchen Grundaufklärung, muss der Arzt auch für den Eintritt fern liegender Risiken haften, die Patienteneinwilligung in den Eingriff ist hierbei unbeachtlich (vgl. BGH NJW 2019, 1283, 1284; BGH, Urteil vom 14. März 2006 – VI ZR 279/04 –, BGHZ 166, 336-346, Rn. 13; KG Berlin, Urteil vom 09. Dezember 2013 – 20 U 107/12 –, Rn. 57, juris). Bei fehlender Grundaufklärung ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Kern genauso verletzt, als wenn der Arzt den Eingriff vorgenommen hätte, ohne den Patienten überhaupt um seine Zustimmung zu ersuchen. Nach diesen Grundsätzen haftet der Arzt mithin bei mangelhafter Grundaufklärung auch dann, wenn sich statt des aufklärungspflichtigen Risikos, ein nur äußerst seltenes, nicht aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht hat (vgl. BGH NJW 1996, 777, 779; BGH, Urteil vom 28. Mai 2019 – VI ZR 27/17 –, Rn. 15, juris).

Darüber hinaus ist über den Off-Label-Use von Medikamenten aufzuklären: Dem Arzt ist es im Rahmen der Therapiefreiheit gestattet, auch nicht zugelassene Arzneimittel bzw. Arzneimittel außerhalb des Indikationsgebietes, für das sie zugelassen sind, anzuwenden. Ein derartiger Off-Label-Use ist zulässig, wenn er unter sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile des nicht zugelassenen Medikaments im Vergleich zu den zugelassenen Substanzen vertretbar ist und medizinisch-sachlich begründet erscheint (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, A 1212). Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen Off-Label-Use mit möglicherweise noch unbekannten Nebenwirkungen handelt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 2020 – I-26 U 47/19 –, Rn. 45, juris). Dies ist erforderlich, um den Patienten in die Lage zu versetzen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchte oder nach der nicht zugelassenen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren (vgl. BGH NJW 2007, 2767; OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 2020 – I-26 U 47/19 –, Rn. 36, juris). Diese Grundsätze müssen auch die Anwendung von Cytotec bei der Geburtseinleitung gelten, obwohl Cytotec seit Jahrzehnten in deutschen Kliniken zur Geburtseinleitung angewandt wird (anders LG Hamburg, Urteil vom 02. Juni 2016 – 323 O 154/13 –, Rn. 78, juris). Denn es muss dem Patienten die Möglichkeit eröffnet werden, sich über die Gründe für die Nichtzulassung des Medikaments in Deutschland zu informieren und in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen. Für den Patienten ist es nicht offensichtlich, ob das Fehlen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung beispielsweise wirtschaftliche oder medizinische Gründe hat.

Letztendlich kann diese Frage jedoch dahinstehen, da vorliegend jedenfalls schon keine ordnungsgemäße Grundaufklärung der Mutter des Klägers erfolgte. Denn die Beklagten konnten nicht beweisen, dass der Mutter des Klägers eine allgemeine Vorstellung über die Art der Belastung und die Schwere des Eingriffs sowie die spezifischen Risiken einer Geburtseinleitung durch die Einnahme von Cytotec vermittelt wurden.

Die Beklagte zu 2) hat im Rahmen der persönlichen Anhörung angegeben, dass sie sich nicht dezidiert an das Gespräch mit der Mutter des Klägers am 28. Oktober 2009 erinnern könne. Sie habe auf das Risiko einer Anpassungsstörung beim Kind aufgrund der Geburtseinleitung hingewiesen. Sie könne sich jedoch nicht mehr erinnern, ob sie über weitere Risiken der vorzeitigen Einleitung, wie Notkaiserschnitt oder Uterus-Ruptur, oder über das konkrete Medikament zur Geburtseinleitung hingewiesen habe (vgl. Protokoll vom 27.03.2014, Bd. 2 Bl. 97 f. d.A.).

Die Mutter des Klägers gab an, dass sie über die Risiken einer Geburtseinleitung nicht aufgeklärt worden sei. Am 28. Oktober 2009 sei ihr nur gesagt worden, dass der Versuch der Geburtseinleitung vergeblich sein könnte; der Name des Medikaments und dessen Wirkung seien nicht erläutert worden (vgl. Protokoll vom 27.03.2014, Bd. 2 Bl. 96 f. d.A.).

