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Aufklärungspflicht vor Implantation einer Hüfttotalendoprothese

OLG Nürnberg – Az.: 5 U 410/11 – Urteil vom 07.10.2011

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27.01.2011, Az.: 4 O 7619/09, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 42.035,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer ihrer Auffassung nach behandlungsfehlerhaft ausgeführten und überdies mangels ausreichender Risikoaufklärung rechtswidrigen Implantation einer zementfreien Hüfttotalendoprothese (TEP) links auf Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflichtig in Anspruch.

Die Klägerin hatte sich bereits im August 2005 in der Klinik B…, deren Träger die Beklagte zu 1. ist, einer Operation an der rechten Hüfte unterzogen; es war eine zementfreie Totalendoprothese eingebracht worden. Komplikationen hatten sich bei diesem Eingriff nicht ergeben. Am 07.09.2007 erfolgte in der Klinik B… eine gleichartige Operation an der linken Hüfte der Klägerin, die vom Beklagten zu 2., einem bei der Beklagten zu 1. angestellten Arzt, durchgeführt wurde; die Voroperation im August 2005 hatte ein anderer Arzt ausgeführt. Am Vortag der Operation, am 06.09.2007, hatte die Klägerin eine Einwilligungserklärung unterzeichnet, nachdem die an der späteren Operation als Assistentin beteiligte Ärztin Dr. U… mit ihr ein Aufklärungsgespräch geführt hatte; in dem Aufklärungsbogen sind als spezielle Risiken des Eingriffes handschriftlich eingetragen „Infektion, Blutung, Gefäß-/Nervenverletzung, Knochenverletzung, Thrombose, Embolie, Beinlängenunterschied, evtl. Fremdblutgabe (HIV, BSE, Hepatitis, Allergie)“. Die Operation selbst verlief jedenfalls nach dem Operationsbericht des Beklagten zu 2. ohne Komplikationen, jedoch wurde alsbald eine Nervenschädigung in Form einer linksseitigen Peronaeusparese festgestellt und im Entlassungsbericht vom 19.09.2007 festgehalten.

Die Klägerin hat zunächst behauptet, bei dem operativem Eingriff vom 07.09.2007 sei der Nervus peronaeus im linken Bein durchtrennt worden, was zu einer – dauerhaften – Fußheberschwäche geführt habe; die Durchtrennung des Nerven stelle einen groben ärztlichen Fehler dar. Auch sei die Klägerin nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden; zum einen sei die Aufklärung nur einen Tag vor dem Eingriff zu spät erfolgt, zum anderen seien die Risikohinweise insoweit unzureichend gewesen, als lediglich auf „Gefäß-/Nervverletzungen“ hingewiesen worden sei. Damit sei nämlich der Klägerin nicht in ausreichender Weise das Risiko des Eintretens einer dauerhaften Fußheberschwäche mit den damit verbundenen Einschränkungen in der Lebensführung vor Augen geführt worden. Die Behandlung der Fußheberschwäche dauere an. Die Klägerin habe dadurch einen Haushaltsführungsschaden sowie einen Verdienstausfall erlitten; ihren Beruf als Köchin könne sie nicht mehr ausüben.

Wegen der erstinstanzlichen gestellten Klageanträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und einen Behandlungsfehler in Abrede gestellt.

Aufklärungspflicht vor Implantation einer Hüfttotalendoprothese
Symbolfoto: Von Shidlovski/Shutterstock.com

Auch das von der Krankenkasse der Klägerin eingeholte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse sei zu diesem Ergebnis gekommen. Das Risiko von Nervschädigungen bei der Durchführung von Hüftgelenksoperationen, insbesondere Implantationen von Totalendoprothesen, sei eine bekannte, nicht mit Sicherheit vermeidbare Komplikation derartiger Eingriffe, im Übrigen werde eine Peronaeusparese bestritten. Die Klägerin sei über dieses Risiko rechtzeitig und in ausreichender Weise aufgeklärt worden.

