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Unterbliebene Aufklärung bei fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung – Schmerzensgeldanspruch

LG Dortmund – Az.: 4 O 90/09 – Urteil vom 06.04.2011

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelas-sen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte anlässlich einer zahnärztlichen Behandlung in der Zeit vom 18.07.2007 bis 20.02.2008 auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung der weiteren Ersatzpflicht in Anspruch.

Am 18.07.2007 begab sich die Klägerin mit Beschwerden in zahnärztliche Behandlung der Beklagten. Im Bereich der Zähne 35 bis 37 befand sich bei der Klägerin eine Brücke. Die Beklagte erstellte eine Röntgenaufnahme dieses Zahnbereiches und entfernte sodann die Brücke. Dabei wurde unter der Brücke am Zahn 37 eine „caries profunda“ festgestellt, wobei der Nerv ausweislich der Patientenkarte schon „durchschimmerte“. Die Karies am Brückenanker 37 wurde entfernt. Dabei kam es zu einer Eröffnung der Pulpa. Auf dieses Risiko wurde die Klägerin vor der Behandlung nicht hingewiesen. Infolgedessen wurde der Zahn 37 überkappt. Ausweislich der Dokumentation wurde die Klägerin auf mögliche Spätfolgen und auf die Notwendigkeit, die Brücke im Bereich der Zähne 35 bis 37 zu erneuern, hingewiesen. Darüber hinaus wurde ein Sensibilitätstest des Zahns 37 durchgeführt, auf den dieser positiv reagierte. Wegen der Karies entschied sich die Beklagte mit einer weiteren Behandlung 8 bis 12 Wochen zuzuwarten, um zu überprüfen, ob der Zahn „ruhig“ bleibt.

Am 20.07.2007 stellte sich die Klägerin erneut bei der Beklagten vor. Aus der Dokumentation ergibt sich, dass der Zahn 37 bei dieser Behandlung weiterhin empfindlich war.

Unter dem 20.08.2007 erfolgte eine weitere Vorstellung bei der Beklagten. Dabei wurde der Zahn 37 nicht behandelt. Vielmehr wurde der Zahn 46 mit einer einflächigen Füllung versehen. Ausweislich der Patientenkarte war der Zahn 37 nicht mehr empfindlich. Der durchgeführte Vitalitätstest fiel positiv aus.

Am 31.10.2007 stellte sich die Klägerin erneut bei der Beklagten vor. Die Beklagte führte bei diesem Termin eine Kronenaufbaufüllung im Bereich der Zähne 35 und 37 durch. Die durchgeführte Vitalitätsprobe am Zahn 37 war weiterhin positiv.

Am 12.11.2007 behandelte die Beklagte den Zahn 37 erneut mit einer indirekten Überkappung. Im Übrigen fand eine Anprobe des Brückengerüstes statt.

unterbliebene Aufklärung bei fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung - Schmerzensgeldanspruch
Symbolfoto: Von studio2sim/Shutterstock.com

Unter dem 19.11.2007 wurde dann die Voll-Keramik-Brücke für die Zähne 35 bis 37 eingegliedert.

Am 03.12.2007 wurde die Klägerin erneut von der Beklagten behandelt. Ausweislich der Dokumentation war die durchgeführte Kontrolle des eingesetzten Zahnersatzes sowie die Okklusion ohne Befund. Die Klägerin äußerte gegenüber der Beklagten, dass ihr die Brücke zu stumpf vorkam. Die Beklagte riet der Klägerin jedoch, weiter abzuwarten.

Am 16.02.2008 stellte sich die Klägerin mit starken Schmerzen in der Praxis der Beklagten vor. Ausweislich der Dokumentation wurde sie an diesem Tag nicht von der Beklagten, sondern von deren Kollegin und Zahnärztin I behandelt. Der bei dieser Behandlung durchgeführte Sensibilitätstest fiel negativ aus. Die Kollegin I versorgte den Zahn 37 daher mit einer Wurzelbehandlung.

Am 20. und 21.02.2008 ließ sich die Klägerin letztmalig von der Beklagten behandeln. Ausweislich der Dokumentation wurde bei diesem Termin die mögliche Weiterbehandlung besprochen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Dokumentation in der Patientenkarte zu diesen Terminen verwiesen.

