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Beweislast für Kausalität eines Befunderhebungsfehlers für eingetretenen Schaden

Kein Behandlungsfehler: Arzthaftungsklage nach Knie-OPs abgewiesen

Das Urteil des OLG Köln Az.: I-5 U 181/12 vom 11.02.2015 befasst sich mit der Klage einer Patientin gegen ihre behandelnden Ärzte wegen mehrfacher fehlerhafter medizinischer Behandlungen, die zu anhaltenden Schmerzen und letztlich zur Notwendigkeit des Einsetzens einer achsgeführten Prothese führten. Die Klage wurde sowohl in erster Instanz als auch in der Berufung abgewiesen, da weder ein schadensursächlicher Behandlungsfehler festgestellt werden konnte noch eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin erfolgte, weil keine groben Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler nachweisbar waren.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-5 U 181/12 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das OLG Köln wies die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bonn ab, da kein schadensursächlicher Behandlungsfehler nachgewiesen werden konnte.
  • Trotz mehrfacher medizinischer Eingriffe und anhaltender Beschwerden der Klägerin konnte keine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin erfolgen, da keine groben Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler festgestellt wurden.
  • Die Klägerin trug die Kosten des Berufungsverfahrens, und die Revision wurde nicht zugelassen.

Behandlungsfehler: Herausforderungen im Arzthaftungsrecht

Im Arzthaftungsrecht stellen Behandlungsfehler und die Frage nach der Kausalität für einen eingetretenen Schaden eine komplexe Herausforderung dar. Gerade bei Befunderhebungsfehlern ist es für Patienten häufig schwierig, die erforderlichen Beweise zu erbringen.

Doch wann liegt überhaupt ein Befunderhebungsfehler vor? Und unter welchen Voraussetzungen greift eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten? Diese Fragen sind von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Falle fehlerhafter ärztlicher Behandlungen.

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➜ Der Fall im Detail


Langwieriger Rechtsstreit um medizinische Fehlbehandlung

Arthroskopie-Fehle
Arthroskopie-Fehler? OLG Köln: Keine Beweislastumkehr bei medizinisch vertretbarer Behandlung
(Symbolfoto: Video_Stock _Production /Shutterstock.com)

Im Zentrum des Falls stand eine Frau, die über Jahre hinweg unter anhaltenden Schmerzen und einer Vielzahl von medizinischen Eingriffen litt, die von der anfänglichen Arthroskopie ihres Knies bis hin zum Einsatz einer achsgeführten Prothese reichten. Die rechtliche Auseinandersetzung entzündete sich an der Frage, ob die behandelnden Ärzte, ein niedergelassener Orthopäde und ein Krankenhaus, durch ihre medizinischen Eingriffe einen Behandlungs- oder Befunderhebungsfehler begangen hatten, der ursächlich für die anhaltenden Beschwerden der Klägerin war.

Die juristische Aufarbeitung

Die Klägerin forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld für die erlittenen gesundheitlichen und materiellen Schäden, die auf mehrfache fehlerhafte ärztliche Behandlung zurückzuführen seien. Die Beklagten wiesen diese Vorwürfe zurück und argumentierten, dass die durchgeführten Behandlungen medizinisch indiziert und nach dem damaligen medizinischen Standard korrekt durchgeführt wurden. Das Landgericht Bonn wies die Klage ab, woraufhin die Klägerin in Berufung ging.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln

Das OLG Köln bestätigte das Urteil des Landgerichts Bonn und wies die Berufung der Klägerin zurück. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage der Beweislast für die Kausalität eines möglichen Befunderhebungsfehlers für den eingetretenen Schaden. Das Gericht fand, dass die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass die behandelnden Ärzte einen solchen Fehler begangen hatten, der ursächlich für ihre anhaltenden Beschwerden war.

Begründung der gerichtlichen Entscheidung

Das Gericht erklärte, dass eine Beweislastumkehr nur dann in Betracht kommt, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt oder wenn bei gebotener Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Befund ergeben hätte, dessen Nichtbeachtung als fundamental oder die Nichtreaktion darauf als grob fehlerhaft erscheint. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keinen solchen Fehler als gegeben an. Insbesondere wurde hervorgehoben, dass die medizinischen Eingriffe, einschließlich der Implantation von Karbonstiften und der Einsatz einer Schlittenprothese, zum Zeitpunkt der Behandlung medizinisch vertretbar und indiziert waren.

Folgen für die Klägerin

Die Entscheidung des OLG Köln bedeutete für die Klägerin nicht nur eine Niederlage in ihrem langjährigen Kampf um Anerkennung und Entschädigung für ihre Leiden, sondern auch die Übernahme der Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, was die endgültige juristische Aufarbeitung des Falls markiert.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was versteht man unter einem Befunderhebungsfehler?

Merkmale eines Befunderhebungsfehlers
  • Der Arzt unterlässt es, notwendige Untersuchungen (Befunde) durchzuführen, die nach dem medizinischen Standard geboten wären
  • Dies kann geschehen, weil der Arzt aufgrund unzureichender Voruntersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt
  • Der Befunderhebungsfehler ist abzugrenzen von einem Diagnosefehler, bei dem bereits erhobene Befunde falsch interpretiert werden
  • Ein Befunderhebungsfehler kann zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands und gravierenden Schäden für den Patienten führen

Der zentrale Aspekt ist also, dass der Arzt es versäumt, die nach medizinischen Standards erforderlichen Untersuchungen vorzunehmen, um eine fundierte Diagnose stellen zu können. Dies wird als Befunderhebungsfehler bezeichnet und kann schwerwiegende Folgen für den Patienten haben.