Aus dem vorgedruckten Text des Aufklärungsbogens ergebe sich die Gefahr auch bleibender Nervenlähmungen. Angesichts bereits vor dem 06.09.2007 geführter Aufklärungsgespräche sowie im Rahmen früherer Operationen erfolgter Risikoaufklärungen wäre die nochmalige Aufklärung über die Risiken des für den 07.09.2007 vorgesehenen Eingriffes bereits „nahezu überflüssig“ gewesen. Unterstellt, es habe an einer ausreichenden Aufklärung gefehlt, werde geltend gemacht, dass die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eine wirksame Zustimmung zu dem konkreten Eingriff erteilt hätte, wofür insbesondere spreche, dass die Klägerin seit dem Jahr 2002 nicht nur eine Hüftgelenksoperation, sondern auch zwei Kniegelenksoperationen in der Klinik B…. habe durchführen lassen, die jeweils gänzlich komplikationslos verlaufen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrages wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S…, der die Klägerin auch persönlich untersucht hat, sowie Vernehmung der Zeugen Dr. D… U…. und J… von S… die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar stehe nach dem eingeholten Gutachten fest, dass es bei der Klägerin intraoperativ zu einer Schädigung des Nervus ischiadicus gekommen sei, woraus sich letztlich die linksseitige Fußheberschwäche ergeben habe, jedoch handele es sich um eine nicht auf einen Behandlungsfehler zurückzuführende operationsimmanente Komplikation. Die Durchführung der Operation habe in sämtlichen Punkten dem Facharztstandard entsprochen. Auch unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsfehlers stünden der Klägerin keine Ansprüche zu. Die Risikoaufklärung sei inhaltlich ausreichend gewesen; die Zeugin Dr. U… habe bekundet, dass sie die Klägerin über die Möglichkeit einer dauerhaften Beinlähmung unterrichtet habe; dieser Hinweise genüge im Hinblick auf die bei der Klägerin tatsächlich eingetretene Fußheberschwäche. Die Zeugin Dr. U… sei glaubwürdig, sie habe den Eindruck außergewöhnlicher Gewissenhaftigkeit vermittelt. Auch inhaltlich sei die Aussage glaubhaft und decke sich mit dem von der Zeugin selbst ausgefüllten Aufklärungsbogen vom 06.09.2007. Auch sei die Aufklärung am Vortag des Eingriffes rechtzeitig erfolgt; die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass sie durch die Aufklärung erst an diesem Tag in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Im Berufungsverfahren verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter.

Zu Unrecht habe das Landgericht einen Aufklärungsfehler verneint. Der Zeuge von S…, der das Aufklärungsgespräch für die erste Hüftgelenksoperation im Jahr 2005 geführt habe, habe sich an Einzelheiten dieses Gespräches nicht mehr erinnern können; seine Ausführungen zu seiner üblichen Aufklärungspraxis seien nicht maßgeblich. Im Übrigen könne von einem Fortwirken dieser zwei Jahre zurückliegenden Aufklärung bis zur zweiten Operation nicht ausgegangen werden. Die Aufklärung durch die Zeugin Dr. U… sei nicht ausreichend gewesen. Das Risiko einer Fußheberparese sei nicht ausdrücklich erwähnt worden; bei der Klägerin sei auch nicht der Ischiasnerv, den die Zeugin angesprochen habe, sondern der Nervus peronaeus verletzt worden. Zudem habe die Zeugin das Risiko der dauerhaften Nervenverletzung verharmlost, im dem sie diesen Risikohinweis mit dem Zusatz versehen habe, solches komme sehr selten vor. Das treffe aber nicht zu; die Verletzung des Nervus peronaeus sei eine der häufigsten und auch folgenreichsten Komplikationen bei Hüftoperationen. Bei zutreffender Unterrichtung über die Häufigkeit solcher Nervschädigungen hätte die Klägerin von der Durchführung der Operation Abstand genommen.

Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:

I. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Aktenzeichen 4 O 7619/09 vom 27.01.2011, zugestellt am 31.01.2011, wird aufgehoben.

II. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 30.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 20.09.2008.

III. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 10.035,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 20.09.2008 zu bezahlen.

IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher aus der fehlerhaften Behandlung vom 07.09.2007 in der Klinik B… – Kommunalunternehmen – entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

V. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.530,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 20.09.2008 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Zu Recht sei das Landgericht zu der Auffassung gelangt, dass den Beklagten nicht nur kein Behandlungsfehler, sondern auch kein Aufklärungsfehler zur Last gelegt werden könne. Aufgrund ihres medizinischen Vorwissens, ihr vermittelt durch frühere Aufklärungsgespräche, sei die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt gar nicht mehr aufklärungsbedürftig gewesen. Die Aussage des Zeugen von S… genüge durchaus, den Inhalt des damals geführten Aufklärungsgespräches nachzuweisen. Dass die Klägerin die seitens des Zeugen von S… gegebene Aufklärung wegen unzureichender Deutschkenntnisse nicht verstanden habe, sei zu bestreiten; die Angaben der Klägerin zu ihren Sprachkenntnissen seien widersprüchlich. Jedenfalls sei die Klägerin durch die Zeugin Dr. U… am 06.09.2007 umfassend aufgeklärt worden.

Eine Verharmlosung sei nicht erfolgt; auch der Sachverständige Dr. S… habe dargelegt, dass sich das Risiko der Peronaeusverletzung nur sehr selten verwirkliche. Auf den bereits erstinstanzlich erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung werde hingewiesen. Vorsorglich würden die Darlegungen der Klägerin zur Schadenshöhe bestritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat den Sachverständigen Dr. T… S… ergänzend angehört, des Weiteren die Klägerin. Auf die Sitzungsniederschrift vom 08.09.2011 wird diesbezüglich verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Der Senat trägt zwar Bedenken, der Auffassung des Erstgerichts zu folgen, dass die Klägerin ausreichend über das Risiko einer dauerhaften Schädigung von Beinnerven aufgeklärt worden ist, doch trifft die Entscheidung des Landgerichts jedenfalls im Ergebnis zu.

1. Die Klägerin hat die Behauptung eines behandlungsfehlerhaften Vorgehens bei dem Eingriff vom 07.09.2007, das für die Schädigung des Nervus peronaeus ursächlich geworden sei, im Berufungsverfahren nicht mehr aufrecht erhalten. Der Senat braucht deshalb nicht zu prüfen, ob das Landgericht einen Behandlungsfehler zu Recht verneint hat. Zwar ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 2 Satz 2 ZPO an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden, also im Rahmen der Berufungsanträge (§ 528 ZPO) zu umfassender Überprüfung verpflichtet. Das gilt aber nur, soweit der zugrunde liegende Streitstoff aufgrund einer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist; dies ist hier hinsichtlich der auf fehlerhafte Behandlung gestützten Ansprüche nicht gegeben, weil die Berufungsbegründung lediglich Ausführungen zur ärztlichen Risikoaufklärung enthält, nicht aber zur Verneinung eines Behandlungsfehlers durch das Erstgericht. Die Berufung hat sich deshalb nicht auf die Frage der Haftung wegen eines Behandlungsfehlers erstreckt (BGH MDR 2007, 599).