Der Hinweis auf die mögliche Anpassungsstörung des Kindes bei einer Geburtseinleitung – unterstellt, er wurde tatsächlich erteilt – reicht allerdings nicht schon aus, um den o.g. Anforderungen an die Grundaufklärung gerecht zu werden. Denn die Mutter wurde schon nicht über Risiken aufgeklärt, die sie selbst betreffen, wie beispielsweise die Gefahr eines Gebärmutterrisses oder eines Wehensturms. Darüber hinaus ist damit auch nach der Anhörung der Beklagten zu 2) nicht bewiesen, dass die Mutter des Klägers über die Art, Bedeutung, Verlauf und Folgen der Geburtseinleitung mittels Cytotec wenigstens in groben Zügen aufgeklärt wurde.

Die Beklagten tragen vor, dass lediglich eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“ erforderlich sei, die hier durch den Hinweis auf die Möglichkeit, dass der Versuch frustran sein könnte, und dass eine Anpassungsstörung beim Kind möglich sei, erfüllt worden sei. Als unstreitig unterstellt, dass die Mutter auf die Möglichkeit einer Anpassungsstörung hingewiesen wurde, nannte die Beklagte zu 2) ihr jedoch weder den Namen des Medikaments, noch dass es nicht in Deutschland für die Geburtseinleitung zugelassen sei. Schon allein der Hinweis auf den Off-Label-Use wurde nicht erteilt, auch wenn der ausdrückliche Wortlaut „Off-Label-Use“ nicht erforderlich ist. Eine Aufklärung über die allgemeinen Risiken der Geburtseinleitung für die Mutter ist ebenfalls nicht erfolgt. Daher kann eine Aufklärung im „Großen und Ganzen“ nicht bejaht und die Mutter nicht auf eine selbständige Nachfrage zu weiteren Risikoinformationen verwiesen werden.

Darüber hinaus sind die Beklagten der Auffassung, dass die Klarstellung, dass es sich bei der Anwendung von Cytotec um einen Off-Label-Use handeln würde, nicht erforderlich gewesen sei, da die Wirkungen und Nebenwirkungen im Vergleich zu den zugelassenen Medikamenten zur Geburtseinleitung identisch sei. Dennoch hätte die Mutter des Klägers nach Auffassung der Kammer über den Off-Label-Use aufgeklärt werden müssen. Für die Annahme einer entsprechenden Aufklärungspflicht spricht, dass der Patient bei Einsatz eines nicht zugelassenen Medikaments genauso wie beim Einsatz nicht standardgemäßer Verfahren ein Interesse daran hat, diesen Umstand zu erfahren, um sich gegebenenfalls für eine Standardmethode – bzw. hier ein Absehen von der Geburtseinleitung vor dem errechneten Geburtstermin – entscheiden zu können. Dies dürfte unabhängig davon gelten, ob – wie ansonsten im Falle der Aufklärung über Behandlungsalternativen erforderlich – wesentliche Unterschiede in Bezug auf Chancen und Risiken bestehen (vgl. OLG Stuttgart Urt. v. 26.7.2011 – 1 U 163/10, BeckRS 2011, 23467).

Die Beklagten verweisen auf ein Urteil des OLG Nürnberg vom 01.10.2001 (5 U 4304/00), in dem das OLG ausführt, dass eine Aufklärung über die Gefahren der Geburtseinleitung nicht erforderlich sei, da es keine Gefahren oder Komplikationen gebe, denen nicht sofort begegnet werden könne. Insbesondere in einer Situation, in der Geburtsreife vorliege und sonstige Risiken fehlen, müsse nicht zwingend über ernstliche Gefahren aufgeklärt werden, da von einem „Grenzfall zwischen einer natürlich verlaufenden und künstlich forcierten sowie einer künstliche eingeleiteten Geburt“ gesprochen werden kann (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 01. Oktober 2001 – 5 U 4304/00 –, Rn. 41, juris). Diese Einschätzung ist jedoch schon aufgrund des Off-Label-Use und der Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von Cytotec nicht auf das hiesige Verfahren übertragbar. Darüber hinaus war die Mutter des Klägers – anders als in der Entscheidung des OLG Nürnberg – nicht geburtsbereit, sondern die Geburt wurde drei Wochen vor dem errechneten Termin aufgrund ihrer Beschwerden eingeleitet.

