LG Hannover – Az.: 19 O 286/13 – Urteil vom 04.06.2018
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden aus der ärztlichen Behandlung am 16.03.2009 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Tatbestand
Die am … geborene Klägerin, von Beruf selbständige Gynäkologin, macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer nicht rechtzeitig erkannten Sinusvenenthrombose geltend.
Am 16.03.2009 stellte sich die Klägerin gegen 8:00 Uhr mit Beschwerden, insbesondere akuten Kopfschmerzen, wobei Art und Ausmaß der mitgeteilten Beschwerden zwischen den Parteien streitig sind, in Begleitung ihrer Tochter, der Zeugin …, notfallmäßig in der Privatsprechstunde der Inneren Abteilung des Klinikums … (eine Klinik der Beklagten zu 1)) vor. Zuvor hatte der Ehemann der Klägerin seine Ehefrau im Sekretariat des die Klägerin wegen ihres Bluthochdrucks behandelnden Internisten … telefonisch angekündigt. Weil … verhindert war, übernahm die Behandlung der Beklagte zu 2). Ein klinischer körperlicher Untersuchungsbefund ist in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert. Gegen 8:35 Uhr wurde ein natives (ohne Kontrastmittel) kranielles Computertomogramm (CCT) angefertigt, welches einen altersentsprechenden Normalbefund zeigte. Zur Schmerztherapie wurde der Klägerin die Einnahme von Ibuprofen empfohlen. Weitere medizinische Maßnahmen sind für diesen Arzt-/Patientenkontakt nicht dokumentiert. Am Abend des 16.03.2009 wurde die Klägerin erneut, diesmal per Rettungswagen, notfallmäßig – und jetzt – in die neurologische Klinik der Klinik der Beklagten zu 1) verbracht und dort stationär – der genaue Zeitpunkt ist zwischen den Parteien streitig – unter dem Verdacht eines zerebralen Krampfanfalls aufgenommen. Ein gegen 20:24 Uhr angefertigtes CCT zeigte eine atypisch gelegene inhomogene intrazerebrale Blutung rechts hoch frontoparietal mit einem Ausmaß von 3 x 4 x 3 cm und winzige Einblutungen links hoch frontal bei CT-angiographisch nachgewiesener Teilthrombosierung des Sinus sagittalis superior. Gegen 23:02 Uhr erfolgte eine kranielle venöse CT-Angiographie, die eine Thrombosierung des Sinus sagittalis superior zeigte. Wegen der zerebralen Krampfanfälle wurde ab dem 07.03.2009 eine antikonklusive Therapie durchgeführt und diese sowie eine gerinnungshemmende Therapie mit Xarelto bis zum 25.06.2013 fortgeführt. Am 02.04.2009 erfolgte die Entlassung der Klägerin aus der neurologischen Klinik der Beklagten zu 1) in die Rehaklinik …, wo sie bis zum 20.05.2009 stationär behandelt wurde.
Die Klägerin behauptet, sie habe sich massiv schmerzgeplagt mit Übelkeit und Schwindel sowie einer verlangsamten Bewegung des linken Armes und der linken Hand am Morgen des 16.03.2009 dem Beklagten zu 2) vorgestellt. Ihr sei es so schlecht gegangen, dass sie sich nicht mehr in der Lage gesehen habe, selbst mit dem Auto in die Klinik zu fahren. Sie habe befürchtet, an einem Hirntumor zu leiden. Im Gespräch mit dem Beklagten zu 2) habe sie auf massive akute Kopfschmerzen, die sie so bis dahin noch nicht erlebt habe, und die sie gehindert hätten, ihre Praxistätigkeit am Morgen aufzunehmen, sowie auf Übelkeit und Schwindel und darauf, dass sie in ihren Bewegungen mit dem linken Arm und der linken Hand verlangsamt gewesen sei, hingewiesen. Ferner habe sie einen gelegentlich nächtlichen Bluthochdruck und die von ihr zuvor vorgenommene Erhöhung der Betablockermedikation erwähnt. Der Beklagte zu 2) habe ihre Beschwerden nicht ernst genommen, vielmehr diese eher als psychologisch-psychiatrisches Problem angesehen und nur widerwillig ein CT veranlasst. Eine klinische Untersuchung sei nicht erfolgt und sie sei ohne therapeutische Aufklärung und Therapieführung nach Hause geschickt worden. Wieder in ihrer gynäkologischen Praxis angekommen, hätte sie mit der linken Hand das Papier nicht mehr festhalten können. Sie sei dann nach Hause gefahren und habe sich hingelegt. Gegen 17:00 Uhr seien plötzlich Koordinationsstörungen und zerebrale Krampfanfälle, die sie bewusst erlebt und deswegen Todesangst gehabt habe, eingetreten. In die Klinik der Beklagten zu 1) sei sie sodann gegen 17:30 Uhr eingeliefert worden. Die Klägerin ist der Auffassung, dass am Morgen eine unzureichende und damit grob fehlerhafte Anamneseerhebung erfolgt sei. Eine gebotene klinische Untersuchung mit Kontrolle des Blutdrucks und des Pulses sowie der Vitalparameter sei ebenso wenig erfolgt wie eine Dokumentation des Aufnahmebefundes. Weitere Diagnostik, insbesondere ein CCT mit Kontrastmittel und ein MRT, hätte veranlasst werden müssen. Ebenso wären die Hinzuziehung eines Neurologen und die stationäre Aufnahme sowie ein Monitoring in der Stroke-Unit der neurologischen Klinik der Beklagten zu 1) geboten gewesen. Am Abend sei sie, nachdem erst gegen 20:38 Uhr ein CT durchgeführt worden sei, zunächst ohne weitere Differenzialdiagnostik, Befunderhebung und Therapie unversorgt gelassen worden. Erst nach der venösen CT-Angiographie sei eine Therapie mit Heparin eingeleitet worden. Zu diesem Zeitpunkt habe jedoch bereits eine Hirnvenenthrombose vorgelegen. An den beiden folgenden Tagen hätte sich ihr Zustand zunächst verschlechtert; es sei zu lebensbedrohlichen zerebralen Krampfanfällen und einer Zunahme der Hirnblutung gekommen. Ihre Familienmitglieder