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Aufklärungs- bzw. Behandlungsfehler – Schmerzensgeld – Leistenbruchoperation

OLG Dresden – Az.: 4 U 2901/19 – Urteil vom 20.07.2021

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 02.12.2019 – Az.: 4 O 1899/11 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 124.978,62 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten materiellen sowie immateriellen Schadensersatz und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin sämtliche weitere materielle sowie immaterielle Schäden aus den Behandlungen im Zeitraum vom 23.09.2008 bis zum 18.11.2008 im Zusammenhang mit der operativen Versorgung eines Leistenbruchs einschließlich Nachbehandlung zu ersetzen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Chemnitz vom 02.12.2019 Bezug genommen.

Das Landgericht Chemnitz hat mit Urteil vom 02.12.2019 die Beklagten zu 4) bis 7) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000,00 € nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.064,81 € nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Beklagten zu 4) bis 7) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen weiteren materiellen sowie immateriellen Schaden aus der Behandlung vom 17.11.2008 bis 18.11.2008 auszugleichen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Aufklärung zur Operation vom 17.11.2008 sei fehlerhaft und die Operation damit rechtswidrig gewesen, was zur Haftung der Beklagten zu 4) bis 7) führe. Denn die Beklagten zu 4) und 5) hätten mit der Durchtrennung und Resektion der Nerven einen anderen Eingriff vorgenommen als den, über den die Klägerin aufgeklärt worden sei. Auch sei die Operation behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden, indem der operative Eingriff auf die falschen Nerven bezogen gewesen und darüber hinaus unvollständig resektiert worden sei. Durch die fehlerhafte Operationsausführung sei der Klägerin ein Schaden dahingehend entstanden, dass die Operation ohne wirksame Einwilligung rechtswidrig durchgeführt worden und der bis dahin nicht geschädigte Nervus ilioinguinalis resektiert worden sei, was zu einer Verstärkung des Gefühlsverlustes im Genitalbereich rechts sowie der funktionell wenig ins Gewicht fallenden Gefühlsminderung in einem schmalen Streifen auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels geführt habe. Auf die Frage, ob dies einen groben Behandlungsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr darstelle, komme es nicht an, da die Schadensfolge konkret bestimmbar sei. Im Hinblick auf die unterlassene Behandlung des tatsächlich geschädigten Nervus genitofemoralis komme ein darüber hinausgehender berücksichtigungsfähiger Schaden jedoch nicht in Betracht. Zudem habe die Klägerin einen darüber hinausgehenden Behandlungsfehler bzw. eine Aufklärungspflichtverletzung, die zu einer weiteren Haftung der Beklagten zu 4) bis 7) bzw. einer Haftung der Beklagten zu 1) bis 3) führe, nicht bewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Aufklärungs- bzw. Behandlungsfehler - Schmerzensgeld - Leistenbruchoperation
(Symbolfoto: Casa nayafana/Shutterstock.com)