2. Gespräch am 11. November 2009

Eine Aufklärung am 11. November 2009 war verspätet. Die Aufklärung muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann, d.h. er durch sorgfältige Abwägung des Für und Wider seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht wahren kann (vgl. Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB § 630e Rn. 40). Der Patient muss unter den jeweils gegebenen Umständen noch ausreichend Gelegenheit haben, sich innerlich frei zu entscheiden. Dies setzt eine Überlegungsfreiheit ohne vermeidbaren Zeitdruck voraus (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, A 1634). In der Regel ist eine Bedenkzeit von 24 Stunden erforderlich (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, A 1636). Erfolgte die Aufklärung verspätet, so legt es bereits die Lebenserfahrung nahe, dass die Entscheidungsfreiheit des Patienten im Hinblick auf den psychischen und organisatorischen Druck eingeschränkt war (vgl. BGH NJW 1995, 2410, 2411).

Diese wurde vorliegend nicht eingehalten. Die Mutter des Klägers erschien am 11. November 2009 um 08.00 Uhr im Haus der Beklagten zu 1) und erhielt die Tablette gegen 08.35 Uhr, sodass die 24 Stunden Bedenkzeit nicht eingehalten wurde, selbst wenn sie an diesem Tag ordnungsgemäß über die Wirkung, Risiken und Behandlungsalternativen für Cytotec zur Geburtseinleitung aufgeklärt worden wäre. Die Bedenkzeit von allenfalls ca. 35 Minuten nach dem Aufklärungsgespräch am 11. November 2009 ist als zu kurz anzusehen, auch wenn die Mutter des Klägers (anders als er vorträgt) die Tablette während der Aufklärung noch nicht im Mund hatte. Denn es handelte sich um einen elektiven Eingriff und nicht um einen Notfall. Liegt kein Notfall vor, muss der Überlegenszeitraum im Hinblick auf den Umfang des geplanten Eingriffs ausreichend sein, um aus Sicht des Patienten die präsentierten Fakten abwägen zu können (vgl. BGH NJW 1995, 2410, 2411). Wenn der Eingriff nicht sofort erfolgen muss, sondern zumindest einige Stunden Zeit verbleiben, darf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht derart verkürzt werden, dass dem Patienten keinerlei Möglichkeit der Überlegung und eventuell der Informationsgewinnung verbleibt (vgl. OLG Köln Urt. v. 16.1.2019 – 5 U 29/17, BeckRS 2019, 2369 Rn. 16, beck-online). Von einer ausreichenden Überlegungszeit kann bei einem Zeitraum von maximal 35 Minuten nicht ausgegangen werden, da eine gründliche Abwägung von Für und Wider für einen medizinischen Laien innerhalb eines derart kurzen Zeitfensters nicht möglich ist.

Die Beklagten wenden sein, dass die Entscheidung über konkrete Form der Einleitung der Geburt vom an diesem Tage erhobenen vaginalen Befund abhängig sei und daher eine Aufklärung schon am 28. Oktober 2009 nicht möglich war. Der Sachverständige Prof. Dr. … hat die Abhängigkeit der konkreten Form der Geburtseinleitung vom aktuellen vaginalen Befund mit einem Schreiben an das Gericht vom 18. Oktober 2016, vgl. Bd. 3 Bl. 82 f. d. A., bestätigt. Er führt aus, dass die Entscheidung, ob es die Geburtseinleitung mit einem Wehentropf oder mit Prostaglandinen indiziert ist, von der Reife des Zervixbefund abhängig ist. Dieser Umstand hätte jedoch der Mutter des Klägers vorab mitgeteilt werden können. Die Beklagten selbst tragen nicht vor, dass die Mutter über die Abhängigkeit der Art der Geburtseinleitung vom aktuellen vaginalen Befund aufgeklärt worden sei, egal zu welchem Zeitpunkt. Es hätte dann eine umfassende Aufklärung über die verschiedenen Möglichkeiten einer Geburtseinleitung mit den jeweiligen Risiken, Vor- und Nachteilen erfolgen können, mindestens jedoch über den Wehentropf und die Gabe von Prostaglandinen.

3. Einwand der hypothetischen Einwilligung

Die Beklagten erheben den Einwand der hypothetischen Einwilligung und tragen vor, dass die Mutter bei ordnungsgemäßer Aufklärung ihr Einverständnis in die Einleitung der Geburt mittels Cytotec erklärt hätte, da das Medikament Cytotec risikoarm und weitestgehend komplikationslos sei.