In der Folgezeit begab sich die Klägerin in die Behandlung ihres ursprünglichen Zahnarztes M in O.

Die Klägerin rügt eine unterbliebene Aufklärung sowie eine fehlerhafte Behandlung.

Sie ist der Ansicht, dass die Beklagte sie vor der Entfernung der Karies über das Risiko einer Pulpa-Eröffnung hätte aufklären müssen.

Ferner behauptet die Klägerin, dass die Beklagte sie fehlerhaft behandelt habe. Die Beklagte habe am 18.07.2007 nach Eröffnung der Pulpa fehlerhaft eine Überkappung des Zahns 37 vorgenommen. Es hätte jedoch bereits am 18.07.2007 und spätestens am 20.07.2007 eine Wurzelbehandlung durchgeführt werden müssen. Im Übrigen hätte die Kronenaufbaufüllung nicht bereits 3 ½ Monate nach der Eröffnung der Pulpa erfolgen dürfen.

Die Klägerin behauptet weiter, dass bei der Folgebehandlung im Februar 2008 durch M ein OPG angefertigt worden sei. Dabei sei als Ursache für die Beschwerden eine Zyste im Bereich des Zahns 37 festgestellt worden. Die Größe der Zyste habe 6 bis 8 mm betragen. Dies sei für eine Zyste eine gewaltige Größe. Die Zyste habe bereits während des gesamten Zeitraumes der Behandlung durch die Beklagte vorgelegen. Die Beklagte habe jedoch fehlerhaft die Zyste nicht erkannt, obwohl sie bereits auf der Röntgenaufnahme vom 18.07.2007 erkennbar gewesen sei.

Die Klägerin behauptet ferner, dass die Dokumentation der Beklagten nicht korrekt sei. Die Klägerin habe sowohl am 20.08.2007 als auch am 31.10.2007 unverändert unter Schmerzen im Bereich des Zahns 37 gelitten. Dies ergebe sich auch daraus, dass zu diesem Zeitpunkt die Zyste bereits vorhanden gewesen sei.

Die Klägerin behauptet ferner, dass die Beklagte sie nicht hätte weiterbehandeln dürfen, ohne die Ursache der Schmerzen zu behandeln. Die Beklagte hätte vor der Eingliederung der Brücke zumindest eine weitere Röntgenaufnahme erstellen müssen. Diese Röntgenaufnahme wäre selbst dann erforderlich gewesen, wenn die Klägerin schmerzfrei gewesen wäre. Die Beklagte hätte nämlich aufgrund der festgestellten „caries profunda“ am Zahn 37 röntgenologisch und nicht lediglich klinisch überprüfen müssen, ob sich der Zahn in einem Zustand befindet, der eine Überbrückung zuließ. Diese Behandlungsfehler seien insgesamt als grobe Fehler einzustufen.

Die Klägerin behauptet weiter, der Zahn 37 habe infolge der fehlerhaften Behandlung der Beklagten extrahiert werden müssen. Bei rechtzeitiger Behandlung hingegen hätte der Zahnverlust vermieden werden können. Im Übrigen sei der Zahn 37 bis heute unversorgt. Es müsse jedoch in Zukunft eine Versorgung mit einem Implantat erfolgen. Auch diese Behandlung sei mit Schmerzen verbunden. Die Klägerin behauptet ferner, dass sie während der gesamten Behandlungsdauer vom 18.07.2007 bis 16.02.2008, das heißt, fast 7 Monate unter starken Schmerzen gelitten habe. Diese Schmerzen seien so stark gewesen, dass Schmerzmittel nicht mehr gewirkt hätten. Bei rechtzeitiger Behandlung hätten diese Schmerzen vermieden werden können.

Die Klägerin ist daher der Ansicht, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 € angemessen sei.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und weiteren nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin durch die zahnärztliche Behandlung durch die Beklagte im Zeitraum vom 18.07.2007 bis 20.02.2008 entstanden sind oder zukünftig entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass vor der Entfernung des Karies eine Aufklärung über die Möglichkeit einer Pulpa-Öffnung nicht geboten gewesen sei. Im Übrigen macht die Beklagte den Einwand der hypothetischen Einwilligung geltend. Sie behauptet, dass sich die Klägerin auch in Kenntnis dieses Risikos hätte behandeln lassen, da zur durchgeführten Karies-Entfernung keine Behandlungsalternative bestanden hätte.