Wann liegt ein Behandlungsfehler vor?

Aus den vorliegenden Informationen lässt sich zusammenfassen, dass ein Behandlungsfehler dann vorliegt, wenn die medizinische Behandlung nicht nach den zum Zeitpunkt der Behandlung geltenden fachlichen Standards erfolgt ist und dies zu einem Gesundheitsschaden beim Patienten geführt hat.

Definition des Behandlungsfehlers

Ein Behandlungsfehler ist gegeben, wenn der Arzt ohne Rechtfertigung von den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft abweicht. Maßgeblich sind dabei die Standards, die dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft auf dem jeweiligen Fachgebiet entsprechen. Der Behandlungsfehler stellt eine Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag nach §630a ff. BGB dar. Der Arzt schuldet dem Patienten eine Behandlung nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards.

Abgrenzung zu schicksalhaftem Verlauf

Wichtig ist, dass nicht jede erfolglose Behandlung oder Heilung automatisch einen Behandlungsfehler darstellt. Verläuft eine Behandlung negativ, obwohl sie lege artis (kunstgerecht) nach den medizinischen Standards erfolgte, spricht man von einem schicksalhaften Verlauf. Der Arzt kann den Erfolg nicht garantieren.

Einfache und grobe Behandlungsfehler

Es wird zwischen einfachen und groben Behandlungsfehlern unterschieden:

  • Ein einfacher Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt die erforderliche Sorgfalt verletzt hat und unangemessen gehandelt hat.
  • Ein grober Behandlungsfehler ist gegeben, wenn das ärztliche Verhalten aus medizinischer Sicht nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Zusammenfassend setzt ein Behandlungsfehler also voraus, dass der Arzt ohne Rechtfertigung gegen die anerkannten medizinischen Standards verstoßen hat und dies ursächlich für einen Gesundheitsschaden des Patienten war. Nicht jeder Misserfolg einer Behandlung stellt jedoch einen Fehler dar.

Wie wird die Beweislast bei medizinischen Fehlbehandlungen verteilt?

Aus den vorliegenden Informationen ergibt sich folgendes Bild zur Verteilung der Beweislast bei medizinischen Fehlbehandlungen:

Grundsatz: Beweislast liegt beim Patienten

Grundsätzlich muss der Patient, der Schadensersatz oder Schmerzensgeld vom Arzt verlangt, vor Gericht beweisen, dass

  • dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist
  • bei ihm ein körperlicher Schaden eingetreten ist
  • dieser Behandlungsfehler ursächlich für den eingetretenen Schaden war (sog. Kausalität)

Ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist dieser Nachweis für den Patienten in der Regel sehr schwierig zu erbringen. Gelingt ihm dies nicht, geht der Prozess für ihn verloren.

Ausnahmen und Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten

Von diesem Grundsatz gibt es jedoch einige Ausnahmen, in denen die Beweislast sich zugunsten des Patienten verschiebt oder er zumindest Beweiserleichterungen erfährt:

  • Dokumentationsfehler: Hat der Arzt eine medizinisch gebotene Maßnahme nicht dokumentiert, wird vermutet, dass er sie auch nicht durchgeführt hat, bis er das Gegenteil beweist.
  • Voll beherrschbare Risiken: Bei Risiken, die der Arzt voll beherrschen muss (z.B. Hygiene, Lagerung), wird ihm ein Fehler unterstellt, wenn sie sich verwirklichen.
  • Grobe Behandlungsfehler: Verstößt der Arzt in unverständlicher Weise gegen bewährte Behandlungsregeln, muss er beweisen, dass der Schaden auch bei korrekter Behandlung entstanden wäre.
  • Aufklärungsfehler: Der Arzt trägt die Beweislast dafür, dass er den Patienten ausreichend aufgeklärt und dessen wirksame Einwilligung eingeholt hat.