Genügt die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen, kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (vgl. BGH NJW 2019, 3072, 3074). An einen dahingehenden Nachweis, der dem Behandelnden obliegt, sind strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen wird. Den Arzt trifft für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast aber erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (stRspr, vgl. nur BGH NJW 1991, 2342; BGH NJW 1994, 2414 m.w.N.).

a) Gedankliche Voraussetzung der hypothetischen Einwilligung ist stets die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung (vgl. BGH NJW 2019, 3072, 3074).

Wie bereits dargelegt, hätte der Mutter des Klägers rechtzeitig vor der Gabe von Cytotec eine Aufklärung über die nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken sowie Art, Bedeutung, Verlauf und Folgen des Eingriffs zuteilwerden müssen.

Der Vortrag der Beklagten ist zutreffend, dass die Beklagte zu 2) die Mutter des Klägers nach ständiger Rechtsprechung aufgrund der fehlenden medizinischen Indikation nicht über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts aufklären musste (vgl. BGH NJW-RR 2019, 17, 18; BGH, Urteil vom 17.05.2011 – VI ZR 69/10; BGH NJW 2004, 3703). Dass die Mutter sich für einen Kaiserschnitt entschieden hätte, wenn sie von den Risiken der Anwendung von Cytotec gewusst hätte, hat die Mutter zur Frage des Vorliegens eines Entscheidungskonfliktes vorgetragen. Soweit die Beklagten meinen, dass die Möglichkeit eines Kaiserschnitts nicht aufklärungspflichtig gewesen sei, da sie medizinisch nicht indiziert war, verkennen sie, dass es vorliegend nicht entscheidungserheblich ist, ob die Beklagten die Mutter des Klägers über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts aufklären mussten, sondern die Frage, ob die Mutter über die Geburtseinleitung mittels Cytotec ordnungsgemäß und rechtzeitig aufgeklärt wurde und ob sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Kaiserschnitt eine aufklärungsbedürftige echte Alternative war, da er zumindest aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Mutter des Klägers als sogenannter Wunschkaiserschnitt eine Möglichkeit gewesen wäre. Bei der Wahl zwischen vaginaler Entbindung und Schnittentbindung handelt es sich für die davon betroffene Frau um eine grundlegende Entscheidung, bei der sie entweder ihrem eigenen Leben oder dem Leben und der Gesundheit ihres Kindes Priorität einräumt. Das Recht jeder Frau, selbst darüber bestimmen zu dürfen, muss möglichst umfassend gewährleistet werden (vgl. BGH NJW-RR 2015, 591, 592 m.w.N.).

b) Die Mutter des Klägers konnte zur Überzeugung der Kammer im Rahmen ihrer Anhörung plausibel darlegen, dass sie, wenn ihr rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden wären, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte.

Der Kläger braucht nicht darzulegen, wie sich seine Mutter bei ordnungsgemäßer Aufklärung tatsächlich entschieden hätte (vgl. BGH NJW 2019, 3072, 3074). Für die Beurteilung der Plausibilität eines Entscheidungskonfliktes spielt vor allem der Grad der damaligen Indikation und die Frage nach medizinisch vernünftigen Alternativen eine Rolle (vgl. Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB § 630h Rn. 91).

Der Sachverständige Prof. Dr. … gibt an, dass das Risiko bei einem Kaiserschnitt im Wesentlichen bei der Mutter liegt. Mit dem elektiven Kaiserschnitt sind die allgemeinen OP-Risiken für die Mutter verbunden. Für eine gesunde Frau schätzt er die Risiken sehr gering ein. Für die Mutter des Klägers sieht er weder am 28. Oktober noch am 11. November 2009 eine medizinische Indikation für den Kaiserschnitt, es bestand aber eine „mütterliche“ Indikation zur Beendigung der Schwangerschaft aufgrund der starken Schmerzen der Mutter (vgl. Anhörung am 13. Oktober 2016, Bd. 3 Bl. 79 f.).

Die Mutter des Klägers gab in ihrer Anhörung am 13. Oktober 2016 an, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung, insbesondere Mitteilung des Namens des Medikaments Cytotec, sich zu Hause informiert hätte. Aufgrund der Risiken hätte sie in keinem Fall Cytotec genommen. Sie hätte einen Kaiserschnitt in Kauf genommen, da sie auf eine vaginale Geburt keinen Wert gelegt und während der ganzen Schwangerschaft die Angst um das Kind im Vordergrund gestanden habe, da sie kurz vor dieser Schwangerschaft eine Fehlgeburt erlitten habe. Aufgrund der geringeren Risiken des Kaiserschnitts für das Kind hätte sie die höheren Risiken für sich selbst in Kauf genommen (vgl. Protokoll vom 13. Oktober 2016, Bd. 3 Bl. 76 f. d. A.).

