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Grober Behandlungsfehler bei grobem Hygieneverstoß

Kausalitätsfrage: Medizinische Hygienevorschriften und der Nachweis von Wundinfektionen

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage nach der Verbindung zwischen einem möglichen Verstoß gegen medizinische Hygienevorschriften und der Entstehung von Wundinfektionen. Hierbei steht im Fokus, ob eine Wundinfektion tatsächlich vorgelegen hat und ob diese, unterstellt ein grober Verstoß gegen Hygienevorschriften hätte stattgefunden, als Ursache in Betracht kommen könnte. Das Gericht hat diesbezüglich eine grundsätzliche Betrachtung der Beweislast und des kausalen Zusammenhangs zwischen einem möglichen Behandlungsfehler und einem Gesundheitsschaden vorgenommen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 24 U 1308/19 >>>

Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern

In der Regel führt ein grober Behandlungsfehler, der generell geeignet ist, einen Gesundheitsschaden herbeizuführen, zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Fehler und dem Schaden. Allerdings gilt diese Vermutung nur, wenn sowohl der grobe Behandlungsfehler als auch der Gesundheitsschaden feststehen. In diesem Fall konnte jedoch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass ein entsprechender Gesundheitsschaden in Form einer Wundinfektion vorgelegen hat.

Unterlassene Befunderhebung und medizinische Notwendigkeit

Die Unterlassung einer medizinisch gebotenen Befunderhebung führt ebenfalls zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit dieser Unterlassung für einen eingetretenen Gesundheitsschaden. Im konkreten Fall wurde kein Abstrich von den klaffenden Wundrändern entnommen, mit dessen Hilfe das Vorliegen einer Wundinfektion hätte geklärt werden können. Jedoch erklärte der Sachverständige, dass er die Entnahme eines Abstrichs zwar für sinnvoll, aber nicht aus medizinischen Gründen für erforderlich hielt.

Interpretation der Sachlage und Einschätzung des Sachverständigen

Entscheidend für die Anwendung der Beweislastumkehr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Entnahme eines Abstrichs das Vorliegen einer Wundinfektion ergeben hätte. Nach gängiger Rechtsprechung bedeutet „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 %. Der Sachverständige kam jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Wundinfektion unwahrscheinlich sei. Diese Einschätzung stützte er nicht allein auf die gemessenen CRP-Werte, sondern auch auf weitere Parameter.

Schlussbemerkungen zur Beurteilung der Wundinfektion

Letztendlich hielt der Sachverständige aufgrund der diskutierten Parameter eine Infektion, die für die Wundheilungsstörung und die Knochennekrose relevant wäre, insgesamt für unwahrscheinlich. Somit konnte der Kläger nicht nachweisen, dass eine Wundinfektion aufgetreten war und diese durch einen möglichen Verstoß gegen Hygienevorschriften verursacht worden sein könnte. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass in diesem speziellen Fall keine Beweislastumkehr zur Anwendung kommt und die Klage somit abgewiesen wurde.


Das vorliegende Urteil

OLG München – Az.: 24 U 1308/19 – Urteil vom 10.09.2020

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 15.02.2019, Az. 26 O 1193/16, berichtigt mit Beschluss vom 03.04.2019, wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 15.02.2019, Az. 26 O 1193/16, berichtigt mit Beschluss vom 03.04.2019, abgeändert und die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

4. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Grober Behandlungsfehler bei grobem Hygieneverstoß
Zwischen Hygieneverstoß und Wundinfektion: Die komplexe Frage nach der Kausalität und die Rolle der Beweislast im Medizinrecht. (Symbolfoto: wutzkohphoto /Shutterstock.com)

Der Kläger begehrt wegen einer von ihm behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung Schmerzensgeld (mindestens 45.000,00 €), materiellen Schadensersatz (Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden) sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm zukünftig aus der streitgegenständlichen Behandlung erwachsende materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen. Durch das gemäß Beschluss vom 03.04.2019 (Bl. 254/256 d. A.) berichtigte, den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.03.2019, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 19.02.2019 zugestellte Endurteil vom 15.02.2019 (Bl. 225/243 d. A.) hat das Landgericht die Beklagte dazu verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 889,17 €, jeweils nebst Zinsen, zu bezahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Sachverhalts, der vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen und des Inhalts der Entscheidung im Einzelnen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf dieses Urteil Bezug genommen, gegen das sich die Berufungen sowohl des Klägers (eingegangen am 04.04.2019 und begründet mit am 29.04.2019 eingegangenem Schriftsatz [Bl. 277/295 d. A.]) als auch der Beklagten (eingegangen am 19.03.2019 und nach Fristverlängerung bis zum 23.04.2019 begründet mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz [Bl. 271/276 d. A.]) richten.