Die Klägerin verfolgt mit der von ihr form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe verkannt, dass bereits die Operation vom 25.09.2008 behandlungsfehlerhaft gewesen sei und den Beklagten insoweit eine Aufklärungspflichtverletzung zur Last falle. Soweit das Landgericht bezüglich der Wahl der Operationsmethode einen Behandlungsfehler verneint habe, habe es nicht hinreichend die Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… beachtet. Denn dieser habe in seinen schriftlichen Ausführungen mit Gutachten vom 25.06.2018 eine erhöhte Rate an Schmerzereignissen nach der eingesetzten Bassini-Methode bestätigt und ausweislich des Protokolls vom 25.09.2019 im Rahmen seiner Anhörung darauf hingewiesen, die Methode nach Bassini weise gegenüber der Methode nach Shouldice das Risiko auf, dass etwas mehr Rezidive aufträten. Zwar habe der Sachverständige schließlich dargelegt, dass das Operationsverfahren nach Bassini habe durchgeführt werden dürfen, andererseits habe er aber darauf hingewiesen, dass die Methode nach Shouldice von vielen bevorzugt und empfohlen werde, so dass Letztere zum Operationszeitpunkt die Methode der ersten Wahl gewesen wäre. Auch in Literaturveröffentlichungen aus den Jahren 1999 bzw. 2000 werde die Rekonstruktion nach Shouldice als „heutige Standardmethode“ und als der in Deutschland am „häufigsten geübte Standard“ beschrieben, so dass die Methode nach Shouldice der nach Bassini in jeder Hinsicht überlegen gewesen und der Facharztstandard mit dem gewählten Verfahren nach Bassini fehlerhaft unterschritten worden sei. Das Landgericht hätte ferner die Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… weiter aufklären müssen, soweit dieser dargelegt habe, dass die Darstellung der Nerven zum Operationszeitpunkt kein Standard gewesen wäre. Denn aufgrund der eigenen Darlegungen des Sachverständigen, wonach in vielen Arbeiten die Darstellung der Nerven empfohlen werde, hätte die Feststellung des Sachverständigen, es habe sich dennoch nicht um den Standard gehandelt, erörtert und hinterfragt werden müssen, zumal die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 15.08.2018 unter Vorlage von Fachliteratur auf das Erfordernis der Darstellung der Nerven hingewiesen habe. Zudem habe sich der Sachverständige Prof. M…… in seinem Gutachten vom 02.05.2016 im Sinne des klägerischen Vortrages positioniert und ausweislich des Protokolls vom 29.03.2017 erklärt, im Rahmen des chirurgischen Eingriffs seien die Nerven darzustellen, da sie nur so geschont werden könnten. Diesbezüglich sei auch der Hinweis des Landgerichts nicht überzeugend, die Ausführungen des Sachverständigen Prof. M…… beträfen nicht dessen Fachgebiet. Jedenfalls hätte es den Sachverständigen Prof. S…… aber vor dem Hintergrund der Äußerungen des Sachverständigen Prof. M…… auffordern müssen, seine Darlegungen im Einzelnen zu begründen. Ihrem Vortrag, dass die Operation auch deswegen behandlungsfehlerhaft gewesen sei, weil sie von der Beklagten zu 1) als Ärztin in Weiterbildung nicht hätte durchgeführt werden dürfen, sei die Beklagtenseite nicht substantiiert entgegengetreten, insbesondere gebe es keinen substantiierten Vortrag, wie eine angebliche Arbeitsteilung zwischen der Beklagten zu 1) und dem Beklagten 2) ausgesehen habe, so dass der klägerische Vortrag als unstreitig anzusehen sei. Jedenfalls hätte das Landgericht die Beklagten zu 1) und 2) dazu persönlich anhören müssen, was die Kammer ebenfalls versäumt habe. Es seien daher grobe Behandlungsfehler gegeben, was zu einer Umkehr der Beweislast zu Lasten der Beklagten führe. Schließlich sei die Klägerin vor der Operation vom 25.09.2008 entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht hinreichend aufgeklärt worden. Bezüglich der erfolgten Risikoaufklärung berücksichtige das Landgericht bereits nicht hinreichend, dass der Beklagte zu 6) keinerlei Erinnerungen mehr an das am 23.09.2008 geführte Aufklärungsgespräch gehabt habe. Aber selbst nach den Feststellungen des Landgerichts sei die Klägerin nicht darüber unterrichtet worden, dass ein Risiko bezüglich der Verletzung der drei in dem maßgeblichen Bereich verlaufenden Nerven bestanden hätte. Insbesondere sei kein Hinweis erfolgt, dass durch die Operation der Nervus genitofemoralis mit der Folge des Verlustes der Libido geschädigt werden könne. Entsprechendes gelte soweit eine Aufklärung darüber fehle, dass aufgrund einer Durchtrennung des Nervus genitofemoralis die Klägerin dauerhafte Schmerzen zu ertragen habe, die in der Schmerzskala als Nervenschmerzen im obersten Bereich einzuordnen seien. Derartige Schmerzen hätten mit einem „Taubheitsgefühl“ oder, „auch bleibenden stärkeren Schmerzen in der Leistengegend“ oder gar „Empfindungsstörungen am Bein“ oder einer „Beinlähmung“ nichts zu tun. Insoweit könne sich das Landgericht auch nicht auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… beziehen. Vielmehr bestehe nach dessen Erläuterungen das Erfordernis einer entsprechenden Aufklärung, zumal er ausdrücklich erklärt habe, dass Sensibilitätsstörungen von Nervenschmerzen zu unterscheiden seien. Schließlich hätten die Beklagten die Klägerin aber auch nicht darüber aufgeklärt, dass nicht entsprechend dem medizinischen Standard nach Shouldice operiert werden solle, sondern nach einer nicht dem Facharztstandard entsprechenden Operationsmethode nach Bassini. Auch die Annahme einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin sei fernliegend. Es fehle insoweit schon an einem substantiierten Einwand der Beklagten, so dass es auf die Darlegung eines Entscheidungskonfliktes durch die Klägerin nicht mehr ankomme. Im Übrigen sei dieser aber substantiiert von der Klägerin geschildert worden. Darüber hinaus habe das Landgericht aber auch das rechtliche Gehör verletzt. Denn das Landgericht habe die Fragen aus dem Schriftsatz vom 13.06.2016 unter Ziffern 2. bis 5. – ohne vorherigen Hinweis – in der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2017 unerwartet nicht zugelassen. Darüber hinaus habe das Landgericht verkannt, dass auch die Behandlungen vom 05.10 sowie 09.10.2008 behandlungsfehlerhaft gewesen seien. Soweit sich das Landgericht diesbezüglich auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. W…… beziehe, habe dieser seine Auffassung bereits nicht hinreichend begründet, diese stünden zudem im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen Prof. M……. Auch habe das Landgericht in diesem Zusammenhang die Darlegungen des Prof. S…… nicht ausreichend beachtet, der sich zu den Behandlungen am 05. sowie 09.10.2008 zwar nicht explizit geäußert, jedoch dargestellt habe, welche Behandlungen vor Durchführung einer Operation – wie am 17.11.2008 geschehen – bei auftretenden Beschwerden hätten erfolgen müssen. Schließlich habe das Landgericht bezogen auf die Operation vom 17.11.2008 verkannt, dass die Ausführungen der Sachverständigen im Hinblick auf die Operation nur den Schluss zuließen, dass insoweit ein grober Behandlungsfehler vorliege, der zu einer Umkehr der Beweislast sowohl im Hinblick auf die Primärschäden als auch im Hinblick auf die Sekundärschäden geführt hätte. Darüber hinaus habe das Landgericht in diesem Zusammenhang übersehen, dass auch ein Befunderhebungsfehler der Beklagten zu 4) und 5) anzunehmen sei, für den die Beklagte zu 7) einzustehen habe. Ein solcher Befunderhebungsfehler ergebe sich sowohl aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… als auch aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. M……, wobei Letzterer ausdrücklich einen Befunderhebungsfehler dahingehend festgestellt habe, dass man vor der Nervdurchtrennung hätte feststellen müssen, welcher Nerv letztlich die Beschwerden bei der Klägerin verursacht hätte. Diesbezüglich handele es sich um einen groben Befunderhebungsfehler, so dass die Kammer von einer Umkehr der Beweislast zu Lasten der Beklagten hätte ausgehen müssen. Wäre die Klägerin – wie von den Sachverständigen Prof. S…… sowie Prof. M…… beschrieben – konservativ behandelt und nicht am 17.11.2008 operiert worden, wäre sie vollständig wiederhergestellt worden. Gegenteiliges hätten jedenfalls die Beklagten weder dargelegt noch bewiesen. Darüber hinaus sei aber auch das Schmerzensgeld, selbst wenn man den Ausführungen des Landgerichts folgen wollte, zu gering. Denn die Sachverständigen hätten übereinstimmend bestätigt, dass die Klägerin auch durch das behandlungsfehlerhafte Vorgehen im Zusammenhang mit dem 17.11.2008 eine deutliche Funktionseinschränkung erlitten habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 02.12.2019 dahingehend abzuändern, dass

1.

die Beklagten zu 1., 2. und 3. gesamtschuldnerisch haftend mit den bereits insoweit verurteilten, gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten zu 4., 5., 6. und 7. verurteilt werden, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2010 zu zahlen, und darüber hinaus die Beklagten zu 1., 2., 3., 4., 5., 6. und 7. gesamtschuldnerisch haftend verurteilt werden, über die 10.000,00 € hinaus an die Klägerin ein weiteres angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen, welches allerdings weitere 30.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2010.

2.

die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend verurteilt werden, an die Klägerin 60.502,40 € zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 12.636,54 € seit dem 18.09.2010, aus 32.649,11 € seit Rechtshängigkeit der Klageschrift vom 22.10.2011 und aus 15.216,75 € seit Rechtshängigkeit.

3.

die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend verurteilt werden, an die Klägerin eine monatliche im Voraus zu zahlende Rente i.H.v. 64,91 € zu zahlen, zahlbar vierteljährlich i.H.v. 194,73 €, beginnend mit dem 01.01.2011, zahlbar jeweils zum 01.10., 01.01., 01.04. und 01.07. eines jeden Jahres, zahlbar bis zum 23.03.2040.