Diese Angaben hat die Kindesmutter im Rahmen der erneuten, dem Urteil zugrunde liegenden (letzten) Anhörung am 02. Juli 2020 glaubhaft wiederholt. Die Mutter des Klägers konnte plausibel darlegen, dass sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken von Cytotec nach Alternativen für die Beendigung der Schwangerschaft gesucht hätte.

Die Erklärungen der Kindesmutter hinsichtlich ihres Entscheidungskonfliktes, dass sie die Einnahme von Cytotec in Frage gestellt und Alternativen wie beispielsweise einen Kaiserschnitt in Betracht gezogen hätte, sind überzeugend. Insbesondere zum einen, da sie aufgrund ihrer Beschwerden unstreitig unbedingt die Schwangerschaft beenden wollte, zum anderen da für sie aufgrund der vorangegangenen Fehlgeburten und dem traumatischen Vorfall beim „Babykino“ die Sicherheit des ungeborenen Kindes im Vordergrund stand. Dies wurde im Rahmen der Anhörung der Mutter des Klägers insbesondere dadurch deutlich, als sie herausstellte, dass sie sich selbst als „hypochondrische Schwangere“ bezeichnete und in der Schwangerschaft mit dem Kläger überaus viele Ultraschalluntersuchungen durchführen ließ.

Im Rahmen ihrer Anhörung konnte sie sich davon lösen, ihren Entscheidungskonflikt aus ex-post-Sicht zu begründen. Denn sie stand zum Zeitpunkt der Schwangerschaft mit dem Kläger noch unter dem Eindruck der Geschehnisse auf der Babymesse im Zusammenhang mit der vorangegangenen Schwangerschaft, die sie mit eindrücklichen Worten (es „herrschte eine Totenstille“) und unter Wiedergabe ihrer Gefühle (“Dieses Erlebnis war für mich so traumatisch“) schilderte. Dieses Erlebnis erklärt nachvollziehbar, warum die Mutter der Sicherheit des ungeborenen Klägers Priorität eingeräumt hätte, wie sie selbst auch angab (“ich hatte die ganze Zeit panische Angst um das Kind“).

Es ist lebensnah, dass eine Schwangere, die zuvor Fehlgeburten erlitten hat, davon eine kurz vor der jetzigen Schwangerschaft, die Gesundheit des Babys in den Vordergrund stellt. Da die Geburtseinleitung nicht medizinisch indiziert war, ist es nachvollziehbar, dass die Mutter so geringe Risiken wie möglich für das Kind eingehen wollte. Dem steht nicht entgegen, dass die Mutter aufgrund ihrer Beschwerden die Geburtseinleitung begrüßt hat. Denn auch wenn eine Schwangere aufgrund ihrer Beschwerden eine Einleitung der Geburt vor Vollendung der Schwangerschaft wünscht, ist daraus nicht zu folgern, dass sie die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit des Kindes zurückgestellt.

Die Mutter des Klägers räumte im Rahmen der Anhörung am 02. Juli 2020 auch ein, dass sie aus heutiger Sicht nicht mehr sagen könne, ob sie nach einem Kaiserschnitt gefragt hätte, dass sie sich aber jedenfalls nach anderen Möglichkeiten erkundigt hätte und sich für die entschieden hätte, die mit den geringsten Risiken für den Kläger verbunden gewesen wäre. Dies reicht aus, um einen Entscheidungskonflikt anzunehmen, da der Kläger nicht darlegen muss, welche Entscheidung seine Mutter bei ordnungsgemäßer Aufklärung konkret getroffen hätte.

Es kann dahinstehen, dass die Mutter nach dem Vortrag der Beklagten zu keinem Zeitpunkt den Wunsch nach einem primären Kaiserschnitt geäußert habe. Denn nach Überzeugung des Gerichts wurde die Mutter nicht bzw. nicht rechtzeitig über die Risiken der Anwendung von Cytotec aufgeklärt, sodass sie gar nicht die Möglichkeit hatte, sich über Behandlungsalternativen zu informieren oder danach zu fragen. Sie ging vielmehr aufgrund der mangelhaften Aufklärung davon aus, dass die Einnahme von Cytotec zur Einleitung der Geburt im Wesentlichen risikolos ist.

c) Die Beklagten sind für die Frage, ob sich die Mutter auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der Geburtseinleitung mit Cytotec entschlossen hätte (vgl. zur Darlegungs- und Beweislast BGH, Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 313/03 –, Rn. 17, juris), beweisfällig geblieben.