Trotz dieser Beweiserleichterungen bleibt die Durchsetzung von Ansprüchen für Patienten oft schwierig und langwierig. Die Ärzteschaft lehnt eine generelle Beweislastumkehr ab, da dies einer Erfolgshaftung gleichkäme, die dem Wesen der Medizin widerspreche. Zusammenfassend liegt die Beweislast für Behandlungsfehler und ihre Folgen grundsätzlich beim Patienten. In bestimmten Fällen grober Fehler oder Dokumentationsmängel kann es aber zu einer Umkehr der Beweislast oder Beweiserleichterungen kommen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 280 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung): Dieser Paragraph regelt die Haftung für Schäden, die durch die Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis entstanden sind. Im Kontext des Urteils ist er relevant, da er die Grundlage für Schadensersatzansprüche im Falle eines Behandlungsfehlers darstellt.
  • § 823 Abs. 1 BGB (Schadensersatzpflicht): Diese Vorschrift betrifft die Haftung bei der Verletzung von Rechtsgütern wie Gesundheit. Sie ist in medizinrechtlichen Fällen von zentraler Bedeutung, da sie die rechtliche Grundlage für Ansprüche wegen fehlerhafter medizinischer Behandlung bildet.
  • Beweislast im Zivilprozess: Die Regeln zur Beweislast, insbesondere in Arzthaftungsfällen, sind entscheidend für das Verständnis, wer die Beweisführung zu erbringen hat. Im Fall eines Behandlungsfehlers muss grundsätzlich der Kläger beweisen, dass der Schaden durch den Fehler des Arztes verursacht wurde.
  • Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern: Ein spezieller Aspekt des Arzthaftungsrechts, der besagt, dass bei einem groben Behandlungsfehler die Beweislast, dass kein Schaden entstanden ist, zum Arzt übergeht. Dieses Prinzip ist für das Verständnis des Urteils wesentlich, obwohl im vorliegenden Fall keine Beweislastumkehr angenommen wurde.
  • Medizinischer Standard: Die Beurteilung medizinischer Maßnahmen hängt oft vom jeweils geltenden medizinischen Standard ab. Dieser Begriff beschreibt die nach medizinischem Fachwissen gebotene Sorgfalt. Er ist maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Behandlung fehlerhaft war.
  • Arzthaftungsrecht: Ein Rechtsgebiet, das die Haftung von Ärzten und medizinischem Personal für Schäden, die im Rahmen der Behandlung entstanden sind, regelt. Es bildet den rechtlichen Rahmen für die Beurteilung des vorliegenden Falles.


Das vorliegende Urteil

OLG Köln – Az.: I-5 U 181/12 – Urteil vom 11.02.2015

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 26.11.2012 – 9 O 277/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am 03.10.1964 geborene Klägerin begab sich im Juli 2002 wegen Schmerzen im rechten Knie in die Behandlung des als niedergelassener Orthopäde tätigen Beklagten zu 1). Am 06.09.2002 erfolgte in der Praxis des Beklagten zu 1) eine Arthroskopie des rechten Kniegelenkes. Der intraoperative Befund ergab eine Innenmeniskusdegeneration und eine Knorpelschädigung auf der inneren Seite des Kniegelenks. Der Innenmeniskus wurde reseziert und eine Knorpelglättung durchgeführt. Aufgrund fortbestehender Beschwerden führte der Beklagten zu 1) am 10.01.2003 eine erneute Arthroskopie durch. Die Knorpelschäden zeigten intraoperativ eine erhebliche Verschlimmerung im Vergleich zum Vorbefund. Es waren nunmehr aufgeworfene Knorpelfragmente erkennbar, die reseziert wurden. Histologisch zeigte sich eine schwergradige degenerative Meniskopathie. Nach wenigen Wochen erfolgte wegen anhaltender Beschwerden eine dritte arthroskopische Behandlung, bei der Karbonstifte implantiert wurden. Auch nach dieser Operation klagte die Klägerin weiter über Schmerzen im rechten Knie. Ein am 06.05.2003 durchgeführtes MRT des rechten Knies ergab ausgeprägte Knorpelschäden am medialen Femurcondylus. Zudem litt die Klägerin unter den Auswirkungen einer schnappenden Hüfte, die zu einer ambulanten Operation in der Praxis des Beklagten zu 1) am 30.05.2003 führte.

Im September 2003 stellte sich die Klägerin wegen anhaltender Beschwerden an der Innenseite des rechten Kniegelenks in dem durch die Beklagte zu 2) betriebenen St. K Krankenhaus vor. Am 10.10.2003 erfolgte eine Arthroskopie des rechten Kniegelenks, bei der nekrotisches Knorpelgewebe beseitigt, Karbonstifte entfernt und Knorpelknochen transplantiert wurden. Da sich die Schmerzen nach anfänglicher Besserung rasch wieder einstellten, erfolgte nach erfolgloser Schmerztherapie am 29.04.2004 die Implantation einer zementierten unicondylären Schlittenprothese in dem ebenfalls von der Beklagten zu 2) betriebenen St. F Krankenhaus. Auch nach dieser Operation hielten die Schmerzen an. Am 04.07.2005 erfolgte ein Wechsel der Schlittenprothese zu einer bikondylären Oberflächenprothese. Es schloss sich eine ambulante Reha in C an. Die Beschwerdesymptomatik besserte sich in der Folgezeit nicht.

Am 22.03.2006 erfolgte eine Revision des rechten Kniegelenks mit Femurkomponentenwechsel im St. G Krankenhaus in L. Im Jahr 2007 fand eine weitere Revisionsoperation statt, bei der eine knorpelhaltige Geschwulst unklarer Genese im vorderen Teil des Knies entfernt wurde. Im Juli 2012 wurde bei anhaltender Beschwerdesymptomatik schließlich eine achsgeführte Prothese eingesetzt.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen mehrfacher fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 30.000,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 09.12.2009;

