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Arzthaftung – Erstattung von Beerdigungskosten

OLG Oldenburg – Az.: 5 U 139/17  – Urteil vom 20.12.2017

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.07.2017 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits (einschließlich der Berufung) werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Der Durchsetzbarkeit des von dem Landgericht zugesprochenen Schadensersatzanspruch von 4.618,71 € zuzüglich Zinsen wegen der Beerdigungskosten, der richtigerweise auf § 844 Abs. 1 BGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen des Landes Niedersachsen (BestattG) zu stützen wäre, steht gemäß § 214 Abs. 1 BGB die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen.

Der geltend gemachte Anspruch verjährt gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB in 3 Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der ersatzberechtigte Geschädigte von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Einstandspflichtigen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Die hiernach maßgebende Kenntnis der Klägerin lag bereits im Jahr 2010 vor, sodass mit Ablauf des Jahres 2013 Verjährung eintrat. Die Einreichung bzw. die Zustellung der Klage erfolgte aber erst am 16.08.2016 bzw. 15.09.2016.

Die Verjährungsfrist beginnt dann zu laufen, wenn dem Geschädigten oder seinem gesetzlichen Vertreter bei seinem Wissens- und Kenntnisstand die Erhebung einer Schadensersatzklage gegen eine bestimmte Person – sei es auch nur in Form der Feststellungsklage – zumutbar ist (vgl. BGH NJW 2017, 949 m.w.N.).

Die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen ist hierbei nicht schon dann zu bejahen, wenn dem Patienten bzw. dem Anspruchsberechtigten der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist; der Patient bzw. der Anspruchsberechtigte muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolgs schließen können, wozu er nicht nur die Einzelheiten des ärztlichen Tuns oder Unterlassens bzw. die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen muss, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren; zur Kenntnis der den Anspruch begründenden Tatsachen gehört insofern das Wissen, dass sich in dem Misslingen der ärztlichen Tätigkeit das Behandlungs- und nicht das Krankheitsrisiko verwirklicht hat. Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Patienten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Arztes oder auf die Ursache dieses Verhaltens für einen Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2009 – VI ZR 247/08 = VersR 2010, 214; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. V 22 f jeweils m.w.N.). Dazu muss der Patient über den Behandlungsverlauf, eingetretene Komplikationen und das Abweichen vom ärztlichen Standard so viel wissen, dass ihm bei zutreffender medizinischer und rechtlicher Subsumtion ohne weitere Ermittlung etwa bisher verborgener Fakten eine Einschätzung der Prozessaussichten möglich ist. Es kommt insoweit allerdings nicht darauf an, ob der geschädigte Patient selbst zu einer solchen Beurteilung der ihm bekannten Tatsachen in der Lage ist, geschweige denn darauf, dass er subjektiv auch zu der „Erkenntnis“, „sicheren Überzeugung“ oder auch nur zu einem „Verdacht“ gekommen ist, der Arzt habe fehlerhaft gehandelt (vgl. BGH NJW 1984, 661). Eine Gewissheit ist für eine Kenntnis nicht erforderlich. Der Verjährungsbeginn setzt ebenso nicht voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand hat, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. BGH NJW 2001, 885). Es muss dem Patienten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit eines schadensursächlichen ärztlichen Fehlverhaltens (vgl. BGH NJW 2017, 949 m.w.N.).

Die hiernach maßgebende Kenntnis hat bei der Klägerin Ende des Jahres 2010 vorgelegen.