seien darüber aufgeklärt worden, dass eine ernste, lebensbedrohliche Situation vorgelegen habe und auch mit dem Ableben der Klägerin zu rechnen sei. Nach Auffassung der Klägerin hätte abends unverzüglich, zeitnah und adäquat eine zielführende Diagnostik und Therapie eingeleitet werden müssen. Nach Auffassung der Klägerin lägen jeweils, zumindest aber in der Gesamtschau, grobe Behandlungsfehler vor. Als Folge dieser fehlerhaften Behandlung sei es zu einer Hemiparese, einer Hemiplegie, einer ausgeprägten Störung der Aufmerksamkeit (Neglect), einer Fascialisparese sowie zu Sprachstörungen und zerebralen Krampfanfällen, die auch in Zukunft drohten, gekommen. Das Ganze habe sich für die Klägerin als traumatisches Geschehen mit Todesangst dargestellt. Sie habe 3 Monate lang ihre Praxis nicht führen können, unter massiver Existenzangst, Schlafstörungen und epileptischen Anfällen gelitten. Sie sei körperlich und psychisch nicht mehr voll leistungsfähig. Verblieben seien Sensibilitätsstörungen im linken Arm und eine Einschränkung der Feinmotorik, die sie täglich mit Koordinationsübungen und Gymnastik ausgleichen müsse. Sie habe unter Nebenwirkungen der Medikamente (Haarausfall, psychischen Veränderungen, eine verstärkte Müdigkeit und mangelnde Belastbarkeit) leiden müssen. Besonders stark leide sie unter den Folgeerscheinungen der epileptischen Krampfanfälle und den Unwägbarkeiten, ob und wann gegebenenfalls solche wieder auftreten. Sie stehe seitdem unter einer entsprechenden Dauermedikation mit den sich daraus ergebenden Nebenwirkungen. Die Klägerin hält deshalb ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 150.000,00 € für angemessen. Als materiellen Schaden macht sie Verdienstausfall für die Jahre 2009 – 2010 in Höhe von 134.560,00 €, Haushaltsführungsschaden für die Jahre 2009 – 2012 in Höhe von 14.136,00 € und 26.784,00 € sowie Fahrtkosten in Höhe von 1.116,00 €, 448,00 €, 800,00 € und 1.200,00 €, insgesamt 179.044,04 € geltend. Wegen der Einzelheiten insoweit wird auf die Klageschrift Bezug genommen. Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Feststellung der Einstandspflicht für sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden und Erstattung vorgerichtlich angefallener Anwaltskosten in Höhe von 7.532,70 €.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin aus der grob ärztlich fehlerhaften Behandlung am 16.03.2009 in der … …,, ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen betragsmäßige Festsetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 150.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 BGB seit Zustellung der Klage zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen an die Klägerin aus der im Klageantrag zu 1. bezeichneten ärztlich grob fehlerhaften Behandlung materiellen Schadensersatz in Höhe von 179.044,04 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 BGB seit Zustellung der Klage zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden aus der ärztlich grob fehlerhaften Behandlung vom 16.03.2009, …zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Kosten in Höhe von 7.532,70 € zu erstatten.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, es habe ein etwa 15-minütiges Anamnesegespräch am Morgen des 16.03.2009 stattgefunden. Die Klägerin habe nicht von unerträglichen Kopfschmerzen gesprochen. Auf die Kontrolle des Blutdruckes sei verzichtet worden, weil die Klägerin den Eindruck vermittelt habe, ihr Blutdruck sei unverändert. Sie habe gegenüber dem Beklagten zu 2) über Stress wegen eines Einbruches in ihrer Praxis berichtet und auch darüber, dass sie schon seit einigen Tagen unter Kopfschmerzen leide, welche nach der Einnahme von Ibuprofen rückläufig seien. Im Übrigen habe sie mitgeteilt, dass es in der Vergangenheit gelegentlich migräneartige Episoden gegeben habe. Der Beklagte zu 2) habe ihr empfohlen, die Blutdruckmedikation zu erhöhen. Das kranielle CT sei völlig unauffällig gewesen. Schwindel, Übelkeit oder verlangsamte Bewegungen seien ihm gegenüber nicht angegeben worden. Insoweit verweisen die Beklagten auch auf die Dokumentation der neurologischen Klinik am Abend, in der es heißt, dass Übelkeit erst seit 10:00 Uhr vorgelegen habe. Ein MRT sei von der Klägerin nicht eingefordert worden. Im Übrigen nehmen die Beklagten Bezug auf einen Vermerk des Beklagten zu 2), den dieser unmittelbar nach der Vorstellung der Klägerin am Morgen diktiert habe (vgl. Anlage B2, B3 Bl. 93 f d.A.). Irgendwelche Auffälligkeiten habe die Klägerin am Morgen nicht gezeigt. Die Aufnahme am Abend in der neurologischen Klinik sei erst gegen 19:00 Uhr erfolgt. Insoweit nehmen die Beklagten Bezug auf das Einsatzprotokoll des Notarztes (Bl. 96 f d. A.) und das Patientenstammblatt (Bl. 98 d.A.), in dem als Aufnahmezeitpunkt die Uhrzeit 19:08:10 Uhr vermerkt sei. Am Abend seien sowohl die Untersuchungen als auch die Therapie zeitgerecht und adäquat eingeleitet worden. Sie bestreiten, dass weitere Untersuchungen am Morgen die Sinusvenenthrombose gezeigt und am weiteren Verlauf etwas geändert hätten. Das von der Klägerin begehrte Schmerzensgeld sei maßlos übersetzt. Ferner bestreiten sie die behaupteten Folgen, dass ein Gesundheitsschaden nach wie vor vorliege und dass die behaupteten materiellen Schäden entstanden seien.
Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß den Beschlüssen vom 29.04.2014 (Bl. 136 ff d.A.), 01.08.2014 (Bl. 213 d.A.), 28.10.2014 (Bl. 254 f d.A.), 05.11.2014 (Bl. 261 d.A.), 11.12.2014 (Bl. 269 d.A.), 04.09.2015 (Bl. 342 d.A.), 03.02.2016 (Bl. 398 d. A.), 17.10.2016 (Bl. 473 d.A.), 26.04.2017 (Bl. 497 d.A.) und 05.07.2017 (Bl. 551 d.A.) durch Einholung eines internistischen und eines neurologischen Gutachtens sowie durch Vernehmung der … Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die schriftlichen Gutachten des Chefarztes … vom 21.07.2015 und 15.12.2015 und das schriftliche Gutachten des Neurologen … vom 07.04.2017 (jeweils im Aktendeckel) sowie deren mündliche Ausführungen in den Terminen am 22.09.2016 und 19.04.2018 (vgl. Sitzungsprotokolle vom 22.09.2016, Bl. 465 ff d. A., und vom 19.04.2018, Bl. 564 ff d. A.). Ferner sind die Klägerin und der Beklagte zu 2) persönlich gemäß § 141 ZPO angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung der Parteien und der Vernehmung der Zeugin wird auf das Sitzungsprotokoll vom 05.03.2015 (Bl. 290 ff d. A.) Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Behandlungsunterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist dem Grunde nach gegenüber den Beklagten gerechtfertigt und hinsichtlich des Feststellungsantrages entscheidungsreif. Im Übrigen bedarf es noch der Beweiserhebung zu den geltend gemachten gesundheitlichen Folgen und dem geltend gemachten materiellen Schaden.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach einen Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen eines groben Befunderhebungsfehlers. Dies folgt für die Beklagte zu 1) aus dem Behandlungsvertrag gemäß den §§ 611, 280, 278 BGB und gegen beide Beklagten aus Delikt gemäß den §§ 823, 831, 31 BGB, jeweils in Verbindung mit den §§ 249, 253 Abs. 2 BGB.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stellt der Verzicht auf eine klinische Untersuchung der Klägerin am Morgen des 16.03.2009 einen groben Befunderhebungsfehler dar (I.). Weitere Behandlungsfehler, insbesondere am Abend in der neurologischen Klinik der Klinik der Beklagten zu 1), lassen sich hingegen nicht feststellen (II.).
Im Einzelnen:
I.
1. Am Morgen des 16.03.2009 hätten nach dem medizinischen Standard weitere klinische Befunde erhoben werden müssen.
a) Nach der Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 2) sowie der Vernehmung der Zeugin … steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin am Morgen des 16.03.2009 im Gespräch mit dem Beklagten zu 2) auf außergewöhnlich starke Kopfschmerzen und darauf hingewiesen hat, dass sie in den Wochen zuvor teilweise unter „normalen“ Kopfschmerzen gelitten habe. Nicht nachgewiesen hat die Klägerin demgegenüber, dass auch ein Hinweis auf Schwindel, Übelkeit und neurologische Ausfallerscheinungen erfolgte.