2. Das Landgericht hat die der Klägerin durch die Zeugin Dr. U… am Vortag der Operation erteilte Risikoaufklärung für rechtzeitig erfolgt und inhaltlich ausreichend erachtet. Dem kann sich der Senat nicht in vollem Umfang anschließen. Zwar trifft zu, dass eine zu spät gegebene Aufklärung nicht generell zur Unwirksamkeit der hierauf erteilten Eingriffseinwilligung führt; vielmehr hängt die Wirksamkeit der Einwilligung davon ab, ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hatte, sich innerlich frei zu entscheiden (BGH NJW 2003, 2012), wobei der Patient in einem solchen Fall substantiiert darlegen muss, dass ihn die späte Aufklärung in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt hat, und plausibel machen muss, dass er, wären ihm die Operationsrisiken rechtzeitig verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (BGH a.a.O.). Auch etwaige Vorkenntnisse des Patienten sind zu berücksichtigen. Zu Recht hat das Landgericht Vortrag der Klägerin zur Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit vermisst, sodass der Senat offen lassen kann, ob das Aufklärungsgespräch am Nachmittag des Vortages der Operation noch rechtzeitig erfolgt war. Zuzustimmen ist dem Landgericht auch darin, dass es keiner ins Einzelne gehenden Darlegung der möglichen Folgen einer (behandlungsfehlerfrei durchgeführten) Operation bedarf; insbesondere ist es nicht erforderlich, die Nerven, die bei einem bestimmten Eingriff typischerweise gefährdet sind, anatomisch exakt zu bezeichnen und die Auswirkungen einer etwaigen Nervschädigung in allein Einzelheiten darzulegen; vielmehr kommt es darauf an, dem Patienten einen zutreffenden Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen zu vermitteln, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können (BGH VersR 2001, 592). Hier hat nach den Feststellungen des Landgerichts, die den Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO binden, die Zeugin Dr. U… auf die Möglichkeit einer Verletzung des Ischiasnerven hingewiesen und dazu erläutert, dass eine solche Verletzung auch zu einer dauerhaften Lähmung des Beines führen könne. Das genügte hinsichtlich der Art der möglichen Schädigung und der Schwere der Auswirkungen einer solchen Komplikation. Eine Fußheberschwäche stellt sich als teilweise Lähmung des Fußes dar und ist deshalb von dem Hinweis auf eine mögliche „Lähmung im Bereich des Beines“ umfasst; der gefährdete Nerv wurde sogar (zutreffend) bezeichnet. Der ausdrücklichen Erwähnung des Nervus peronaeus, eines Astes des Nervus ischiadicus, bedurfte es nicht. Nicht befasst hat sich aber das Landgericht mit der Frage, ob der nach Schilderung der Zeugin an diese Risikodarstellung stets geknüpfte Hinweis, eine solche dauerhafte Lähmung sei „Gott sei Dank sehr selten“, geeignet war, das Risiko zu bagatellisieren. Zwar bedarf es bei den Hinweisen auf spezifische Eingriffsrisiken keiner Angabe von Wahrscheinlichkeitswerten in Prozenten. Die Wahrscheinlichkeit eines im Falle seiner Verwirklichung zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen führenden Risikos darf aber nicht so dargestellt werden, als ob mit einer Komplikation nicht ernstlich zu rechnen sei, sie also einen extremen Ausnahmefall darstelle, wenn in Wirklichkeit die Risikoverwirklichung einen solchen statistischen Ausnahmefall nicht darstellt. Der Sachverständige Dr. S… hat bei seiner Anhörung durch den Senat seine Angaben zur Häufigkeit der intraoperativen Verletzung des Nervus ischiadicus bei Hüftgelenksendoprothesenimplantationen im schriftlichen Gutachten vom 23.03.2010 näher erläutert; hiernach schwanken die Literaturangaben über die Häufigkeit einer solchen Verletzung, wobei auch zwischen primären Implantationen und Revisionseingriffen zu unterscheiden ist; bei letzteren ist das Risiko erhöht. Die zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Eingriffes im Jahr 2007 bekannten Angaben in der Literatur bewegen sich zwischen Häufigkeitswerten von 0,7 % und bis zu 3,5 %, wobei teilweise nicht zwischen primären und sekundären Eingriffen unterschieden wird; eine amerikanische Untersuchung aus dem Jahr 1999 nennt eine Schädigungsquote von etwa 1,3 %, wobei hier nicht zwischen den einzelnen Nerven unterschieden wird, während eine Studie aus einem im Jahr 2010 erschienen Werk, die auf der Auswertung zahlreicher Operationen beruht, für die primären Hüft-TEP-Operationen nur eine Wahrscheinlichkeit von 0,19 % ergibt (Seite 23 des schriftlichen Gutachtens). Tendenziell ergeben neuere Untersuchungen geringere Häufigkeiten, doch hängt dies zumindest auch mit verbesserten Operationsmethoden zusammen. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob Komplikationen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit über 1 % beträgt, noch als „seltene Risiken“ bezeichnet werden können; jedenfalls handelt es sich dann nicht um „sehr seltene“, also fast vernachlässigbare Risiken. Selbst wenn die Komplikationsstatistik in dem 2010 erst erschienenen deutschen Lehrbuch (Wirth, Mutschler, Bischoff, Püschmann und Neu, Komplikationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie), die allerdings in einer englischsprachigen Fachzeitschrift bereits im Jahr 2008 erschienen ist, zugrunde gelegt würde, übertrifft die dort genannte Häufigkeit dauernder Nervenläsionen nach primären Hüft-TEP-Operationen von knapp 0,2 % noch um ein Vielfaches die Wahrscheinlichkeit, bis zu der das Auftreten von Nebenwirkungen in Medikamenten-Beipackzetteln mit dem Begriff „sehr selten“ beschrieben wird. Darauf, dass nach Kenntnis der aufklärenden Ärzte gerade in der Klinik B… sich eine Komplikation wie im Fall der Klägerin noch nie eingestellt hatte, durfte bei der Aufklärung nicht generalisierend abgestellt werden. Letztlich braucht der Senat aber nicht zu entscheiden, ob der Klägerin gegenüber das Risiko dauernder Nervenschädigungen verharmlosend dargestellt worden ist, da jedenfalls der vom Landgericht – auf der Grundlage seiner Auffassung folgerichtig – nicht erörterte Einwand der hypothetischen Einwilligung greift.