4.

festzustellen, dass die Beklagten zu 1., 2. und 3. gesamtschuldnerisch haftend verpflichtet sind, mit den insoweit bereits als Gesamtschuldner verurteilten Beklagten zu 4., 5., 6. und 7., der Klägerin sämtliche weitere materiellen und – nicht vorhersehbaren – immateriellen Schäden aus der Behandlung vom 17.11.2008 und 18.11.2008 auszugleichen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden, und darüber hinaus festzustellen, dass die Beklagten zu 1., 2., 3., 4., 5., 6. und 7. gesamtschuldnerisch haftend auch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weitere materiellen und – nicht vorhersehbaren – immateriellen Schäden auszugleichen aus den Behandlungen beginnend mit dem 23.09.2008 bis zum 18.11.2008, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

5.

die Beklagten zu 1., 2. und 3. gesamtschuldnerisch haftend mit den insoweit bereits als Gesamtschuldner verurteilten Beklagten zu 4., 5., 6. und 7. verurteilt werden, an die Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.064,81 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.11.2011 zu zahlen, und darüber hinaus die Beklagten zu 1., 2., 3., 4., 5., 6. und 7. gesamtschuldnerisch haftend verurteilt werden, an die Klägerin weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.364,46 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2011 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens sowie Anhörung des Sachverständigen Prof. S……. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten des Prof. S…… vom 19.12.2020 und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.06.2021 verwiesen. Darüber hinaus wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten keine weitergehenden Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Behandlungsgeschehen als vom Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung bereits zuerkannt.

I.

Operation vom 25.09.2008

1.

Den Beklagten fällt im Hinblick auf die Operation am 25.09.2008 kein Behandlungsfehler zur Last. Weder haben sie eine Operationsmethode angewandt, die nicht dem medizinischen Standard entsprach (a) noch liegt ein Behandlungsfehler darin, dass sie eine Nervdarstellung im Rahmen der Operation unterlassen haben (b) bzw. die Operation von einer Assistenzärztin durchgeführt worden ist (c).

a)

Die Anwendung eines nicht allgemein anerkannten, den Korridor des medizinischen Standards verlassenden Behandlungskonzepts stellt nicht ohne Weiteres einen Behandlungsfehler dar (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2019, Az.: VI ZR 105/18 – juris; BGH, Urteil vom 13. Juni 2006, Az.: VI ZR 323/04 – juris). Denn die Therapiewahl ist primär Sache des Arztes, dem die Rechtsprechung bei seiner Entscheidung grundsätzlich einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt. Der Arzt ist bei der Wahl der Therapie insbesondere nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.). Eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode darf aber nur dann angewendet werden, wenn eine verantwortliche medizinische Abwägung unter Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten die Anwendung dieser Methode rechtfertigt (vgl. BGH, a.a.O.).

Ob eine solche Abwägung hier stattgefunden hat, kann dahinstehen. Denn bei der von der Beklagtenseite gewählten Operationsmethode handelte es sich zum Operationszeitpunkt im Jahr 2008 um eine medizinisch anerkannte Operationsmethode, durch deren Anwendung der medizinische Standard nicht unterschritten worden ist. So hat der Sachverständige Prof. S…… im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2019 (Bl. 520 d. A.) unter anderem Folgendes erklärt: „2008 war die Operationsmethode nach Bassini als Behandlungsmethode akzeptiert. Bei der Methode nach Bassini handelt es sich um eine Methode, die einfacher als die Methode nach Shouldice gewesen ist. Die Methode nach Bassini hat das Risiko, dass etwas mehr Rezidive auftreten. Es gibt aber keinen Unterschied zwischen beiden Methoden bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nervenverletzungen.“ Vor dem Hintergrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Operationsmethode im Jahr 2008 nicht dem medizinischen Standard entsprochen hätte (vgl. dazu auch OLG Köln, Beschluss vom 11.04.2011, Az.: 5 U 12/11 – juris). Dementsprechend waren die Beklagten in der Wahl der Operationsmethode bezogen auf das Verfahren nach Bassini oder nach Shouldice frei, zumal es sich bei beiden Verfahren um eine offene Operation ohne Netz gehandelt hat. Soweit es im Vergleich der Methoden zueinander nach den Ausführungen des Sachverständigen lediglich ein „etwas“ höheres Risiko bezüglich des Auftretens von Rezidiven gab, hat sich dieses Risiko hier jedoch unstreitig nicht verwirklicht, so dass, selbst wenn in der Wahl der Behandlungsmethode ein Behandlungsfehler zu sehen sein sollte, dieser nicht schadensursächlich geworden wäre.

Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung darauf hinweist, dass der Sachverständige Prof. S…… in seinem schriftlichen Gutachten vom 25.06.2018 (Seite 3) unter Bezugnahme auf Veröffentlichungen im Jahr 2010 – mithin nach der streitgegenständlichen Operation – auf eine „erhöhte“ Rate von „Schmerzereignissen“ nach der Bassini-Methode verwiesen habe, stehen diese Ausführungen des Sachverständigen allein im Zusammenhang mit den vom Sachverständigen gleichfalls aufgezeigten Veröffentlichungen zu vermehrt auftretenden Nervirritationen bzw. chronischen Schmerzzuständen nach Netzimplantationen. Aus welchen Gründen es jedoch bezogen auf die Klägerin nicht behandlungsfehlerhaft war, statt einer Operationsmethode mit Netzimplantation die Operationsmethode nach Bassini zu wählen, hat das Landgericht unter Bezugnahme auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… (vgl. Gutachten vom 25.06.2018, Bl. 432 d. A.) im Einzelnen sowie beanstandungsfrei in der angefochtenen Entscheidung dargestellt.

Schließlich wird die Auffassung des Sachverständigen Prof. S…… auch nicht durch den Sachverständigen Prof. W…… widerlegt, der in seinem Gutachten vom 02.04.2013 (Bl. 161 d. A.) u. a. Folgendes dargelegt hat: „Das durchgeführte Verfahren ‚Hernioplastik nach Bassini war zum damaligen Operationszeitpunkt eine gängige und anerkannte Methode zur Rekonstruktion des Leistenkanals mit Verstärkung der Bauchwand. Eine Shouldice-Reparation als alternatives Verfahren zur ‚offenen Leistenhernienversorgung‘ musste nicht zwangsläufig erfolgen. Jedoch bestehen Vorteile dieser Methode in einer geringeren Schmerzhaftigkeit, einer höheren Elastizität der Nahtreihen und einer sicheren Versorgung durch Dopplung der Faszia transversalis als first ‚line of defence‘.“ Im Rahmen der Anhörung hat der Sachverständige Prof. W…… jedoch ebenfalls betont, dass bezogen auf das Auftreten eines chronischen Schmerzsyndroms die Methode nach Bassini genauso gut sei, wie die anderen zur Verfügung stehenden Operationsmethoden, so dass sich auch aus seinen Darlegungen ein für die Beeinträchtigungen der Klägerin kausaler Behandlungsfehler nicht entnehmen lässt.

b)

Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt ein Behandlungsfehler auch nicht darin, dass die Beklagten die im Operationsgebiet verlaufenden Nerven nicht dargestellt haben.

