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Gynäkologenhaftung bei verspäteter Diagnose eines Mammakarzinoms

OLG Koblenz – Az.: 5 U 278/14 – Beschluss vom 04.07.2014

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 12.02.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.

Der Rechtsmittelstreitwert beträgt 50.000 €.

Gründe

Gynäkologenhaftung bei verspäteter Diagnose eines Mammakarzinoms
Symbolfoto: Von Kzenon /Shutterstock.com

Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem Senatsbeschluss vom 11.06.2014. Dort hat der Senat mitgeteilt:

„1. Die Klägerin befand sich in der gynäkologischen Behandlung des Beklagten. Dieser erstellte am 30. Juni 2009 die Verdachtdiagnose eines rechtsseitigen Mammakarzinoms, die nachfolgend radiologisch und histologisch bestätigt wurde. Daraufhin wurde eine Ablatio erforderlich, der sich eine Chemotherapie und eine Strahlenbehandlung anschlossen.

Nach dem Vorbringen der Klägerin hätte der Beklagte weit früher zu seinem Befund gelangen können und müssen, so dass die Brust noch zu retten gewesen wäre. Er habe die Dinge langfristig verharmlost und dabei eine ausreichend breite Diagnostik versäumt.

Die Klägerin hatte den Beklagten mehrfach wegen Brustproblemen konsultiert. Ihrem schriftsätzlichen Vortrag zufolge war dies vor dem 30. Juni 2009 sechsmal, nämlich im Januar oder Februar 2008, im April oder Mai 2008, im Sommer 2008, im Oktober 2008, im Februar 2009 und am 8. Mai 2009 geschehen. Demgegenüber hatte es nach dem auf die Praxisdokumentation gestützten Angaben des Beklagten nur vier Besuche – am 8. November 2007, am 13. Juni 2008, am 20. Februar 2009 und am 8. Mai 2009 – gegeben, ohne dass es dabei stets um eine Brustsymptomatik gegangen sei. Die Zahl von lediglich vier Terminen ist dann auch von der Klägerin im Rahmen einer persönlichen Anhörung genannt worden.

Folgt man der Klägerin, wurde sie jeweils mit dem Hinweis vorstellig, in der rechten Brust eine Geschwulst gefühlt zu haben. Der Beklagte habe dann jedoch seinerseits stets fälschlich einen negativen Tastbefund erhoben und daraufhin nichts weiter mit Blick auf ein mögliches Karzinom unternommen. Nach der Darstellung des Beklagten war bei den Untersuchungsterminen vor dem 30. Juni 2009 keine relevante ertastbare Geschwulst vorhanden. Davon habe er sich am 8. November 2007, am 13. Juni 2008 und am 20. Februar 2009 überzeugt; am 8. Mai 2009 habe keine Veranlassung zu einer entsprechenden Kontrolle bestanden, weil die Klägerin ausschließlich mit Problemen in ihrem Zyklus vorstellig geworden sei. Aus seiner Sicht wäre das Karzinom auch durch zusätzliche diagnostische Maßnahmen seinerzeit nicht aufzuspüren gewesen. Selbst wenn dies möglich gewesen wäre, hätte sich die Ablatio nicht vermeiden lassen.

Das Landgericht hat das Verlangen der Klägerin, den Beklagten zu einer Schmerzensgeldzahlung von mindestens 40.000 € zu verurteilen und dessen weitergehende Haftung festzustellen, nach der Anhörung der Parteien und der Erhebung von Sachverständigenbeweis abgewiesen. Der Beklagte habe, indem er sich wiederkehrend auf eine palpatorische Befunderhebung beschränkt habe, ärztlich vertretbar gehandelt. Die Klägerin sei keine besondere Krebsrisikopatientin gewesen, und ihre subjektive Beurteilung der Verhältnisse habe keine maßgebliche Indikation für ein Karzinom dargestellt.

Das greift die Klägerin in Erneuerung ihres Verlangens mit der Berufung an. Sie hält den Vorwurf diagnostischer Versäumnisse aufrecht und lastet dem Beklagten dabei ein nach den Gesamtumständen grob fehlerhaftes Verhalten an.

2. Damit vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Es verbleibt bei der erstinstanzlichen Entscheidung; ein Pflichtverstoß des Beklagten ist nicht festzustellen. Das gilt auch, wenn man der mit der Berufung erneuerten, streitigen Sachverhaltsschilderung folgt, es hätten vor dem 30. Juni 2009 insgesamt sechs Untersuchungstermine stattgefunden, bei denen die Besorgnis der Klägerin im Vordergrund gestanden habe, dass es in ihrer rechten Brust eine pathologische Geschwulst gebe.