Die Klägerin hat im Termin am 05.03.2015 angegeben, sie könne sich an das Geschehen am 16.03.2009 noch erinnern. Am Morgen habe sie extreme Kopfschmerzen wie noch nie gehabt und sei nicht in der Lage gewesen, in ihre Praxis zu fahren. Dies sei ihr vorher noch nie passiert. Sie habe deshalb an die Anfertigung eines MRTs gedacht und sich daran erinnert, dass ein solches in der Klinik der Beklagten zu 1) zur Verfügung stehe. Nachdem ihr Mann einen Termin in der Abteilung des sie bereits vorher behandelnden … vereinbart habe, habe ihre Tochter sie dorthin gefahren. Dem Beklagten zu 2) gegenüber habe sie ihre Beschwerden geschildert. Primär seien dies für sie die extremen Kopfschmerzen gewesen, die sie noch nie so gehabt und als solche auch geschildert habe. Sie habe deshalb Angst gehabt, möglicherweise unter einem Hirntumor zu leiden und von sich aus die Möglichkeit eines MRTs angesprochen. Ihr sei auch ein bisschen schwindlig gewesen. Aus diesem Grunde habe sie morgens das Duschen abbrechen müssen. Wegen des Schwindels habe ihre Tochter sie beim Gehen untergehakt. Das sei aber für sie in der damaligen Situation eher nebensächlich gewesen. Sie habe auch ein wenig Übelkeit verspürt, bereits in der Nacht ihren Blutdruck gemessen und dabei festgestellt, dass dieser etwas erhöht gewesen sei und noch in der Nacht ihre Blutdruckmedikation in einer höheren Dosis eingenommen. Auch dieses habe sie dem Beklagten zu 2) mitgeteilt. Den Blutdruck habe sie am Morgen nicht noch einmal gemessen. In dem Gespräch mit dem Beklagten zu 2) sei keine Untersuchung erfolgt. Nachdem das CT vorgelegen habe, sei ihr mitgeteilt worden, dass dieses in Ordnung sei. Sie habe dann gefragt, was sie gegen die extremen Schmerzen tun solle und als Antwort erhalten, dass sie das Medikament Ibuprofen, welches bei ihr ja helfen würde, weiter einnehmen solle. Ihre Tochter habe sie dann in die Praxis gebracht, wo sie noch einige Rezepte unterschrieben habe. Später sei ihr berichtet worden, dass die linke Hand weggerutscht sei und sie nicht in der Lage gewesen sei, die Formulare mit links festzuhalten. Es sei zutreffend, dass in dem Gespräch mit dem Beklagten zu 2) auch über einen zuvor stattgehabten Transatlantik-Flug und von einem davor erfolgten Einbruch in der Praxis die Rede gewesen sei. Nach dem Einbruch habe sie ziemlichen Stress in der Abwicklung des Versicherungsfalles gehabt und in diesem Zusammenhang auch gelegentlich unter Kopfschmerzen gelitten. Im Urlaub sei es ihr dann gut gegangen. Sie habe über all dies gesprochen, weil sie nach einer Ursache für den extremen Kopfschmerz am Morgen des 16. März gesucht habe. Die Frage, ob die Beschwerden auch psychisch bedingt sein könnten, habe der Beklagte zu 2) ins Spiel gebracht. Sie habe aber deutlich gemacht, dass es sich um einen extremen Schmerz gehandelt und sie gedacht habe, sie würde sterben. Auf Nachfrage, ob neurologische Symptome vorgelegen hätten, hat die Klägerin geantwortet, dass für sie im Vordergrund der enorme Kopfschmerz gestanden habe. Das Wegrutschen der Hand sei ihr erst hinterher erzählt worden. Sie habe sich in diesem Moment auch nicht als Ärztin, sondern hilflos gefühlt.
Der Beklagte zu 2) hat im Termin am 05.03.2015 erklärt, er habe an das Gespräch mit der Klägerin im Detail keine Erinnerung, wisse aber noch, dass er mit ihr gesprochen habe. Das Gespräch habe etwa 10-15 Minuten gedauert. Unmittelbar danach habe er den zur Akte gereichten Vermerk diktiert. Er könne sich daran erinnern, dass die Klägerin Kopfschmerzen geschildert habe. Er könne sich allerdings nicht mehr daran erinnern, dass diese Kopfschmerzen so extrem gewesen seien, wie sie von der Klägerin geschildert werden. Er habe auch vermerkt, dass sie in einer Bluthochdruckbehandlung gewesen sei und dass die Klägerin ihm berichtet habe, dass sie ihre Blutdruckmedikation in der Nacht erhöht habe, weil sie einen Spitzenwert von 170 gemessen habe. Dass die Klägerin auch über Übelkeit oder Schwindel gesprochen habe, habe er nicht dokumentiert. Wäre ihm dieses mitgeteilt worden, so hätte er dieses dokumentiert. Die Klägerin habe den Verdacht auf einen Hirntumor geäußert. Er habe aber eher an eine interzerebrale Blutung gedacht und deshalb ein CT veranlasst. Nach Vorliegen des CT‘s habe er nochmals mit der Klägerin gesprochen. Im Vordergrund hätten die Blutdruckmedikation und die Kopfschmerzen gestanden. Er habe die Angst der Klägerin wahrgenommen. Weitere diagnostische Möglichkeiten wie ein MRT oder Angio-CT habe er zwar in seine Überlegungen mit einbezogen, aber nicht mit der Klägerin kommuniziert. Für ihn sei die Anfertigung eines CT‘s die richtige Maßnahme gewesen. Für ihn habe es sich als ein seit längerem bestehendes Kopfschmerzproblem in Richtung einer Migräne dargestellt.