Nach § 276 BGB schuldet der Arzt dem Patienten vertraglich wie deliktisch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Diese bestimmt sich nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebietes. Der Arzt muss danach diejenigen Maßnahmen ergreifen, die zur Zeit der Behandlung von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereiches vorausgesetzt und erwartet werden (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.1999, Az.: VI ZR 34/98 – juris; Urteil vom 16.05.2000, Az.: VI ZR 321/98 – juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.01.2002, Az.: 7 U 115/00 – juris). Bei der Ermittlung des ärztlichen Standards im Einzelfall können Leitlinien der jeweiligen Fachrichtung Bedeutung erlangen. Dabei ist jedoch jeweils zu prüfen, welche Aussagekraft den in Rede stehenden Leitlinien zukommt. Von solchen „Leitlinien“ sind zudem einerseits „Richtlinien“ zu unterscheiden, die als Mindeststandard unbedingt zu befolgen sind, und andererseits „Empfehlungen“, die keine gesteigerte Verbindlichkeit beanspruchen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.). Das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Behandlungsfehlers kann daher vom Gericht auch nicht unmittelbar aus der Beachtung oder Nichtbeachtung einer Leitlinie gefolgert werden, vielmehr kann das Gericht den Standard im individuellen Fall nur aufgrund sachverständiger Beratung ermitteln (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dessen ist das Landgericht insoweit zu Recht den Feststellungen des Sachverständigen Prof. S…… gefolgt, der ausweislich des landgerichtlichen Beschlusses vom 23.06.2017 (Bl. 418 f. d. A.) zu dieser Frage ausdrücklich als Obergutachter bestellt worden war und einen medizinischen Standard insoweit mit ausführlicher Begründung, die das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend wiedergegeben hat, verneint hat (vgl. Gutachten vom 25.06.2018, Bl. 432 f. d. A.).

Anders als die Klägerin meint, kam es daher in diesem Zusammenhang auf die davon abweichende Auffassung des Sachverständigen Prof. M……, der Neurologe ist, nicht an. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. nur Beschluss vom 01.03.2016, Az.: VI ZR 49/15 – juris; Urteil vom 24.02.2015, Az.: VI ZR 106/13 – juris) bestimmt sich die Beantwortung der Frage, ob eine Behandlung dem zum Behandlungszeitpunkt geltenden medizinischen Standard entsprach, nach den medizinischen Maßstäben aus dem jeweils betroffenen medizinischen Fachgebiet. Nachdem es bezüglich der Darstellung von Nerven im Rahmen einer Operation um Fragen aus dem medizinischen Fachgebiet der Chirurgie, Viszeral- und Gefäßchirurgie geht, besaßen lediglich die Sachverständigen Prof. S…… sowie Prof. W…… die in diesem Zusammenhang verlangte Fachkunde und nicht der Sachverständige Prof. Dr. M……, der dem neurologischen Fachgebiet angehört.

Dass die Darstellung der Nerven bei einer Leistenbruchoperation im Jahr 2008 nach dem damaligen medizinischen Standard nicht erforderlich war, wird im Übrigen aber auch durch die Entscheidung des OLG Köln vom 11.04.2011 (Az.: 5 U 12/11 – juris) bezogen auf eine im Jahr 2009 durchgeführte Operation einer Leistenhernie bestätigt.

c)

Zu Recht hat das Landgericht einen Behandlungsfehler verneint, soweit die Operation von der Beklagten zu 1), die zum Operationszeitpunkt noch Assistenzärztin war, durchgeführt worden ist. Denn ausweislich des Operationsberichtes hat die Operation unter Assistenz, mithin in Anwesenheit des Beklagten zu 2), der zum Operationszeitpunkt Facharzt für Chirurgie war und somit den Facharztstandard gewährleistet hat (vgl. auch Gutachten Prof. S…… vom 25.06.2018, Bl. 431 d. A.), stattgefunden. Dementsprechend liegt keine sogenannte Anfängeroperation vor, bei der die Behandlungsseite die Darlegungs- und Beweislast dafür treffen kann, dass eine eingetretene Komplikation nicht auf der mangelnden Qualifikation und Erfahrung des Operateurs beruht. Denn die Beweiserleichterung greift nicht ein, wenn die Operation von einem anwesenden Facharzt überwacht wird (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.1983, Az.: VI ZR 230/81 – juris; BGH, Urteil vom 10.03.1992, Az.: VI ZR 64/91 – juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.01.2002, Az.: 7 U 115/00 – juris).

2.

Die Beklagten haften im Zusammenhang mit der Operation vom 25.09.2008 nicht für eine Aufklärungspflichtverletzung. Zwar ist von einer unzureichenden Aufklärung über die mit der Operation verbundenen Risiken auszugehen. Allerdings hat das Landgericht zu Recht das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin festgestellt (a). Eine mangelnde Information über alternative Behandlungsmethoden liegt dagegen nicht vor (b).

a)

Grundsätzlich hat der aufklärungspflichtige Arzt nachzuweisen, dass er die von ihm geschuldete Aufklärung erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2014, Az.: VI ZR 143/13; Senat, Urteil vom 09.05.2017, Az.: 4 U 1491/16 – juris). Der vom Patienten unterzeichnete Aufklärungsbogen erbringt dabei noch nicht den Vollbeweis für den Inhalt des Aufklärungsgespräches. Ein solches Formular ist – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – lediglich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgespräches (vgl. BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Vielmehr ist für den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung regelmäßig die Vernehmung des aufklärenden Arztes erforderlich. Der Beweis ist allerdings nicht erst dann geführt, wenn sich der Arzt an das konkrete Aufklärungsgespräch erinnert (vgl. BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Angesichts der Vielzahl von Informations- und Aufklärungsgesprächen, die Ärzte täglich führen, kann dies nicht erwartet werden. Da an den Nachweis keine unbilligen oder übertriebenen Anforderungen zu stellen sind, darf das Gericht seine Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO vielmehr auf die Angaben des Arztes stützen, wenn seine Darstellung in sich schlüssig und „einiger“ Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist (vgl. BGH, a.a.O.).

