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Sachverständigenablehnung – Besorgnis der Befangenheit bei Überschreitung des Gutachterauftrags

LG Schweinfurt, Az.: 12 O 728/14, Beschluss vom 17.01.2017

Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. med. J. D. wird für begründet erklärt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten wegen Schmerzensgeld- und Schadensersatzforderungen aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler. Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe bei ihr ohne, jedenfalls ohne zwingende medizinische Indikation eine operative Implantation einer retropubischen, midurethalen Inkontinenzschlinge (Serasis) sowie eines hinteren Netzes in 4-Punkt-Technik (infraoccygeale Sakropexie mit Netzimplantat Seratom) durchgeführt.

Mit Beschluss vom 21.7.2016 hat das Landgericht Schweinfurt den Sachverständigen Prof. Dr. med. J. D. mit der Erstattung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Beweisbeschluss enthält zum Begutachtungsauftrag namentlich folgende Passagen:

Sachverständigenablehnung - Besorgnis der Befangenheit bei Überschreitung des Gutachterauftrags
Symbolfoto: venusvi/Bigstock

„I. Es ist Beweis zu erheben über die Behauptung der Klagepartei, dass die am 26.11.2008 bei der Klägerin vom Beklagten durchgeführte Operation und die dabei erfolgte Implantation einer retropubischen midurethalen Inkontinenzschlinge und eines hinteren Netzes in 4-Punkt-Technik nicht, zumindest aber nicht zwingend, medizinisch indiziert gewesen sei, durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.

II. Sofern der Sachverständige einen Behandlungsfehler feststellt, möge er auch dazu Stellung nehmen, ob es sich um einen sog. groben Behandlungsfehler handelt.“ [Es folgen Ausführungen zum Begriff des sog. groben Behandlungsfehlers]

III. Soweit der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass unter Berücksichtigung der vorstehenden Vorgabe zur Feststellung eines groben Behandlungsfehlers lediglich ein einfacher Behandlungsfehler vorliegt, möge er weitergehend zu der Frage Stellung nehmen, ob die von der Klägerseite angeführten Beschwerden (…) in der Zeit nach der Operation vom 26.11.2008 auf dem Eingriff vom 26.11.20008 beruhen.“

In seinem am 8.11.2016 vorgelegten Sachverständigengutachten führt der Sachverständige – neben anderem – ab S. 12 aus, eine (der streitgegenständlichen Operation vorausgegangene, bei der Klägerin durch den Beklagten im April 2008 vorgenommene) Entfernung beider Eierstöcke sei wegen eines vom Beklagten vorgegebenen Verdachts auf Endometriose aufgrund der medizinischen Vorgeschichte der Klägerin nicht indiziert gewesen. Ab S. 14 äußert der Sachverständige sodann Zweifel an der Hinlänglichkeit der gegenüber der Klägerin im Vorfeld der Operation vom 26.11.2008 erfolgten ärztlichen Aufklärung. Er bewertet hierzu Dauer und Inhalt des Aufklärungsgesprächs sowie die Inhalte des vorhandenen Aufklärungsbogens. Hiernach kommt der Sachverständige zu dem Schluss: „Der Sachverständige sieht in den Vorbehandlungen und Vorbereitungen, insbesondere in der Aufklärung zu der planbaren Operation einen Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht und damit einen groben Behandlungsfehler.“

Das Gutachten wurde der beklagten Partei am 14.11.2016 zugestellt. Die beklagte Partei hat den Sachverständigen hierauf mit Schriftsatz vom 8.12.2016, der am 12.12.2016 bei Gericht einging, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Sachverständige hat hierzu Stellung genommen; die Klägerin hat beantragt, das Ablehnungsgesuch zurück zu weisen.

II.

Das Ablehnungsgesuch ist zulässig, insbesondere innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten angebracht worden (zur Frist BGH NJW 2005, 1869).

Das Gesuch ist auch begründet, weil vom Standpunkt der beklagten Partei aus objektiv und vernünftig betrachtet ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen Hierzu genügt jede Tatsache, die ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann (BGH aaO m. W. N.; OLG München VersR 2008, 944 mwN).

Die Besorgnis der Befangenheit kann vor diesem Hintergrund insbesondere bestehen, wenn der Sachverständige sich von dem ihm unterbreiteten Gutachtensauftrag entfernt (OLG Naumburg MDR 2012, 802; OLG Saarbrücken NJW-RR 2008, 1087; OLG Jena, FamRZ 2008, 284; OLG Celle, NJW-RR 2003, 135; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.03.1993, Az. 8 W 5/93 [juris]; Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., 2016, § 406 Rn. 2).

Dies ist hier in doppelter Hinsicht der Fall.

Im vorliegenden Fall war dem Sachverständigen ein klar umrissener Auftrag zur Expertise unterbreitet worden, nach dem er die medizinische Indikation einer konkreten Operation – nämlich der vom 26.11.2008 – prüfen sollte.

Über diesen Auftrag hinausgehend hat der Sachverständige im Zuge der Auseinandersetzung mit der – freilich als solcher zu berücksichtigenden – medizinischen Vorgeschichte eine zuvor an der Klägerin von dem Beklagten im April 2008 durchgeführte Operation als behandlungsfehlerhaft bewertet. Die Bewertung dieser Operation war ihm indes weder unterbreitet noch ist sie Gegenstand des Rechtsstreits.

Darüber hinaus hat der Sachverständige ausführlich – obgleich auch insoweit nicht beauftragt – Stellung zur Frage der Aufklärung genommen und hierbei potenzielle Aufklärungsfehler aufgezeigt. Die hierfür vom Sachverständigen in seiner Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch gegebene Begründung, wonach nach seinem Dafürhalten Aufklärungsfehler und Indikation in einem untrennbaren Zusammenhang stünden, zeigt keine spezifischen Besonderheiten auf, die in diesem Fall eine ausnahmsweise Heranziehung des Aufklärungsgeschehens zur Beurteilung der medizinischen Indikation rechtfertigen könnten. Wie der Sachverständige hierzu auch letztlich selbst bemerkt, besteht ein gewisser Zusammenhang letztlich für jeden ärztlichen Eingriff.

Aufklärungsmängel mit ihren differenzierten Rechtsfolgen sind jedoch von Fehlern der Indikationsstellung scharf zu trennen. Sie können jeweils für sich genommen und unabhängig voneinander Ansprüche gegen die beteiligten Ärzte auslösen. Der Sachverständige darf aus diesem Grunde den Parteien nicht ohne entsprechende Erweiterung des Gutachtensauftrages zusätzliche Angriffspunkte aufzeigen ((OLG Naumburg aaO); OLG München aaO).

III.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 406 Abs. 5 ZPO).

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