Die Zeugin … hat bekundet, sie könne sich an den Morgen des 16.03.2009 noch erinnern. Sie habe ihre Mutter ins Krankenhaus gebracht und sei bei dem Gespräch anwesend gewesen. Das Gespräch sei im Wesentlichen von ihrer Mutter geführt worden, die ihre Beschwerden geschildert habe und zwar dass es ihr sehr schlecht gehe, sie extreme Kopfschmerzen und Angst habe, dass es sich um etwas Schlimmes, einen Hirntumor, handeln könne. Sie selbst habe hin und wieder etwas hinzugefügt, so auch, dass sie ihrer Mutter in den Mantel habe helfen und diese habe stützen müssen, aber den Eindruck gehabt, von dem Arzt nicht wahrgenommen zu werden. Im Vordergrund habe der ausgeprägte Kopfschmerz gestanden, der auch ursächlich dafür gewesen sei, dass ihre Mutter nicht in die Praxis, sondern ins Krankenhaus gefahren sei. Ihre Mutter sei etwas „düselig“ gewesen, weshalb sie ihr in den Mantel und auch beim Aussteigen aus dem Auto habe helfen müssen. In der Gesprächssituation sei ihre Mutter sehr ernst gewesen und im Kopf klar. Sie habe sich gut äußern können, sei allerdings anders gewesen, als sie sie sonst erlebt habe. Ihre Mutter habe eine weitere Diagnostik, insbesondere ein MRT gewünscht. Es sei zutreffend, dass über den Einbruch in der Praxis, den langen Flug und auch über vorherige Kopfschmerzen besprochen worden sei. Aus ihrer Sicht habe der Arzt ihre Mutter dann „in die Psycho-Schiene“ gesteckt und erklärt, es sei nachvollziehbar, dass viel Stress in der Praxis die Kopfschmerzen verursachen könne. Sie selbst sei über diese Wertung empört und aufgebracht gewesen, da sie den Eindruck gehabt habe, dass die Situation ihrer Mutter nicht ernst genommen worden sei. Der negative Befund der Computertomografie habe zu einer großen Erleichterung geführt. Ein Gespräch über das weitere Vorgehen habe es dann nicht mehr gegeben. Eine Untersuchung ihrer Mutter sei nicht erfolgt.
Aufgrund dieser Angaben der Parteien und der Zeugin steht für die Kammer fest, dass die Klägerin dem Beklagten zu 2) extrem starke Kopfschmerzen, so wie sie zuvor noch nie vorhanden waren, geschildert hat. Dies haben die Klägerin und die Zeugin …, die sich wegen des Erlebten nachvollziehbar an das Gespräch im Einzelnen noch erinnern konnten, übereinstimmend geschildert. Der Beklagte zu 2), der demgegenüber keine detaillierte Erinnerung mehr an das Gespräch hatte, konnte sich zwar an die Angabe von Kopfschmerzen, aber nicht mehr an ein extremes Ausmaß derer erinnern. Für das Vorliegen einer extremen Kopfschmerzsituation spricht im Übrigen, dass die Klägerin sich deshalb notfallmäßig in der Klinik der Beklagten zu 1) am frühen Morgen vorgestellt hat und auch das weitere Geschehen am 16.03.2009, welches nämlich eine extreme Kopfschmerzsituation durchaus plausibel macht. Der Umstand, dass der Beklagte zu 2) in seinem Vermerk (Anlage B2, Bl. 93 d. A.) einen solchen extremen Kopfschmerz nicht niedergelegt hat, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Der Beklagte zu 2) hat, so wie auch im Termin geschildert, offenbar die aufgetretenen Kopfschmerzen im Zusammenhang mit bereits vorher aufgetretenen Kopfschmerzen gesehen und möglicherweise deshalb eine Differenzierung in den Vermerk nicht mit aufgenommen. Übereinstimmend haben die Klägerin, der Beklagte zu 2) und die Zeugin …bekundet, dass auch über Kopfschmerzen in der Zeit vor dem 16.03.2009 gesprochen wurde.
Demgegenüber hat die Klägerin nicht den Nachweis erbracht, dass sie bereits am Morgen dem Beklagten zu 2) über Schwindel, Übelkeit und neurologische Ausfallerscheinungen berichtet hat.
Eine streitige Tatsache ist gemäß § 286 ZPO erst dann bewiesen, wenn das Gericht sie nach freier Überzeugung für wahr erachtet. Diese Überzeugung setzt eine persönliche Gewissheit voraus, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 17.02.1970 – III ZR 139/67; Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 32. Auflage, § 286 ZPO, Rn 19 m.w.N.). Es bedarf also keiner absoluten Gewissheit. Ein bloßes Glauben, Wähnen oder auch ein Fürwahrscheinlichhalten berechtigt den Richter hingegen nicht, eine streitige Tatsache für erwiesen zu erachten. Grundlage der Überzeugungsbildung können dabei nicht nur die Beweismittel der ZPO sein. Auch die Anhörung der Parteien gilt als Inhalt der Verhandlung im Sinne von § 286 ZPO und fließt in die richterliche Überzeugungsbildung ein (Zöller-Greger, a.a.O., § 141 ZPO, Rn 1 a; § 286 ZPO, Rn 14).
