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Fehlerhafte Aufklärung über die Risiken einer chiropraktischen Behandlung der Halswirbelsäule

Chiropraktische Behandlung: Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt Aufklärungspflicht und Haftung des Beklagten

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat im Urteil Az.: 8 U 141/13 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hanau abgewiesen. Der Beklagte konnte nicht nachweisen, den Kläger über die Risiken einer chiropraktischen Behandlung an der Halswirbelsäule angemessen aufgeklärt zu haben. Aufgrund der unzureichenden Aufklärung und der sich daraus ergebenden eigenmächtigen Behandlung ist der Beklagte haftbar für die entstandenen Schäden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 U 141/13 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts wurde abgewiesen.
  2. Der Beklagte konnte keine angemessene Aufklärung über die Risiken der chiropraktischen Behandlung nachweisen.
  3. Die Behandlung wurde als eigenmächtig und somit als haftungsbegründend eingestuft.
  4. Unterschied zwischen Manipulation und Mobilisation der Halswirbelsäule wurde hervorgehoben.
  5. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Behandlung und Bandscheibenvorfall spricht für die Haftung des Beklagten.
  6. Fehlende Dokumentation der Aufklärung über Behandlungsalternativen im Behandlungsbericht.
  7. Das Gericht hat Schmerzensgeld und vorgerichtliche Anwaltskosten zuerkannt.
  8. Revision wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsprechung vorliegt.
Medizinrecht: Aufklärungsmangel bei Halswirbelsäulen-Therapie
(Symbolfoto: Albina Gavrilovic /Shutterstock.com)

Fehlerhafte Aufklärung über die Risiken einer chiropraktischen Behandlung der Halswirbelsäule kann für Ärzte und Therapeuten rechtliche Konsequenzen haben. In verschiedenen Urteilen wurde festgestellt, dass Patienten über die mit Manipulationen an der Wirbelsäule verbundenen Risiken aufgeklärt werden müssen. So entschied das OLG Oldenburg im Jahr 2008, dass ein Patient Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn er nicht über diese Risiken informiert wurde. Auch das OLG Hamm urteilte 2012, dass bei einer fehlerhaften chiropraktischen Behandlung im Bereich der Halswirbelsäule die Risiken hätten aufgeklärt werden müssen.

In elf von 91 Fällen wurden im Zusammenhang mit der Manipulation vorwerfbare Behandlungsfehler und zehnmal Risikoaufklärungsfehler festgestellt. Ein fehlerhafter chiropraktischer Eingriff kann sogar zu schwerwiegenden Folgen wie einem Schlaganfall führen. Es ist daher entscheidend, dass Patienten vor einer chiropraktischen Behandlung der Halswirbelsäule umfassend über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt werden, um mögliche Schadensersatzansprüche zu vermeiden.

Der Weg zum Urteil: Ein Kampf um Aufklärung und Haftung

Im Zentrum dieses juristischen Streits stand die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung eines Patienten vor einer chiropraktischen Behandlung der Halswirbelsäule. Der Fall, der vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verhandelt wurde, drehte sich um die Berufung des Beklagten gegen ein früheres Urteil des Landgerichts Hanau. Die Kernfrage dabei war, ob der Beklagte, ein praktizierender Chiropraktiker, seinen Patienten adäquat über die Risiken des Eingriffs informiert hatte.

Der Kläger erlitt nach einer Behandlung an der Halswirbelsäule einen Bandscheibenvorfall, wobei er behauptete, nicht ausreichend über die potenziellen Risiken aufgeklärt worden zu sein. Der Beklagte, hingegen, argumentierte, eine ordnungsgemäße Aufklärung habe stattgefunden. Die Richter mussten also entscheiden, ob die Aufklärung den rechtlichen Anforderungen entsprach und ob die Behandlung ohne angemessene Einwilligung des Patienten durchgeführt wurde.

Manipulation statt Mobilisation: Die Beweislast beim Beklagten

Die entscheidende Wendung im Fall war die Feststellung des Gerichts, dass es sich bei der Behandlung um eine Manipulation der Halswirbelsäule handelte, nicht um eine Mobilisation. Dieser Unterschied ist von entscheidender Bedeutung, da Manipulationen ein höheres Risiko bergen und eine intensivere Aufklärung erfordern. Der Sachverständige untermauerte diese Einschätzung mit der Erklärung, dass bei einer Manipulation im Gegensatz zur Mobilisation Impulse hoher Geschwindigkeit und kleiner Amplitude vermittelt werden.