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1.690,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und sämtlich weitere zukünftige immaterielle Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 463 ff d.A.) Bezug genommen.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L2 vom 05.06.2012 (Bl. 333 ff. d.A.) und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 29.10.2012 (Bl. 440 ff. d.A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein schadensursächlicher Behandlungsfehler der Beklagten könne nicht festgestellt werden. Eine Beweislastumkehr komme selbst bei unterstelltem Befunderhebungsfehler durch Unterlassen einer Ganzbeinröntgenaufnahme zur Abklärung einer möglichen Achsfehlstellung nicht in Betracht. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Ganzbeinaufnahme eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung gezeigt hätte. Der Befunderhebungsfehler sei auch nicht als grober Behandlungsfehler anzusehen. Vor dem Hintergrund, dass eine Achsfehlstellung nicht festgestellt worden sei, begründe auch das Unterbleiben einer Umstellungsosteotomie keine Haftung. Sämtliche arthroskopischen Eingriffe, die der Beklagte zu 1) durchgeführt habe, seien medizinisch indiziert gewesen. Auch das Einsetzen von Carbonstiften sei nach dem im Zeitpunkt der Behandlung geltenden medizinischen Standard eine vertretbare Therapie gewesen. Der im Hause der Beklagten zu 2) erfolgte Einsatz einer Schlittenprothese sei nicht behandlungsfehlerhaft erfolgt. Der Sitz der Prothese habe im Toleranzbereich gelegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Zu Unrecht habe das Landgericht eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Schadenskausalität zu Gunsten der Klägerin verneint. Soweit das Landgericht angenommen habe, dass eine Ganzbeinröntgenaufnahme eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung nicht gezeigt hätte, sei ein solcher Schluss auf Grundlage des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. L2 nicht zulässig. Der Sachverständige habe seine Annahme, es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Ganzbeinröntgenaufnahme eine Achsfehlstellung ergeben hätte, nicht nachvollziehbar begründet. Der Befunderhebungsfehler stelle überdies – wie auch der für die Gutachterkommission tätig gewesene Sachverständige Prof. Dr. Q ausgeführt habe – einen groben Behandlungsfehler dar. Ohne Abklärung einer möglichen Achsfehlstellung habe die geeignete Therapie nicht bestimmt werden können. Wäre eine Achsfehlstellung diagnostiziert worden, wäre eine Korrekturosteotomie Therapie der Wahl gewesen. Folge der nicht durchgeführten Korrekturosteotomie sei, dass sie bereits jetzt eine achsgeführte Prothese tragen müsse und im Fall, dass diese ausgedient habe, weitere Therapiemöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden. Die durch den Beklagten zu 1) erfolgten arthroskopischen Eingriffe, jedenfalls diejenigen von Januar und Februar 2003, seien medizinisch nicht indiziert gewesen. Der Einsatz von Karbonstiften sei nach heutigem medizinischem Standard nicht mehr haltbar. Aber auch im Jahr 2003 hätten bereits erhebliche Zweifel an dem Nutzen dieser Therapie bestanden. Das Landgericht habe sich insoweit auch nicht mit den Einwänden des Privatgutachters Prof. Dr. S vom 20.08.2012 auseinandergesetzt. Soweit das Landgericht einen groben Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) bei Einsatz der Schlittenprothese verneint habe, rügt die Klägerin mangelnde Sachaufklärung durch das Gericht. Der Einbau der Prothese habe nicht im Toleranzbereich gelegen. Der Sachverständige habe das Ergebnis seiner Messungen nicht dargelegt.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen mehrfacher fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 30.000,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 09.12.2009;

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1.690,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und sämtlich weitere zukünftige immaterielle Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 1) ist der Ansicht, das gesamte Berufungsvorbringen sei durch eine unzutreffende Interpretation der Einlassungen des Sachverständigen und durch eine Verkennung der Beweislastverteilung in Arzthaftungsprozessen gekennzeichnet. Er rügt das Berufungsvorbringen als nicht schlüssig, da noch nicht einmal die Klägerin selbst behaupte, dass eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung vorgelegen habe. Davon abgesehen sei ihm aber auch kein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen, da klinisch keine Hinweise auf eine Achsfehlstellung vorgelegen hätten. Im Übrigen hätte eine Fehlstellung nicht zwingend zu einer Korrekturosteotomie führen müssen. Eine solche sei bei der Klägerin problematisch gewesen, weil ihr rechtes Knie ein Streckdefizit aufgewiesen habe, welches eine zweidimensionale Osteotomie mit vollständiger Durchtrennung des Tibiakopfes erfordert hätte. Die damit typischerweise einhergehenden Operationsrisiken seien zu berücksichtigen gewesen. Es werde daher bestritten, dass sich die Klägerin für eine Osteotomie entschieden hätte. Der Beklagte zu 1) bestreitet ferner, dass sich bei Durchführung einer Korrekturosteotomie im Vergleich zum tatsächlichen Krankheits- und Behandlungsverlauf ein günstigerer Verlauf eingestellt hätte und der gesundheitliche Zustand der Klägerin heute besser wäre.

Die Beklagte zu 2) nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Beweisantrag auf Vernehmung des damaligen behandelnden Arztes Dr. N als Zeugen zu der Behauptung, dass eine Achsfehlstellung nicht vorgelegen habe. Darüber hinaus verweist sie erneut darauf, dass es seinerzeit nicht möglich gewesen sei, in ihrem Hause eine Ganzbeinröntgenaufnahme anzufertigen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K2 (schriftliches Gutachten vom 16.02.2014, Bl. 625 ff d.A.) und Anhörung des Sachverständigen im Termin zur mündlichen Verhandlung (Sitzungsprotokoll vom 24.11.2014, Bl. 743 ff d.A.).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus den §§ 253, 280, 823 Abs. 1, zu. Auch nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist der Beweis schadensursächlicher Behandlungsfehler nicht erbracht.