Die Beklagte behauptet weiter, dass die durchgeführte Behandlung zu jedem Zeitpunkt fach- und befundgerecht erfolgt sei. Die Voraussetzungen für die Durchführung einer direkten Überkappung hätten am 18.07.2007 vorgelegen. Denn der in Rede stehende Zahn 37 sei nicht perkussionsempfindlich gewesen. Die bei der Klägerin aufgetretenen Schmerzen seien keine Spontanschmerzen aufgrund einer Pulpitis, sondern Schmerzen aufgrund der vorhandenen Karies gewesen. Im Übrigen habe sich die Pulpa-Eröffnung im nichtinfizierten Dentin befunden. Auch habe das Absterben der Pulpa nicht zwangsläufig von einer Überkappung herrühren müssen. Die Beklagte bestreitet, dass am 18.07.2007 bzw. spätestens am 20.07.2007 eine Wurzelbehandlung hätte erfolgen müssen.

Die Beklagte behauptet weiter, dass eine Zyste am Zahn 37 während der gesamten Behandlung nicht vorhanden gewesen sei. Dafür spreche bereits, dass der Zahn 37 sowohl am 18.07.2007 als auch am 31.10.2007 auf den durchgeführten Sensibilitätstest positiv reagiert habe und mithin vital gewesen sei. Im Übrigen könnten Zysten auch schubweise wachsen.

Die Beklagte behauptet ferner, dass Zysten häufig über eine apikale Parodontitis entstünden. Diese könnten sodann über eine Wurzelkanalbehandlung oder über eine Wurzelspitzenresektion behandelt werden, ohne dass es eine Entfernung des Zahnes bedürfe. Diese Behandlung habe durch Spezialisten – wie sie in der Praxis der Beklagten vorgehalten würden – zu erfolgen. Im Übrigen sei die Klägerin neben der Behandlung mittels Implantat auch über sonstige Alternativen unterrichtet worden. Die Behandlung sei auch erfolgreich gewesen und habe ohne Beschwerden der Klägerin abgeschlossen werden können. Dagegen spreche auch nicht, dass der Klägerin die Brücke zu stumpf vorgekommen sei. Dass ein Patient bei einem neuen Zahnersatz ein „fremdes Gefühl“ habe, erkläre sich von selbst. Da sich die Patienten jedoch in der Regel mit der Zeit an den neuen Zustand gewöhnen, sei in dieser Konstellation ein Abwarten angezeigt.

Die Beklagte behauptet weiter, dass auch keine weiteren Röntgenaufnahmen am 20.08.2007 oder 31.10.2007 erforderlich gewesen seien, insbesondere im Hinblick auf den zu beachtenden Strahlenschutz. Denn es habe hier ein Bild vorgelegen, das nicht älter als 6 Monate gewesen sei. Im Übrigen habe sich am 18.07.2007 auch keine Verschlechterung des Befundes ergeben. Daher sei auch die klägerische Bezugnahme auf eine unterlassene Befunderhebung unzutreffend.

Die Beklagte behauptet ferner, dass am 16.02.2008 eine apikale Parodontitis, und zwar ausgehend von einem Absterben des Zahnnervs durch ein Trauma in Form einer tiefen Karies vorgelegen habe. Daher sei von der Kollegin, der Zahnärztin I, eine Wurzelkanalbehandlung des Zahns 37 vorgenommen worden. Die Klägerin sei jedoch im Anschluss an die Behandlung vom 16.02.2008 wieder schmerzfrei geworden.

Die Beklagte behauptet im Übrigen, dass die von der Klägerin vorgetragenen Beeinträchtigungen und Schäden nicht auf eine fehlerhafte Behandlung durch sie zurückzuführen seien. Darüber hinaus bestreitet die Beklagte, dass die Klägerin auch noch am 20.08.2007 unter fortbestehenden Schmerzen gelitten habe. Denn zwischen der Vorstellung am 20.07.2007 und 20.08.2007 habe ein Zeitraum von einem Monat gelegen. Es sei jedoch nicht vorstellbar, dass die Klägerin über einen solchen Zeitraum Zahnschmerzen verspürt habe, ohne sich bei einem Zahnarzt vorzustellen.