Die Beurteilung der Behandlungsart hatte weitreichende Folgen für die Beweislast des Beklagten. Er musste nachweisen, dass eine adäquate Aufklärung stattgefunden hatte, was er jedoch nicht zur Zufriedenheit des Gerichts tun konnte. Die Aufzeichnungen in den Behandlungsunterlagen waren unzureichend und konnten die Behauptung einer angemessenen Aufklärung nicht stützen.

Aufklärungspflichten und die Rolle des Patienten

Ein zentraler Aspekt des Falls war die Frage, inwieweit der Patient über die Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt wurde. Das Gericht stellte klar, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht nur die Risiken umfasst, sondern auch die Behandlungsalternativen. Der Beklagte konnte nicht überzeugend darlegen, dass solch eine umfassende Aufklärung stattgefunden hatte. Interessanterweise spielte hier auch die Perspektive des Patienten eine Rolle. Das Gericht nahm an, dass der Patient, der Kläger in diesem Fall, sich genauer an den Behandlungsablauf erinnern könne als der behandelnde Arzt.

Das Urteil und seine Konsequenzen

Das Oberlandesgericht Frankfurt wies die Berufung des Beklagten zurück und bestätigte damit das Urteil des Landgerichts Hanau. Es wurde festgestellt, dass der Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über die Risiken aufgeklärt hatte. Diese Feststellung führte zur Haftung des Beklagten für die Folgen der Behandlung, einschließlich des Bandscheibenvorfalls des Klägers. Das Gericht erkannte ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 Euro zu und legte dem Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens auf.

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Aufklärungspflicht in der medizinischen Praxis und setzt ein klares Signal für die Notwendigkeit einer umfassenden und verständlichen Information der Patienten über mögliche Risiken und Alternativen einer Behandlung.

Das komplette Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, Az.: 8 U 141/13, kann untenstehend nachgelesen werden.

✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

Welche Pflichten hat ein Arzt bei der Aufklärung eines Patienten vor einer medizinischen Behandlung?

Ärzte haben eine Reihe von Pflichten bei der Aufklärung eines Patienten vor einer medizinischen Behandlung. Diese Pflichten sind im deutschen Recht festgelegt und umfassen verschiedene Aspekte:

  • Allgemeine Aufklärung: Ärzte sind verpflichtet, Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, falls erforderlich, während des Verlaufs über alle wesentlichen Umstände der Behandlung zu informieren. Dazu gehören die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die Maßnahmen, die während und nach der Therapie ergriffen werden müssen.
  • Risikoaufklärung: Ärzte müssen Patienten umfassend über mögliche Risiken und Nebenwirkungen der vorgeschlagenen Behandlung oder Therapie informieren. Dies umfasst auch die Aufklärung über die Heilungschancen und das Misserfolgsrisiko.
  • Aufklärung über Behandlungsalternativen: Wenn es mehrere medizinisch gleichwertige und übliche Behandlungsmöglichkeiten gibt, muss der Arzt diese dem Patienten vorstellen.
  • Aufklärung über Behandlungsfehler: Ärzte sind verpflichtet, Patienten über Behandlungsfehler zu informieren, insbesondere wenn diese gesundheitliche Gefahren abwenden können.
  • Aufklärung über Kosten: Wenn der Arzt weiß, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten (z.B. Krankenkasse) nicht gesichert ist, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten informieren.
  • Dokumentation der Aufklärung: Ärzte müssen die Aufklärung in den Krankenunterlagen dokumentieren. Sie sollten die wesentlichen Punkte des Aufklärungsgesprächs dokumentieren.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Aufklärung in der Regel persönlich und mündlich erfolgen muss. In bestimmten Ausnahmefällen, wie z.B. bei unaufschiebbarer Behandlung oder wenn der Patient auf die Information verzichtet, kann die Aufklärungspflicht entfallen.

Was sind die rechtlichen Konsequenzen einer Behandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten?