1.) Der Beklagte zu 1) haftet nicht wegen eines Fehlers bei der Befunderhebung, denn die Klägerin kann den ihr obliegenden Beweis der Schadenskausalität nicht erbringen. Soweit sie dem Beklagten zu 1) vorwirft, die durchgeführten arthroskopischen Eingriffe seien medizinisch nicht indiziert gewesen, ist dieser Vorwurf unbegründet.

a) Nach dem Ergebnis der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist zwar davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) es fehlerhaft unterlassen hat, vor dem arthroskopischen Eingriff am 06.02.2003 mit Implantation von Karbonfaserstiften eine Ganzbeinröntgenaufnahme des rechten Beines anzufertigen. Den Beweis, dass die Klägerin durch diesen Fehler gesundheitliche Schäden erlitten hat, kann die Klägerin jedoch nicht erbringen. Eine Beweislastumkehr findet weder nach den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Befunderhebungsfehlers noch aufgrund eines groben Befunderhebungsfehlers statt.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte zu 1) habe seinerzeit eine Ganzbeinröntgenaufnahme anfertigen müssen. Eine solche Aufnahme sei deswegen erforderlich gewesen, weil eine Achsfehlstellung vorgelegen habe, die durch eine Korrekturosteotomie hätte behoben werden können. Entgegen der mit der Berufungserwiderung vorgetragenen Auffassung des Beklagten zu 1) hat die Klägerin von Anfang an eine Achsfehlstellung behauptet. Sie hat zur Begründung ihres Klagebegehrens auf die Ausführungen des für die Gutachterkommission tätigen Sachverständigen Prof. Dr. Q und des Privatgutachters Prof. Dr. S Bezug genommen, die von einem Knorpelschaden am medialen Femurkondylus und des Tibiaplateaus infolge einer Verschiebung der Tragachse ausgegangen waren.

Die Beweisaufnahme hat den Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers bestätigt. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 ist nach sorgfältiger Auswertung des gesamten Akteninhaltes und der ihm zur Verfügung gestellten Behandlungsdokumentation zu dem den Senat überzeugenden Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu 1) vor der Implantation von Karbonstiften eine Achsfehlstellung hätte abklären und hierzu eine Ganzbeinröntgenaufnahme anfertigen müssen. Eine solche Aufnahme sei vor Durchführung knorpelchirurgischer Maßnahmen grundsätzlich anzufertigen und habe damals wie heute zum Standard gehört. Grund hierfür sei, dass isolierte knorpelchirurgische Maßnahmen ohne Korrektur einer vorhandenen Beinachsenfehlstellung eine hohe Wahrscheinlichkeit auf ein Versagen habe. Während vor den arthroskopischen Eingriffen vom 06.09.2002 und 10.01.2003 eine vorherige Ganzbeinröntgenaufnahme noch nicht erforderlich gewesen sei, weil hier nur eine meniskuschirurgischer Maßnahmen und eine Knorpelglättung betrieben worden sei, habe vor der Arthroskopie am 06.02.2003 mit Implantation von Karbonfaserstiften eine knorpelchirurgische Maßnahme angestanden, die eine vorherige Ganzbeinaufnahme erfordert hätte.

Den Beweis, dass sie infolge der unterlassenen Ganzbeinaufnahme einen Schaden erlitten hat, kann die Klägerin jedoch nicht führen. Denn sie kann nicht beweisen, dass im Falle einer Ganzbeinaufnahme eine Achsfehlstellung diagnostiziert worden wäre, die eine Korrekturosteotomie nach sich gezogen hätte und dadurch ein positiver Heilungsverlauf in der Weise herbeigeführt worden wäre, dass die nachfolgenden Operationen mit mehrfachen Einsatz von Kniegelenksprothesen nicht erforderlich geworden wären. Der Klägerin kommt keine Beweislastumkehr zugute. Bei der Unterlassung einer gebotenen Befunderhebung erfolgte eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung eine groben ärztlichen Fehler darstellt (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. Urteil vom 13.01.1998, Az. VI ZR 242/96; Urteil vom 29.09.2009, Az. ZR 251/08; Urteil vom 13.09.2011, Az. VI ZR 144/10 – zitiert nach juris). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und dieser Fehler generelle Fehler generell geeignet ist, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (BGH, Urteil vom 13.02.1996, Az. VI ZR 402/94; Urteil vom 27.04.2004, Az. VI ZR 34/03; Urteil vom 02.07.2013, Az. VI ZR 554/12 – zitiert nach juris). Der durch den Beklagten zu 1) begangenen Fehler ist weder als grob zu bewerten, noch kommen die Grundsätze des Befunderhebungsfehlers zur Anwendung.