Der Kläger verfolgt seine ursprünglichen Anträge in vollem Umfang weiter. Hinsichtlich seines Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 29.04.2019 (Bl. 277/295 d. A.), vom 02.07.2019 (Bl. 311/315 d. A.) und vom 03.06.2020 (Bl. 324/326 d. A.) sowie auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 23.07.2020 (Bl. 327/335 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:

I. Das am 15.02.2019 verkündete Urteil des LG Memmingen, Az.: 26 O 1193/16 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu bezahlen, mindestens jedoch 45.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2015.

III. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger materiellen Schadensersatz iHv 325.211,00 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 166.352,00 EUR seit dem 31.12.2015, aus weiteren 17.984,00 EUR seit Klageerhebung, aus weiteren 140.875,00 € seit 11.12.2018 und schließlich als Nebenforderung 8.154,69 EUR (vorgerichtlich entstandene anwaltliche Vergütung) nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2015 zu bezahlen.

IV. Die Beklagte wird außerdem dazu verurteilt, dem Kläger ab 12.12.2018 jeweils vierteljährlich im Voraus bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter eine monatliche Rente iHv 4.496,00 EUR (3.981,00 EUR Verdienstausfallschaden und 515,00 EUR Haushaltsführungsschaden) zu bezahlen und ab dann eine solche iHv 515,00 € (nur noch Haushaltsführungsschaden), und zwar jeweils bis spätestens zum 3. Werktag eines Quartals.

V. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen weiteren, ihm aus der streitgegenständlichen ärztlichen Falschbehandlung im Jahr 2012 zukünftig noch entstehenden im-/materiellen Schaden zu ersetzen, dabei den materiellen nur, soweit ein solcher nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist bzw. übergehen wird.

Die Beklagte beantragt, die Zurückweisung der klägerischen Berufung.

Mit ihrer eigenen Berufung verfolgt die Beklagte, hinsichtlich deren Vortrags im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.04.2019 (Bl. 271/276 d. A.) und vom 28.06.2019 (Bl. 303/310 d. A.) sowie auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 23.07.2020 (Bl. 327/335 d. A.) verwiesen wird, die vollständige Abweisung der Klage.

Sie beantragt insoweit:

1. Das Urteil des Landgerichts Memmingen, 26 O 1193/16 vom 11.12.2018 [richtig: vom 15.02.2019] wird in Nr. 1, 1. Absatz des Tenors aufgehoben insoweit, als die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 5.000,00 € sowie weitere 440,78 € [nach Berichtigung: 889,17 €] nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.,12.2015 zu bezahlen.

2. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

Der Senat hat mit den Parteien am 23.07.2020 mündlich verhandelt und in diesem Termin den Sachverständigen Dr. M. H. zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens einvernommen. Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Verhandlungsprotokoll (Bl. 327/335 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Annahme des Landgerichts, der Kläger sei durch einen groben Behandlungsfehler in Gestalt einer grundlegenden Missachtung hygienischer Standards bei der streitgegenständlichen Operation vom 12.10.2012 geschädigt worden, erweist sich als unzutreffend.

Selbst wenn es bei der streitgegenständlichen Operation am 12.10.2012 zu einer als grober Behandlungsfehler zu wertenden Unterschreitung des gebotenen Hygienestandards gekommen sein sollte – vgl. den diesbezüglichen klägerischen Vortrag auf den Seiten 3 f. der Klageschrift, der jedoch in Anbetracht der Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen (Seite 23 des Gutachtens vom 12.01.2018, Bl. 161 d. A.) in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2018 (Seite 2 des Protokolls, Bl. 205 d. A.) erheblich korrigiert wurde -, ist dem Kläger nicht der Nachweis gelungen, dass es überhaupt zu einer Wundinfektion gekommen ist, als deren Ursache der (hier unterstellte) grobe Verstoß gegen Hygienevorschriften gegebenenfalls zu vermuten wäre.

1. Ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt grundsätzlich zu einer Umkehr der Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden (BGH vom 27.04.2004 – VI ZR 34/03 – juris Rn. 16; vgl. jetzt § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB). Die Vermutung bezieht sich also lediglich auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem feststehenden groben Behandlungsfehler und einem feststehenden Gesundheitsschaden, der durch den groben Behandlungsfehler herbeigeführt worden sein kann.

2. Ein solcher Gesundheitsschaden steht hier jedoch nicht fest. Unstreitig hat der Kläger allerdings nach der streitgegenständlichen Operation sowohl eine Wundheilungsstörung (im Bereich des rechten Außenknöchels) als auch eine Knochennekrose (im Bereich des rechten Innenknöchels) erlitten. Beide Erscheinungen können aber keine unmittelbare Folge eines (unterstellten) Verstoßes gegen die Hygienestandards bei der streitgegenständlichen Operation am 12.10.2012 sein; ein Verstoß gegen die Hygienestandards hätte vielmehr zunächst nur zu einer Infektion führen können, die dann ihrerseits die Wundheilungsstörung und die Knochennekrose ausgelöst haben könnte. Da eine Infektion aber nicht die einzig mögliche Ursache für die Wundheilungsstörung und die Knochennekrose ist, kann aus deren Auftreten nicht auf eine Infektion (aufgrund Unterschreitens des Hygienestandards) geschlossen werden. Der Eintritt einer Infektion ist auch weder nachgewiesen noch zu vermuten.

a) Wie der Sachverständige Dr. H. sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 12.01.2018 (Seiten 25 f., Bl. 163 f. d. A.) als auch in der Berufungsverhandlung vom 23.07.2020 (Seiten 4 f. des Protokolls, Bl. 330 f. d. A.) verständlich und nachvollziehbar ausgeführt hat, können sowohl die Wundheilungsstörung als auch die Knochennekrose entweder auf innere Ursachen wie Durchblutungsstörungen zurückzuführen sein (aseptische Wundheilungsstörung bzw. Knochennekrose) oder auf eine Infektion (septische Wundheilungsstörung bzw. Knochennekrose).

b) Ein Verstoß gegen die Hygienestandards kann jedoch, wie der Sachverständige in der Berufungsverhandlung (vgl. Seite 5 des Protokolls, Bl. 331 d. A.) überzeugend ausführte, nur über den Umweg einer Infektion zur Wundheilungsstörung und zur Knochennekrose geführt haben. Der Sachverständige schloss – insoweit nicht protokolliert, dem Senat aber noch erinnerlich – ausdrücklich die Möglichkeit aus, dass ein Hygieneverstoß zu einer aseptischen Wundheilungsstörung oder Knochennekrose geführt haben könnte.

c) Es steht jedoch weder fest, dass beim Kläger während der Operation am 12.10.2012 eine Infektion aufgetreten ist, noch ist das zu vermuten.

aa) Eine Infektion ist nicht nachgewiesen.

(1) Ausführlich und nachvollziehbar hat der Sachverständige dargelegt, dass die vorhandenen Daten gegen eine Infektion sprechen (vgl. Seiten 25 f. des schriftlichen Gutachtens vom 12.01.2018, Bl. 163 f. d. A.; Seiten 6 f. des Protokolls der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 11.12.2018, Bl. 209 f. d. A.; Seiten 5 bis 7 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 331/333 d. A.). Ein direkter Nachweis (oder Ausschluss) einer Infektion wäre nur durch einen Abstrich möglich gewesen, der aber nicht genommen wurde. Indirekte Anzeichen für eine aufgetretene Infektion (wie insbesondere eine Erhöhung des CRP-Werts und der Leukozyten, ferner Eiteraustritt, eine Schwellung, Rötung oder erhöhte Körpertemperatur) sind nicht dokumentiert. Vor diesem Hintergrund folgt der Senat dem Sachverständigen in seinem Schluss, „ein unfallbedingter aseptischer Verlauf“ sei im Fall des Klägers „höchstwahrscheinlich“ (Seite 5 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 331 d. A.)

