OLG Koblenz – Az.: 5 U 1427/13 – Urteil vom 23.04.2014
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 08. November 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Wegen einer „Fistelbildung nach zweimaliger Bartholinischer Zystenentfernung“ wurde die Klägerin vom 27. Juli 2009 bis zum März 2010 im Krankenhaus der Beklagten, dort überwiegend von Prof. Dr. X, operativ (am 06.08.2009 und am 05.11.2009), stationär und ambulant behandelt.
Nach einem anderenorts im August 2010 durchgeführten plastischen Fistelverschluss gelang die Ausheilung des entzündlichen Geschehens im Laufe des Jahres 2011.
Die Klägerin hat in erster Instanz den für die Beklagte handelnden Personen, insbesondere Prof. Dr. X, vorgeworfen, keine dem medizinischen Standard genügende Fisteldiagnostik betrieben zu haben. Wären die notwendigen Untersuchungen, ein Becken-MRT, eine Endosonographie und eine Proktoskopie durchgeführt worden, wäre die innere Öffnung der Fistel zum Rektum hin erkannt worden. Infolge dieser Versäumnisse habe sie bis ins Jahr 2011 hin unter lang andauernden physischen und psychischen Beeinträchtigungen gelitten. Sie hat deshalb, jeweils zu verzinsende, immaterielle (15.000 €) und materielle Schäden (26.552,11 €), die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und die Feststellung einer weiteren Ersatzpflicht der Beklagten begehrt (Anträge 09, 172, 306, 325 GA).
Das Landgericht hat, zweifach sachverständig beraten, die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass weder den Mitarbeitern der Beklagten noch Prof. Dr. X Behandlungsfehler vorzuwerfen seien. Prof. Dr. X habe sich zu Recht auf die andernorts durchgeführte MRT-Untersuchung sowie seine eigenen Befunderhebungen verlassen. Dementsprechend habe er nicht davon ausgehen müssen, dass eine durchgängige Verbindung zwischen der Vagina und dem Rektum vorhanden gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt, ihr Vorbringen vertieft und ergänzt (Antrag vom 31.01.2014, 350 GA).
Das Landgericht habe sich nicht genügend mit dem von ihr privat eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. Kr. auseinandergesetzt. Vor der ersten Operation am 06.08.2009 sei die Durchführung einer Proktoskopie erforderlich gewesen, die der Privatsachverständige als „Goldstandard“ bezeichnet habe. Bei einer solchen Untersuchung durch einen erfahrenen Proktologen wäre festgestellt worden, dass der Fistelgang das Rektum erreicht habe. Ebenso fehlerhaft sei die am 01.10.2009 zunächst angeordnete MRT-Untersuchung unterlassen worden. Diese wäre trotz ihrer Klaustrophobie möglich gewesen, wenn man sie genügend sediert hätte. In der Klinik der Beklagten habe man auch nicht genügend auf die von ihr bis zum März 2010 geäußerten Schmerzen und Beschwerden reagiert. Insgesamt sei die Einholung eines weiteren Gutachtens geboten.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 17.03.2014.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, die in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten, die Sitzungsniederschrift vom 27.09.2013 sowie die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze.
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht festgestellt, dass der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, weder aus Vertrag noch aus unerlaubter Handlung, Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen. Auf die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen sowie die zutreffende Würdigung der Beweisergebnisse im angefochtenen Urteil, die sich auch hinreichend mit dem Privatgutachten Dr. Kr. auseinandersetzen, sowie die Ausführungen in der Berufungserwiderung nimmt der Senat umfassend Bezug (§ 540 ZPO).
Zu den Rechtsmittelangriffen der Klägerin ist auszuführen:
1. Grundsätzlich muss der Patient die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geklagten Gesundheitsschaden darlegen und beweisen. Dies gilt sowohl für den Vorwurf eines Diagnosefehlers als auch den eines Fehlers in der Befunderhebung (BGH, MedR 2004, 107 mit zahlreichen Nachweisen). Sieht ein Arzt von einer unzutreffenden Diagnose ausgehend von weiteren Befunderhebungen ab, so kommt es für die Abgrenzung zwischen Befunderhebungs- und Diagnosefehler darauf an, ob der Schwerpunkt des vorwerfbaren Verhaltens in der fehlerhaften Diagnose oder in der unterlassenen Erhebung weiterer Befunde zur Absicherung der Diagnose liegt (OLGR Schleswig 2009, 296; OLG München, AHRS 1876/326, Urteil vom 12.4.2007, 1 U 2267/04, zitiert nach juris).