aa)

Unter Berücksichtigung dessen durfte das Landgericht die Angaben des Beklagten zu 6), die dieser im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2019 (Bl. 514 ff. d. A.) gemacht hat, berücksichtigen, zumal diese mit den stichpunktartig in der Dokumentation (Anlage K8) festgehaltenen Erläuterungen übereinstimmen. Auch die Klägerin legt in der Berufungsbegründung nicht dar, warum die Darstellung des Beklagten zu 6) zu dem von ihm geschilderten allgemeinen Vorgehen in entsprechenden Aufklärungsgesprächen nicht plausibel sein soll, sondern verweist lediglich darauf, dass der Beklagte zu 6) nach eigenen Angaben keine konkrete Erinnerung mehr an das Gespräch mit der Klägerin gehabt habe. Letzteres ist nach der dargestellten Rechtsprechung jedoch gerade nicht maßgeblich.

bb)

Die Klägerin ist jedoch unter Berücksichtigung des Aufklärungsbogens (Anlage K8 nebst Anlage) sowie der Angaben des Beklagten zu 6) im Rahmen seiner Anhörung nicht ausreichend auf das mit dem Eingriff einhergehende Risiko von dauerhaften Nervenschmerzen hingewiesen worden.

Zwar muss der Patient (vgl. nur BGH, Urteil vom 29.01.2019, Az.: VI ZR 117/18 – juris; BGH, Urteil vom 11.10.2016, Az.: VI 462/15 – juris; Senat, Urteil vom 27.03.2018, Az.: 4 U 1457/17 – juris) nur im „Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken. Dem Patienten muss aber eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei ist über schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist es, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet.

Eine Nervschädigung kann je nach betroffenem Nerv ein breites Spektrum möglicher Folgen von einer vorübergehenden Schmerzempfindung, einer kurzfristigen Lähmung oder einem Taubheitsgefühl bis hin zu chronischen, unbeherrschbaren Schmerzen oder andauernder Lähmung nach sich ziehen. Der bloße Hinweis auf „Nervschädigungen“ vermittelt dem Patienten als medizinischem Laien daher grundsätzlich keine allgemeine Vorstellung von den mit dem Eingriff verbundenen Gefahren (vgl. Senat, Urteil vom 27.03.2018, Az.: 4 U 1457/17 – juris).

Bei einer Leistenbruchoperation ist der Patient daher darüber aufzuklären, dass durch den Eingriff im Bruchbereich verlaufende Nerven verletzt und dadurch Leistenschmerzen ausgelöst werden können, die in seltenen Fällen andauern können (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15.05.1997, Az.: 14 U 21/96 – juris). Dabei genügt die Erwähnung einer „Hautnervenverletzung“ nicht und es ist auch nicht ausreichend, wenn eine mündliche Erläuterung dahingehend erfolgt, dass „Nerven, die im zu operierenden Bereich liegen, verletzt oder durchtrennt werden können und das zu vorübergehenden oder dauernden Ausfällen führen kann“, da es insoweit an dem Hinweis auf die mögliche Schmerzhaftigkeit der Nervläsion fehlt (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.).

Vorliegend ist zwar in dem der Klägerin übergebenen Bogen „Verschluss eines Leisten- oder Schenkelbruchs beim Erwachsenen“ unter anderem auf Folgendes hingewiesen worden: „Durchtrennungen oder Vernarbungen an Hautnerven können zu Taubheitsgefühl im Bereich der Operationsnarbe und zu vorübergehenden, selten auch bleibenden stärkeren Schmerzen in der Leistengegend oder am Damm führen. Durch die Verletzung von Muskelnerven kann es extrem selten zu einer Bauchwandlähmung, zu Empfindungsstörungen am Bein oder einer Beinlähmung kommen; eine weitere Behandlung, gegebenenfalls auch eine erneute Operation, kann dann erforderlich werden.“ Ausweislich des Bogens über das Aufklärungsgespräch (Anlage K8) hat der Beklagte zu 6) zwar ferner bei den allgemeinen Operationsrisiken auf Blutungen, Schmerzen etc. hingewiesen. Bei den spezifischen Risiken hat er jedoch lediglich „Sensibilitätsstörungen“ und dahinter ergänzend “Narbengebiet“ vermerkt. In seiner Anhörung hat er dazu erklärt, er habe aufgrund der in dem Bogen vermerkten handschriftlichen Eintragungen über Sensibilitätsstörungen aufgeklärt. Allerdings vermochte er nicht mehr anzugeben, wie weitgehend er dahingehend eine Aufklärung vorgenommen, insbesondere, ob er diese lediglich auf das Narbengebiet bezogen hat. Ergänzend hat nur er angeführt, er habe „in der Regel“ auch darauf hingewiesen, dass als Folge von entsprechenden Operationen „Missempfindungen entstehen können, die sich durch dumpfe Schmerzen äußern, welche das Bein runterziehen.“

Damit kann zwar dem schriftlichen Aufklärungsbogen, den die Klägerin nach eigenen Angaben gelesen hat, entnommen werden, dass sie auf bleibende Schmerzen im Leistenbereich oder Damm aufgrund von Verletzungen der „Hautnerven“ hingewiesen worden ist. Über eine Verletzung der tieferliegenden Nerven mit dauerhaften starken Schmerzen ist sie jedoch im Gespräch nicht aufgeklärt worden. Denn den Beklagten ist aufgrund der Anhörung des Beklagten zu 6) nicht der Nachweis gelungen, dass im Rahmen des Aufklärungsgespräches ein entsprechender Hinweis erfolgte. Vielmehr ergibt sich aus der Anhörung des Beklagten zu 6) unter Berücksichtigung der stichpunktartigen Vermerke im Aufklärungsbogen (Anlage K8) lediglich, dass dieser Sensibilitätsstörungen erwähnt hat, die jedoch von Nervenschmerzen nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… ausdrücklich zu unterscheiden sind.

Selbst wenn eine Aufklärung nur im „Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung zu erfolgen hat, hätte im Aufklärungsgespräch ein ausdrücklicher Hinweis auf chronische Schmerzen nach derartigen Operationen im Zusammenhang mit der Verletzung von Nerven erfolgen müssen, zumal der Sachverständige Prof. S…… erklärt hat, dass derartige Schmerzsyndrome nach Hernioplastiken keine Seltenheit seien (vgl. Gutachten vom 25.06.2018 – Bl. 434 d. A. – und vom 19.12.2020 – Bl. 698 d.A.-), so dass sie damit der durchgeführten Operation spezifisch anhaften.

cc)

Allerdings ist das Landgericht in diesem Zusammenhang zu Recht vom Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin ausgegangen.