(2) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Operationsbericht vom 26.10.2012 (in Anlage B 2) die Diagnose „Wundinfekt mit Dehiszenz“ vermerkt ist und von der „Resektion von vermeintlich [!] infizierten [!] Weichteilgewebe“ berichtet wird. Hiermit konfrontiert, hat der Sachverständige in der Berufungsverhandlung – insoweit nicht protokolliert, dem Senat aber noch erinnerlich – in Übereinstimmung mit seinen oben zu Nr. (1) wiedergegebenen Ausführungen erklärt, eine Wundinfektion sei „keine Sichtdiagnose“. Die vorhandenen Daten sprechen aber, wie ausgeführt, gegen ein infektiöses Geschehen, so dass keine belastbaren Umstände ersichtlich sind, auf welche sich der Eintrag „Wundinfekt mit Dehiszenz“ stützen ließe. Vor diesem Hintergrund ist die Vermutung des Sachverständigen (Seite 7 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 333 d. A.), es handle sich bei dem Eintrag lediglich um eine Arbeitshypothese, naheliegend; jedenfalls belegt mangels jeglichen Anhaltspunkts für eine Wundinfektion der bloße Eintrag allein nicht deren Vorliegen. Vor diesem Hintergrund schließt sich der Senat der Bewertung des Sachverständigen, auch in Anbetracht des Eintrags sei eine Wundinfektion „unwahrscheinlich“, an.

bb) Eine Wundinfektion ist auch nicht nach den Regeln für eine Beweiserleichterung im Fall eines Befunderhebungsfehlers zu vermuten.

(1) Die Unterlassung einer medizinisch gebotenen Befunderhebung führt zur Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit dieser Unterlassung für einen eingetretenen Gesundheitsschaden, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und dieser Fehler generell geeignet ist, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (BGH vom 26.01.2016 – VI ZR 146/14 – juris Rn. 4; vgl. jetzt § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB).

(2) Vorliegend hat es die Beklagtenseite unterlassen, einen Abstrich von den klaffenden Wundrändern zu entnehmen, mit Hilfe dessen nach den Ausführungen des Sachverständigen das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Wundinfektion sicher hätte geklärt werden können. Der Sachverständige hat jedoch erklärt, dass er einen Abstrich zwar für sinnvoll, aber nicht aus medizinischen Gründen für erforderlich hielt (Seiten 5 f. des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 331 f. d. A.). Selbst wenn man dem nicht folgte, wäre jedoch für die Anwendung der dargelegten Beweislastumkehr kein Raum, weil es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür fehlt, dass die Entnahme eines Abstrichs das Vorliegen einer Wundinfektion ergeben hätte. Unter „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ im oben dargelegten Sinne wird nach der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % verstanden (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rn. U 57 mit zahlreichen Nachweisen). Wie oben ausgeführt, sprechen jedoch die einschlägigen indirekten Parameter nicht für, sondern gegen das Vorliegen einer Infektion, die deshalb vom Sachverständigen gerade für unwahrscheinlich gehalten wurde. Damit fehlt es an der für die Anwendung der Beweislastumkehr wegen unterlassener Befunderhebung erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit.

(3) Der Einwand des Klägervertreters, die Bedeutung des CRP-Wertes für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Infektion werde von verschiedenen Sachverständigen unterschiedlich beurteilt, ändert daran nichts. Zum einen ist dem Senat aus seiner langjährigen arzthaftungsrechtlichen Praxis heraus kein medizinischer Sachverständiger bekannt, der nicht sagte, dass ein erhöhter CRP-Wert für ein infektiöses Geschehen spreche, während ein normaler CRP-Wert keinen Hinweis auf ein solches Geschehen gibt. Zum anderen hat der hiesige Sachverständige seine Beurteilung, eine Infektion sei unwahrscheinlich, wie ausgeführt, nicht nur auf die beim Kläger gemessenen CRP-Werte, sondern auch auf weitere Parameter gestützt. Jedenfalls lässt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen zugunsten des insoweit beweisbelasteten Klägers, wie ausgeführt, nicht herleiten, dass die Durchführung eines Abstrichs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Wundinfektion ergeben hätte.

(4) Ebenso geht der Hinweis des Klägervertreters ins Leere, der Sachverständige mache in seinem schriftlichen Gutachten vom 12.01.2018 (Seite 26, Bl. 164 d. A.) lediglich Ausführungen zum Vorliegen einer „tiefe[n] Wund- bzw. Knocheninfektion“, während er sich bezüglich sonstiger Infektionen einer Aussage enthalte. Wie die nachvollziehbaren und verständlichen Ausführungen des Sachverständigen in ihrer Gesamtschau zeigen, hielt er aufgrund der diskutierten Parameter das Vorliegen einer für die Wundheilungsstörung und die Knochennekrose relevanten Infektion insgesamt für unwahrscheinlich.