Ausgehend vom unstreitigen Sachverhalt und dem Vorbringen der Klägerin sieht der Senat den Schwerpunkt des Vorwurfs in einer nicht genügenden Befunderhebung, die den Blick auf eine möglicherweise gegebene Öffnung der Fistel zum Rektum hin verstellt haben könnte. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiserhebung, dem sich der Senat anschließt, ist dieser Vorwurf aber nicht gerechtfertigt.
Als die Klägerin am 27.07.2009 erstmals die Universitäts-Frauenklinik der Beklagten aufsuchte, diagnostizierte Prof. Dr. X eine Fistelbildung mit Eiterentleerung. Klinisch palpatorisch konnte er eine eindeutige Verbindung zwischen Fistelkanal und Rektum nicht ertasten. Zur Sicherheit wurden vor der Durchführung des geplanten operativen Eingriffs die MRT-Untersuchung des Beckens, die Blaufüllung zu Beginn der Fistelentfernung sowie eine Rektoskopie empfohlen.
Zu Beginn der am 06.08.2009 durchgeführten Operation lagen Prof. Dr. X das am 04.08.2009 angefertigte MRT und der Befundbericht des Radiologen Dr. Ke. vor, in dem ausgeführt ist:
„Befund: 3 x 5 mm messende Zyste am Introitus vaginae links. Hiervon deutlich entfernt an der hinteren Zirkumferenz des Introitus paramedian links zeigt sich eine längliche KM-aufnehmende Struktur, die zur Rektumwand zieht. Hier keine Flüssigkeitsansammlung. Bis 5 mm messende Zysten an der Portio (Ovula Nabothi). Etwas freie Flüssigkeit im Douglasschen Raum. Übrige Beckenorgane ohne Besonderheiten. Kein Nachweis vergrößerter Lymphknoten.
Beurteilung: Es ist der mutmaßliche Fistelgang noch zu sehen, gegenwärtig nicht gefüllt, ev. (teilweise) zugranuliert. Eine Narbe würde ähnlich aussehen. Ein Verhalt oder verästelte Fistelgänge sind nicht nachzuweisen.“
Diesen Befund deutete Prof. Dr. X nach Auffassung des gerichtlich beauftragten, gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. K. vertretbar als eine längliche, Kontrastmittel aufnehmende Struktur, die zur Rektumwand zieht, und dass eine Verbindung zum Rektum nicht dargestellt wird. Darauf, dass der radiologische Sachverständige Prof. Dr. M. in seinem Gutachten ausführt, bei dieser MRT-Untersuchung sei die Fistel nicht übersehen worden, der dahingehende Vorwurf sei unbegründet, kommt es nicht an. Entscheidend ist für den Senat, dass der Befund des Radiologen Dr. Ke., worauf Prof. Dr. K. zu Recht hinweist, eine Information dahin, dass die Fistel in das Rektum hineinreicht, nicht enthält. Dies räumt letztlich der radiologische Sachverständige Prof. Dr. M. ein, wenn er ausführt, die Fistel sei eindeutig gesehen worden in ihrer Ausdehnung bis zum Rektum, der tatsächliche Beweis ihrer Offenheit sei letztlich nur in einer dynamischen Untersuchung mit Fistelfüllung zu erbringen.
Prof. Dr. K. hat daher anlässlich seiner Anhörung beim Landgericht zu Recht darauf beharrt, dass der Operateur Prof. Dr. X am 06.08.2009 davon ausgehen durfte, dass der Fistelgang nur bis zur Rektumwand und nicht in diese hinein reiche. Auf die Richtigkeit des anderenorts erhobenen MRT-Befundes durfte Prof. Dr. X vertrauen (vgl. Senat in MedR 2014, 166), zumal er intraoperativ eine Farbstofffüllung des Rektums vornahm, die eine mögliche Fistelverbindung zum Enddarm ausschloss und sowohl nach Auffassung des gynäkologischen als auch das radiologischen Gutachters geeignet gewesen wäre, einen Offenheit der Fistel zum Rektum hin zu erweisen.
Der Senat ist daher mit dem Landgericht und dem gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. K. der Auffassung, dass Prof. Dr. X eine ausreichend Befunderhebung vor der Operation am 06.08.2009 vornahm. Sollte tatsächlich eine Verbindung der Fistel zum Rektum damals bereits bestanden haben (was für den Senat nicht geklärt ist), so beruhte diese als unzutreffend unterstellte, nicht vorwerfbare Diagnose nicht auf einem Befunderhebungsfehler.