Das Unterlassen einer Ganzbeinaufnahme stellte sich im vorliegenden Fall nicht als grober ärztlicher Fehler dar. Ein grober Behandlungsfehler ist dann anzunehmen, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat und dadurch einen Fehler begangen hat, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“ (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage, B. V. 252). Nach dem Ergebnis des durch den Senat eingeholten Sachverständigengutachtens dürfte zwar von einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte medizinische Erkenntnisse auszugehen sein. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat ausgeführt, die Notwendigkeit von Ganzbeinaufnahmen sei schon im maßgeblichen Behandlungszeitraum Inhalt von Lehrbüchern gewesen und es sei eigentliche allen, die mit Knorpelchirurgie zu tun hatten, bekannt gewesen, dass eine Aufnahme des gesamten Beines vor der Planung knorpelchirurgischer Maßnahmen anzufertigen war. Gleichwohl hat der Sachverständige aus seiner medizinischen Sicht einen groben Fehler verneint und dies damit begründet, dass in Deutschland hundertfach knorpelchirurgische Maßnahmen ohne vorherige Ganzbeinaufnahme durchgeführt würden. Dies sei klinische Realität nicht nur in orthopädischen Praxen, sondern auch in Krankenhäusern und sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass die hierfür erforderlichen Geräte zur Fertigung solcher Aufnahmen vielfach nicht zur Verfügung stünden. Der Sachverständige hat ferner darauf hingewiesen, dass sich der Röntgenaufnahme vom 12.12.2002 ein standardmäßiger femoraler und tibialer Winkel habe entnehmen lassen, was weder für ein O- noch ein X-Bein gesprochen habe. Die Beklagten hätten vermutlich darauf vertraut, dass auch im Hinblick auf die Gesamtbeinachse eine Fehlstellung ausgeschlossen sei. Eine zuverlässige Information habe man diesbezüglich den Röntgenaufnahmen jedoch nicht entnehmen können, da sich Achsfehlstellungen auch aus der Situation der Hüfte, des Oberschenkels, des Unterschenkels und des Sprunggelenks ergeben könnten. Auf der Grundlage dieser sachverständigen Ausführungen bewertet auch der Senat den Befunderhebungsfehler nicht als groben Fehler. Vor dem Hintergrund der durch den Sachverständigen geschilderten ärztlichen Praxis fehlt es nach Auffassung des Senates an einem aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlichen Fehler, der einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Eine andere Sichtweise wäre möglicherweise gerechtfertigt, wenn der Beklagte zu 1) die Achsfehlstellung gar nicht im Blick gehabt hätte oder die Eingriffe ohne jede Röntgenaufnahme durchgeführt hätte. Dies war hier aber nicht der Fall. Der Beklagte zu 1) hat eine Röntgenaufnahme gefertigt und ist aufgrund der daraus ersichtlichen unauffälligen Stellung der Kniegelenksache davon ausgegangen, dass dann wohl auch eine Achsfehlstellung nicht vorliegen würde, zumindest nicht sehr wahrscheinlich sein würde. Dass er zur absolut sicheren Abklärung einer Achsfehlstellung als mögliche Ursache eines Knorpeldefektes eine Ganzbeinaufnahme nicht hat anfertigen zu lassen, ist vor dem Hintergrund, dass das Unterlassen einer solchen Aufnahme in einer Vielzahl von Fällen in der Praxis ohne negative Folgen bleibt, nicht unverständlich und stellt auch keinen Fehler dar, der einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Eine hiervon abweichende Bewertung des Behandlungsfehlers ist entgegen den Ausführungen des klägerischen Prozessbevollmächtigten in seinem Schriftsatz vom 06.01.2015 durch den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2014 nicht verlautbart worden.

Der Klägerin kommt auch nicht über die Grundsätze des Befunderhebungsfehlers eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden – das heißt mit mehr als 50 %tiger – zugute. Denn es steht nicht fest, dass sich nach Fertigung einer Ganzbeinaufnahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft dargestellt hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat es als gänzlich unwahrscheinlich bezeichnet, dass bei der Klägerin eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung vorgelegen habe. Zu dieser Aussage ist der Sachverständige nach digitaler Rekonstruktion der rechten Beinseite gelangt. Hierzu hat er die Röntgenaufnahme vom 12.12.2002 mit Abbildung des rechten Kniegelenks auf die Konturen der kniegelenksnahen Oberschenkel- und Unterschenkelanteile des rechten Kniegelenkes von der Ganzbeinaufnahme des rechten Beines vom 21.01.2014 projiziert. Die Rekonstruktion habe, so der Sachverständige, eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung nicht gezeigt. Aufgrund der seitengleichen Geometrie beider Hüftgelenke, beider Oberschenkelknochen, beider Unterschenkelknochen und beider Sprunggelenke sowie aufgrund der digitalen Rekonstruktion des Röntgenbildes vom 12.12.2002 in die Ganzbeinaufnahme vom 21.01.2014 sei sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass vor dem knorpelchirurgischen Eingriff am 06.02.2003 keine korrekturbedürftige Achsfehlstellung vorgelegen habe. Soweit der von der Klägerin beauftragte Privatgutachter Prof. Dr. S bezweifelt hat, dass beide Aufnahmen unter identischen Bedingungen gefertigt wurden, hat der Sachverständige Prof. Dr. K2 hierzu ausgeführt, eine unterschiedliche Beinposition auf beiden Aufnahmen könnte zwar Auswirkungen auf die Hüfte haben und sei auch nicht völlig auszuschließen. Aufgrund des sehr klaren und deutlichen Bildes der Röntgenaufnahme vom 12.12.2002 ergäben sich jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass eine fehlerhafte Drehung des Beines vorgelegen haben könne. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K2 überzeugen den Senat. Sie zeugen von einer sorgfältigen Auswertung des aus den Akten und den Behandlungsunterlagen erkennbaren Sachverhaltes. Der Sachverständige hat sich bemüht, die Achsverhältnisse des rechten Beines vor den streitgegenständlichen Eingriffen zu rekonstruieren. Auch wenn die Klägerin die Art und Weise der Rekonstruktion als unwissenschaftlich beanstandet, muss sie sehen, dass ihr der Beweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer korrekturbedürftigen Achsfehlstellung jedenfalls nicht gelungen ist. Auf den vom Beklagten zu 1) vorgetragenen Einwand, eine Umstellungsosteotomie sei bereits aufgrund eines höhergradigen Streckdefizits nicht in Frage gekommen, kam es danach nicht mehr an.

