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Übersehen von Brüchen – Schmerzensgeldanspruch

LG Oldenburg, Az.: 8 O 4096/18, Urteil vom 05.04.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die beklagten Ärzte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zur Abgeltung der Schäden in Anspruch, die ihm durch die verzögerte Behandlung von Mittelfußknochenfrakturen im Jahr 2015 entstanden seien.

Der Kläger hatte im Vorprozess 8 O 1939/16 das … Krankenhaus auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch genommen mit dem Vorwurf, er sei dort nach einem Motorradunfall falsch behandelt worden, denn es seien Brüche im Mittelfußknochen rechts und links übersehen worden. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige hatte ausgeführt, dass die Frage, ob die Frakturen arztfehlerhaft nicht erkannt worden seien, davon abhänge, ob Hämatome an den Füßen bestanden hätten, was zwischen den Parteien streitig war. Zur Vermeidung einer umfangreichen Beweisaufnahme haben die Parteien den Rechtsstreit durch hiermit in Bezug genommenen Vergleich vom 05.07.2017 beendet, der das beklagte Krankenhaus zur Zahlung von 2.000 Euro an den Kläger zur Abgeltung aller Ansprüche aus dem Rechtsstreit verpflichtet hat.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger nun wegen der übersehenen Frakturen von den damals behandelnden Ärzten ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro. Er beruft sich auf ein MDK-Gutachten vom 05.10.2018, wonach das Übersehen der Brüche in jedem Fall fehlerhaft gewesen sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten treten den Ausführungen des Gutachters entgegen und wenden ein, der im Vorprozess geschlossene Vergleich entfalte eine sog. Gesamtwirkung, die ihrer Inanspruchnahme entgegenstehe.

Die Akten aus dem beim Landgericht Oldenburg unter dem Aktenzeichen 8 O 1939/16 geführten Vorprozess wurden beigezogen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Übersehen von Brüchen - Schmerzensgeldanspruch
Symbolfoto: AePatt Journey/Bigstock

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Beklagten zu, weil etwaige gegen sie gerichtete Ansprüche aus der Behandlung mit Abschluss des mit dem Krankenhaus geschlossenen Vergleichs erloschen sind. Der zwischen dem Kläger und dem Krankenhaus geschlossene Vergleich, der eine zur Abgeltung aller aus der Behandlung erwachsenen Ansprüche des Klägers bestimmte Zahlung festgelegt hat, wirkt, da das Krankenhaus und die beklagten Ärzte für den geltend gemachten Schaden gem. §§ 840, 421 BGB als Gesamtschuldner haften, gem. § 423 BGB auch für Letztere. Die Auslegung des Vergleichs ergibt nämlich, dass nach der übereinstimmenden Vorstellung der daran beteiligten Prozessparteien der in dem Vergleich liegende Verzicht des Klägers auf weitergehende Schmerzensgeldforderungen auch für die an der Behandlung beteiligten Ärzte gelten sollte.

Zwar kommt einem mit einem Gesamtschuldner geschlossenen Vergleich in der Regel keine Gesamtwirkung gegenüber den übrigen zu (BGH VII ZR 7/11, Urteil vom 22. 12. 2011), so dass der Gläubiger durch den Vergleich nicht daran gehindert ist, auf die nicht am Vergleich beteiligten Gesamtschuldner zuzugreifen. Eine Gesamtwirkung kann aber angenommen werden, wenn sich den Umständen nach ergibt, dass der Gläubiger den Willen hatte, auch gegenüber dem nicht am Vergleich beteiligten Gesamtschuldner auf weitergehende Ansprüche zu verzichten und ihn deshalb nicht in Anspruch zu nehmen (BGH, a.a.O). Aus dem Vergleich und den begleitenden Umständen ergibt sich für den vorliegenden Fall eine Gesamtwirkung zugunsten der Beklagten. Denn die Parteien hatten den erkennbaren Willen, das Krankenhaus auch von dem Risiko zu befreien, dass der Vergleich durch einen Gesamtschuldnerausgleich wertlos werde:

Das am Vergleich beteiligte Krankenhaus haftet für die Schmerzensgeldansprüche des Klägers im Innenverhältnis zu den bei ihm angestellten Ärzten allein, weil es die Ärzte als Arbeitgeber aus arbeitsrechtlichen Fürsorgegesichtspunkten von Ansprüchen des Geschädigten freizustellen hat. Das Krankenhaus konnte daher nur unter der Voraussetzung Interesse am Abschluss des Vergleichs im Vorprozess haben, dass es durch ihn zugleich vor dem Risiko bewahrt wurde, ein weiteres Mal im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs gem. § 426 BGB von den bei ihm angestellten Ärzten in Anspruch genommen zu werden, wodurch der Vergleich hinfällig würde. Der Umstand, dass das Krankenhaus im Ergebnis allein für die Schuld einzustehen hat, ist deshalb ein gewichtiges Indiz für eine beabsichtigte Gesamtwirkung des Vergleichs. Diese Interessenlage war auch für den Kläger erkennbar. Die gewünschte Gesamtwirkung kam in der Formulierung des Beklagtenvertreters in dessen Schriftsatz vom 31.05.2017 zum Ausdruck, der gerichtliche Einigungsvorschlag zur Abgeltung „sämtlicher Ansprüche des Klägers aus dem dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Lebenssachverhalt…“ werde angenommen. Damit wären auch Ansprüche gegen die handelnden Ärzte ausdrücklich umfasst gewesen. Die Klägervertreterin hat sodann in dem von ihr verfassten Vergleichstext die Formulierung „zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus diesem Rechtsstreit“ gewählt und damit Ansprüche gegen die nicht am Prozess beteiligten Ärzte ausgenommen, ohne jedoch auf diesen inhaltlichen Unterschied in irgendeiner Weise einzugehen. Es ist deshalb anzunehmen, dass der Wortlaut rein zufällig und nicht aus sachlichem Grund geändert wurde. Aus der Sicht des Klägers als juristischem Laien lag es bei natürlicher Betrachtungsweise nahe, dass das Krankenhaus durch den Vergleich die Ansprüche aus der Behandlung nach Rücksprache mit dem Versicherer abschließend regeln wollte und die Vergleichsparteien dabei eine spätere Inanspruchnahme der Ärzte persönlich nicht in Betracht gezogen haben. Das ergibt sich auch aus der im Vergleich enthaltenen Klausel „zur Abgeltung aller Ansprüche…, seien sie bekannt oder unbekannt, vorhersehbar oder nicht“.

Aus diesem Grund steht auch kein schutzwürdiges Interesse des Klägers daran, sich über die Vergleichssumme hinaus an den Beklagten als weiteren Gesamtschuldnern schadlos zu halten, der Gesamtwirkung des Vergleichs entgegen. Denn der Behandlungsfehlervorwurf, den er im Vorprozess formal gegenüber dem Krankenhaus erhoben hat, traf sachlich von vornherein ausschließlich die hier verklagten Ärzte. Die Entscheidung, zunächst einen Prozess nicht gegen diese, sondern gegen das Krankenhaus zu führen, kann unterschiedliche Gründe gehabt haben, etwa, dass das Krankenhaus auch vertraglich haftet; dass es für den Fall einer Verurteilung als solventer und zahlungswilliger Schuldner eingeschätzt wurde; dass es Schwierigkeiten bereiten kann, die an der Behandlung beteiligten Ärzte zu bestimmen; dass diese als Zeugen in Betracht kommen könnten. Eine sachlich begründete Unterscheidung zwischen Ansprüchen gegen das Krankenhaus einerseits und die behandelnden Ärzte andererseits, die es rechtfertigen könnte, gegen beide getrennt und mit unterschiedlicher Angriffsrichtung vorzugehen, hat der Kläger jedenfalls nicht dargelegt. Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich, da sämtlichen Ansprüchen ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde liegt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.

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