(1)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 21.05.2019, Az.: VI ZR 119/18; Urteil vom 01.02.2005, Az.: VI ZR 174/03 – jeweils juris) kann sich der Behandelnde, wenn die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen genügt, darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (§ 630 h Abs. 2 Satz 2 BGB). Allerdings sind an einen dahingehenden Nachweis, der dem Behandelnden obliegt, strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen wird. Den Arzt trifft für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast aber erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte.

Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen (vgl. nur BGH, Urteil vom 01.02.2005, Az.: VI ZR 174/03 – juris). Dabei trifft den Patienten die Verpflichtung, plausibel darzulegen, weshalb er aus seiner Sicht bei Kenntnis der aufklärungspflichtigen Umstände vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene Behandlung gleichwohl ablehnen solle (vgl. BGH, a.a.O.; BGH, Urteil vom 30.09.2014, Az.: VI ZR 443/13). Zur Feststellung eines ernsthaften Entscheidungskonfliktes bedarf es einer wertenden Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich sind neben dem Leidensdruck und der Risikobereitschaft des Patienten insbesondere die Dringlichkeit des Eingriffs und die Erwartungen eines umfassend aufgeklärten Patienten von dem Eingriff (vgl. Senat, Beschluss vom 02. Oktober 2019, Az.: 4 U 1141/19 – juris). Auch wenn unter dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechtes an die Darlegung des Entscheidungskonfliktes keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, bedeutet dies nicht, dass einer Darstellung des Patienten ohne Weiteres zu folgen ist und damit im Ergebnis der Behandlerseite der Einwand der hypothetischen Einwilligung abgeschnitten werden darf. Die Darlegung muss für das Gericht vielmehr nachvollziehbar sein. Dabei ist die Würdigung, ob der Patient im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, ebenso wie die Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO grundsätzlich Sache des Tatrichters (vgl. Senat, a.a.O., m.w.N.).

(2)

Unter Berücksichtigung dessen hat das Landgericht die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts der Klägerin beanstandungsfrei verneint. Die Klägerin zeigt mit der Berufungsbegründung auch keine konkreten Anhaltspunkte (§ 529 ZPO) dafür auf, aus welchen Gründen die Würdigung des Landgerichts fehlerhaft sein sollte. Gegen einen Entscheidungskonflikt spricht insbesondere, dass die Klägerin vor der Operation ausweislich der Anamnese der Beklagten vom 17.09.2008 (Anlage K7) „erhebliche Beschwerden“ hatte und sie bereits im Juli 2008 nach Überweisung ihres Hausarztes Dr. med. Z…… durch den Facharzt für Chirurgie Dr. W…… untersucht worden war und dieser eine entsprechende Operation des Leistenbruchs selbst ausdrücklich empfohlen hatte. So hat er in seinem Schreiben vom 10. Juli 2008 an den die Klägerin behandelnden Hausarzt u. a. ausgeführt: „Aufgrund des Befundes empfiehlt sich die operative Behandlung. Patientin wurde über den Eingriff informiert“. Zudem war der Klägerin nach ihren eigenen Angaben in der Anhörung an einer zeitnahen Operation gelegen und sie war daher „froh“, zeitnah bei den Beklagten für den 25.09.2008 einen Operationstermin erhalten zu haben, so dass es vor dem dargestellten Hintergrund nicht nachvollziehbar ist, dass die Klägerin im Fall vollständiger Aufklärung ihre Einwilligung zur Operation nicht erteilt bzw. sie sich jedenfalls noch um eine Zweitmeinung bei Dr. W…… bemüht hätte.

b)

Anders als die Klägerin meint, gab es jedoch keine Pflicht der Beklagten zur Aufklärung über alternative Operationsmethoden.

Die Wahl der Behandlungsmethode ist grundsätzlich Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. BGH, VersR 2011, 1450). Der Patient muss nach einer sachverständigen Beratung durch den Arzt selbst prüfen können, welche Belastungen und Gefahren er im Hinblick auf möglicherweise unterschiedliche Erfolgschancen auf sich nehmen will. Dieser Grundsatz ist jedoch insoweit einzuschränken, dass die Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken oder Erfolgschancen bieten müssen, um von der Aufklärungspflicht des Arztes umfasst zu sein (vgl. § 630 e Abs. 1 Satz 3 BGB; OLG Bamberg, Urteil vom 20.07.2015, Az.: 4 U 16/14 – juris).

Unter Berücksichtigung der unter I.1. dargestellten Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… war die Klägerin daher nicht über andere Operationsmethoden aufzuklären. Denn selbst wenn nach den Ausführungen des Sachverständigen das Risiko von Rezidiven bei der Operationsmethode nach Bassini im Vergleich zur Methode nach Shouldice „etwas“ erhöht war, handelt es sich nicht um einen Unterschied von Gewicht, so dass eine Aufklärungspflicht nicht bestand.

Aber selbst wenn man eine Verletzung der Aufklärungspflicht insoweit bejahen würde, könnte die Klägerin daraus keine Ansprüche herleiten. Denn ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden besteht beim Aufklärungsmangel nur dann, wenn die Aufklärung über dasjenige Risiko (hier: Rezidive) unterblieben ist, das schließlich zu einem Gesundheitsschaden – wie hier nicht – beim Patienten geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2006, Az.: VI ZR 323/04 – juris; OLG Bamberg, a.a.O.; Senat, Urteil vom 13.09.2007, Az.: 4 U 601/06 – juris).

II.

Behandlungen vom 05.10. und 09.10.2008

Das Landgericht hat auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. W…… beanstandungsfrei festgestellt, dass den Beklagten ein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit den Behandlungen am 05. bzw. 09.10.2008 nicht vorzuwerfen ist.

So hat der Sachverständige Prof. W…… insbesondere im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2014 ausgeführt (Bl. 226 ff. d. A.), dass aufgrund der dokumentieren Beschwerden der Klägerin zu dem Zeitpunkt keine Veranlassung für weitergehende Untersuchungen gegeben war. Auch eine Revisionsoperation sei aufgrund der Befunde (keine starke Hautspannung, fehlende Schwellung des Beines, keine Nachblutungen) nicht veranlasst gewesen. Vielmehr sei die verordnete Schmerztherapie insoweit nicht zu beanstanden.

Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Ausführungen der Sachverständigen Prof. M…… sowie Prof. S…… darauf hinweist, die Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft gewesen, stehen diese Ausführungen jeweils im Zusammenhang mit deren Feststellung, dass eine Indikation zur Nervendurchtrennung am 17.11.2008 nicht gegeben war. Ein Behandlungsfehler bezogen auf die Behandlungen vom 05. bzw. 09.10.2008, mithin für den Zeitraum bis 14 Tage nach der Operation, lässt sich daraus aber nicht herleiten. Vielmehr kommen die vorgenannten Sachverständigen (vgl. Gutachten Prof. M…… vom 02.05.2016 – Bl. 353 d. A. und dessen Anhörung – Bl. 392 d. A. und Ausführungen des Prof. S…… in der Anhörung – Bl. 523 f. d. A.), was vom Sachverständigen Prof. S…… in der Anhörung am 08.06.2021 nochmals bestätigt worden ist, lediglich zu dem Ergebnis, dass mangels Ausschöpfung der konservativen Behandlungsmaßnahmen die Indikation zur Operation im November 2008 verfrüht war. Soweit der Sachverständige Prof. S…… im Rahmen seiner Anhörung in erster Instanz (Bl. 523 d. A.) im Einzelnen das Behandlungsregime bei der Behandlung von Nervenverletzungen dargelegt hat, nämlich dass zunächst mit einer medikamentösen Behandlung zu beginnen sei, die nach Bedarf zu steigern sei, wobei in der weiteren Folge die Möglichkeit bestehe, dass der Nerv mit Steroiden bzw. Lokalanästhetika infiltriert werde und danach auch die Möglichkeit einer Schmerzpumpe feststehe, wird deutlich, dass Hinweise auf einen Behandlungsfehler für den Zeitraum bis zum 09.10.2008 sich nach den Ausführungen des Sachverständigen gerade nicht ergeben, sondern die Schmerzbehandlung nach seiner Auffassung über die Zeit lediglich mit weitergehenden Maßnahmen zu steigern ist.

III.

Operation bzw. Behandlung vom 17.11. – 18.11.2008:

1.

Das Landgericht hat es aufgrund des von ihm im Zusammenhang mit der Durchführung der Operation vom 17.11.2008 festgestellten Aufklärungsmangels und Behandlungsfehlers zu Recht dahinstehen lassen, ob der Behandlungsfehler (fehlende Indikation sowie Durchtrennung des nicht geschädigten Nerven) als grob zu bewerten ist. Denn insoweit scheidet – entgegen der Auffassung der Klägerin – ein Kausalzusammenhang bezogen auf weitergehende Schäden als diejenigen, die in der Durchführung der Operation selbst und in der Resektion des nicht geschädigten Nervus ilioinguinalis mit der Folge der Verstärkung des Gefühlsverlustes im Genitalbereich rechts sowie der – funktionell wenig ins Gewicht fallenden – Gefühlsminderung in einem schmalen Streifen auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels liegen und die vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt worden sind, aus.

Zwar können dem Patienten bei einer grob fehlerhaften Behandlung Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast zugute kommen. Auch kommt es zum Ausschluss der Beweislastumkehr für den gesamten Kausalzusammenhang nicht schon dann, wenn die Alleinverursachung äußerst unwahrscheinlich ist, sondern nur dann, wenn jeglicher Ursachenbeitrag äußerst unwahrscheinlich ist. Denn eine Mitursächlichkeit genügt, um dem Schädiger den gesamten Schaden zuzurechnen, wenn nicht feststeht, dass sie nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat. Allgemein können daher grobe Behandlungsfehler zu Beweiserleichterungen bis zur Umkehr der Beweislast auch dann führen, wenn sie die eingetretene Schädigung nur zusammen mit einer (eventuell sogar bereits vorhandenen) anderen, der Behandlungsseite nicht anzulastenden Ursache herbeizuführen geeignet sind. Anders ist es dagegen im Falle der sogenannten Teilkausalität, wenn das ärztliche Versagen und ein weiterer, der Behandlungsseite nicht zuzurechnender Umstand abgrenzbar zu einem Schaden geführt haben (vgl. zu Vorstehendem nur BGH, Urteil vom 01.10.1996, Az.: VI ZR 10/96 – juris).

Hier ist nach den Feststellungen des Landgerichts unter Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. M……, der die Klägerin untersucht hat und als Neurologe dem zur Beantwortung der diesbezüglichen Fragen maßgeblichen Fachgebiet angehört, bezogen auf die bestehenden dauerhaften Schmerzen von einer Teilkausalität der beiden operativen Eingriffe auszugehen, so dass entgegen der Auffassung der Klägerin eine Mitursächlichkeit der Operation vom 17. November 2008 dafür nicht gegeben ist und sie sich bezüglich der weitergehenden Schäden nicht auf eine Beweislastumkehr berufen kann. So hat der Sachverständige Prof. M…… im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2017 Folgendes ausgeführt: „Im Rahmen des ersten chirurgischen Eingriffs bei der Klägerin ist es aus meiner Sicht zweifelsfrei zu einer Schädigung des Nervus genitofemoralis gekommen. Diese Schädigung ist allerdings nicht auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen, sondern schicksalshaft eingetreten. Im Rahmen des zweiten operativen Eingriffs ist es dann zu einer Schädigung des Nervus ilioinguinalis gekommen. Dies führt zu einer Sensibilitätsstörung, wobei sich diese Sensibilitätsstörung auch im Schambereich bemerkbar macht. Dort ist es allerdings bereits auch schon aufgrund der Schädigung des Nervus genitofemoralis zu einer Sensibilitätsstörung gekommen. Man hat also jetzt in diesem Bereich eine Sensibilitätsstörung, die durch zwei Nervenschädigungen hervorgerufen wird. Diese Sensibilitätsstörung macht sich vordergründig im Sexualleben bemerkbar. Wenn es nicht zu einer schmerzhaften Veränderung kommt, was durch die zweite Operation nicht passiert ist, macht sich ansonsten diese Sensibilitätsstörung in anderen Lebensbereichen kaum oder gar nicht bemerkbar. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Durchtrennung des Nervus ilioinguinalis außer der Sensibilitätsstörung dazu beigetragen hat, dass mehr oder weniger Schmerzen bei der Klägerin aufgetreten sind oder auftreten. Das Schmerzempfinden der Klägerin wurde hierdurch in keiner Weise beeinträchtigt oder verändert … Wenn die Klägerin über Beschwerden beim Sitzen klagt, so ist das für mich durchaus nachvollziehbar. Insoweit muss aus gutachterlicher Sicht davon ausgegangen werden, dass sich im Bereich des Nervus genitofemoralis ein Neurom gebildet hatte, das zu den geschilderten Beschwerden führte. Wenn ich mir den Operationsbericht durchlese, dann ist es so, dass man den Nervus ilioinguinalis durchtrennt … hat. Insoweit kann sich dieser nicht mehr verbinden und kann deshalb auch nicht zur Neurombildung führen. … Ich habe die Klägerin ja auch persönlich untersucht und habe auch in dem Bereich, in dem die Resektion des vorgenannten Nervs erfolgte, draufgedrückt. Es gab dort bei der Klägerin keinen Neuromschmerzpunkt. Insoweit rühren die Schmerzen der Klägerin aus der Schädigung des Nervus genitofemoralis her.“