Eine medizinische Behandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten kann erhebliche rechtliche Konsequenzen haben. Grundsätzlich gilt jede medizinische Behandlung als strafbare Körperverletzung, es sei denn, der Patient hat wirksam in die Behandlung eingewilligt.

Wenn eine Einwilligung nicht vorliegt oder unwirksam ist, kann der Arzt für daraus resultierende Schäden haftbar gemacht werden, auch wenn diese nicht auf einem Behandlungsfehler beruhen. Der Arzt kann sich in diesem Fall gemäß § 223 StGB der Körperverletzung strafbar machen.

Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen eine Behandlung ohne Einwilligung zulässig ist. Wenn eine Maßnahme unaufschiebbar ist und der Arzt die Einwilligung nicht rechtzeitig einholen kann, darf er sie ohne Einwilligung durchführen, wenn sie dem Wohl des Patienten dient.

Falls der Patient einwilligungsunfähig ist, etwa bei Kindern oder geschäftsunfähigen Erwachsenen, muss der Arzt die Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter oder Betreuer einholen.

Bei einer Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 630 e BGB ist die Einwilligung des Patienten unwirksam. Der Arzt kann jedoch den Nachweis führen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung).

Es ist wichtig, dass Ärzte die rechtlichen Aspekte der Patienteneinwilligung verstehen, um rechtliche Probleme zu vermeiden und das Vertrauen der Patienten zu gewährleisten.

Inwiefern spielt die Unterscheidung zwischen Manipulation und Mobilisation eine Rolle in der medizinischen Haftung?

Die Unterscheidung zwischen Manipulation und Mobilisation spielt eine wichtige Rolle in der medizinischen Haftung, insbesondere in Bezug auf Behandlungen durch Physiotherapeuten und Chiropraktiker.

Manipulation beinhaltet eine schnelle, kraftvolle Bewegung, um ein Gelenk über seinen normalen Bewegungsbereich hinaus zu bewegen, während Mobilisation eine sanftere, rhythmische Bewegung innerhalb des normalen Bewegungsbereichs des Gelenks beinhaltet.

In Deutschland dürfen Physiotherapeuten Mobilisationen durchführen, Manipulationen sind jedoch Ärzten vorbehalten. Wenn ein Physiotherapeut eine Manipulation durchführt, kann dies als unzulässige Praxis angesehen werden und zu Haftungsfragen führen.

In Fällen, in denen ein Patient nach einer Behandlung Schäden erleidet, muss der Patient nachweisen, dass eine unzulässige Manipulation stattgefunden hat und dass diese Manipulation zu seinem Schaden geführt hat. Wenn der Patient nicht nachweisen kann, dass eine Manipulation stattgefunden hat, und die Behandlung als zulässige Mobilisation angesehen werden kann, kann der Therapeut von der Haftung befreit werden.

Darüber hinaus kann die Unterscheidung zwischen Manipulation und Mobilisation auch Auswirkungen auf die Frage der Aufklärungspflicht haben. Es wird angenommen, dass eine Mobilisation eine gesunde Arterie nicht schädigen kann, daher besteht kein Risiko, über das aufgeklärt werden müsste.

Insgesamt ist die Unterscheidung zwischen Manipulation und Mobilisation in der medizinischen Haftung von entscheidender Bedeutung, da sie bestimmt, welche Behandlungen von welchen medizinischen Fachleuten durchgeführt werden dürfen und welche Risiken und Aufklärungspflichten damit verbunden sind.

Wie wird der Schadensersatz bei einem Aufklärungsmangel im Bereich der Medizinrecht bestimmt?

Die Bestimmung des Schadensersatzes bei einem Aufklärungsmangel im Bereich des Medizinrechts hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zunächst muss der Patient nachweisen, dass ein Aufklärungsmangel vorliegt und dass dieser zu einem Gesundheitsschaden geführt hat. Der Arzt trägt in der Regel die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung.

Der Schadensersatz soll einen Ausgleich für die erlittenen Schäden schaffen. Hierbei werden verschiedene Aspekte berücksichtigt, darunter das Ausmaß physischer und psychischer Folgen, chronische Schmerzen, Folgeschäden, die Behandlungsdauer, Krankenhausaufenthalte und Einschränkungen im Alltags- und Berufsleben.