B. Behandlungsfehler

Soweit der Kläger darüber hinaus die Missachtung des im konkreten Einzelfalls anzuwendenden medizinischen Standards durch die Gabe von Cytotec, teilweise verspätete oder unterlassene Ultraschalluntersuchung sowie die verspätete Notsectio und die dadurch bedingte Schädigung rügt, kann es nach Auffassung der Kammer dahinstehen, ob die ärztliche Behandlung tatsächlich in fehlerhafter Weise erfolgte. Weitergehende Ansprüche ergeben sich daraus für den Kläger jedenfalls nicht. Auf die Beweise, die zur Frage des Vorliegens eines Behandlungsfehlers erhoben wurden, kommt es daher nicht an.

C. Kausalität

Das Unterlassen der ordnungsgemäßen Aufklärung der Mutter des Klägers ist kausal für den eingetretenen Schaden. Der Kläger hat den Beweis erbracht, dass es bei Durchführung eines Kaiserschnitts anstelle der Geburtseinleitung mit Cytotec zur vorzeitigen Plazentaablösung nicht gekommen wäre.

Auch wenn die Plazentaablösung laut dem Sachverständigen Prof. Dr. … kein typisches Risiko der Anwendung von Cytotec ist, hätte sich die Mutter gegen die Geburtseinleitung mit Cytotec und für einen Kaiserschnitt entschieden, wenn sie ordnungsgemäß über Risiken der Einnahme von Cytotec aufgeklärt worden wäre (unabhängig vom Risiko eines Plazentaabrisses). Dies hat sie im Rahmen ihrer Anhörung am 13. Oktober 2016 und am 02. Juli 2020 zur Überzeugung der Kammer dargelegt. Die Mutter des Klägers hat bekundet, dass sie bei einer Aufklärung über andere Möglichkeiten der Geburtseinleitung, z. B. eines Kaiserschnitts, nach Rücksprache mit der behandelnden Ärztin diese in Betracht gezogen hätte. Sie hat dargelegt, dass sie sich aufgrund der vorangegangenen Fehlgeburten für die Alternative entschieden hätte, die – unter Inkaufnahme eines höheren Risikos für sich selbst – größte mögliche Sicherheit für den Kläger geboten hätte. Das komplikationsloseste Verfahren zur Beendigung der Schwangerschaft stellte nach Mitteilung des Sachverständigen Prof. Dr. med. … der elektive Kaiserschnitt dar.

Die Frage, ob der Kaiserschnitt zu einem besseren Ergebnis geführt hätte, es also keine Plazentaablösung gegeben hätte, betrifft den hypothetischen Kausalverlauf im Rahmen des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Eine Unterlassung (hier der ordnungsgemäßen Aufklärung der Mutter des Klägers) ist nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte, was zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststehen muss (§ 286 ZPO). Für den Einwand der hypothetischen Kausalität bei rechtmäßigem Alternativverhalten, der in der Darlegungs- und Beweislast der Behandlerseite liegt, ist erst Raum, wenn feststeht, dass das vom Schädiger zu verantwortende Verhalten kausal geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2005 – VI ZR 313/03; OLG Köln, Urteil vom 18. April 2012 – 5 U 172/11 –, Rn. 37, juris).

Dies ist hier der Fall. Die Beklagten haben den Beweis, dass im Fall ordnungsgemäßer Aufklärung der Schaden nicht eingetreten wäre, nicht geführt. Denn der Sachverständige Prof. Dr. … hat in seiner Anhörung am 31. Oktober 2016 dargelegt, dass keine Anzeichen dafür vorlagen, dass es bei einem elektiven Kaiserschnitt am 11. November 2009 zur Plazentaablösung und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Klägers gekommen wäre. Weitere Beweisantritte durch die Beklagten sind nicht erfolgt.