Nach den eindeutigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. M……, die auch auf einer persönlichen Untersuchung der Klägerin beruhen, kommt daher, selbst wenn man ein grob fehlerhaftes Vorgehen der Beklagten im Zusammenhang mit der Durchführung der Operation am 17.11.2008 bejahen würde, eine Beweislastumkehr bezogen auf weitere als die vom Landgericht bereits festgestellten Schäden nicht in Betracht. Diese sind vielmehr nach den überzeugenden sachverständigen Feststellungen durch die Operation vom 25.09.2008 hervorgerufen und durch die Operation vom 17.11.2008 nicht mehr beeinflusst worden.

2.

Den Beklagten zu 4) bis 7) fällt im zeitlichen Zusammenhang mit der Operation am 17.11.2008 auch kein Befunderhebungsfehler oder Behandlungsfehler aufgrund unzureichender Schmerzbehandlung zur Last. Darüber hinaus hat die Klägerin auch nicht den Beweis geführt, dass ein diesbezüglicher Behandlungsfehler kausal für die weitergehenden Schäden, insbesondere die dauerhaften Schmerzen aufgrund der Verletzung des Nervus genitofemoralis im Rahmen der Operation vom 25.09.2008, geworden wäre.

Der Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016, Az.: VI ZR 146/14 – juris). Dies war hier jedoch nicht der Fall.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. S…… in seinem Gutachten vom 19.12.2020 und seiner Anhörung am 08.06.2021 war unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen viszeralchirurgischen Facharztstandards am 17./18.11.2008 weder eine selektive Schmerzausschaltung noch eine weitergehende Schmerzbehandlung (beispielsweise in Form einer Kokaininfusion oder eines Neurostimulators) geboten, so dass ihr jeweiliges Unterlassen keinen Behandlungsfehler darstellt. Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar damit begründet, dass es im Bereich der Schmerzbehandlung keine für alle Fälle maßgeblichen Standards, sondern lediglich Behandlungsempfehlungen gibt. Erläuternd hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Initialdiagnostik eines Neuroms oder der betroffenen Nerven hier zwar möglicherweise für die Frage der zielgerichteten „Unterspritzung“ weitergeholfen hätte. „Genauso gut“ – so der Sachverständige – hätte man aber zunächst auch eine ausreichende Medikation einsetzen und beobachten können, wie diese wirke. Im Ergebnis seiner Ausführungen hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang auf die Frage, inwieweit aus seiner Sicht der fachärztliche Standard unterschritten sei, aber – wie bereits im schriftlichen Gutachten – nochmals ausdrücklich betont, dass aus seiner Sicht lediglich die Operation vom 17.11.2008 zu früh angesetzt worden sei, da zu dem Zeitpunkt die Möglichkeiten der Schmerztherapie noch nicht ausgeschöpft gewesen seien. Dies hält der Senat für überzeugend.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen des viszeralchirurgischen Sachverständigen lässt sich daher zu dem hier maßgeblichen Behandlungszeitpunkt kein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer unterlassenen Befunderhebung oder Schmerztherapie feststellen.

Aber selbst wenn man diesbezüglich einen Behandlungsfehler bejahen wollte, war die Schmerzbehandlung nach den Ausführungen des Sachverständigen jedenfalls nicht unvertretbar und wäre danach jedenfalls nicht als grober Behandlungsfehler zu bewerten. Im Übrigen hätte die Klägerin bei Unterstellung eines Behandlungsfehlers aber – auch unter entsprechender Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen unter III.1. – den erforderlichen Kausalitätsbeweis nicht geführt. Dies gilt auch für den von der Klägerin erhobenen Einwand der hypothetischen Kausalität bei rechtmäßigem Alternativverhalten, der in der Darlegungs- und Beweislast der Behandlerseite liegt. Denn für diesen ist erst Raum, wenn – wie hier gerade nicht – feststeht, dass das vom Schädiger zu verantwortende Verhalten kausal geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 07.02.2012, Az. VI ZR 63/11 – juris; Senat, Beschluss vom 30.09.2019, Az. 4 U 1291/19 – juris; Senat, Beschluss vom 19.10.2018, Az. 4 U 955/18 – juris).

IV.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist daher der vom Landgericht für die erlittenen Beeinträchtigungen zuerkannte Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 10.000,00 € angemessen.

Vor dem Hintergrund der auf den Aufklärungs- bzw. Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Durchführung der Operation vom 17.11.2008 zurückzuführenden Schäden, die in der Durchführung der Operation selbst und in der Resektion des nicht geschädigten Nervus ilioinguinalis mit der Folge der Verstärkung des Gefühlsverlustes im Genitalbereich rechts sowie der – funktionell wenig ins Gewicht fallenden – Gefühlsminderung in einem schmalen Streifen auf der Vorderseite des rechten Oberschenkels liegen, ist zwar von erheblichen Folgen für die Lebensführung der Klägerin, die im Zeitpunkt der Operation 43 Jahre alt war, auszugehen. Das maßgebliche Leiden der Klägerin beruht aber auf dem – einem Behandlungsfehler der Beklagten nicht kausal zuzuordnenden – chronischen Schmerzsyndrom. Der zuerkannte Schmerzensgeldbetrag ist daher – auch im Vergleich zu Entscheidungen anderer Gerichte (vgl. nur OLG Frankfurt, Urteil vom 29. Januar 2004, Az.: 8 U 194/01 – juris) – nicht zu beanstanden. Der geltend gemachte Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden steht ebenfalls nicht im Zusammenhang mit der Operation vom 17.11.2008, sondern beruht schicksalhaft auf dem vorausgegangenen Behandlungsgeschehen.

V.

Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28.06.2021 gebietet vor dem Hintergrund (s. insbesondere III. 1. + 2.) die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.

Für die Streitwertfestsetzung waren die §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO maßgeblich.

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