Die Beklagte behauptet weiter, dass zwischen einem periapikalen Granulom und einer radikulären Zyste aufgrund einer radiologischen Untersuchung nur schwerlich unterschieden werden könne. Eine sichere Diagnose könne nur durch eine histologische Untersuchung erreicht werden. Darüber hinaus würden Zysten im Allgemeinen keine Schmerzen verursachen und die Zähne, Nerven und Gefäße schmerzlos verdrängen. Die Beklagte bestreitet den weiteren Behandlungsverlauf und die vorgetragenen Beschwerden der Klägerin mit Nichtwissen. Auch werden die materiellen und immateriellen Ansprüche der Klägerin dem Grunde und der Höhe nach bestritten.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 € übersetzt sei. Hinsichtlich des Feststellungsantrags fehle es an einem Feststellungsinteresse, da nicht ersichtlich sei, inwiefern sich der Zustand der Klägerin zukünftig verschlechtern solle.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

Die Kammer hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von S, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 03.07.2010 (Bl. 64 ff. d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.04.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung der weiteren Ersatzpflicht gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 ff., 253 BGB bzw. §§ 823, 249 ff., 253 BGB nicht zu. Denn die Kammer ist nach Durchführung der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Behandlung der Klägerin durch die Beklagte im Zeitraum vom 18.07.2007 bis 20.02.2008 den Regeln des zahnärztlichen Standards entsprochen hat.

Die Behandlung der Klägerin am 18.07.2007 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin stellte sich an diesem Tag erstmalig mit Schmerzen bei der Beklagten vor. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer vollumfänglich anschließt, nahm die Beklagte die notwendigen Untersuchungen in Form einer Röntgenaufnahme sowie eines Vitalitätstestes vor. Die von der Beklagten gestellte Diagnose einer „caries profunda“ am Pfeilerzahn 37 war zutreffend. Diese Karies war – so der Sachverständige – auf dem Röntgenbild vom 18.07.2007 sichtbar und auch mit den geschilderten Schmerzen der Klägerin kompatibel. Der Sachverständige hat erläutert, dass aufgrund der Tiefe der Karies unmittelbarer Behandlungsbedarf bestand. Da der Vitalitätstest positiv ausfiel, war es hier angezeigt, die Karies zu entfernen. Dabei kam es unstreitig zu einer Eröffnung der Pulpa. Eine Eröffnung der Pulpa kann einerseits beim Aufbohren des Zugangs zum kariösen Bereich, andererseits dadurch entstanden sein, dass die Karies bis ins tiefe Dentin reichte. Aus der Dokumentation der Beklagten ergibt sich die Ursache für die Pulpa-Eröffnung nicht. Der Sachverständige hat jedoch erläutert, dass eine derartige Pflicht zur Dokumentation nicht besteht. Der behandelnde Zahnarzt entscheidet vielmehr in der konkreten Situation nach dem, was er klinisch sieht. Darüber hinaus kommt es auch auf die Anamnese an. Im Übrigen ergibt sich aus der Art der weiteren Behandlung, welche Form der Pulpa-Eröffnung aus Sicht des Zahnarztes vorgelegen haben muss.

Die Kammer kann daher nicht feststellen, dass eine tiefe Karies, die im Bereich der Pulpa lag, Ursache für die Pulpa-Eröffnung war. Vielmehr ist aufgrund der Beweislast, die insofern bei der Klägerin liegt, davon auszugehen, dass die Pulpa-Eröffnung beim Bohren des Zugangs entstanden ist. Der Sachverständige hat erläutert, dass in dieser Situation eine Überkappung des Zahns 37 indiziert war. Denn zum einen war der Zahn ausweislich der Vitalitätsprobe noch vital, zum anderen hatte die Klägerin in der Vergangenheit – wie sie im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung schilderte – keinerlei Beschwerden mit diesem Zahn. Daher durfte die Beklagte – so der Sachverständige – von der Prognose ausgehen, dass sich der Zahn im weiteren Behandlungsverlauf erholen wird. Daher war es auch fachgerecht, der Klägerin zu raten, weiter zuzuwarten. Die Überkappung wurde im Übrigen ordnungsgemäß durchgeführt.