Neben dem immateriellen Schaden, der durch Schmerzensgeld ausgeglichen wird, können auch materielle Schäden geltend gemacht werden. Hierzu zählen beispielsweise Verdienstausfälle, Kosten für medizinische Behandlungen und Medikamente, Fahrtkosten zu Arztterminen, Kosten für eine Haushaltshilfe oder Umbaumaßnahmen in der Wohnung.

Die genaue Höhe des Schadensersatzes und des Schmerzensgeldes wird individuell festgelegt und hängt von der Schwere der Beeinträchtigungen ab. Es gibt Schmerzensgeldtabellen, die als Orientierungshilfe dienen können, jedoch ist die individuelle Betrachtung des Falles entscheidend.

Es ist zu beachten, dass Ansprüche auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz gemäß § 195 BGB nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Aufklärungsfehler und die darauf beruhende gesundheitliche Beeinträchtigung entstanden sind.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 8 U 141/13 – Urteil vom 13.01.2015

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 06.06.2013, Az.: 7 O 1258/10, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das angefochtene Urteil und das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

A. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach § 511 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO statthaft. Die Einlegungs- und die Begründungsfrist wurde gewahrt.

B. Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

Der Beklagte hat nicht bewiesen, den Kläger vor der chiropraktischen Heilbehandlung an der Wirbelsäule ordnungsgemäß aufgeklärt zu haben. Er haftet daher unter dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung, da die durchgeführte chirotherapeutische Maßnahme vom ….2010 nicht von einer wirksamen Einwilligung getragen war (§§ 630 e Abs. 1 und 2, 630 d BGB) und sich ein aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht hat.

1. Nach der informatorischen Anhörung der Parteien sowohl in der ersten als auch der zweiten Instanz steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei dem Kläger von einer durchgeführten Manipulation – und nicht von einer Mobilisation – der Halswirbelsäule auszugehen ist.

Der Sachverständige A hat in seinem Gutachten vom 30.07.2012 (Bl. 109 ff., hier Bl. 139 f.) sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.02.2013 (Bl. 181 ff., hier Bl. 188) ausgeführt, dass bei der Manipulation im Gegensatz zu der Mobilisation mit geringer Kraft Impulse hoher Geschwindigkeit und kleiner Amplitude vermittelt werden. Die Manipulation arbeite mit einem einmaligen, wenn auch kleinen Impuls sehr hoher Geschwindigkeit. Bei der Mobilisation werde eine passive, meist wiederholende Bewegung durch Entlastung und/oder Gleitbewegungen mit geringer Geschwindigkeit und zunehmendem Ausmaß zur Vergrößerung des eingeschränkten Bewegungsraumes angewandt. Hierbei werde mit langsamen Bewegungen bis an den Punkt herangegangen, an dem die Spannung zunehme. Der Sachverständige legt in seinem Gutachten weiter dar, dass der Kläger einen Vorgang beschreibt, der eher zu einer Manipulation passe (Bl. 144). Im Übrigen führt er in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 22.03.2013 aus, dass im Falle einer durchgeführten Mobilisation das Auftreten eines dadurch bedingten traumatischen Bandscheibenvorfalls mit radikulärem Nervenkompressionssyndrom nicht zu erwarten sei (Bl. 194).

Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.12.2014 ausgeführt, dass der Beklagte den Kopf zwischen beide Hände genommen, ihn mehrmals nach links und rechts bewegt und ihn dann links hoch gezogen habe. Des Weiteren hat er in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 21.06.2011 (Bl. 74 ff.) dargelegt, dass der Beklagte eine Bewegung mit dem Kopf nach links durchgeführt habe und er dabei ein leichtes Knacken verspürt habe. Wie der Sachverständige A ausgeführt hat, wird bei der Mobilisation eine passive, meist wiederholende Bewegung durch Entlastung und/oder Gleitbewegungen mit geringer Geschwindigkeit und zunehmendem Ausmaß zur Vergrößerung des eingeschränkten Bewegungsraumes angewandt. Hierbei wird mit langsamen Bewegungen bis an den Punkt herangegangen, an dem die Spannung zunehme. Insoweit der Kläger ein Hochziehen des Kopfes nach links beschreibt, fehlt es nach Ansicht des Senats an einer passiven, wiederholenden Bewegung, so dass hierin – bei ansonsten möglicherweise durchgeführter Mobilisation – eine Manipulation zu sehen ist. Auch der Sachverständige hat in Kenntnis der Ausführungen des Klägers vor dem Landgericht und den Ausführungen des Klägers anlässlich seiner informatorischen Anhörung in seinem Gutachten dargelegt, dass der Kläger einen Vorgang beschreibe, der eher zu einer Manipulation passe (Bl. 144). Im Übrigen spricht auch der tatsächlich zeitnah eingetretene streitgegenständliche Bandscheibenvorfall für die Vornahme einer Manipulation. Hierzu stehen die Ausführungen des Beklagten in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 21.06.2011 (Bl. 74 ff.) auch nicht in zwingendem Widerspruch. Denn er hat insoweit ausgeführt, nach einer leichten Rotation des Kopfes diesen leicht nach oben gezogen zu haben.

Hinsichtlich des genauen Behandlungsablaufes ist allerdings davon auszugehen, dass der Kläger als Patient hieran genauere konkrete Erinnerungen hat als der Beklagte als Arzt, der täglich eine Vielzahl von Patienten zu behandeln hat. Dieser dürfte sich damit kaum an genaue Einzelheiten einer stattgehabten, länger zurückliegenden Behandlung erinnern können. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Beklagte im Wesentlichen seine Behandlungsunterlagen als Gedächtnisstütze verwendet, um die Behandlung zu rekapitulieren.

Der Annahme einer Manipulation der Halswirbelsäule steht auch nicht entgegen, dass in den vorgelegten Behandlungsunterlagen unter dem ….2010 eine Mobilisation an der HWS vermerkt worden ist (Bl. 25). Die ärztliche Dokumentation indiziert zwar in der Regel, dass darin genannte Behandlungsmaßnahmen durchgeführt worden sind. § 630 f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB verlangen allerdings eine fälschungssichere Software, die die ursprünglichen Einträge erhält und gegen Änderungen sichtbar macht. Eine EDV-Dokumentation ohne Sicherung gegen Veränderungen ist nicht mehr zulässig und sollte auch keinen Beweiswert wie eine herkömmliche schriftliche Dokumentation ohne Änderungen haben, selbst wenn der Arzt nachvollziehbar darlegt, dass sie nicht nachträglich verändert wurde und dass sie medizinisch plausibel ist (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., 2014, B Rn. 204 m.w.N.). An einer solchen nachvollziehbaren Darlegung fehlt es vorliegend allerdings. In der Aufklärungsdokumentation vom ….2010 finden sich zwar umfangreiche Feststellungen zu den Risiken einer chirotherapeutischen Behandlung, nicht jedoch solche zu möglichen Behandlungsalternativen, die ebenfalls aufklärungspflichtig sind. Der Beklagte hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat allerdings ausgeführt, den Kläger auch über alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt zu haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig nachvollziehbar, dass sich zwar die Risikoaufklärung umfangreich dokumentiert in den Behandlungsunterlagen wiederfindet, nicht aber die in der informatorischen Anhörung vor dem Senat behauptete Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden. Im Übrigen hat der Beklagte auch nicht – was allerdings dahingestellt bleiben kann – dargelegt, über eine entsprechende fälschungssichere Software zu verfügen.