Die Klägerin hat nämlich auch vorgetragen, dass der Beklagte durch diese Besorgnis regelmäßig veranlasst worden sei, die Brust abzutasten, um den von ihr geäußerten Verdacht zu verifizieren. Das Prüfungsergebnis war jeweils negativ. Dass das auf einer verfehlten Palpation beruht hätte, macht die Berufung nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich. Allerdings beanstandet die Klägerin, dass es der Beklagte bei dem erfühlten Befund belassen und trotz der von ihr geklagten, über mehr als ein Jahr gleichartigen Symptomatik keine weiterführende Diagnostik im Sinne einer Mammographie oder auch ergänzend einer histologischen Untersuchung eingeleitet habe. In dieser Unterlassung lag jedoch kein haftungsträchtiges Versäumnis. Insoweit beurteilt der Senat die Dinge nicht anders als das Landgericht. Der erstinstanzlich befragte Sachverständige Dr. D. hat nämlich im Rahmen seiner Anhörung dazu ausgeführt:

„Das Tastprinzip ist unzulänglich, aber es ist die Grundlage des Vorsorgesystems. … Wenn Brustuntersuchungen erfolgt sein sollten bei jedem Arztbesuch, wäre der Beklagte im System verblieben, wenn er, bei jeder Untersuchung einen unauffälligen Tastbefund zugrundelegend, die Klägerin nicht zur Mammographie überwies. … Wenn ein Arzt unter diesen Voraussetzungen quasi im System beharrt, würde ich das nicht als Behandlungsfehler, geschweige denn als grober Behandlungsfehler ansehen. Ich bleibe dabei, dass ich es als Facharzt für Gynäkologie für vertretbar halte, auch dann von einer Mammographie Abstand zu nehmen, wenn die Klägerin … die Problematik des von ihr erhobenen Tastbefunds an der rechten Brust dem Beklagten gegenüber als Beschwerde geäußert hat.“

Dazu hat der Sachverständige in anderem Zusammenhang erläutert:

„Es kann … durchaus so sein und ist auch öfter so, dass eine Patientin kommt und glaubt, etwas Auffälliges in der Brust ertastet zu haben, was sich für einen erfahrenen Facharzt der Gynäkologie als nicht pathologischer Tastbefund herausstellt. … Ich habe … auch eine eigene Sprechstunde und dort passiert es mir regelmäßig, etwa ein- bis zweimal die Woche, dass Patientinnen kommen und glauben, etwas Auffälliges ertastet zu haben, was ich aber als nicht pathologischen Tastbefund einschätze.“

Schmerzen, auf die die Klägerin den Beklagten ihrer Darstellung nach hinwies, hat der Sachverständige nicht als wegweisendes Anzeichen erachtet. Schmerzen seien nicht typisch für einen bösartigen Tumor, solange dieser noch nicht hinreichend benachbartes Gewebe angegriffen habe. Auch gutartiges Gewebe könne schmerzempfindlich auf Druck reagieren. Insbesondere sei eine Schmerzhaftigkeit des Brustmuskels, wie sie der Beklagte bei der ersten Konsultation durch die Klägerin diagnostiziert habe, kein Indiz für ein Mammakarzinom. Zu der des Weiteren von der Klägerin für April oder Mai 2008 behaupteten Rötung hatte Dr. D. in seinem schriftlichen Gutachten vom 19. November 2012 bemerkt:

„Die Rötung der Brust wurde … nirgends dokumentiert. Bei der Inspektion … der Brust (im Krankenhaus im Sommer 2009) wurde folgender Befund erhoben: … keine Hautphänomene … Es ist daher davon auszugehen, dass, selbst wenn eine Rötung der Brust im Jahr zuvor vorgelegen haben soll, diese nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit dem Brustkrebs auftrat.“

Das alles hat anlässlich der Anhörung des Sachverständigen zu der abschließenden Erkenntnis geführt, das nach der Befundlage der vor dem 30. Juni 2009 durchgeführten Untersuchungen eine ergänzende Diagnostik nicht geboten war. Freilich hat Dr. D. dabei eingeräumt, dass der Beklagte „zur Sicherheit und Absicherung der Patientin“ eine weitere Abklärung hätte vornehmen können. Aber diesen Weg habe der Beklagte nicht zu gehen brauchen. Nach der durch die Sozialgesetzgebung bestimmten herrschenden Auffassung habe keine Indikation dafür bestanden. Damit gibt es keine tragfähige Grundlage dafür, dem Beklagten einen Verschuldensvorwurf zu machen.

3. Nach alledem sollte die Klägerin erwägen, ihr Rechtsmittel aus Kostengründen zurückzunehmen.“

Die Klägerin hat dagegen nichts erinnert, so dass die Berufung zurückzuweisen war.

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