Die Klägerin konnte auch nicht beweisen, dass die Beklagte am 18.07.2007 eine Zyste am Zahn 37 fehlerhaft nicht erkannt hat. Der Sachverständige hat hierzu erläutert, dass eine Zyste auf dem Röntgenbild vom 18.07.2007 nicht zu erkennen war. Im Übrigen kann sie nach den Erläuterungen des Sachverständigen zu diesem Zeitpunkt auch nicht bestanden haben, da der Zahn ausweislich des Vitalitätstestes noch vital war. Radikuläre Zysten entstehen allerdings nur an devitalen Zähnen.

Auch die von der Klägerin geltend gemachte Rüge der unterlassenen Risikoaufklärung verfängt nicht. Die Kammer ist in Anlehnung an die Ausführungen des Sachverständigen zur zahnärztlichen Praxis der Auffassung, dass über das Risiko einer Pulpa-Eröffnung im Rahmen einer Karies-Exkavation nicht aufzuklären ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Patient auch auf seltene und sogar extrem seltene Risiken hinzuweisen, die im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend sind (vgl. BGH VR 2000, 725). Dass es sich bei der Eröffnung der Pulpa um ein der Karies-Exkavation spezifisch anhaftendes Risiko handelt, hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass der durchschnittliche Patient weiß, dass sich im Zahn ein Nerv befindet, der beim Bohren getroffen und verletzt werden kann. Dies gilt insbesondere für solche Patienten, die sich – wie die Klägerin – mit akuten Zahnschmerzen beim Zahnarzt vorstellen, da in diesen Fällen in der Regel mehr exkaviert werden muss. Daher ist dem Sachverständigen aus seiner zahnärztlichen Praxis auch kein Zahnarzt bekannt, der über das Risiko einer Pulpa-Eröffnung aufklärt. Das Risiko einer Pulpa-Eröffnung ist im Übrigen auch nicht mit dem Risiko einer Nervenschädigung im Rahmen einer Leitungsanästhesie, über das nach überwiegender Auffassung aufzuklären ist, vergleichbar. Der Sachverständige hat hierzu erläutert, dass nach einer Eröffnung der Pulpa sogar die Möglichkeit besteht, dass der Zahn vital bleibt. Andernfalls muss eine Versorgung im Rahmen einer Wurzelbehandlung erfolgen. Zwar geht damit ein Absterben des Zahnnervs einher, der Zahn als solcher kann jedoch erhalten bleiben. Diese Risiken sind deutlich geringer als das Risiko von Lähmungen nach einer durchgeführten Leitungsanästhesie.

Darüber hinaus beruft sich die Beklagte mit Erfolg auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, dass sie in Kenntnis dieses Risikos auch ein Extraktion des Zahnes und eine Versorgung mit einem Implantat in Betracht gezogen hätte. Sie hat jedoch auch angegeben, dass sie nach der Beratung durch die Beklagte dieser vertraut habe, dass der Zahn noch zu retten sei. Im Übrigen hat sich die Klägerin nach eigenen Angaben mit Schmerzen bei der Beklagten vorgestellt und wollte auch nicht durch einen anderen Zahnarzt behandelt werden. Die Kammer kann daher davon ausgehen, dass die Klägerin auch in Kenntnis des Risikos einer Pulpa-Eröffnung der Beklagten Vertrauen geschenkt hätte und dem gegenüber einer Extraktion weniger intensiven Eingriff einer Karies – Exkavation den Vorzug gegeben hätte.

Auch die Behandlung der Klägerin am 20.07.2007 erfolgte fachgerecht. Ausweislich der Dokumentation war der Zahn 37 an diesem Tag noch empfindlich. Der Sachverständige hat jedoch erläutert, dass ein weiteres Zuwarten vertretbar war. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Zahn 2 Tage nach der Entfernung einer tiefen Karies mit Eröffnung der Pulpa noch empfindlich ist. Daher war auch am 20.07.2007 eine Wurzelbehandlung nicht angezeigt.