3. Der von den Beklagten (hilfsweise) bereits erstinstanzlich erhobenen Einwand, die Klägerin hätte sich dem Eingriff vom 07.09.2007 auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiken (das Fehlen einer solchen Aufklärung unterstellt) unterzogen, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich beachtlich (BGHZ 90, 103; BGH NJW 2007, 2771). Die Behandlungsseite trifft insoweit die Behauptungs- und Beweislast; sie ist mit dem Beweis für die Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung (ebenfalls) in den Eingriff eingewilligt, allerdings nur zu belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Gerichts plausibel macht, er hätte bei rechtzeitiger Verdeutlichung der Behandlungsrisiken vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konfliktes keine sehr hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, da anderenfalls das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unterlaufen würde (zu letzterem Gesichtspunkt insbesondere BGHZ 172, 1). Nicht maßgebend ist dabei, was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein „vernünftiger Patient“ sich verhalten hätte, vielmehr ist auf die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten abzustellen. Dieser braucht auch nicht darzulegen, wie er sich bei richtiger Aufklärung tatsächlich entschieden hätte (BGH MDR 1993, 516).

Gerade im Hinblick auf die persönliche Entscheidungssituation der Klägerin gewinnt der Umstand Bedeutung, dass die Klägerin bereits zwei Jahre zuvor, nämlich im August 2005, in eine gleichartige Hüftgelenksoperation der rechten Seite eingewilligt hatte, wobei mangels entgegenstehenden Vortrages der Parteien davon ausgegangen werden kann, dass diese Operation sich hinsichtlich ihres Risikospektrums nicht von der streitgegenständlichen im Jahr 2007 unterschieden hatte. War die Klägerin im August 2005 über diese Eingriffsrisiken zutreffend aufgeklärt worden und hatte sie gleichwohl ihre Einwilligung zur Operation erteilt, so liegt überaus nahe, dass sie sich im Jahre 2007 nicht anders verhalten hätte, zumal sich nach dem Eingriff im Jahre 2005 die Risiken nicht verwirklicht hatten und deshalb nicht erkennbar ist, weshalb die Klägerin im Jahre 2007 größere Bedenken getragen hätte, dem Eingriff zuzustimmen, als dies im Jahr 2005 der Fall gewesen war. Bereits das Landgericht hat zu der Aufklärung im August 2005 durch Vernehmung des aufklärenden Arztes, des Zeugen von S…, Beweis erhoben, das Beweisergebnis insoweit allerdings nicht mehr umfassend gewürdigt, weil es nach seiner Auffassung hierauf nicht mehr entscheidend ankam, allerdings als zusätzliches Argument zur Bestätigung der hinreichenden Aufklärung der Klägerin erwähnt, dass der Zeuge von S… gegenüber der Klägerin ausdrücklich vom Risiko des Eintritts einer Fußheberschwäche gesprochen habe. Demnach hatte das Landgericht keine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen von S…. Der Senat sieht sich deshalb nicht gehindert, die ausführliche Vernehmung des Zeugen von S…, dessen Aussage im Protokoll wiedergegeben ist, umfassend zu würdigen; dies führt zur Überzeugung des Senats dahin, dass die Klägerin bereits im August 2005 über die Möglichkeit einer dauerhaften Schädigung von Beinnerven mit der Folge