Die Klägerin selbst hat in ihrer Anhörung angegeben, für sie hätten im Vordergrund die extremen Kopfschmerzen gestanden. Es habe zwar eine Schwindelsymptomatik bestanden, diese sei für sie jedoch in diesem Moment eher nebensächlich gewesen. Dass sie selbst von dem Schwindel oder auch von einer Übelkeit berichtet habe, hat sie nicht bekundet. Gleiches gilt für neurologische Ausfallerscheinungen. Hierzu hat die Klägerin in ihrer Anhörung angegeben, dass das Wegrutschen der Hand ihr erst hinterher erzählt worden sei. Außerdem habe sie sich in dem Gespräch nicht als Ärztin gefühlt, sondern hilflos. Damit wollte die Klägerin wohl zum Ausdruck bringen, dass sie sich selbst in diesem Moment nicht unter ärztlichen Gesichtspunkten wahrgenommen hat. Die Zeugin …hat ebenfalls bestätigt, dass der ausgeprägte Kopfschmerz im Vordergrund gestanden habe. Ihre Mutter sei zwar anders gewesen als sonst und sie habe in dem Gespräch auch erwähnt, dass sie ihre Mutter habe stützen und ihr in den Mantel habe helfen müssen. Die Zeugin hat jedoch auch bekundet, dass sie den Eindruck gehabt habe, dass der Beklagte zu 2) sie insoweit nicht wahrgenommen habe. Der Beklagte zu 2) hatte keine Erinnerung an die Angabe von Schwindel, Übelkeit und neurologischen Ausfallerscheinungen. Ihm sei derartiges auch nicht aufgefallen. Wären Angaben insoweit erfolgt, so hätte er diese in seinem Vermerk niedergelegt. Die Beklagten haben zudem unter Hinweis auf die dokumentierte Anamnese darauf hingewiesen, dass bei der erneuten Einlieferung am Abend eine Schwindelproblematik ab 10:00 Uhr morgens angegeben worden sei.
Die Kammer hat daher begründete Zweifel daran, dass in dem Gespräch am Morgen auch Schwindel, Übelkeit und/oder neurologische Ausfallerscheinungen kommuniziert worden sind.
b) Der – unstreitige – Verzicht auf eine klinische Untersuchung am Morgen des 16.03.2009 stellt einen Befunderhebungsfehler dar.
Der Sachverständige Prof… hat sowohl in seinen schriftlichen Gutachten als auch in der mündlichen Verhandlung am 22.09.2016 ausgeführt, dass beim Vorliegen stärkster Kopfschmerzen eine klinische Untersuchung am Morgen nach dem medizinischen Standard durchzuführen gewesen wäre, um danach zu entscheiden, ob und welche weitere Diagnostik ggf. erforderlich sei. Kopfschmerzen seien als Leitsymptome sehr unspezifisch. In ca. 90 % der Fälle seien sie idiopathisch, d.h. ohne nachweisbare Ursache, und müssten daher von symptomatischen Kopfschmerzen, also solchen mit organischer Ursache, wegen der therapeutischen Konsequenzen differenziert werden. Basis für eine solche Differenzierung sei eine körperliche Untersuchung und eine gezielte Anamnese. Aus Sicht des Sachverständigen erforderlich gewesen wären eine klinische Basisdiagnostik, wobei auf die Messung des Blutdrucks vor dem Hintergrund, dass die Klägerin diesen selbst in der Nacht gemessen hatte, möglicherweise auch hätte verzichtet werden können, sowie die Erhebung eines groben neurologischen Status (Überprüfung, ob ein Nystagmus, eine Pupillendifferenz, eine normale Pupillenlichtreaktion, ein Meningismus, eine Blickparese oder eine motorische Schwäche besteht), der allenfalls eine Minute gedauert hätte und prinzipieller Bestandteil einer internistischen Basisuntersuchung sei, insbesondere, wenn eine neurologische Ursache nicht gänzlich ausgeschlossen erscheine. Vor dem Hintergrund, dass das durchgeführte CT eine Erklärung für die angegebenen extrem starken Kopfschmerzen nicht geliefert habe, und damit gravierende zerebrale Erkrankungen nicht ausgeschlossen gewesen seien, wäre es erforderlich gewesen, andere mögliche intrazerebrale Prozesse durch die Erweiterung der Diagnostik durch eine CT-Angiographie oder ein MRT des Schädels auszuschließen. In der Folge wäre bei einem pathologischen körperlichen Untersuchungsbefund ein Monitoring der Klägerin unter stationären Bedingungen notwendig gewesen. Bei einem neuropathologischen klinischen Befund wäre die Aufnahme in einer Stroke-Unit-Abteilung oder in eine neurologische Klinik zu veranlassen gewesen (vgl. Erstgutachten vom 21.07.2015, Seite 6, 7; Ergänzungsgutachten vom 15.12.2015, Seite 2, 3; Sitzungsprotokoll vom 22.09.2016, Seite 2, Bl. 466 d.A.).
c) Bei einer unterlassenen Befunderhebung wird nach der Rechtsprechung der kausale Zusammenhang zwischen dem Befunderhebungsfehler und dem eingetretenen (Primär-)Schaden nur dann vermutet, wenn die Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (mehr als 50%) einen auffälligen Befund ergeben hätte, auf den umgehend hätte reagiert werden müssen, sodass ein Nichteingreifen grob fehlerhaft gewesen wäre, und die gebotene Maßnahme zumindest generell geeignet gewesen wäre, den Eintritt des Schadens zu vermeiden (vgl. BGH – Urteil vom 13.09.2011 – VI ZR 144/10 – Rz. 8 m.w.N.).