Die Klägerin wurde auch am 20.08.2007 fachgerecht behandelt. Ausweislich der Patientenkarte war der Zahn 37 an diesem Tag nicht mehr empfindlich. Der Vitalitätstest ist positiv verlaufen. Die Klägerin hat den Vortrag aus der Klageschrift, das sie am 20.08.2007 weiterhin unter Schmerzen gelitten habe, im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nicht bestätigt. Im Übrigen spricht auch die Dokumentation in der Patientenkarte gegen ein Schmerzempfinden der Klägerin am 20.08.2007. Denn die Beklagte hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, dass bei Schmerzpatienten entweder durch die Sprechstundenhilfe an der Annahme oder im Behandlungszimmer ein großes rotes S in die Patientenkarte eingetragen wird. Eine derartige Dokumentation findet sich zwar am 18.07.2007, am 20.08.2007 hingegen nicht.

Die Kammer kann auch nicht feststellen, dass die Beklagte am 20.08.2007 eine erneute Röntgenuntersuchung vornehmen musste. Der Sachverständige hat hierzu erläutert, dass am 20.08.2007 der Vitalitätstest positiv ausfiel. Daher war aufgrund der klinischen Befunde nicht mit einem neuen Röntgenergebnis zu rechnen. Die Beklagte hat sich daher in nicht zu beanstandender Weise gegen eine erneute Strahlenbelastung der Klägerin durch eine weitere Röntgenaufnahme entschieden. Daher verfängt auch der Einwand, dass die Zyste auf einer durchzuführenden Röntgenaufnahme am 20.08.2007 hätte erkannt werden müssen, nicht. Im Übrigen spricht weiterhin die Vitalität des Zahnes gegen das Vorliegen einer solchen Zyste.

Auch die Behandlung der Klägerin am 31.10.2007 erfolgte fachgerecht. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, dass sie auch zu diesem Termin keine Schmerzen mehr hatte. Die Kammer schließt sich der Einschätzung des Sachverständigen an, dass die durchgeführte Kronenaufbaufüllung nicht zu früh erfolgt ist. Da der Vitalitätstest weiterhin positiv ausfiel, bestand immer noch kein Anlass, eine weitere Röntgenuntersuchung durchzuführen. Im Übrigen kann aufgrund der Vitalität des Zahnes auch keine radikuläre Zyste am Zahn 37 vorgelegen haben. Wegen der positiven Vitalität hat nach Einschätzung des Sachverständigen auch nichts gegen eine Weiterbehandlung gesprochen. Zwar wird teilweise in der Literatur ein Zeitraum von 6 Monaten oder mehr verlangt. Der Sachverständige hält jedoch die hiesige Weiterbehandlung nach 3 ½ Monaten für vertretbar. Im Übrigen besteht auch keine Garantie, dass bei längerer Wartezeit der vorgeschädigte Zahn vital bleibt. Der Sachverständige hat vielmehr erläutert, dass der Zahn prothetisch versorgt werden musste, da die Brücke bei der Entfernung vom 18.07.2007 zerstört wurde. Der Sachverständige hat abschließend festgestellt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass der Zahn vital bleiben würde.

Die Behandlung der Klägerin am 16.02.2008 wurde ausweislich der Dokumentation von der Kollegin Heisig durchgeführt. Dabei erfolgte eine Trepanation durch die Krone hindurch. Diese zahnärztliche Behandlung ist nach Auffassung des Sachverständigen nicht zu beanstanden. Im Übrigen wird sie von der Klägerin nicht als fehlerhaft gerügt.

Die Kammer kann es im Übrigen offen lassen, ob auf dem OPG aus Februar 2008 tatsächlich eine Zyste in der Größenordnung von 6 bis 8 mm oder ein Wurzelspitzengranulom zu sehen war. Denn der Sachverständige konnte ausschließen, dass dieser Befund bereits während der Behandlung durch die Beklagte vorlag und die Beklagte diesen hätte erkennen können.

Da eine fehlerhafte Behandlung der Beklagten nicht feststellbar war, unterlag die Klage der Abweisung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

 

 

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