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Sachverständigenablehnung im Arzthaftungsprozess – Überschreitung des Gutachterauftrags

OLG Dresden – Az.: 4 W 629/19 – Beschluss vom 07.08.2019

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichtes vom 23.05.2019 – 6 O 3170/16 – abgeändert und das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen Prof. Dr. med. D… P… für begründet erklärt.

Gründe

I.

Der Sachverständige wurde mit Beschlüssen des Landgerichtes vom 07.09.2017 und 30.01.2019 mit der Erstellung eines kardiologischen, internistischen Gutachtens zu der Frage der Fehlerhaftigkeit der Behandlung der Beklagten zu 3) bis 8) beauftragt. Dem Sachverständigen wurde gestattet, eine körperliche Untersuchung des Klägers durchzuführen, falls er dies für erforderlich hält. Zur Behandlung des Klägers in der Notfallambulanz durch die Beklagten zu 1) und 2) hatte ein anderer Sachverständiger bereits ein Gutachten erstellt.

Der Sachverständige Prof. D…. P… hat den Kläger mit Schreiben vom 25.02.2019 zu einem Gespräch eingeladen und dort Folgendes ausgeführt:

„Ich würde jedoch gern auch Ihre Sicht der Abläufe in den Tagen um den 10.05.2012 hören. … Wir werden … ein wenig reden können: Ich möchte v.a. wissen, welche Beschwerden Sie in die Notfallambulanz … geführt haben und was dort und in den nachfolgenden Tagen … erfolgt ist bis einschließlich die Diagnose eines abgelaufenen Herzinfarktes gestellt wurde.“

Während des Gespräches mit dem Kläger äußerte der Sachverständige, dass das Problem sei, dass die Anwältin des Klägers alle verklagt habe, außer der Klinik in B… O…. Weiter hat er ausgeführt, dass in Kenntnis der subjektiven Wahrnehmungen des Klägers die Möglichkeit eines Fehlers im … Zentrum … nunmehr wahrscheinlicher erscheine, als das Übersehen eines bereits laufenden Herzinfarktes am 10.05.2012 in der Notaufnahme.

In seiner Stellungnahme vom 28.04.2019 zum Ablehnungsgesuch gab der Sachverständige an, dass es ihm darum gehe, die subjektiven Wahrnehmungen des Klägers zu erfragen.

 

Sowohl der Kläger als auch die Beklagten zu 1) und 2) haben den Sachverständigen mit Schriftsätzen vom 10.04.2019 und vom 26.04.2019 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Beklagten zu 7) und 8) haben mit Schriftsatz vom 20.05.2019 ebenfalls einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen gestellt.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 25.05.2019 die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers vom 27.06.2019, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist statthaft und zulässig, §§ 567, 569, 406 Abs. 1 ZPO. Sie ist auch begründet.

Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – VII ZB 32/12 – juris).

Ein solches Misstrauen kann sich etwa aus dem Umgang des Sachverständigen mit dem Prozessstoff und dem daraus vom Gericht abgeleiteten Gutachtenauftrag ergeben (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.12.2017 – 25 W 13/17 – juris). So sind Ablehnungsgesuche für begründet gehalten worden, wenn der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag dadurch überschritten hat, dass er eine dem Gericht vorbehaltene Beweiswürdigung vorgenommen und seiner Beurteilung nicht die vorgegebenen Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschl. v. 11.03.2008 – 5 W 42/08 – juris), oder wenn er eine streitige Behauptung zu Lasten einer Partei für erwiesen gehalten, den Angaben des Gegners mehr glauben geschenkt oder wenn er seine Befugnisse überschritten hat oder vom Beweisbeschluss abgewichen ist (vgl. hierzu mit weiteren Hinweisen OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.12.2017 – 25 W 13/17 – juris). Ob die Überschreitung eines Gutachtenauftrags geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, ist einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich, sondern kann nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – VIII ZB 32/12; vgl. Senat, Beschl. v. 12.12.2017, 4 W 1113/17 – juris).