Bereits in ihrem Schreiben vom 13.11.2010 hat die Klägerin den letztlich von dem Sachverständigen Dr. L. bestätigten Vorwurf der fehlerhaften Behandlung erhoben, nämlich, dass man es unterlassen habe, den verstorbenen Ehemann in die Dermatologie bzw. bei Verschlechterung seines Zustandes auf die Intensivstation zu verlegen und dass deshalb die Antibiotikatherapie verspätet begonnen worden sei. Sie hat ausgeführt, es sei versäumt worden, ihren Ehemann frühzeitig auf die Intensivstation zu verlegen und dort zu überwachen, die Symptome einer Sepsis seien übersehen worden und somit viel zu spät angemessene Maßnahmen zu derer Eindämmung eingeleitet worden. Dabei ergibt sich daraus, dass die Klägerin des Weiteren ausführt, für sie stelle es sich heute so dar, dass der Tod ihres Ehemannes hätte verhindert werden können, wenn der diensthabende Arzt seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht nachgekommen wäre, dass sie von einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse ausging. Die Klägerin hat bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren am 09.12.2010 ebenfalls angegeben, es sei ihrer Ansicht nach versäumt worden, ihren Ehemann frühzeitig und rechtzeitig auf die Intensivstation zu verlegen, er hätte dort überwacht werden müssen und die Symptome der Sepsis hätten genauer analysiert werden müssen; ihrer Ansicht nach seien viel zu spät angemessene Maßnahmen zur Eindämmung der Sepsis eingeleitet worden; vielleicht hätte auch eine Verlegung in die Hautklinik gereicht. Die Klägerin hat insofern ausdrücklich ihre Meinung wiederholt, dass der diensthabende Arzt seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht hätte nachkommen müssen, d.h. ihrer Ansicht nach der diensthabende Arzt seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist.

Obgleich – wie bereits ausgeführt worden ist – vom Patienten keine rechtlichen Schlussfolgerungen erwartet werden können und die Anforderungen an seine Kenntniserlangung nicht überspannt werden dürfen, ergibt sich aus den vorgenannten Angaben der Klägerin deutlich, dass sie ein klares Fehlverhalten der Beklagten angenommen hat und dies auf die unterlassene Verlegung und verzögerte Einleitung therapeutischer Maßnahmen bezogen auf die ihr bekannte Hauterkrankung bzw. Sepsis gestützt hat. Die Klägerin kannte alle maßgebenden Fakten, d.h. den gesamten Behandlungsablauf, sodass sie hieraus den Schluss ziehen konnte, dass die Beklagte eine dem ärztlichen Standard entsprechende Behandlung versäumt hatte und dies Ursache für das Versterben ihres Ehemanns gewesen ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der Ausführungen des BGH im Urteil vom 23.04.1985 – VI ZR 207/83 – (VersR 1985, 740). Denn anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall haben sich im Streitfall aus den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholten fachärztlich-dermatologischen Gutachten und internistischen Gutachten keine weiteren Behandlungsvorwürfe bzw. keine weiteren tatsächlichen Hinweise darauf ergeben, dass im Haus der Beklagten bei der Durchführung der Behandlung Fehler unterlaufen sein könnten. Die Klägerin erhielt durch die eingeholten Gutachten keine Kenntnis von ihr bislang nicht bekannten Tatsachen, die auf einen schadensursächlichen Fehler und etwaige Versäumnisse bei der Behandlung im Haus der Beklagten hindeuten könnten, oder von Tatsachen, die ihr bis dahin nicht ausreichend schienen, gegen die Beklagte gerichtlich vorzugehen. Die Einschätzung der Klägerin, der diensthabende Arzt sei seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht schuldhaft nicht nachgekommen, hat sich – im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem Urteil des BGH vom 23.04.1985 zugrunde lag – im vorliegenden Fall gerade nicht durch die spätere Kenntnis weiterer Umstände der Behandlung bzw. des Behandlungsverlaufs so verstärkt, dass danach mit einiger Aussicht auf Erfolg geklagt werden konnte. Es sind durch die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eingeholten Gutachten keine zusätzlichen Anhaltspunkte für ein behandlungsfehlerhaftes Verhalten im Haus der Beklagten zutage getreten, von denen die Klägerin nicht schon im Jahr 2010 Kenntnis hatte. Vielmehr hatte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt schon die notwendige Tatsachenkenntnis, um einen Schadensersatzprozess erfolgreich, wenn auch nicht risikolos zu führen. Wie bereits ausgeführt worden ist, ist nur die entsprechende Tatsachenkenntnis relevant, nicht hingegen deren zutreffende rechtliche und medizinische Einordnung. Die für die Tatsachenkenntnis maßgebenden Umstände, aus denen sich ein vom ärztlichen Standard abweichendes Verhalten ergibt, kannte die Klägerin in dafür hinreichender Form bereits Endes des Jahres 2010. Diese Kenntnis hat die Verjährungsfrist in Gang gesetzt.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, erst nach Vorlage des im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L die erforderliche Kenntnis gehabt zu haben. Eine Gewissheit, die die Klägerin erst dadurch erlangt haben will, ist für eine Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 BGB gerade nicht erforderlich (vgl. BGHZ 145, 358).