(5) Fehl geht schließlich die Behauptung des Klägers, es gebe keine Dokumentation seiner Besuche bei der Beklagten zwischen der Operation vom 12.10.2012 und dem weiteren Eingriff vom 26.10.2012; eine solche Dokumentation hätte näheren Aufschluss über die Wundsituation gegeben (Seite 7 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 333 d. A.). Damit verkennt der Kläger, dass seine ambulanten Besuche bei der Beklagten vom 13., 16., 18., 22. und 24.10.2012 sehr wohl in Form von Karteikarteneinträgen (in Anlagenkonvolut B 6) dokumentiert sind. Diese Einträge enthalten keinen Hinweis auf ein infektiöses Geschehen.

d) Soweit der Kläger in der Berufungsverhandlung erneut die Fach- und Sachkunde des gerichtlich bestellten Sachverständigen in Zweifel gezogen hat (vgl. dazu schon Bl. 49, 66, 75, 77 f., 79/83, 85/87, 93 f., 98, 99, 101, 103, 104, 106 f. und 108/111 d. A.), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Der Umstand, dass der Sachverständige seit Jahren nicht mehr als Operateur tätig ist, mag dagegen sprechen, ihn mit der Beurteilung zu beauftragen, ob ein operativer Eingriff nach den Regeln der Kunst durchgeführt wurde. Hier geht es jedoch um die Frage, ob davon auszugehen sei, dass bei dem Kläger bei der Operation vom 12.10.2012 eine Infektion aufgetreten ist. Für die Interpretation der insoweit aussagekräftigen Parameter bedarf es jedoch keiner aktuellen Operationsroutine, sondern es genügt die Fach- und Sachkunde eines Facharztes für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie, wie es der hier bestellte Sachverständige ist.

III.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Seine Rügen greifen nicht durch.

1. Aus den obigen Ausführungen zu Nr. II folgt spiegelbildlich, dass schon die Wundheilungsstörung im Bereich des rechten Außenknöchels und die Knochennekrose im Bereich des rechten Innenknöchels keine einer (unterstellten) Unterschreitung des hygienischen Standards bei der Operation vom 12.10.2012 zuzurechnenden Folgen darstellen. Gleiches gilt daher zwingend für weitere sich aus der Wundheilungsstörung und der Knochennekrose womöglich ergebende Folgen (vgl. Seiten 3 bis 10 der Berufungsbegründung, Bl. 279/286 d. A.).

2. Soweit der Kläger die Ausführungen des Landgerichts zur Haftungsausfüllung rügt (vgl. Seiten 10 bis 18 der Berufungsbegründung, Bl. 286/294 d. A.), kommt es hierauf nicht an, da es nach den obigen Ausführungen bereits an der Haftungsbegründung fehlt.

3. Das Unterlassen einer Antibiose im Anschluss an den Eingriff vom 12.10.2012 hat der Kläger mit seiner Berufung nicht mehr als Behandlungsfehler gerügt. Zu diesem dennoch im Rahmen der Berufungsverhandlung erörterten Aspekt führte der Sachverständige jedoch verständlich aus, dass die prophylaktische Gabe eines Breitbandantibiotikums sogar kontraproduktiv gewesen wäre (Seite 6 des Protokolls der Berufungsverhandlung, Bl. 332 d. A.). Zur Begründung gab er – insoweit nicht protokolliert, dem Senat aber noch erinnerlich – an, dass bei einer solchen Behandlung die Gefahr bestünde, dass mit dem schädlichen Erreger konkurrierende Bakterien abgetötet und so der Erreger noch verstärkt werden könne. Im Übrigen ist wiederum nicht ersichtlich, zu welchem Gesundheitsschaden das Unterlassen einer Antibiose geführt haben sollte. Da, wie ausgeführt, nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine Wundinfektion aufgetreten ist, ist auch nicht ersichtlich, welchen Nutzen die Gabe eines Antibiotikums hätte haben sollen.

IV.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, ZPO. § 711

3. Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) ist nicht gegeben.

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