möglicherweise sogar vollständiger Lähmung des Beines – und zwar ohne verharmlosende Zusätze – unterrichtet worden ist. Der Zeuge konnte sich nach mehr als fünf Jahren zwar nicht mehr an Einzelheiten des konkreten Gespräches mit der Klägerin erinnern, wohl aber an die Person der Klägerin, sodass der Senat nicht daran zweifelt, dass der Zeuge tatsächlich das Aufklärungsgespräch unter Verwendung des von ihm selbst unterschriebenen und handschriftlich ergänzten Aufklärungsbogens geführt hat. Wie der Zeuge dem Landgericht weiter geschildert hat, war es damals seine ständige Übung, die Risikohinweise anhand des vorliegenden Aufklärungsbogens vorzunehmen und dabei die jeweils von ihm angesprochenen Gesichtspunkte durch Einkreisen der entsprechenden Schlagworte im Aufklärungsbogen zu markieren. Er habe regelmäßig über Nervenschädigungen mit der Folge möglicherweise auch dauerhafter Lähmung aufgeklärt; dem entspricht es, dass auf Seite drei des Aufklärungsbogens die Begriffe Nervschädigung, Lähmungen des Beines, Funktionsbeeinträchtigungen des Beines bis hin zur Funktionslosigkeit mit solchen Einkreisungen versehen sind. Zwar enthält auch der im Jahr 2005 verwendete Aufklärungsbogen, der sich von dem 2007 benutzten unterscheidet, im Zusammenhang mit der Erwähnung von Verletzungen von Blutgefäßen, des benachbarten Gewebes und/oder der Nerven den einschränkenden Zusatz, dass derartiges „sehr selten“ vorkomme (Seite zwei unten). Maßgebend ist aber nicht der gedruckte Text, sondern die mündliche Risikodarstellung des aufklärenden Arztes. Dazu hat der Zeuge von S… ausgeführt, er habe generell erläutert, worum es bei der Operation gehe, habe sodann die einzelnen Risiken beschrieben und dazu bemerkt, wie häufig derartiges in der Klinik B… vorkomme. Wenn er dazu – wie seine Angaben im weiteren Verlauf der Vernehmung nahelegen – bemerkt haben sollte, in der Klinik B… seien Schädigungen der Hauptnerven des Beines „sehr selten“ oder „extrem selten“, wäre das eine wahrheitsgemäße Unterrichtung gewesen, zumal auch die Zeugin Dr. U… angegeben hatte, in den sieben Jahren ihrer Tätigkeit im Klinikum B… sei ihr eine Schädigung des Nervus peronaeus nicht „untergekommen“. Der Senat hat bei alledem keine Bedenken, den Beweis als geführt anzusehen, dass der Zeuge von S… mit der Klägerin tatsächlich im August 2005 ein Aufklärungsgespräch bezüglich der bevorstehenden Hüftgelenks-TEP-Implantation geführt hat; dann aber ist es nach ständiger Rechtsprechung zulässig, anzunehmen, dass in einem konkreten Einzelfall, an den sich der aufklärende Arzt im Detail nicht mehr zu erinnern vermag, dieser sich entsprechend seiner ständigen Aufklärungsübung verhalten hat, sofern nicht Umstände vorliegen, die gerade für diesen Fall einen anderen Verlauf nahelegen. Das gilt jedenfalls dann, wenn es um die Wirksamkeit der Operationseinwilligung bezüglich des streitgegenständlichen Eingriffes geht; weshalb schärfere Beweisanforderungen zu stellen sein sollten, wenn es – wie hier – um die Beweisführung der Behandlungsseite im Rahmen des Einwandes einer hypothetischen Operationseinwilligung geht, vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit dem damals geführten Aufklärungsgespräch auf ihre schlechten Deutschkenntnisse