Auch muss der Patient – wie bereits ausgeführt worden ist – keineswegs hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.05.2016 – 1 U 121/15 –, juris unter Verweis auf BGH, Urteil vom 06.032.008 – XI ZR 319/06 –, juris; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. V 19). Denn § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt nur eine solche Kenntnis, die es dem Gläubiger ermöglicht, aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos, eine Klage zu erheben. Aussichtsreich ist eine solche Klage aber nicht erst, wenn ein Behandlungsfehler konstatierendes Gutachten vorliegt. An die Darlegungsanforderungen eines Patienten im Arzthaftungsprozess sind aufgrund des Wissensgefälles zum Arzt nur maßvolle Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.05.2016 – 1 U 121/15 –, juris unter Verweis BGHZ 159, 245, BGH NJW 2016, 1328). Damit einhergehend kann sich der Patient dann aber im Rahmen der Verjährungsfrage, gleichsam spiegelbildlich zur eingeschränkten Darlegungslast, nicht mit Erfolg darauf berufen, er sei zur Erlangung hinreichender Kenntnis auf Feststellungen eines Gutachters angewiesen; einen hinreichenden substantiierten Tatsachenvortrag im Rahmen einer (Feststellungs-)Klage kann er grundsätzlich ohne Gutachten halten (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.05.2016 – 1 U 121/15 –, juris).

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass lediglich der Beginn der Verjährungsfrist festgelegt wird und innerhalb dieser 3 Jahre Zeit verbleibt, sich etwa durch die Kontaktierung weiterer Ärzte, die Einschaltung der Gutachterkommission oder der Beauftragung von Privatgutachtern die gewünschte Sicherheit zu verschaffen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.05.2016 – 1 U 121/15 –, juris).

Eine entgegenstehende Äußerung eines Arztes oder medizinischen Sachverständigen, die bei der Klägerin gegebenenfalls maßgebende Zweifel hätte hervorrufen können, hat es vorliegend nicht gegeben (vgl. hierzu OLG Koblenz, Urteil vom 14.07.2011 – 5 U 223/11 -, juris, Rn. 20). Solche haben sich insbesondere nicht aus dem Obduktionsbericht des Instituts für Rechtsmedizin der …., vom 07.02.2011 oder dem fachärztlich-dermatologisches Gutachten des Prof. Dr. W vom 01.12.2012 ergeben. Der Obduktionsbericht des Instituts für Rechtsmedizin der …, …. vom 07.02.2011 ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ein septisch-toxisches Herz-Kreislaufversagen infolge einer klinisch diagnostizierten Staphylokokkensepsis als Todesursache in Betracht komme; inwieweit das diagnostisch-therapeutische Management anlässlich des stationären Krankenhausaufenthalts im Bundeswehrkrankenhaus … gegebenenfalls zu beanstanden sei, bleibe einer Beurteilung aus dem dermatologischen Fachgebiet unter Auswertung der Behandlungsunterlagen vorbehalten. Das daraufhin eingeholte fachärztlich-dermatologisches Gutachten des Prof. Dr. W vom 01.12.2012 ist zu dem Ergebnis gekommen, es könne nicht zwingend gefolgert werden, dass ein septisches Geschehen, induziert über eine unzulänglich behandelte bakteriell verursachte Hauterkrankung, zum Tode geführt habe. Seitens der behandelnden Ärzte sei aufgrund der angeordneten Konsile bis zum 27.10.2010 kein Vorwurf zu erheben, dass die Hauterkrankung nicht ernst genommen worden sei. Mit Bezug auf das dermatologische Krankheitsbild sei kein Anhalt auf ein fahrlässiges Verhalten seitens der behandelnden Ärzte zu sehen. Überdies ist in dem Gutachten ausgeführt, dass durch einen nicht-dermatologischen Fachgutachter geklärt werden sollte, ob es angesichts der Konstellation und des generellen Verlaufs unabhängig von der Hautkrankheit (febrile Temperatur bei einem wegen Diabetes mellitus infektanfälligen Patienten mit multiplen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Komplikationen) notwendig gewesen wäre, den Patienten ex juvantibus, d.h. ohne Nachweis von Keimen, antibiotisch zu behandeln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

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