b) Eine Haftung des Beklagten zu 1) ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Durchführung eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs. Alle drei durch den Beklagten zu 1) durchgeführten arthroskopischen Behandlungen (06.09.2002, 10.01.2003, 06.02.2003) waren medizinisch indiziert. Die Indikation ist sowohl durch den erstinstanzlich tätigen Gerichtssachverständigen Prof. Dr. L2 als auch durch den vom Senat beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. K2 bestätigt worden. Soweit die Klägerin erstmals mit der Berufungsbegründung auch die medizinische Notwendigkeit der ersten Arthroskopie vom 06.09.2002 angezweifelt hat, fehlte es bereits an qualifizierten Einwendungen gegen das Gutachten von Prof. Dr. L2. Weder in dem für die Gutachterkommission erstellten Gutachten von Prof. Dr. Q noch im Privatgutachten von Prof. Dr. S wurden Zweifel an einer Notwendigkeit dieses ersten Eingriffes geäußert. Auch der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat sämtliche, durch den Beklagten zu 1) durchgeführten arthroskopischen Eingriffe als medizinisch indiziert bezeichnet. In Bezug auf die Eingriffe vom 10.01.2003 und vom 06.02.2003 hat der Sachverständige deutlich gemacht, dass es vor dem Hintergrund der geklagten Schmerzen nachvollziehbar gewesen sei, innerhalb eines recht kurzen Zeitraums weitere arthroskopische Eingriffe vorzunehmen. Der Sachverständige ist damit zu dem gleichen Ergebnis wie der erstinstanzlich tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. L2 gelangt, nach dessen Ausführungen gegen eine erneute Spiegelung am 10.01.2003 schon deswegen nichts gesprochen hatte, weil sich nach dem Ergebnis der vor dem Eingriff durchgeführten MRT-Untersuchung und der Dreiphasenknochenszintigraphie noch ein Reizprozess des rechten Kniegelenks gezeigt habe. Aufgrund der anhaltenden Beschwerden sei es korrekt und konsequent gewesen, die Möglichkeiten einer erneuten Kniebinnensanierung durchzuführen. Gegen diese überzeugenden Ausführungen hat auch der Privatgutachter Prof. Dr. S keine weiteren Einwendungen mehr vorgebracht.

Nach den ebenso überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K2 war auch der dritte arthroskopische Eingriff am 06.02.2003 mit Implantation von Karbonstiften medizinisch indiziert. Der Sachverständige hat nach sorgfältiger Auswertung medizinischer Fachliteratur in nachvollziehbarer Weise dargestellt, dass das seit den 90″er Jahren in den klinischen Bereich eingeführte Verfahren zwar eine in Deutschland wenig gebräuchliche Methode gewesen sei. Dies habe allerdings weniger medizinische Gründe gehabt, sondern sei im Zusammenhang mit der fehlenden Bereitschaft der Krankenkassen zur Kostenübernahme zu sehen. Das Verfahren sei noch im Jahr 2012 durch ausgewiesene Knorpelforscher und Knorpelchirurgen im Rahmen einer prospektiven klinischen Studie von Windt et al. evaluiert worden und habe mit durchaus akzeptablen Ergebnissen abgeschlossen. Auch bei der Klägerin sei die Anwendung des Verfahrens gerechtfertigt gewesen. Dies gelte auch im Hinblick auf die bei ihr gegebene, besondere Situation einer sog. „Knorpelglatze“. Windt et al. hätten im Jahr 2011 Patienten mit ganz unterschiedlichen Schäden und auch solche mit einem Schädigungsgrad von III und IV untersucht. Selbst bei diesen Patienten, die tiefer gehende Schäden als die Klägerin hatte, d.h. solche Schäden aufwiesen, die sogar unter den Knochen gingen, hätte das Verfahren akzeptable Effekte gezeigt. Auch Patienten im Alter der Klägerin hätten von dem Verfahren profitiert. Bei Abwägung des möglichen Erfolges der Therapie und des Risikos eines durch die Karbonimplantation möglicherweise ausgelösten Entzündungsprozesses sei es gerechtfertigt gewesen, einen Therapieversuch zu unternehmen. Soweit der Privatgutachter Prof. Dr. S gegen die bei der Klägerin erfolgte Anwendung der Therapie vorgebracht hat, eine Regeneration des Gelenkknorpels sei bei der Klägerin nicht möglich gewesen, weil dieser vollständig gefehlt habe, ist Prof. Dr. K2 diesem Einwand überzeugend unter Vorlage medizinischer Fachliteratur entgegen getreten. Er hat auf die von ihm in der Sitzung in Ablichtung vorgelegte Arbeit von Windt et al. Bezug genommen, die einen therapeutischen Effekt in den der Klägerin vergleichbaren Fällen belegt hat.