Die Klägerin rügt, das Landgericht habe sich nicht mit der Auffassung des (Privat-) Sachverständigen Dr. Kr. auseinandergesetzt, wonach es „Goldstandard“ sei, durch eine Rektoskopie (Proktoskopie) zu überprüfen, ob eine innere Öffnung der Fistel zum Rektum bestehe. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat hierzu ausgeführt, dass genitale Fisteln in ihrer Ausdehnung schwierig zu diagnostizieren seien und in der Proktoskopie häufig nicht zur Darstellung gelangten. Insbesondere kleine Fisteln könne man in der Proktoskopie nicht erkennen, hier sei das MRT dem Proktoskop eindeutig überlegen. Schließlich habe Prof. Dr. X durch die Blaufüllung eine Fistelverbindung zum Enddarm ausgeschlossen.
Die Berufungserwiderung weist ergänzend darauf hin, dass bei nämlichem radiologischem Befund gleichwohl bei der später am 18.03.2010 durchgeführten Rektoskopie eine Verbindung ins Rektum nicht dargestellt wurde. Von daher ist überhaupt nicht wahrscheinlich, dass eine vor der Operation am 06.08.2009 durchgeführte Rektoskopie einen Anhalt für eine solche Fistelöffnung ergeben hätte, es steht noch nicht einmal fest, dass eine solche tatsächlich bestand.
2. Auch das Unterlassen einer MRT-Untersuchung am 01.10.2009 begründet nicht den Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers.
Hierzu haben die gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. M. (Radiologe) und Prof. Dr. K. (Gynäkologe) übereinstimmend festgestellt, dass am 02.10.2009 eine Fistelfüllung durchgeführt wurde, die eine entzündliche Weichteilhöhle darstellte und einen Fistelgang vermuten ließ. Ein eindeutiger Anschluss an das Rektum sei nicht dokumentiert. Das spätere Ergebnis der Rektoskopie vom 18.03.2010 spreche dafür, dass die Fistelfüllung am 02.10.2009 technisch korrekt durchgeführt worden sei und sich lediglich eine Verbindung ins Rektum nicht habe darstellen lassen. Zwar habe man die zusätzliche Durchführung einer Proktoskopie diskutieren können, ihr Verzicht hierauf sei jedoch medizinisch vertretbar gewesen.
Letztlich muss offen bleiben, ob überhaupt zu diesem Zeitpunkt eine Öffnung der Fistel zum Rektum bestand. Denn die viel später, am 18.03.2010, durchgeführte Rektoskopie ergab dafür keinen Anhalt und auch der (Privat-) Sachverständige Dr. Kr. musste letztlich einräumen: „Natürlich steht nicht fest, dass zum Zeitpunkt der Operation eine innere Fistelöffnung bestanden hat“.
Gelang aber weder bei der Operation am 06.08.2009 durch Blaufüllung der Fistel noch durch Gabe eines Kontrastmittels am 02.10.2009 noch durch die Rektoskopie am 18.03.2010 der Nachweis einer Öffnung der Fistel zum Rektum hin, so ist jedenfalls nicht wahrscheinlich, dass auch unter Anwendung einer maximalen Diagnostik bei den Eingriffen am 06.08.2009 bzw. am 05.11.2009 bzw. während der Behandlungsdauer bei der Beklagten eine Verbindung zum Rektum hin bestand, die nachweisbar gewesen wäre.
3. Auch während der weiteren Behandlung bei der Beklagten bis zum März 2010 sind Behandlungsfehler nicht vorgekommen. Den Nachweis solcher Versäumnisse hat das Landgericht auf Seiten 9 bis 11 seines Urteils zutreffend als nicht erwiesen erachtet. Hierauf nimmt der Senat statt Wiederholung Bezug. Dabei hat das Landgericht auch die Aufzeichnungen der Klägerin ausführlich gewürdigt. Die Berufungsbegründung zeigt nicht auf, aufgrund welcher konkreten Sachverhalte, Beschwerdenangaben der Klägerin, Befunderhebungen und Behandlungen durchzuführen gewesen wären, die einen günstigeren Heilungsverlauf zur Folge gehabt hätten. Derartige, entzündliche Geschehen (Fisteln mit Eiteraustritt) nehmen sehr häufig einen tragischen, schwer beherrschbaren, für den Erkrankten schmerzlichen und schwerwiegenden Verlauf. Allein daraus lassen sich jedoch Befunderhebungs- und Behandlungsversäumnisse nicht begründen.
4. Das Landgericht hat nach alledem die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung ist mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen.
Gründe die Revision zuzulassen, sind weder dargetan noch sonst erkennbar.