Im vorliegenden Fall liegen solche Umstände vor. Der Sachverständige hat seinen Gutachtenauftrag überschritten. Er wurde beauftragt die Frage zu beantworten, ob die Behandlung durch die Beklagten 4) bis 6) in der Zeit vom 11.05. bis 19.05. nicht dem internistischen Standard und die Behandlung der Beklagten zu 7) und 8) vom 19.05.2012 bis 19.07.2012 nicht dem herzmedizinischen Facharztstandard entsprochen habe. Dem Sachverständigen war gestattet, den Kläger zu untersuchen und Befunde zu erheben. Zur Befunderhebung gehört auch die Befragung des Patienten zu seinen gegenwärtigen Beschwerden. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn in diesem Rahmen der Patient seine Beschwerden zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung schildert. Darum ging es dem Sachverständigen jedoch im vorliegenden Fall nicht, denn er hat den Kläger nicht zur Untersuchung und Befunderhebung geladen, sondern nur, um sich dessen Sicht der Abläufe und seine Beschwerden zum Behandlungszeitpunkt schildern zu lassen. Die Ermittlung der Anknüpfungstatsachen, auf die ein Gutachten gestützt werden kann, ist aber Sache des Gerichts und kann nicht in einem Gespräch des Sachverständigen mit nur einer Partei festgestellt werden. Der Sachverständige beabsichtigte, wie er selbst in seiner Stellungnahme vom 28.04.2019 formuliert, „die subjektiven Wahrnehmungen“ des Klägers „zu erfragen“. Damit hat er seinen Gutachtenauftrag überschritten. Denn es geht hier nicht um die Behandlung des Klägers, bei der die Erhebung der Anamnese im Vordergrund steht. Vielmehr ist es Aufgabe eines gerichtlichen Sachverständigen eine Bewertung des medizinischen Vorgehens der Beklagten auf der Grundlage der mitgeteilten Anknüpfungstatsachen (wie z.B. der Behandlungsdokumentation) abzugeben.

Zudem hat sich der Sachverständige zum prozessualen Vorgehen des Klägers geäußert und es als Problem angesehen, dass die Anwältin des Klägers alle Behandler in Anspruch genommen habe mit Ausnahme derer aus O…. Eine negative Äußerung zum prozessualen Vorgehen des Klägers kann das Misstrauen einer Partei ebenfalls rechtfertigen, denn der Sachverständige ist zur Neutralität verpflichtet.

Sachverständigenablehnung im Arzthaftungsprozess - Überschreitung des Gutachterauftrags
(Symbolfoto: Von insta_photos/Shutterstock.com)

Des Weiteren hat er bereits vor der Erstellung des Gutachtens eine Bewertung des ärztlichen Vorgehens abgegeben. Er hat sich mit dem Kläger und dessen Ehefrau auf ein Gespräch über ein mögliches fehlerhaftes Verhalten der Hausärzte – der Beklagten zu 3) bis 5) – eingelassen. Er räumt ein, schon in dem Gespräch mitgeteilt zu haben, dass ein Hausarzt üblicherweise bei typischen Beschwerden, schlüssigen Diagnosen und erfolgreicher Therapie die mitgeteilten Befunde und Diagnosen der Klinik nicht hinterfragen müsse. Dies gilt gleichfalls für die Behandlung durch die Beklagten Ziffer 7) und 8). Der Sachverständige hat in seiner Stellungnahme vom 28.04.2019 eingeräumt, dass nach seiner nunmehrigen Kenntnis der subjektiven Wahrnehmungen des Klägers, die Möglichkeit eines Fehlers im Herzzentrum wahrscheinlicher erscheine, als das Übersehen eines bereits laufenden Infarktes am 10.05.2012 in der Notaufnahme. Aus dem Gespräch mit dem Kläger habe sich für ihn der Verdacht ergeben, dass es eine Komplikation im Herzkatheterlabor gegeben habe. Auch hier hat der Sachverständige schon vor Erstellung des Gutachtens eine Bewertung des ärztlichen Vorgehens einseitig gegenüber einer Partei abgegeben. Zudem war er auch nicht beauftragt worden, die Behandlung der Beklagten zu 1) und zu 2) in der Notaufnahme zu überprüfen. Ein solches Vorgehen mag aus seiner Sicht zur Erhellung des Sachverhaltes und der Wahrheitsfindung gedient haben. Darauf kommt es jedoch nicht an. In der Zusammenschau des Vorgehens des Sachverständigen erweckt ein solches Vorgehen aus der Sicht einer vernünftigen Partei den Eindruck, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.

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