2.) Die Berufung ist desweiteren unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Klage richtet.

a) Den in dem von der Beklagten zu 2) tätigen Ärzten ist zwar nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. K2 ein Befunderhebungsfehler unterlaufen, indem sie vor Einsatz der Schlittenendoprothese am 29.04.2004 keine Ganzbeinaufnahme gefertigt hat, um das Vorliegen einer Achsfehlstellung abzuklären. Der Einwand der Beklagten zu 2), eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung könne nicht vorgelegen haben, da der behandelnde Arzt Dr. O solche im Rahmen der klinischen Untersuchung, also mit bloßem Auge nicht festgestellt habe, greift nicht durch. Denn der Sachverständige Prof. Dr. L2 hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung deutlich gemacht, dass mit dem bloßen Auge nur größere Achsfehlstellungen von 10 bis 15 Grad zu erkennen seien. Bei jüngeren Menschen, wie der Klägerin, sei man jedoch bemüht, schon bei geringeren Achsfehlstellungen von etwa 5 Grad einzugreifen. Jedenfalls bei 8 bis 10 Grad Fehlstellungen sei man bei jüngeren Menschen um eine entsprechende Korrekturosteotomie besorgt. Auch der weitere Einwand, dass eine Ganzbeinröntgenaufnahme im Hause der Beklagten zu 2) nicht möglich gewesen sei, entlastet sie nicht. Die behandelnden Ärzte hätten die Klägerin zur Fertigung einer Ganzbeinaufnahme überweisen können und müssen.

Den Kausalitätsnachweis kann die Klägerin jedoch nicht führen. Eine Beweislastumkehr findet nicht statt. Denn es liegt weder ein grober Fehler vor, noch finden die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Befunderhebungsfehler Anwendung. Zur Begründung nimmt der Senat auf seine Ausführungen zu Ziff. 1.) a) Bezug, die auch hinsichtlich der Frage einer Haftung der Beklagten zu 2) gelten. Die durch den Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung erneut aufgeworfene Frage, ob die von der Klägerin als notwendig behauptete Umstellungsosteotomie schon deshalb ausgeschlossen war, weil das rechte Knie der Klägerin vor der Operation ein Streckdefizit von 15 Grad aufgewiesen hat, kann der Senat dahin stehen lassen. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat für den Fall eines solchen Streckdefizits, die Umstellungsosteotomie als kontraindiziert bezeichnet, ohne jedoch eine Aussage darüber zu treffen, ob das Streckdefizit in dem behaupteten Ausmaß vorgelegen habe. Der Senat hat den Behandlungsunterlagen ein Streckdefizit von 15 Grad nicht entnehmen können. Der an den Hausarzt der Klägerin gerichtete Brief der Beklagten zu 2) vom 16.09.2003 spricht von einer „Funktion im rechten Kniegelenk von 10-10-100°“, was gegen ein Streckdefizit des behaupten Umfangs spricht.

b) Ein Behandlungsfehler ist auch nicht darin zu sehen, dass im Rahmen der am 10.10.2003 durchgeführten Operation nicht alle, sondern nur einige der durch den Beklagten zu 1) implantierten Karbonstifte entfernt wurden. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat hierzu nachvollziehbar erläutert, dass die Stifte in der Regel bis zu 15 mm tief im Knochen steckten. Soweit diese einfach zu entfernen seien, nehme man sie heraus. Anderenfalls müssten sie aus dem Knochen ausgegraben werden, was jedoch nur ungern getan werde, oder sie würden im Zusammenhang mit der Einbringung einer Prothese entfernt, wie es dann im Rahmen der Operation am 29.04.2004 auch geschehen ist.

c) Schließlich hat die Klägerin auch keine Behandlungsfehler im Zusammenhang mit dem Einsatz der Schlittenendoprothese am 29.04.2004 bewiesen. Bereits der erstinstanzlich tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. L2 hat nachvollziehbar und überzeugend begründet, dass der Gelenkersatz weitgehend korrekt platziert wurde. Das tibiale Implantat habe zwar keine perfekte kortikale Abstützung, aber dennoch einen guten Zementmantel gehabt und sei nicht ursächlich für die Schmerzen der Klägerin gewesen. Dass die Komponente fest und nicht – wie von Prof. Dr. Q in seinem für die Gutachterkommission erstellten Gutachten vom 02.06.2006 angenommen – locker saß, ergebe sich aus dem Operationsbericht vom 04.07.2005 über die Entfernung des Schlittens, wonach sowohl die tibiale als auch die femorale Komponente herausgemeißelt werden mussten. Auch wenn es sich nicht um einen absolut perfekt sitzenden medialen Schlitten gehandelt habe, hätten die Achsabweichungen in allen Ebenen im Toleranzbereich gelegen. Der durch den Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. K2 hat die Ausführungen von Prof. Dr. L2 bestätigt. Auch Prof. Dr. K2 hat den Röntgenaufnahmen eine nicht vollständige kortikale Abstützung entnommen, die jedoch nach seinen Ausführungen zweifelsfrei zu keinem Einsinken oder einer Lockerung der Prothese geführt habe. Zu diesem Schluss ist Prof. Dr. K2 nach Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 04.07.2005 und dem Operationsbericht vom gleichen Tag gelangt. Auch die Lage der tibialen Komponente hat Prof. Dr. K2 in Übereinstimmung mit Prof. Dr. L2 als im Toleranzbereich liegend bezeichnet. Gegen diese Ausführungen hat der Privatgutachter Prof. S keine Einwendungen mehr erhoben. Auch die Berufung zeigt keine Gründe auf, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

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