2. Erforderlich für eine ordnungsgemäße Aufklärung ist, dass der Behandelnde den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufklärt. § 630 e Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB listet insoweit exemplarisch die aufklärungsbedürftigen Umstände für den Regelfall auf. Demnach ist der Patient im Regelfall insbesondere über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie aufzuklären. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Ärztliche Heileingriffe bedürfen damit grundsätzlich der Einwilligung des Patienten, um rechtmäßig zu sein, wobei diese Einwilligung nur wirksam erteilt werden kann, wenn der Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen, Chancen und Gefahren im Großen und Ganzen aufgeklärt worden ist (st. Rspr., BGH NJW 2006, 2108). Die Aufklärung umfasst damit neben der Risikoaufklärung unter anderem auch die Behandlungsaufklärung. Der Behandlungsseite obliegt der Beweis sämtlicher Tatsachen, aus denen sich eine wirksame Einwilligung ergibt; sie hat dementsprechend alle sachverhaltlichen Voraussetzungen einer der konkreten Behandlung entsprechenden vollständigen und zutreffenden Aufklärung zu beweisen. Allerdings sind an den Beweis der Behandlungsseite für die gehörige Erfüllung ihrer Aufklärungspflichten im Rechtsgang keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Vielmehr kann es zur Überzeugungsbildung im Einzelfall ausreichen, wenn – etwa durch Zeugen oder im Wege der Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO – die ständige Praxis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nachgewiesen wird. Die Behauptung der ständigen Praxis kann jedoch nur genügen, wenn bewiesen ist, dass ein Aufklärungsgespräch geführt worden ist (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., S. 324 f. m.w.N.).

Zu Recht greift die Berufung die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zur Aufklärung an. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichtes an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhaltes unterlaufen sind (BGH NJW 2004, 1876 m.w.N.). Gemessen hieran sind die Feststellungen des Landgerichts im erstinstanzlichen Urteil zu beanstanden und die Einwände der Berufung sind geeignet, Fehler oder Unvollständigkeiten der landgerichtlichen Feststellungen aufzuzeigen. Denn das Erstgericht hat es fehlerhaft unterlassen, die Parteien zu dem – behaupteten – Hergang des seitens des Beklagten behaupteten Aufklärungsgesprächs vor Durchführung der chiropraktischen Heilbehandlung an der Wirbelsäule des Klägers wenigstens informatorisch anzuhören.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 30.07.2012 ausgeführt, dass vor einer Manipulation an der Wirbelsäule über das Risiko der Verletzung der Arteria vertebralis aufgeklärt und des Weiteren darauf hingewiesen werden sollte, dass es bei einem präformierten, aber klinisch stummen Bandscheibenvorfall zum radikulären Syndrom kommen könne (Bl. 141). Es steht allerdings nach der informatorischen Anhörung der Parteien im Termin vom 02.12.2014 nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch zu Behandlungsrisiken und Behandlungsalternativen geführt hat.

Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat den Behandlungsablauf in der Praxis des Beklagten am ….2010 nachvollziehbar geschildert und im Einzelnen dargelegt, dass nach Untersuchung und Anfertigen von Röntgenbildern der Beklagte ohne eine weitere Aufklärung über Risiken und mögliche Behandlungsalternativen die chiropraktische Behandlung an der HWS vorgenommen hat. Der insoweit beweisbelastete Beklagte hat hingegen ausgeführt, den Patienten vor einer chiropraktischen Behandlung an der HWS immer aufzuklären, da sich erst während der Behandlung selbst ergebe, ob eine Manipulation möglich sei oder ob lediglich mobilisiert werden könne. Die zwei unterschiedlichen Methoden habe er allerdings nicht so detailliert erklärt. Er habe aber als alternative Behandlungsmethoden auf Akupunktur, physiotherapeutische Behandlung und medikamentöse Therapie hingewiesen.

Wie bereits ausgeführt, ist hinsichtlich eines genauen erinnerten Behandlungsablaufes davon auszugehen, dass der Patient hieran genauere konkrete Erinnerungen hat als der Arzt, der täglich eine Vielzahl von Patienten zu behandeln hat, und sich damit kaum an genaue Einzelheiten einer stattgehabten, länger zurückliegenden Behandlung erinnern dürfte.

Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten steht – wie bereits ausgeführt – auch nicht aufgrund des dokumentierten Aufklärungsgesprächs in den vorgelegten Behandlungsunterlagen fest, dass ein solches tatsächlich stattgefunden hat (Bl. 25).