Die Beklagten tragen vor, dass die Einleitung der Geburt per se nicht schädigend für das Kind sei und nur das Ziel habe, den natürlichen Geburtsvorgang zu beginnen. Die einzige mögliche Komplikation durch die Gabe von Cytotec, die eines Wehensturms, der eine Gefährdung des Kindes zur Folge haben kann, sei im vorliegenden Fall nachweislich nicht eingetreten. Der Sachverständige Prof. Dr. … hat jedoch erläutert, dass bei einer Durchführung eines Kaiserschnitts es nicht zur Plazentaablösung gekommen wäre, sodass hier die Einleitung der Geburt selbst schon zu diesem konkreten Zeitpunkt als kausal für die Komplikationen anzusehen ist.

Es spielt keine Rolle, ob im Haus der Beklagten zu 1) damals Wunschkaiserschnitte durchgeführt wurden. Denn bei einer umfassenden und rechtzeitigen Aufklärung hätte die Kindesmutter ausreichend Zeit gehabt, sich über diese Möglichkeit in anderen Krankenhäusern zu informieren. Es ist nicht vorgetragen und nicht ersichtlich, dass es der Mutter auf eine Entbindung gerade im Haus der Beklagten zu 1) ankam. Sie selbst gab im Rahmen der Anhörung an, ihre älteren Kinder in einem anderen Krankenhaus geboren zu haben und dass sie auch auf dieses ausgewichen wäre.

D. Die Klage ist auch der Höhe nach begründet.

Die Kammer hält unter Abwägung aller Umstände ein Schmerzensgeld von 300.000,00 EUR für angemessen und erforderlich, um die gesundheitlichen Nachteile, die der Kläger erlitten hat, auszugleichen und ihm für die Schädigung Genugtuung zu verschaffen.

Im Einzelnen:

1. Nach der Vorschrift des § 253 Abs. 2 BGB kann der Geschädigte wegen immaterieller Schäden eine „billige Entschädigung“ in Geld verlangen. Grundsätzlich soll das Schmerzensgeld dem Verletzten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten schuldet. Dabei steht – von Ausnahmen abgesehen – die Ausgleichsfunktion im Vordergrund mit der Folge, dass die Höhe des Schmerzensgeldes in erster Linie vom Umfang und von den Auswirkungen der körperlichen oder gesundheitlichen Schädigung selbst abhängt. Die Ermittlung des Schmerzensgeldes steht – nach Höhe und Art – grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, das hier durch § 287 ZPO besonders freigestellt ist.

Eine rechnerisch streng festlegbare Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile gibt es nicht, da diese nicht in Geld messbar sind (vgl. OLG Zweibrücken NJOZ 2009, 3241, 3243). Es gibt keinen angemessenen Betrag im Sinne einer a priori feststehenden absoluten Summe, die vom Gericht nur im Sinne eines arithmetischen Rechenvorgangs ermittelt werden müsste. Vielmehr handelt sich um eine Bewertung des Einzelfalls nach der Schwere der erlittenen Verletzungen, der hierdurch bedingten Leiden, deren Dauer, der subjektiven Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten und des Ausmaßes des Schädigerverschuldens (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 – VI ZR 182/97 –, BGHZ 138, 388-394, Rn. 13, juris).

2. Bei der Bemessung sind ausgehend von diesen Grundsätzen im konkreten Fall die nachfolgenden Faktoren zu berücksichtigen:

Nach den Feststellungen des Sachverständigen PD Dr. … wurde durch die perinatale Asphyxie infolge der vorzeitigen Plazentaablösung ein Gehirnschaden verursacht. Der Kläger hat eine spastisch-motorische Zerebralparese und seine motorische und geistige Entwicklung entspricht (zum Zeitpunkt der Untersuchung im November 2018) dem einen zwei- bis dreijährigen Kleinkind. Er leidet unter globalen Entwicklungsstörungen, einer geistigen Entwicklungsverzögerung, infantiler Zerebralparese, Mikrozephalie und geistiger Retardierung aufgrund des Sauerstoffmangels unter der Geburt. Ursache seiner Sprachentwicklungsstörung sind mit höchster Wahrscheinlichkeit die geistige Retardierung und die gestörte Mundmotorik durch die Muskelhypotonie. Infolgedessen ist das Erlernen der Gebärdensprache und eine elektronische Kommunikationshilfe erforderlich. Die Gangstörungen des Klägers sowie die Ataxie und die Hüftluxation sind nach den Feststellungen des Sachverständigen PD Dr. … charakteristische Folgen einer Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel bei der Geburt. Die gestörte Mundmotorik mit Speichelfluss und Dysphagie (Schluckstörung) beruht auf einer Störung der Koordination der Muskulatur im Gehirn. Die Notwendigkeit des Tragens einer Brille sowie des Strabismus, d. h. Schielen auf dem rechten Auge, sind ebenfalls sehr wahrscheinlich Folge des Sauerstoffmangels bei der Geburt. Des Weiteren leidet der Kläger unter einer rumpfbetonten Muskelhypotonie, einer beinbetonten Spastik, Ein- und Durchschlafstörungen, die zu einem gestörten Tag-/Nachtrhythmus führen, Epilepsie, sowie Schluckstörungen, chronischen Verstopfungen und Stuhl- und Harninkontinenz mit der Folge eines zeitweiligen Minderwuchses.

