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Behandlungspflichten eines Chefarztes

OLG Köln – Az.: I-5 U 101/17 – Beschluss vom 22.01.2018

Die Berufung der Klägerin gegen das am 06.06.2017 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 25 O 330/15 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das angefochtene Urteil und dieser Beschluss sind vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe

I.

Die Klägerin erlitt am 29.04.2014 einen Fahrradunfall. Sie wurde mit dem Rettungswagen in das von der Beklagten zu 1) betriebene Krankenhaus verbracht. Dort wurden eine hintere Beckenringfraktur und eine Humerusmehrfragmentfraktur rechts diagnostiziert. Die Fraktur des Beckenrings wurde konservativ behandelt, der Ellenbogen operativ mittels Osteosynthese versorgt. Nach Entlassung der Klägerin aus der stationären Behandlung am 08.06.2014 schloss sich eine Rehabilitationsbehandlung an. Im August 2014 wurde bei der Klägerin eine Dens-Fraktur diagnostiziert. Diese wurde am 03.11.2014 in der Uniklinik L operativ versorgt.

Die Klägerin hat den Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. Sie habe schon frühzeitig über Nackenschmerzen geklagt. Auf ihre Beschwerden sei aber nicht reagiert worden. Im Bereich des Ellenbogens hätten sich Anzeichen für ein Versagen der Osteosynthese gezeigt, auf die nicht reagiert worden sei. Infolge der Behandlungsfehler habe sich eine Pseudoarthrose gebildet und die Heilung sei verzögert worden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 10.000 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab 16.5.2015 sowie Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.476,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 5.471,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab 16.5.2015 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen weiteren materiellen und noch entstehenden immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf die Behandlung vom 29.4.2014 bis 25.8.2014 zurückzuführen ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 191 ff d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens von Dr. med. G (schriftliches Gutachten vom 07.10.2016, Bl. 71 ff. d.A. und mündliche Erläuterung des Gutachtens am 09.05.2017, Bl.179 ff d.A.). Anschließend hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe Behandlungsfehler nicht bewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiter. Sie beschränkt den Vorwurf eines Behandlungsfehlers auf das verspätete Erkennen der Densfraktur.

Behandlungspflichten eines Chefarztes
(Symbolfoto: Von Stokkete/Shutterstock.com)

Die Klägerin behauptet, die Beklagten hätten eine bildgebende Diagnostik der HWS betreiben müssen. Die Anfertigung eines Ganzkörper-CTs werde bei Schwerverletzten empfohlen. Bedeutung komme dem Unfallmechanismus zu. Zu Unrecht sei der Sachverständige davon ausgegangen, dass ihre Halswirbelsäule durch den Fahrradhelm geschützt worden sei. Der Sachverständige habe den medizinischen Standard nicht am sog. ATLS-Protokoll festmachen dürfen, denn dieses weise nach den Kriterien des deutschen Instruments zur methodischen Leitlinien-Bewertung Mängel auf. Soweit der Sachverständige seine Einschätzung, eine Bildgebung sei nicht erforderlich gewesen, damit begründe, dass Nackenschmerzen oder sonstige HWS-Beschwerden nicht dokumentiert seien, bleibe unberücksichtigt, dass die bei einem Polytrauma durch den Patienten geäußerte Beschwerden kein taugliches Kriterium darstelle. Unabhängig davon habe der Zeuge B aber auch ausgesagt, dass sie, die Klägerin, bereits nach einer Woche über Nackenschmerzen geklagt habe. Zu Unrecht habe das Landgericht Widersprüche zwischen ihren Angaben und der Aussage des Zeugen gesehen. Nicht nachvollziehbar sei schließlich die Aussage des Sachverständigen, selbst bei mehrfachen Klagen über Nackenschmerzen sei nur eine wiederholte klinische Untersuchung erforderlich gewesen. Werde keine Bildgebung veranlasst, müsse die Diagnostik auf unabsehbare Zeit auf der Stelle treten.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung und treten dem Berufungsvorbringen im Einzelnen entgegen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen, denn sie hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den Beschluss des Senats vom (Bl. 244 ff. d.A.) Bezug genommen, an dem der Senat auch in seiner jetzigen Besetzung festhält.

Die gegen den Hinweisbeschluss erhobenen Einwände der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 11.01.2018 führen auch nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu keiner anderen Beurteilung. Entgegen der Annahme der Klägerin schuldete der Beklagte zu 2) als Chefarzt keinen über den Facharztstandard hinausgehenden Standard. Einen „Chefarztstandard“, der in medizinischer Hinsicht über die Maßstäbe des für den Begriff des Behandlungsfehlers maßgeblichen Facharztstandard hinausgehen würde, existiert nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 16.10.2014, Az. III ZR 85/14 – zitiert nach juris). Dort wurde über die Frage entschieden, ob ein selbständiger Honorararzt, der auf Grundlage einer Kooperationsvereinbarung mit einem Krankenhaus dort eine Operation durchführte, liquidationsberechtigter Wahlarzt im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 KHEntgG sein kann. Die Klägerin misst einer einzelnen, aus dem Kontext losgelösten Formulierung des Bundesgerichtshofes (BGH aaO, Ziff. 25: „Dem Patienten geht es also darum, sich über den Facharztstand hinaus … die Leistungen hochqualifizierter Spezialisten „hinzuzukaufen“.“) eine Bedeutung zu, die sie ersichtlich nicht hat.

Soweit die Klägerin ihren Vortrag aufrecht erhält, es hätte eine bildgebende Untersuchung ihrer Halswirbelsäule erfolgen müssen und sie hierzu auf die S3-Leitline Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung, Stand 07/2011 verweist, sieht der Senat nach wie vor keinen Anlass zu einer weiteren Beweiserhebung. Denn die zitierte Leitlinie, die der Sachverständige Dr. G bei seiner Begutachtung zitiert und inhaltlich berücksichtigt hat, stützt die Behauptung eines Behandlungsfehlers entgegen der Annahme der Klägerin nicht. Dies gilt auch für die von der Klägerin zitierte Ziff. 2.9 der Leitlinie. Dort ist niedergelegt, dass bei Patienten, die mit dem Verdacht auf ein Polytrauma in die Klinik eingeliefert werden, prinzipiell auch der Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung besteht. Aus diesem Grund haben – so die Leitlinie – eine Anamnese und eine klinische Untersuchung der Halswirbelsäule einen hohen Stellenwert und sollen erhoben bzw. durchgeführt werden. Dies ist im Falle der Klägerin geschehen. Dass bei jedem Polytrauma eine zusätzliche radiologische Abklärung der Wirbelsäule erfolgen soll, fordert die Leitlinie nicht. Sie verweist lediglich darauf, dass eine klinische Untersuchung je nach Verletzungsbild nicht ausreichend sein kann. So sei bei präklinischen Maßnahmen (speziell die Intubation) und bei Begleitverletzungen (insbesondere des Schädels) eine verlässliche Anamnese und Untersuchung im Regelfall unmöglich. Eine solche Situation hat hier jedoch nicht vorgelegen.

Auf die Frage, ob während der stationären Behandlung geklagte Nackenbeschwerden zu einer weiteren Befunderhebung hätten führen müssen, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss ausführlich Stellung genommen. Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 11.01.2018 beinhalten keine Umstände, die der Senat nicht ohnehin bereits berücksichtigt hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert: 20.471,59 EUR

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