Der Berufung ist auch nicht dahingehend zu folgen, dass die Zeugin B zu praxisüblichen Verfahrensweisen bei Aufklärungsgesprächen vor chirotherapeutischen Behandlungen zu hören ist. Denn es steht bereits – wie ausgeführt – nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass zwischen den Parteien überhaupt ein Aufklärungsgespräch geführt worden ist. Erst dann kann es zur Überzeugungsbildung im Einzelfall ausreichen, wenn – etwa durch Zeugen oder im Wege der Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO – die ständige Praxis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nachgewiesen wird (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., S. 324 f. m.w.N.). Im Übrigen hat der Beklagte auch nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die benannte Zeugin B in der Lage sein soll, Angaben zu einer ständigen Praxis einer ordnungsgemäßen Aufklärung vor chirotherapeutischen Behandlungen zu machen. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 21.06.2011 vor dem Landgericht erklärt hat, war die Zeugin bei der Behandlung des Klägers nicht anwesend (Bl. 76). Es fehlen substantiierte Darlegungen, wie sich die Zeugin Kenntnis von einer ständigen Praxis einer ordnungsgemäßen Aufklärung vor chirotherapeutischen Behandlungen verschafft hat und inwieweit sie üblicherweise bei geführten Aufklärungsgesprächen anwesend war.

3. Dass vorliegend von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers habe ausgegangen werden können, hat der Beklagte in nicht ausreichendem Maße dargetan. Die Annahme einer hypothetischen Einwilligung unterliegt strengen Voraussetzungen, damit nicht das Recht des Patienten zur Aufklärung auf diesem Wege unterlaufen wird. Erst wenn die Behandlungsseite substantiiert vorgetragen hat, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise von ihr hätte durchführen lassen, muss der Patient plausible Gründe dafür darlegen, dass er sich in diesem Falle in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben würde (BGH Urteil vom 17.03.1998, Az. VI ZR 74/97, Rz. 11, zitiert nach juris).

Der Beklagte hat bereits nicht substantiiert vorgetragen hat, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise von ihm hätte durchführen lassen. Nicht ausreichend ist es insofern, wenn der Beklagte darauf hinweist, dass der Kläger sich mit beachtlichen und schmerzhaften Beschwerden sowie dem Wunsch nach Schmerzlinderung eigeninitiativ bei ihm in der Praxis am ….2010 vorgestellt habe. Auch die Ausführungen des Beklagten, dass die bei dem Kläger eingetretene Beschwerdesymptomatik auch als Gelegenheitsursache bei geringer Alltagsbelastung hätte eintreten können, stellen keinen ausreichend substantiierten Vortrag dar.

4. Ein Aufklärungsmangel trägt grundsätzlich – von begrenzten Ausnahmefällen abgesehen – die Haftung für alle damit ursächlich verbundenen Schadensfolgen (Geiß/Greiner, a.a.O., S. 340). So liegt es hier.

Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, dass es im Falle einer Manipulation bei präformierter stummer Schadenslage im Sinne einer Bandscheibendegeneration zu einer klinischen Relevanz mit radikulärer Beschwerdesymptomatik kommen könne (Bl. 194). Genau dieses Risiko hat sich anlässlich der streitgegenständlichen chirotherapeutischen Behandlung des Klägers verwirklicht. Zwar hat der Sachverständige auch ausgeführt, dass es zu einer entsprechender Beschwerdesymptomatik auch durch Gelegenheitsursachen mit geringer Alltagsbelastung hätte kommen können (Bl. 193). Mit diesen abstrakten Darlegungen des Sachverständigen zu anderen möglichen hypothetischen Ursachen für den Bandscheibenvorfall kann jedoch nicht angenommen werden, dass die Beschwerdesymptomatik des Klägers unabhängig von einer Manipulation aus der Entwicklung des Grundleidens in Ausprägung und Zeitpunkt durch eine Gelegenheitsursache in gleicher Weise und zu gleicher Zeit eingetreten wäre. Es ist vielmehr insbesondere aufgrund des sehr engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Behandlung darauf zu schließen, dass diese der Auslöser für die weiteren Beschwerden des Klägers gewesen ist.

Das Landgericht hat zutreffend – gerade im Hinblick auf die Grundschädigung der Halswirbelsäule des Klägers – ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 2.000,- für angemessen erachtet.

Des Weiteren sind zutreffend vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nur in Höhe von EUR 114,78 begründet.

Die geltend gemachten Verzugszinsen sind aus §§ 286 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB seit dem 25.01.2011 begründet (Bl. 32 a).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache gegeben ist, noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

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