Die Kammer folgt den nachvollziehbaren und schlüssigen schriftlichen Ausführungen des neonatologischen und neuropädiatrischen Sachverständigen PD Dr. …. Dabei hat die Kammer insbesondere an der medizinischen Fachkunde des Sachverständigen keine Zweifel, da der Sachverständige Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Schwerpunkte Neonatologie und Neuropädiatrie, ist. Er ist als Oberarzt einer neuropädiatrischen Station beschäftigt. Den hier zu beurteilenden Fall hat der Sachverständige unter sorgfältiger Auswertung nicht nur der Verfahrensakte, sondern auch aller beigezogenen Unterlagen der Nachbehandler umfassend begutachtet und den Kläger persönlich untersucht.

Der Kläger hat nicht nur bereits in der Vergangenheit liegendes Leid erdulden müssen, sondern wird auch zukünftig bis an sein Lebensende erhebliche Belastungen und körperliche sowie geistige Einschränkungen ertragen müssen. Dieser Umstand ist ein gewichtiger Bewertungsfaktor. Der Kläger hat die Schädigung im Zusammenhang mit seiner Geburt erlitten, sodass er im Zeitpunkt der Schädigung noch sein gesamtes Leben vor sich hatte. Er wird nie ein selbständiges Leben führen können und bedarf in allen Lebenslagen der Unterstützung Dritter. Eine Kommunikation mittels Sprache und Gebärden ist nur schwer oder nur mit vertrauten Personen möglich.

Diese festzustellenden körperlichen und geistigen Defizite des Klägers rechtfertigen daher uneingeschränkt nach Art, Umfang sowie ihrer Anzahl unter weiterer Zugrundelegung, dass die gesundheitlichen Schädigungen sich als dauerhaft darstellen, uneingeschränkt das in der Klageschrift von dem Kläger als Mindestsumme geltend gemachte Schmerzensgeld von 300.000,00 EUR.

E. Zinsen

Die zuerkannte Verzinsung des Schmerzensgeldes beruht auf §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Antrag zu 2)

Schließlich ist die gesamtschuldnerische Ersatzpflicht der Beklagten bezüglich sämtlicher – mithin auch der vergangenen – materiellen (kongruenten) Schäden aus der Geburt festzustellen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

1. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Der Kläger ist grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann. Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dann, wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14 –, Rn. 6, juris).

So liegt es hier. Der Zulässigkeit des Feststellungsantrags steht nicht entgegen, dass einzelne Schadenspositionen bei Klageerhebung bereits bezifferbar waren, im Laufe des Verfahrens weitere bezifferbar geworden sind und die diesen zugrunde liegenden Sachverhalte bereits abgeschlossen gewesen sein mögen. Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die – aus welchem Grund auch immer – nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des Feststellungsantrags konkretisiert wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2013 – VI ZB 50/12 –, Rn. 9, juris; BGH, Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14 –, Rn. 8, juris). Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen daher lediglich einen Schadensteil im obigen Sinne dar.

2. Eine auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klage ist zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird, § 256 Abs. 1 ZPO. Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Beklagte es ernstlich bestreitet, und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 256, Rn. 7 m.w.N.). Ein Feststellungsinteresse besteht stets zum Zwecke der Hemmung der Verjährung. Es reicht bei Verletzung eines absoluten Rechtsguts – wie hier des Körpers des Klägers – aus, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind. Auf die Wahrscheinlichkeit weiterer Schäden kommt es hier nicht an (Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 256, Rn. 9 m.w.N.). Da diese Voraussetzungen sind vorliegend unproblematisch erfüllt sind, ist das Feststellungsbegehren zugleich auch begründet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 4 S. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

 

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