Ob die unterlassene Befunderhebung am Morgen – wäre sie durchgeführt worden – im vorliegenden Fall ein reaktionspflichtiges Ergebnis ergeben hätte, ist nach den Ausführungen des neurologischen Sachverständigen … spekulativ. Hierzu hat der Sachverständige Prof. … schriftlich ausgeführt, dass das Ergebnis eines grob neurologischen Status am Morgen völlig ungewiss sei. Die Angaben der Klägerseite enthielten nur unspezifische Symptombeschreibungen wie „etwas schwindelig“, „düselig sein“, Hilfestellung beim Aussteigen aus dem Auto und beim Anziehen des Mantels. Gut vorstellbar sei zwar für den Fall, dass diese Symptome tatsächlich bestanden haben, dass eine gezielte körperliche Untersuchung den Befund einer leichten Parese (Lähmung), Ataxie (motorische Koordinationsstörung) oder eine Gleichgewichtsstörung (Gangstörung, Augenbewegungsstörung) erbracht hätte. Am ehesten wäre vermutlich eine leichtgradige Hemiparese oder Hemiataxie der linken Körperhälfte aufgefallen. Diese Annahme stütze sich auf den Umstand, dass im weiteren Verlauf des Vormittags als nächstes Symptom eine Bewegungsstörung des linken Armes aufgetreten sei, sodass die Klägerin ein Blatt Papier nicht mehr habe festhalten können (vgl. Gutachten vom 07.04.2017, Seite 17). Eine Wahrscheinlichkeit dieses Befundergebnisses von über 50 % vermag die Kammer aber danach nicht festzustellen.
Die Klägerin kann sich jedoch für den Eintritt eines Primärschadens auf eine zu ihren Gunsten wirkende Beweislastumkehr im Hinblick darauf berufen, dass dem Beklagten zu 2) ein grober Befunderhebungsfehler unterlaufen ist.
Für die haftungsbegründende Kausalität greift grundsätzlich eine Beweislastumkehr für den Kausalzusammenhang ein (vgl. jetzt § 630h V 1 BGB), wenn ein grober Behandlungsfehler des behandelnden Arztes festgestellt werden kann (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. Rn G 133 m.w.N.). So kann auch die Nichterhebung von Befunden bei zweifelsfrei gebotener Befunderhebung sich als grober Behandlungsfehler darstellen. So liegt der Fall hier.
Das Unterlassen der Basisdiagnostik und der Erhebung des Neurostatus hat der Sachverständige Prof. … als grob fehlerhaft bewertet. Es entspreche in keiner Weise den medizinischen Standards, darauf zu verzichten. Man müsse die Symptombeschreibung ernst nehmen und komme nicht daran vorbei. Der Internist lebe von der klinischen Untersuchung. Das Leitsymptom müsse eingegrenzt werden. Ein reines Anschauen der Patientin entspreche in keiner Weise dem medizinischen Standard. Die ausschließliche Veranlassung eines CT‘s sei keinesfalls ein Mehr als das, was an Diagnostik geboten gewesen sei, denn mit einem CT könne man in keiner Weise all das messen, was mit den geforderten Untersuchungen hätte gemessen werden können (vgl. Sitzungsprotokoll vom 22.09.2016, Seite 2, 3, Bl. 466 f d.A.).
Die Kammer schließt sich dieser medizinischen Bewertung, nämlich dass die unterlassene gebotene Diagnostik den medizinischen Standard weit unterschritten habe und deshalb schlichtweg nicht mehr verständlich sei, aus juristischer Sicht an. Nur ergänzend und ohne dass es darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass hat auch der neurologische Sachverständige Prof. … grob fehlerhaft bewertet hat (vgl. Gutachten von Prof. Dr. … vom 07.04.2017, Seite 8).
Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, so ist es für die Annahme einer Beweislastumkehr zwischen dem Behandlungsfehler und dem Eintritt des Primärschadens ausreichend, wenn der grobe Behandlungsfehler generell geeignet ist, diesen konkreten Gesundheitsschaden hervorzurufen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht (vgl. Martis/Winkhart, a.a.O., Rn U 52). Auch dieses ist nach dem Ergebnis der Beweiserhebung anzunehmen. Der Sachverständige Prof. … hat im schriftlichen Gutachten eine generelle Eignung bejaht. Bezogen auf den Einzelfall gebe es zwar viel zu viele Unwägbarkeiten, um sicher behaupten zu können, dass der weitere Krankheitsverlauf durch eine körperliche Untersuchung, stationäre Aufnahme und/oder weitere Diagnostik am Morgen sich anders dargestellt hätte. So sei bereits nicht einmal sicher, ob am Morgen eine Hirnvenenthrombose überhaupt schon bestanden habe, auch wenn dieses aus der ex-post-Sicht kaum zu bezweifeln sei. Im Falle einer stationären Beobachtung der Klägerin wären aber vermutlich spätestens nach der Entwicklung einer eindeutigen Bewegungsstörung der linken Körperhälfte im Laufe des Vormittags weitere Untersuchungen erfolgt. Dies hätte zu einer früheren Diagnosestellung und Therapieeinleitung führen können, mit der möglichen Konsequenz eines milderen Krankheitsverlaufs (vgl. Gutachten vom 07.04.2017, Seite 17/18). Im Termin am 19.04.2018 hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, dass, wäre eine Untersuchung am Morgen erfolgt und hätte diese einen fokal auffälligen Befund ergeben, ein Neurologe hätte hinzugezogen werden müssen. Die Klägerin wäre dann stationär – vermutlich auf einer Stroke-Unit – aufgenommen worden und man hätte ein MRT gemacht. Hätte man darin die Auffälligkeiten gesehen, die später zu erkennen waren, so hätte man entsprechend reagieren können. Unter Hinweis auf klinische Erfahrungen, die nicht durch randomisierte Studien abgesichert seien, hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass es absolut spekulativ sei, ob eine frühzeitigere Behandlung den Krankheitsverlauf beeinflusst hätte. Zwischen dem Auftreten der ersten Symptome bis zu Diagnosestellung vergingen oftmals Stunden, manchmal sogar Tage. Es zeigten aber mehr als 80 % der Patienten einen günstigen Verlauf und erreichten einen Zustand ohne Symptome oder Behinderung (vgl. Sitzungsprotokoll vom 19.04.2008, Seite 2, Bl. 565 d. A.).