hinweist, ohne ausdrücklich zu behaupten, den Zeugen von S… damals schlecht oder gar nicht verstanden zu haben, steht dies der Annahme einer hypothetischen Einwilligung nicht entgegen. Zum einen hat der Senat bei der Anhörung der Klägerin selbst feststellen können, daß die Klägerin recht gut – wenn auch nicht akzent- und fehlerfrei – Deutsch spricht und diese Sprache auch versteht, wobei nicht maßgeblich ist, ob sie auch juristischen Fachgesprächen wie etwa den Erörterungen der Rechtslage im Senatstermin vollständig zu folgen vermag. Zum anderen gab der Zeuge von S… an, daß er gegebenenfalls durchaus auch in englischer Sprache aufkläre, er sich aber an Verständigungsschwierigkeiten im Fall der Klägerin nicht erinnere. Daraus schließt der Senat, dass der Zeuge damals den Eindruck hatte, von der Klägerin verstanden zu werden. Die Zeugin Dr. U… hatte zwar 2007 in englischer Sprache aufgeklärt, doch muß hieraus nicht geschlossen werden, dass die Klägerin tatsächlich die in deutscher Sprache erfolgten Erläuterungen des Zeugen von S… nicht verstanden hatte.Spricht demnach einiges dafür, dass die Klägerin bei zutreffender Risikoaufklärung auch im September 2007 dem geplanten Eingriff zugestimmt hätte, wäre die Beweislast dafür, dass es sich tatsächlich so verhalten hätte, nur dann der Behandlungsseite aufzuerlegen, wenn die Klägerin dem Senat hätte glaubhaft machen können, dass sie bei zutreffender Aufklärung im September 2007 vor einem sogenannten echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Das ist ihr nicht gelungen. Ihren eigenen Angaben zufolge hatte sie vor dem Eingriff immerhin so erhebliche Beschwerden beim Gehen und Stehen, dass sie bei der Ausübung ihrer Arbeit als Köchin deutlich behindert war und wiederholt von ihrer Arbeitgeberin nach Hause geschickt worden war, weil sie erkennbar nicht mehr hatte arbeiten können. Der Klägerin fiel es schwer, bei der Beantwortung der Frage, wie sie sich bei zutreffenden Risikohinweisen verhalten hätte, die tatsächlich eingetretene Nervenschädigung auszuklammern, meinte aber schließlich, nicht sagen zu können, wie sie sich hypothetisch verhalten hätte. Damit konnte sie dem Senat einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel machen. Insbesondere vermochte sie keine Umstände anzuführen, aus denen sich ergeben hätte, ihre Entscheidungssituation im September 2007 sei eine deutlich andere gewesen als zuvor im August 2005, sodass aus ihrem damaligen Verhalten nicht auf ihr (hypothetisches) Verhalten im Jahr 2007 geschlossen werden könnte (siehe dazu insbesondere BGH MDR 1993, 516 zur gegenteiligen Fallgestaltung).

Trotz der gebotenen Zurückhaltung bei der Annahme einer hypothetischen Einwilligung des nicht zutreffend aufgeklärten Patienten hält der Senat hier eine solche Fallgestaltung für gegeben mit der Folge, dass eine Haftung der Beklagten (vertraglich wie deliktisch) wegen Fehlens einer wirksamen Einwilligung für die Folgen der Operation vom 07.09.2007 ausscheidet und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth deshalb zurückzuweisen ist.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1., 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht erfüllt sind.

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