Dies führt jedoch nicht dazu, dass sich die Klägerin nicht mehr auf eine Beweislastumkehr berufen kann. Denn dass der Eintritt des Primärschadens gerade aufgrund des konkreten, groben Behandlungsfehlers „äußerst unwahrscheinlich“ bzw. „gänzlich unwahrscheinlich“ ist, und deshalb die Beweislastumkehr nicht eintritt, haben die Beklagten nicht nachweisen können. Insoweit muss jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem aufgetreten Gesundheitsschaden äußerst unwahrscheinlich sein (vgl. Martis/Winkhart, a.a.O. Rn G 255 m.w.N.). Dies lässt sich mit den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Prof. … indes nicht feststellen. Der Sachverständige hat nämlich im schriftlichen Gutachten und im Termin am 19.04.2018 (insoweit nicht protokolliert) weiter ausgeführt, dass es nicht äußerst unwahrscheinlich sei, dass sich eine Untersuchung am Morgen positiv auf den weiteren Krankheitsverlauf ausgewirkt habe (vgl. Gutachten vom 07.04.2017, Seite 18).
2. Behandlungsfehler im Sinne eines Verstoßes gegen den medizinischen Standard im Zusammenhang mit der Behandlung am Abend des 16.03.2009 lassen sich demgegenüber nicht feststellen.
Hierzu hat der Sachverständige Prof. … in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, der Behandlungsablauf sei vom Eintreffen in der Notaufnahme am Abend des 16.03.2009 aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der Verlauf der Diagnostik und der Therapie sei lege artis gewesen. Auch wenn eine raschere Abfolge der Untersuchungen und ein früherer Therapiebeginn günstiger gewesen wären, so liege dennoch ein Verstoß gegen den medizinischen Standard nicht vor. Die strengen Zeitvorgaben für den typischen arteriellen Schlaganfall (Hirninfarkt) könnten für eine Hirnvenenthrombose nicht als Maßstab gelten, zumal auch die rettungsdienstliche Vorstellung unter der Leitdiagnose eines epileptischen Anfalls erfolgt sei. Auch nach dem Nachweis einer Hirnblutung im CT habe nicht zwangsläufig unverzüglich eine CT-Angiographie durchgeführt werden müssen. Das Abwarten der radiologischen Beurteilung, des neurochirurgischen Konsils und der persönlichen Urteilsbildung des ins Haus gerufenen fachärztlich-neurologischen Hintergrundarztes sei aus medizinischer Sicht vertretbar (vgl. Gutachten vom 07.04.2017, Seite 11,13, 14).
Es hätte nicht frühzeitiger eine Therapie eingeleitet werden müssen. Die Überwachung auf der Stroke-Unit, die bereits als schlaganfallspezifische Therapie zu werten sei, sei unmittelbar nach der Diagnose der Hirnblutung begonnen worden. Die Indikation für eine blutgerinnungshemmende Therapie (Heparinisierung) habe erst nach Durchführung und sorgfältiger Befundung des CT-Antibiogramms gestellt werden können. Zwischen dem Beginn der CT-Angiographie und dem Beginn der Heparintherapie sei maximal 1 Stunde vergangen, was nicht zu beanstanden sei (vgl. Gutachten vom 07.04.2017, Seite 14).
Im Termin am 19.04.2018 hat der Sachverständige Prof. … auf Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergänzend ausgeführt, dass die Erstellung eines nativen CT‘s nach Aufnahme in der Situation genau das richtige gewesen sei. Das native CT habe eine kleine und eine große Blutung gezeigt. Insofern sei es auch richtig gewesen, die Neurochirurgie … zu konsultieren und im weiteren Verlauf ein Angio-CT durchzuführen. Zwar hätte man das Angio-CT eher veranlassen können, eine zeitlich frühere Durchführung des Angio-CT sei jedoch medizinisch nicht geboten gewesen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 19.04.2018, Seite 3, Bl. 566 d. A.).
II.
Die Sachverständigen haben ihre medizinischen Wertungen nachvollziehbar und überzeugend sowohl in den schriftlichen Gutachten als auch in den mündlichen Verhandlungen dargelegt. Die Kammer schließt sich diesen medizinischen Wertungen aus juristischer Sicht an.
III.
Das Feststellungsbegehren ist zulässig und begründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haften die Beklagten wegen eines groben Befunderhebungsfehlers auf Schadensersatz. Zukünftige weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen und/oder materielle Schäden können angesichts des Krankheitsbildes nicht ausgeschlossen werden.
Zur Höhe ist die Klage jedoch noch nicht entscheidungsreif. Es bedarf insbesondere weiterer Aufklärung, welche Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Klägerin vorliegen und welche finanziellen Schäden auf das haftungsbegründende fehlerhafte Verhalten zurückzuführen sind.